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I
3 2044 103 251 401
m
HARVARD LAW LIBRARY
Received AUG 5 1925
k^
ARGHIV
für
katholisches Kirchenrecht,
*^ mit besonderer Rücksicht auf
Deutschland, Oesterreich und die Schweiz.
Herausgegeben •
von
Dr. Friedrich H. Veriiig,
ord. off, Professor der Rechte an der k. k. Karl-Ferdinandt^UnitieftHät t« Piag,
Aeht und rierzigster Band,
(Neuer Folge zweiundvierzigster Band,) I
Mainz,
Verlag von Franz Kirchheim.
1882.
Printed in Germany
AüG - 6 lüzo
Mainz, Druck von Job. Falk III.
^"W>vf
I.
Historisch-kritisehe Uebersicht der national-ökonomischen
und soclal-politlschen Literatur.
Von L. Erler, Domcapitular in Mainz ^).
Uie Judenverfolgungen des Mittelalters.
5. Die Juden Italiens im Mittelalter,
(Fortsetzung. Vergl. Bd. XLIV. S. 353-416.)
Die. Juden Italiens unter ostgothischer, griechischer, longobardischer
fränkischer und saracenischer Herrschaft, Gregor d. Gr, und die Juden,
Als die Ostgothen unter der Autorität der Kaiser Zeno und
Änastasius am Ende des 5. Jahrhunderts von Italien Besitz nahmen,
blieb dasselbe npminell ein Theil des römischen Reiches. Das römische
Recht, wie es in dem Codex und den Novellen des Theodosius enthalten
ist, behielt für die seitherigen Bewohner Italiens, und somit auch für die
Juden seine Geltung. Nach demselben handelte denn auch Theodorich
gegenüber den Juden. Das im Jahre 500 veröffentlichte, auß den römi-
schen Rechtsquellen geschöpfte Edict Tljeodorich's , welches in 154 Ar-
tikeln eine Reihe meist nur das Criminalrecht betreffender Bestimmungen
für die Gothen, wie für die früheren Bewohner des Reichs enthält,
ausserdem aber das ganze alte Recht — gothisches für jene, römi-
sches für diese — fortbestehen lässt, bestätigt demgemäss den Juden
ihre durch die Gesetze ihnen verliehenen Privilegien und insbesondere
ihre eigene Gerichtsbarkeit in Streitigkeiten unter sich *). Dies spricht
Theodorich speciell auch für die Juden zu Genua in einem an sie ge-
richteten Erlasse aus^). Neue Synagogen zu erbauen oder die vorhan-
denen zu vergrössern, verbot er dagegen; so ebenfalls in einem Erlasse
an die Juden zu Genua *).
1) Wir geben den Ausführungen des gelehrten Herrn Verfassers unverkürzten
Raum, ohne aber jeden Punkt derselben selbst zu vertreten. (Die Red. des Archiv.)
2) Art. 43: »Circa Jndaeos'privilegia legibus delata serventur: quosinter
se jurgantes et suis viventes legibus, eos judices habere necesse est, quos habent
observantiae praeceptores.« Walter: »Corpus Juris germanici antiqui.« Berol.
1824, t. 1, pg. 412.
3) »Oblata itaque supplicatione deposcitis privilegia vobis debere servari,
quae Judaicis institutis legum provida decrevit antiquitas : quod nos libenter
annuiifius.« Cassiodorus: Variarum lib. 4, ep. 33. Ed. Migne, Patrol. t. 69,
col. 630.
4) Cass, Var. lib. 2, ep. 27; l. c. col. 561.^
1*
Erlevr Hist'krit, Vebersicht d, nationälökon, u, soc-poL Literatur.
Wo es sich um Streitigkeiten zwischen Christen und Juden handelte,
suchte "pheodorich üherall nach dem strengsten Rechte zu entscheiden.
Als die Juden in Eom auf ein Haus, welches durch viele Jahre im Be-
sitze der römischen Kirche gewesen und dann durch Kauf in andere
Hände übergegangen war, Anspruch erhohen unter dem Vorgeben , das-
selbe sei früher eine Synagoge gewesen, befahl Theodorich die Sache
genau zu untersuchen , und sprach dann erst das Haus der Kirche zu i).
Als (christliche?) Sclaven in Rom ihre jüdischen Herren getödtet hatten,
und in Folge der Bestrafung jener das erregte Volk die Synagoge nieder-
brannte, verfügte Theodorich, dass wenn ein Jude einer Ausschreitung
sich schuldig gemacht , er zu strafen gewesen , nicht aber die Synagogfe
hätte niedergebrannt werden dürfen ; der Vorfall sei zu untersuchen, die
Urheber des Brandes streng zu strafen , und wenn Jemand gegen • die
Juden etwas vorzubringen habe, so solle er vor dem Senate seine Klage
vorbringen, auf dass denjenigen, welcher gefehlt, die Strafe treffe. * Da
die Urheber des Brandes nicht entdeckt wurden, verurtheilte Theodorich
die römische Co'mmune zum Schadenersatze; diejenigen aber, welche den
sie treffenden Beitrag verweigerten, liess er öffentlich auspeitschen 2).
Bezüglich der Juden in Mailand, welche wiederholt klagten, dass nian
sie bedränge und ihrer Rechte hinsichtlich ihrer Synagoge beraube, ver-
fügte er, dass kein Geistlicher diese Rechte vergewaltigen oder sich in
ungehöriger Weise in die Angelegenheiten der Juden einmischen dürfe,
dass aber auch die Juden sich hüten sollten, die Rechte der Kirche oder
kirchlicher Personen anzutasten. Uebrigens solle, wie sonst, so auch
hier der dreissigj ährige Ersitz massgebend sein^). So genossen die Juden
unter der Herrschaft der Ostgothen bei Auf rech thaltun g der Gesetze des
Theodosianischen Gesets^uches eine weitgehende Duldung und ausgiebigen
Schutz ihrer begründeten Rechte.
Dass sie aber auch damals, wie früher, durch ihr Sclavenwesen An-
lass zu Klagen gaben, ersehen wir aus dem oben erwähnten Aufstande
zu Rom, sowie aus einem Erlasse des Papstes Gelasius (492—496), durch
welchen er mehreren Bischöfen aufträgt, die Klage eines Juden, einer
seiner Sclaven habe sich in eine Kirche geflüchtet und behaupte , sein
Herr habe ihm, obwohl er von Kindheit an ein Christ sei, die Be-
schneidung aufgezwungen, zu untersuchen, damit weder die Religion noch
auch, im Falle der Sclave gelogen ha1)e, das Recht seines rechtmassigen
Herrn beeinträchtigt werde*).
Als Kaiser Justinian Italien durch Belisar der griechischen Herr-
schaft wieder zu unterwerfen unternahm, hielten die Juden zu den Ost-
gothen und betheiligten sich bei der Vertheidigung Neapels (536) auf
das lebhafteste, theils aus Hass gegen die rechtgläubigen Griechen,
theils weil sie di,e strengeren Gesetze Justinians bezüglich der Juden
fürchteten. Auch finden wir bei dem damaligen ostgothischen Könige
1) Cass. Var. 3, 45; 1. c. col. 600.
2) Cass, Var. 4, 43; 1. c. col. 637. Bevgnoi: »Les Juifs d'Oöcident,«
Par 1824, I, p. 146.
8) Cass, Var. 5, 37; 1. c. col. 670.
4) Decretum Gratian% C. 17, q. 4, c. 34.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 5
Theodat einen jüdischen Zauberer, zu dessen Kunst derselbe aeiwö Zu-
flucht nahm-i). In Folge des Sieges Justinians wurde der Codex Justiuiauus,
sowie die einzelnen später erlassenen Gesetze (Novellen) auch iu Italien
von Justinian publicirt, mit dem Zusätze, dass Pandekten und Codei
schon früher als geltende Eechtsbücher von ihm nach Italien geaatidt
worden seien 2). Die verschärften Judengesetze desselben wurdon sotuit
auch in Italien massgebend. Mit Ausnahme der alsbald von den Loij ge-
bärden besetzten Theile blieb dann das römisch -justinianische Recht im
übrigen Italien und in Sicilien bis zur Invasion der Saraceneu hetrschen-
des Eecht.
Wir ersehen dies auch aus den Briefen des hl. Papstes Gregors
d. Gr. (590—604), der ausdrücklich sagt, dass die Juden nach römiecbera
Rechte leben 3), und in seinen verschiedenen, insbesondere für die dejn
römischen Stuhle unterworfenen Gebiete in Unteritalien, Sicilien nod
Sardinien erlassenen , Entscheidungen oftmals auf das rö min die Recht
Bezug nimmt.
Wir gehen hier näher auf die Verordnungen und Ent:?ch0i-
dungen Gregors des Grossen bezüglich der Juden ein, weil sie uns so-
wohl die kirchlichen Principien hinsichtlich der Juden , als ivueli derön
damaligen Verhältnisse namentlich in Mittel- und ünteritaÜen zeigen.
Selbst die jüdischen Geschichtschreiber müssen die Gerechtigkeit nad
Milde Gregors anerkennen. Jos« sagt: »Dieser menschenfreundliche Papst
war eben so grosser Eiferer für das Wohl der Kirche, als strenger Hand-
haber der Gerechtigkeit und Feind jeder Verfolgung oder Gevvalttiuit . . .
Er verschmähte durchaus jede Handlung, wodurch die Juden eiire Krikikung
erlitten und sich in ihren Rechten behelligt glauben konnten*),^ Grät^
schreibt : »Eigenthümlich ist es, dass gerade die römischop Bischöfe . , .
die Juden am duldsamsten und mildesten behandelten. Die Inhaber des
päpstlichen Stuhles setzten einen Ruhm darein, die Juden vor Utiglimpf
zu schützen und Geistliche wie Fürsten zu ermahnen, dem Cbristeiithmn
keine Anhänger durch Gewalt und Druck zuzuführen.« Er beinrrkt du im
speciell bezüglich Gregors: »Gregor I. der den Grundstein zur Herr-
schaft des Katholicismus gelegt, sprach den Grundsatz aus, ilass die
Juden nur durch Ueberredung und Sanftmuth , nicht durch Gewalt zur
Bekehrung gebracht werden sollten. Gewissenhaft wahrte er das den
Juden als Römern von den römischen Kaisern anerkannte Bürgerrecht,
damit es ihnen nicht verkümmert werden sollte. Er war iniermüdlich
darin, das den Juden zugefügte Unrecht abzuwenden und yie vor üeber-
-griffen zu schützen 5).«
In^der That, alle Verordnungen und Entscheidungen des lü. Gregor
bezüglich der Juden sind von dem Geiste der christlichen Gerechtigkeit
1) Procopius: »De hello Gothico,« lib. 1, c. 8sq. Yg\,Grä(^: »Gesch. d.
Juden,« Bd. 5, 2. Aufl., S. 39; Jost: »Gesch. d. Israeliten,« Bd. 5, S, 59*
2) Vgl. Savigny: »Gesch. d. röm. Rechts im M.-A.,« 2. Ausg., Bd. 2, B. 182.
3) »Romanis legibus vivere permittuntur,« Epist. 1, 10; Opp. S. Greg*
Ed. Bened. Par. 1705, t. 2, col. 498.
4) Jost, a. a. 0. Bd. 5, S. 77, 92.
5) Grätz, a. a. 0. Bd. 5, S. 31, 40 f.
6 Krler, Hist-kriL üeberaicht d. nationalökon, u. soc-poL LUeratuK,
und Liebe eingegeben; sie lehnen sich zwar an das römische Recht an,
aber nar insoweit dieses mit jenem in Einklang zu bringen ist. Sie
lassen sich zusammenfassen in folgenden Mahnungen Gregors, die zwar
zunächst nur an einzelne Bischöfe oder Personen und meist nur in Italien
(incL Sicilien und Sardinien) gerichtet waren, aber in vielen Sehreiben
wiederkehren und allgemeine Geltung beanspruchen. Ah die Bischöfe
Bacaudas und Ägnellu« in Campanien schreibt er: »Wir verbieten es, die
Hebräer gegen Vernunft und Recht zu belästigen oder zu kränken ; sie
sollen vielmehr, wie es ihnen gestattet ist, nach römischem Rechte zu
• leben, so auch, wie es die Gerechtigkeit verlangt, ohne Hinderniss ihre
religiösen Gebräuche, gemäss ihrer Ueberzeugung, ausüben können. Doch
sollen sie keine christlichen Sclaven halten dürfen^).« An den Bischof
Petrus von Terracina schreibt er: »Diejenigen, welche der christlichen
Religion abgeneigt sind (die Juden), muss man durch Sanftmuth und
Güte, indem man sie ermahnt und überzeugt, zur Einheit des Glaubens
überführen, damit sie nicht, während sie durch die Lieblichkeit der Rede
und die Furcht vor dem künftigen Richter für den Glauben hätten ge-
wonnen werden können, durch Drohungen und Schreckungen zurückge-
stossen werden^).« An den Bischof Paschasius . von Neapel schreibt er:
»Wer in der rechten Absicht Nichtchristen zum wahren Glauben zu
fuhren wünscht, muss sich lieblicher, nicht rauher Mittel bedienen. Die
welche anders handeln, beweisen^ dass sie mehr ihre, als Gottes Sache
erstreben . . . Denn welchen Nutzen soll es bringen, ihnen ihren alther-
gebrachten Uebungen zu verbieten, da dies sie doch nicht zum Glauben
und zur Bekehrung führt?* Aber warum sollen wir den Juden Vor-
schriften über ihre Gebräuche machen, wenn wir sie dadurch nicht ge-
winnen können? Man muss vielmehr durch Gründe und Milde auf sie
wirken, so dass sie geneigt werden uns zu folgen, nicht uns zu fliehen;
aus ihren eigenen Büchern müssen wir sie überweisen und sie so in den
Schoss der Kirche führen. Dur<;h Ermahnungen entflamme sie, so
weit du kannst, zur Bekehrung, aber in ihrem Gottesdienste lasse sie
nicht gestört werden. Ihre Festlichkeiten und Feiertage sollen sie, wie
t sie selbst und ihre Vorfahren seit langer Zeit es gewohnt waren, frei be-
obachten und feiern dürfen ^).« In einem Briefe an die Bischöfe Virgilius
von Arles und Theodor von Marseille missbilligt er, die Juden »mehr
durch Gewalt als durch Belehrung zur Taufe zu führen.« »Ich lobe,«
fährt er fort, »die Absicht und glaube, dass sie aus der Liebe zu unserm
Herrn herrühre .... Aber wer nicht durch die Milde der Belehrung,
sondern durch Gewalt zur Taufe gebracht wird, wird zu seinem früheren
Aberglauben zurückkehren und statt der Wiedergeburt einen schlimmem
Tod finden*).« Christliche Sclaven aber oder solche die Christen werden wol-
len, sollen durchaus nicht in der Gewalt der Juden verbleiben, »damit
die christliche Religion nicht im Dienste der Juden befleckt werde,« wie
1) Oregorius M., L c. Ep. 1, 10, t. 2, col. 497.
2) Ep. 1, 35, col. 525.
,3)Ep. 1, 12, col. 1226.
4) Ep. 1, 47, col. 541.
Die Juden Italiens im Mittelalter» 7
Gregor an den Präfect Siciliens, Libertinus, schreibt i). »Denn w^ sind
die Christen anders,« schreibt er ferner an die fränkischen Könige
Theodorich und Theodebert, »als Glieder Christi? ... Ist es aber nicht
widersinnig, das Haupt zu ehren und die Glieder desselben von seinen
Feinden zertreten zu lassen? Wir bitten Euch daher, diese schlimme
Verkehrtheit aus Euerem Reiche zu entfernen, auf dass Ihr in Zukunft
Euch als getreue Verehrer des allmächtigen Gottes erweiset, indem Ihr
seine Getreuen von seinen Widersachern befreiet 2).« An den Bisphof
Venantius von Luna in Tuscien schreibt er: »Mit Missfallen haben wir
vernommen, dass in der Stadt Luna christliche Sclaven in der Dienstbar -
keit der Juden gehalten werden, während Deine 'Pflicht und die christ-
liche Religion gebieten, keine Gelegenheit zu gestatten, dass einfältige
Christen, nicht sowohl durch Ueberredung, als gewissermassen durch das
Recht der Herrschaft, dem . jüdischen Aberglauben dienstbar werden.
Wir ermahnen dich daher, nach der Vorschrift der gottgefälligsten Ge-
setze (»secundum piissimarum legnm tramiten>,« cf. Cod. Just.*!, 10, 1 ; 1,
3, 56 oder 54) es keinem Juden zu gestatten, christliche Sclaven zu be-
sitzen. Wenn solche bei ihnen gefunden werden, so sind sie nach der
Vorschrift der Gesetze (»ex legum sanctiöne« cf. Cod. Just. 1. c.) freizu-
geben 3}.« _
Solche Mahnungen und die sich daraus ergebenden Folgerungen
kehren in zahlreichen apostolischen Schreiben Gregors wieder. Demge-
mäss verbietet er die Juden mit Gewalt zu taufen*); sie zu verfolgen
oder ihre Synagogen wegzunehmen und sie an der Feier ihrer Sabbathe
und Feste zu hindern; weggenommene Synagogen gebietet er wieder zu-
rückzugeben 5). Nach Palermo, von wo ihm die Juden über Beeinträch-
tigung ihrer Rechte hinsichtlich ihrer Synagogen geklagt hatten, schreibt
er an den Bischof Victor, er solle die Juden in ihrem Rechte schützen.
Stehe aber etwas der Einräumung ihrer Forderungen rechtmässig ent-
gegen, so sollen von beiden Seiten Schiedsrichter ernannt, und wenn der
Streit auch dadurch nicht geschlichtet werden könne, solle an ihn recurrirt
werden % In derselben Sache schrieb er dann an den Defensor Fantinus,
da die betreffenden Synagogen den Juden widerrechtlich weggenommen und
(zu christlichen Kirchen) geweiht worden seien, das einmal Geweihte den
Juden aber nicht zurückgegeben werden dürfe, so sollten die Synagogen
und die damit zusammenhängenden Hospizien und Gärten abgeschätzt,
und der Werth nebst den weggenommenen Büchern und Zierrathen den
Juden erstattet werden^. — Dagegen will Gregor, dass man die Juden
1) Ep. 3, 38, col. 654.
2) Ep. 9, 110, col. 1018.
3) Ep. 4, 21, col. 699. Es liegt hierin zugleich ein Hinweis auf den
Proselytismus der Juden, welchen auch die Gesetze betonen : »ne occasione dominii
sectam venerandae religionis immutent.« ConsL Sirm, 6. »Constit. , quas J.
Sirmondus divulgavit,€ ed. Haenel, Bonnae 1844, col. 458. Vgl. oben Bd. 44.
S. 371, 381, 407.
4) Ep 1, 47, col. 541.
5) Ep. 1, 10, col. 497; 1, 35, col. 524; 9, 6, col. 929; 13, 12, col. 1226.
6) Ep. 8, 25, col. 914. — 7) Ep. 9, 55, col. 974.
8 Erler^ Hist-hriL üebersicht d, nationalöhon. u. soc.-poL Literatur^
durch zeitliche Wohlthaten. zur Bekehrnng aufmuntere ^) , solche», die*
sich bekehren wollten, auf alle Weise entgegenkomme^), und die bo^
kehrten unterstütze, wenn sie dessen bedürften^), und schütze, damit sie-
nicht, weil sie deu besseren Theil erwählt hätten, von böswilligem
Menschen geplagt würden ^).
Ganz besonders aber wandte sich Gregor gegen den Besitz und
Ankauf christlicher Sclaven durch die Jud^n. Am liebsten hätte Gregor
den Handel der Juden mit christlichen Sclaven ganz unterdrückt^). Da
er dies jedoch noch nicht durchsetzen konnte, so hielt er wenigstens auf
genauer Beobachtung der bestehenden Gesetze. Wenn ein Jude christ-
liche Sclaven besitze oder zu seinem eigenen Dienste erwerbe, so sollten
dieselben dem Gesetze gemäss («juxtalegum praecepta«) ohne Verzug und
ohne Lösegeld freigegeben werden^). Christliche Sclaven, welche auf
Landgütern der Juden arbeiteten, seien zwar auch den Gesetzen gemäss
(»ex legum dlstrictione«) frei, ^sollten aber, insofern sie schon längere
Zeit daselbst thätig 'seien , als Colonen daselbst verbleiben und alle
Colonenpflichten leisten können, ohne dass ihnen jedoch eine weitere Last
auferlegt werden dürfe. Bestehe aber der Jude darauf, dass der bis-
herige Sclave nach einem anderen Orte wandere oder in seiner ßbt-
mässigkeit verbleibe, so habe er sich selbst es zuzuschreiben, wenn er
das Colonatsrecht und die Herrschaft, über den Sclaven einbüsse^), Im
Besitze von Juden befindliche, jüdische oder heidnische Sclaven, welche,
um Christen zu werden, in eine Kirche flüchteten oder überhaupt den
Willen hätten, die christliche Religion anzunehmen, sollten ebenfalls so-
fort die Freiheit erhalten. Um jedoch. Klagen der Juden über Beein-
trächtigung abzuschneiden , sollten dieselben , schreibt Gregor an den
Bischof Fortunatus von Neapel im Jahre 596, wenn sie des Handels
wegen aus ausländischen Gebieten heidnische Sclaven erworben hätten und
ein christlicher Käufer sich fände,, dieselben auch wenn sie dann erklärten,
Christen werden zu wollen, innerhalb dreier Monate verkaufen dürfen;
seien aber bereits die drei Monate verflossen, so dürfe ein solcher Sclave,
wenn er Christ werden wollen nicht mehr verkauft werden, sondern sei
freizugeben, weil es dann klar sei, dass der Jude den Sclaven nicht zum
Verkaufe, sondern zu seinem eigenen Dienste erworben habe ^).
Auf die weitere Vorstellung einiger den Sclavenhandel aus Gallien
betreibenden. Juden, dass ihnen von verschiedenen Staatsbeamten der
Ankauf von Sclaven aufgetragen werde und es dabei vorkomme, dass
unter Heiden auch Christen gekauft wurden, verordnete Gregor in einem
1) Ep. 2, 32, coL 592; Ep. 5, 8, coL 733.
2) Ep. 8, 23, col. 912.
3) Ep. 4, 33, col. 714.
4) Ep. 1, 71t col. 557.
5) Ep. 9, 36, col. 953.
6) Ep. 1, 10, col. 497; 3, 38, col. 651; 4, 21, col. 699; 7, 24, col. 868;
8, 21, col. 910; 9, 36, col. 953; 9, 109, col 1014.
7) . . . »ipse sibi reputet, qui jus colonarium temeritate sua, jus vero
dominii sibi juris severitate damnavit.« Ep. 4, 21, col. 699.
8) Ep. .4, 9, coL 687; 6, 32, col. 818.
Die Juden Italiens im Mittelalter, 9
Schreiben vom Jahre 599 an denselben Bischof, solche Christen müssten
entweder sogleich den Auftraggebern ausgeliefert oder wenigstens an
Christen binnen vierzig Tagen verkauft werden. Nach Verlauf dieser
Frist dürften, den Fall der Erkrankung ausgenommen, keine christlichen
Sclaven mehr bei Juden zurückbleiben. Sollten jedoch vom Ankaufe des
vorhergehenden Jahres sich noch solche bei ihnen finden, oder erst kürz-
lich von dem Bischöfe ihnen weggenommen sein und noch bei ihm sich be-
finden, so sollten sie auch diese noch veräussern dürfen. Was den Juden
Basilius- betreffe , der seinen zum Christenthum übergetretenen Söhnen
einige Sclaven schenken, sie aber in seinem Dienste behalten wolle; da-
mit dieselben so, wenn sie später etwa Christen wurden, nicht frei, son-
dern für seine Söhne reclamirt würden, so dürften diese Sclaven, im
Falle sie Christen würden, jedenfalls nicht im Hause des Basilius bleiben ;
doch sollten sie ihm, wenn es nöthig würde, jenen Beistand leisten, wel-
chen ihm auch seine Söhne von Gottes- und Rechtswegen leisten müss-
ten 1). — Christliche oder christlich gewordene und darum aus der
Sclaverei der Juden befreite Sclaven dürften ihren früheren Herrn, wenn
diese selbst später Christen würden, nicht mehr zurückgegeben wer-
den 2). — Heidnische Sclaven, welche von ihren jüdischen Herrn .be-
schnitten worden, sollten ohne Verzug freigelassen und in den Schutz
der Kirche aufgenommen werden, ohne dass ihren Herrn ein Lösegeld
bezahlt werde, die eigentlich ausser diesem Verluste noch weiter nach
der Strenge der Gesetze bestraft werden müssten ^). Der Justinianische
Codex setzte nämlich noch die Todesstrafe darauf (1, 10, 1), welche
Gregor jedoch nicht ausgeführt wissen wollte. Wie die Juden diese von
Gregor nur aufs neue eingeschärften Bestimmungen des römischen
Rechtes respectirten , sagt uns der jüdische Geschichtschreiber Cassel:
»Die Juden gebrauchten jede List dagegen. Ein Jude liess seine Kinder
in Neapel die Taufe nehmen, um ihnen seine Sclaven zu schenken und
so zu benutzen. Der Verkaufszwang, nach dem sie vierzig Tage nach
Ankunft eines neuen Sclaventransportes die (christlichen) Sclaven an
Christen verkauft haben raussten, ward auf jede Weise hintergangen *).€
In dem fränkischen Reiche, wo die Bestimmungen des Justinianischen
Codex nicht in Geltung waren — die Concilien von Orleans (541) und
Ma9<)n (581) hatten nur decretirt, dass man jeden christlichen Sclaven
bei Juden nach gerechter Taxation, laut dem Concil von Ma9on um zwölf
Solidi, loskaufen könne — sehen wir Gregor im Jahre 597 durch seinen *
Stellvertreter auf eigene Kosten christliche Sclaven aus den Händen der
Juden loskaufen 5), und im Jahre 599 ermahnt er die dortigen Herrscher,
die Königin Brunhilde und die Könige Theoderich und Theodebert, in
dem schon erwähnten Schreiben aufs eindringlichste, nicht zu gestatten,
dass die Juden christliche Sclaven besässen^), doch, wie es scheint, bei
1) Ep. 9, .36, col. 954.
2).Ep. 8, 21, col. 910; cf. Cod. Just. 1, 3, 56 (54).
3) Ep. 6, 33, col. 818.
4) Cassel: »Juden« in: »AUg. Encyclopädie« von Ersch und Gruber,
Sect. II, Bd. 27, S. 141.
5) Ep. 7, 24, col. 868.
6) Ep. 9, 109, 110, col. 1014 sqq.
A
10 Erler ^ Hist.-krit, Ueber nicht d, nationalökon, u, soc-pol. Literatur.
den dortigen Wirren ohne Erfolg, denn die späteren fränkischen Con-
cilien nmseten wiederholt darauf zurückkommen. Pen König Reccared
in Spanien, helobtc er wegen seiner Massregeln gegen die Juden (Verbot
der Ehen zwischen Christen und Juden, der Bekleidung öffentlicher
Aemter und der Erwerbung christlicher Sclaven zu eigenem Gebrauche
durch Juden, Verordnung, christliche, von den Juden beschnittene Sclaven
ohne Lösegeld freizugeben) i), sowie namentlich, weil er das Geld, welches
ihm die Juden für Aufhebung jener Massregeln geboten , zurückgewiesen
hatte«).
Einen anderen Fall, wo Gregor gegen Bestechung mit jüdischem
Gelde, verbunden mit Proselyten macherei und dem Kaufe christlicher
Sclaven auftritt j finden wir in einem Schreiben an Libertinus, den Prä-
fccten Siciliens» Es sei ihm berichtet worden, schreibt er, dass ein jüdi-
scher Frevler in Sicilien einen Altar unter dem Namen des Propheten
Elias errichtet,, viele Christen zu sacrilegischer Anbetung verleitet, auch
christliche Sclaven zu seinem Dienste und Nutzen gekauft, und dass
der frühere Präfect aus Geiz sich habe bestechen lassen, diese Verbrechen
nicht zu bestrafen (»medicamento avaritiae delinitns Dei distulit inju-
• riam vindicare«). Libertinus solle aufs genaueste dies alles untersuchen,
und wenn es sich so verhalte, den Juden streng strafen und sämmtliche
Sclaven nach dem Gesetze befreien ^). Ja es scheint , , dass die Juden
dieses »ihr gewohntes Mittel« der Bestechung selbst bei dem hl. Gregor
versuchten; wenigstens berichtet der alte Biograph Gregors^ der Diakon
Johannes (am Ende des 9. Jahrhunderts): »San^ quia Judaeorum perfidia
zelum Christianorum datis contra se muneribus ludificare solebat, non
solum nihil penitus ab eis capiebat, quinimo eorura munera Gregorius
oxeeräbilia judicabat*).«
Dass ein im Mittelalter nicht seltener Missbrauch auch damals schon
vorkam, zeigt uns ein Erlass Gregors an den Subdiakon Anthemius zu
Venafra in Campanien , wo Kleriker an einen Juden Kelche und andere
kirchliche Geräthe und Gewänder verkauft hatten; und wenn Gregor
dem Anthemius befiehlt: »memoratum Hebraeum, qui oOlitus vigorem
legum praesumsit sacra cimelia comparare, per judicem provinciae faciat
, 1) Nach ausdrücklichem Willen des Königs hatte das Concil von Toledo
im Jahre 589 folgenden Kanon (14) aufgenommen: »Conventus noster hoc
canonibus inserendum praecipit , ut Judaeis non liceat , Christianas habere
mores vel concubinas, neque mancipium Christianum in usus proprios cojnpa-
rare: sed et filios, qui ex tali conjugio .nati sunt, assumendos esse ad baptis-
mum. Nulla officia publica eis injungantur, per quae eis occasio tribuatur
Christianis poenam inferrc. Si vero Christiani ab eis in Judaismi ritu sunt
maculati vel etiam circumcisi , non reddito pretio ad libertatem et religionem
redeant Christianam.« Carranza: »Summa Conciliorura,« Aug. VindeL 1778,
t. 1, p, 766. — Harduin: »CoUectio Concil.,« t. 3, p. 467. — Mansi: »ColL
Concil,« t. 9, p. 977.
2) Ep. 9, 122, col. 1028.
3) Ep. 3, 38, col. 651.
4) S. Greg. P. vita a Johanne DUicono scripta 1. 4, c. 49, Opp. S.
Greg. t. 4, p. 155.
Die Juden ItaHens im Miltelaller. 11
convciüri , et sine aliqua raora antefata ministeria reddere conip€llatttr,€
so weist dies auf wiederholte Fälle derart und einr dadurch nothwcndig
gewordene« bürgerliches Gesetz hin, das uns jadoch nicht erhalten ist*).
Dieselbe Gerchtigkeit , Gewissenhaftigkeit und Milde, wie sie der
hl. Gregor in den religiösen Beziehungen gegenüber den Juden be-
obachtete, zeigt sich aach in der Sorgfalt, mit welcher er berechtigte
Forderungen derselben iiv Civilsachen in Schutz nahm. So trägt er dem
Subdiakon Siciliens Petrus auf, die ßechtsstreitigkeit des Juden Salpingus
und einer Wittwe zu untersuchen und über die jenem zurückzugebenden
51 Solidl, sowie es ihm recht erscheine, zu entscheiden, »ita ut res alienae
injuste nullo modo a creditoriis defrandentur*).« Ebenso trägt er dem
Defensor Fantinus in Palermo auf, die Klage eines Juden, dass, obwohl
ihm sein Sehiffi und seine Waaren von dem Defensor Candidas und seinen
Gläubigern in Beschlag genommen und für das ihm vorgestreckte Geld
verkauft worden seien, ihm doch sein Schuldschein vorenthalteo werde,
zu untersuchen und, wenn es sich so verhalte, jenen mit aller Strenge
zur Herausgabe des Schuldscheines anzuhalten 3).
Aus diesen Schreiben des hl. Gregor ist zugleich zu ersehen, dass
die Juden auch damals namentlich im südlichen Italien zahlreich waren
(in Palermo besassen sie mehrere schmnckreiche Synagogen nrit zuge-
hörigen Hospitien und Gärten) *), dass sie, wie von jeher, mit den Küsten-
ländern und Inseln des Mittelländischen Meeres rege Handelsverbindungen
hatten*) und namentlich den Sclavenhandel auf das lebhafteste be-
trieben (Gregor setzt , wie oben angegeben , voraus , dass sie innerhalb
einer Frist von drei Monaten, ja von vierzig Tagen mit Sicherheit auf
den Umsatz der gekauften Sclaven rechnen konnten), dass sie endlich
auch Ländereien besassen, die sie mit christlichen Sclaven, beziehungs-
weise Colonen bebauten*).
Als die anfangs noch arianischen Longobarden in Italien eindrangen
(seit 56S), änderte sich in den von ihnen besetzten Theilen die Lage der
Juden zu deren -Gunsten. Das römische Recht wurde von allen Gebieten des
öffentlichen wie des Privatlebens — mit wenigen Ausnahmen ^ verdrängt,
und die zurückgebliebenen Einwohner unter das kecht der Langobarden ge-
stellt ^). Damit verloren selbstverständlich die Bestimmungen des römi-
schen Rechtes auch für die Juden ihre Geltung. In den longobardischen
Gesetzen selbst geschieht der Juden keine Erwähnung. Es fiel also jede^
Ausnahrastellang für sie weg. Die kirchlichen Bestimmungen aber über die'
1) Ep. 1, 68, col. 554. — 2) Ep. 1, 44, col. 553.
3) Ep. 9, 56, coL 974. — 4) Ep. 9, 55, col. 973;
5) Ep. 1, 47, col. 541; Ep. 9, 36, col. 953.
6) Der sicilianische Gesohichtschreiber Mich, Amari bemerkt über d>ie
Verhältnisse der Juden in Sicilien während der oströmischen Herrschaft: =>G^li
Ebrei stanziati nelle cittä principali segnalavansi mono per lo numero loro, che
per lo avere e per Todio reciproco con le altre schiatte.« »Storia dei Musüi-
raani di Sicilia.« Firenze 1854—72, vol. 1, p. 195.
7) Savigny behauptet zwar, dass auch unter der Herrschaft der
Langobarden in allen Theilen ihres Reiches löngobardisches und römisches
Recht neben einander zugelassen wurden, beide als persönliche Rechte
12 Erler y Hist-hriU Uebersicht d, nationalökon» u.soc.-pol. Literatur,
Jaden kamen unter den Longobarden, sowie später unter der fränkischen
Hen-schaft mit .ihrem Systeme der persönlichen Rechte (seit 774)', nur all-
mählich zur Durchführung. Dies wussten die Juden denn auch zu benutzen.
Dafür zeugen die Gesetze der longobardischen Könige über das Sclaven-
wesen, insbesondere die Liutprand's (712—744) gegen Menschendiebstahl
und Verkauf Areier Leute in das Ausland^), sowie die ähnlichen Gesetze
CarFs d. Gr. *j ; femer das Concil von Rom i. J. 743 (c. 10), welches unter
dem Anathem yerbot, dass christliche Jungfrauen und Wittwen Juden
heiratheten und dass Christen Sclaven an sie Terkauften '). Und wie
schon ein Capitulare CarUs d. Gr. vom Jahre 789 beklagte , dass die
Christen mit den Juden den Sabbath feierten^), so klagte auch das
Concil von Friaul (Forojuliense) im Jahre 796 (c. 13), dass die Land-
leute durch die Juden verleitet, am Samstage müssig seien ^). Kaiser
Lothar aber musste im Jahre 832 das Verbot Gregorys, kirchliche
Gegenstände an Juden zu verkaufen, erneuern, untersagte dagegen,
den Jjuden aussergewöhnliche Zölle aufzuerlegen^). Das Concil zu
Pavia musste gar im Jahre 850 unter dem Anathem verbieten,
dass Juden die Zölle erhöben und, sei es in Civil- oder Criminal-
Processen, richterliche Gewalt über Christen ausübten, welcher Kanon
auch von den Kaisem Lothar und Ludwig IL promulgirt wurde ^. Im
nach der Abstammung eines jeden (a. a. 0. Bd. 1, S. 115 ff.; Bd. 2, S. 209 ff.);
allein Hegel weist nach, dass die Longobarden schlechthin unduldsam waren
gegen das fremde Recht , selbst der Stammesgenossen , und am wenigsten das
der unterworfenen Römer duldeten, sondern diese unter longobardisches Recht
stellten (»Geschichte der Städteverfassung von Italien.« Leipzig 1847, Bd. 1,
S. 386 ff; insbes. S. 494 ff.).
1) Liutpr, Legg. L 5, 19 sqq., bei Walter, a. a. 0. I, 776. Leo be-
merkt hierzu: »Auch ganz neue Verbrechen kommen zum Vorschein: Menschen-
diebstahl und Verkauf freier Leute als Sclaven in das Ausland. Die Juden
und Venetianer, diese ärgsten aller Menschenmakler im Mittelalter mögen dazu
verführt haben . . . Besonders hatten von jeher die Juden diesen Handel be-
trieben, und die deutsche Volkssage« (Sage? Dieselbe »Sage« befindet sich be-
kanntlich in allen christlichen liändern), »dass die Juden Christenknaben heim-
lich zu Tode gemartert hätten, röhrt wahrscheinlich daher, dass sie sonst oft
schöne Knaben stahlen und verschnitten, um sie dann an die Saracenen zu ver-
kaufen, und dass bei diesen Operationen viele der armen Kinder unter den
grässlichsten Martern den Geist aufgaben.« »Gesch. v. Italien.« Hamb. 1829,
Bd. 1, S. 119, 224 f. . ,
2) VgL Leo, a. a. 0. S. 1, 225.
3) Harduin, Coli Conc. t. 3, p. 1928 sqq.; Mansi, Coli. Conc. t 12,
p. 382 sqq.
4) Mansi, 13, 152.
5) Harduin, 4, 847; Manai, 13, 830.
6) Mon. Germ, Leges 1, 363 sq.
7) »Omni ratione oaret et religioni Christianae noxium et contrarium
noscitur, ut Judei a Christianis vectigalia exigant, aut ullas civiles aut crirai-
nales caussas inter Christianos judicandi locum habeant; quicumque igitur ju-
diciariae potestatis super Christianos aliquam administrationem Judeo tractare
Die Juden Italiens im Mittelalter, IB
Jahre 855 scheinen die Uebelstände einen so hohen Grad erreicht au
haben, dass Ludwig II. eine allgemeine Ausweisung der Junten aus
seinem italischen Reiche (Ober- und Mittelitalien) verfügte ^) , die aber
jedenfalls nicht von langer Dauer war, vielleicht bei den dunulig-en Wir-
ken in Italien kaum zu allgemeiner Ausführung kam. Wenv^^tcn^ wer*
den schon in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts wie^ler Juden iu
Oberitalien erwähnt*).
In Sidlien und in denjenigen Theilen ünteritaliens , \welclie die
Saracenen von dem Jahre 827 an besetzten, hörte damit natürlich die
Geltung des romisch-justinianischen Rechtes und der kirclilieheu Bestim-
mungen für die Juden auf, obwohl jenes auch unter der Herrscliaft der
Saracenen als geduldetes Sonderrecht der italienisch-griechischen Ein-
wohnerschaft in Kraft bliebt), woraus man vielleicht schliessen dürfte,
dass auch die Juden nach ihrem Rechte leben durften. Gewiss ist, ditss
sie wie die Christen den Saracenen einen Tribut, die s. g, Giaia, zahlten
und dafür ihre Religion frei ausüben konnten*); überhaupt scheinen sie
ziemlich grosse Freiheit genossen zu haben. Doch befahl der Tyrann
. Ibrahim-ibn- Ahmed den Juden wie den Christen als Abzeichen ein weiescä
Stück Tuch zu tragen, jene mit der Figur eines Affen, Jieae mit der
Figur eines Schweines, und dieselben Bilder auf Tafeln au ihren Haus-
thüren anzubringen 5). Auch eine edele That eines Judon aus dieser
Zeit werde erwähnt. Als nämlich Kaiser Otto IL bei einem Ueherfalie
durch die Saracenen bei Squillace im Jahre 982 sein Pferd einbüsste und
^)einahe von dem Feinde ergriffen worden ^äre , gab ihm ein vertrauter
permiserit, a Christiana communione pellatur.« Harduin, 5, 26; Munsi, 14,
930; Convent. Ticinensis, 850, c. 24 in: Mon, Germ, Leg. 1, 400.
1) »Praevidimus de Judaeis, ut nuUus infra regnum Italicum ultra Ka-
lendas Octobris (der Befehl war im Juli erlassen) maneat, et modo eis deuun*
tietur, ut omnes usque ad placitum illud exeant ubi voluerint, nlnc nllius eon-
tradictione. Quod si post Kalendas Octobris aliquis inventus fuerit, ^ qulbus-
cumque comprehendi potest, cum omni substantia sua ad nostram deducatur
praesentiam.« Conv. Ticin. 855, c. 4. Mon» Qerm. Leg. 1, 437. Vielleicht
lag eine Ursache dieser Ausweisung auch in der, so oft in der Geschichte wie-
derkehrenden, Conspiration der Juden mit den Saracenen , welche ueU 827 im
Besitze Siciliens waren, auch Bari in Apulien eingenommen hatten und gerade
damals jährlich verheerende Einfalle an den Küsten Italiens selbst tief ins
Land hinein machten. Im Jahre 846 waren sie vor den Thoren Rom's,
2) Casael, a. a. 0. S. 148.
3) Vgl. W. v.Brünneck: »Sicilien's mittelalterliche Stadtrech tc.* HaJle
1881. S. XXL
4) Wenn es bei Ros. Gregorio: »Rerum arabicarum .... coUectio,*
Panoxmi 1790, p. 14, Note 6 von dem Tribute, welcher Calabrien von den Sa-
racenen aufgelegt wurde, heisst: »Jam vero vox Arabica, quae hie «äurpatur
(Adschisia, Gesia, Gisia) tributum illud proprie significat, quod a Christi an ia et
Judaeis victis, quo libere possint suam profiteri religionem, quotauni^ penditur
Mohamedanisc (vgL Leo, a. a. 0. 1, 373), so gilt dies ebenso für das ganae
von den Saracenen unterworfene Gebiet.
5) Amari: »Storia« etc. 2, 56.
i
14 Erler, Hiat-kriL üeher sieht d, nationalökon* w. soc.-poL Literatur,
Jude (»an gindeo sao fidato«) sein eigenes Pferd. »Besteige mein Pferd,«
rief er ihm zu, »und wenn sie mich todten, so gedenke meiner Kinder.«
So entkam der Kaiser , der Jude aber wurde getödtet ^), Um dieselbe
Zeit (c. 980) wird auch der Jude Domeolus als Leibarzt des byzantini-
schen Statthalters Eupraxius in Calabrien genannt^). Noch möge eine
andere Thaisache aus dem byzantinischen Gebiete berichtet werden,
welche zeigt, welchen Einfluss die Juden auch hier, wenigstens an man-
chen Orten übten, und was man ihnen zuzugestehen keinen Anstand nahm.
In dem von einem Zeitgenossen verfassten Leben des hL Nilus (910 bis
1005) wird erzählt, dass zu Bisignano in Calabrien, welches damals noch
unter byzantinischer Herrschaft stand, ein junger Mensch einen'von seinen
Handelsgeschäften zurilckkehrenden Juden tödtete und beraubte. Da der
Mörder sich durch die Flucht der Strafe entzog, wurde sein Schwieger-
. Täter von dem Magistrate der Stadt ergriflfen und den J^den zur
Kreuzigung übergeben (»captus ergo est socer ejus a loci moderatoribus
et Judaeis traditus ad crucifigendum ob jugulatum Hebraeum«), und
konnte von dem herbeieilenden Nilus nur dadurch gerettet werden, dass
dieser sich auf irgend ein uns unbekanntes Gesetz berief, nach welchem
für sieben Juden erst ein Christ sterben sollet).
Die Juden Unteritaliens und Siciliens im späteren Mittelalter.
In dem in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in ünterita^ien
und in der zweiten Hälfte in Sicilien begründeten, seit 1130 unter einem
Herrscher yereinigten Beiehe der JSormannen. welche allen vorge-
fundenen Volksthömlichkeiten gerecht zu werden suchten und alles , was
vorher im Brauche war, anerkannten, war die Lage der Juden eine sehr
günstige.
Was speciell Sicilien betrifft, über dessen Juden wir einigermassen
eingehende Nachrichten haben, so »lebten zu jener Zeit in den siciliani-
Bcheii Städten zahlreiche jüdische Familien, welche dem Handel ergeben
und durch grossen Wacher reich waren ^}.« Als Palermo durch die Nor-
mannen erobert wurde (1072), wurde in die »Gewohnheiten« der Stadt
folgende Bestimmung aufgenommen: »Die Verkäufe, welche geschehen
sind und künftig geschehen werden durch Saracenen, Juden und Griechen
in Sicilien, in beweglichen und unbeweglichen Dingen, haben durchaus
Festigkeit, und alle Instrumente, welche über deren Verkäufe oder Tausch-
geschäfte oder über irgend andere Verträge in arabischer, griechischer
und hebräischer Sprache durch die Hände arabischer , griechischer und
1) 'Ihn 'al 'Atir: »Cronaca compiuta,« bei Amari: »Bibliotheca Arabo-
Sicula« Vers. ital. vol. 1, p. 434. Pal. 1881.
2) Damherger : »Synchronistische Geschichte der Kirche und der VVelt
im M.-A.< Regsbg. 1858 ff. Bd. 5, S. 290.
3) »Vita S?Nili,« n. 35 in: *Acta Sanctorum,^ Sept. t. 7. p. 283,
Paris. 1867; ferner bei Muratori: »Antiquitatea Italicae,« Mediol. 1738 sqq.,
t. 1, coL 877.
4) V. la Mantia: »Storia della legislazione civ. e crim. di Sicilia.«
PaL 1866-74, vol. 1, p. 47.
Die Juden Italiens im Mittelalter, 15
und hebräischer Notare vollzogen sind, auch wenn sie cbrbtliclieTn Ge-
brauche nicht folgen (»etsi solemnitatibus careant Cbristianorain«), wie
alle anderen Schriftstücke, die auf dieselbe Weise in Zahinft aafgenoiti-
raen werden, haben sidiere und dauernde Gültigkeit i).« In einem von
Roger IL der Stadt Messina aus Dankbarkeit für ihre Beihilfe in dem
Kampfe gegen die Saracenen gegebenen Freibriefe vom Jahre 1123 wer-
den den Juden dieselben ausserordentlichen Rechte und Prvvilegioü wie
den Christen zugesichert*). Messina ist, so hciPöt es u* ei. in dieRem
Freibriefe, Hauptstadt des Reiches; ihre Bürger und Einwohner können
nur vor den Gerichten Messina's belangt werden, und zwar Reibst von
dem Könige und seine Beamten ; auch der Köni^ darf gegen sie keine
absolute Gewalt, sondern nur die Gesetze geltend machen und nichts
gegen die Rechte und Freiheiten der Stadt anordnen; von dem Handels-
stande und den Schiffern erwählte Consuln entscheiden alle Streitigkeiten
in Handelssachen und erlassen bezügliche Statuten ; Bürger und Ein-
wohner sind frei von allen Zöllen und Abgaben (»de omnibus et singulis
gabellis, dohanis et aliis solutionibus quibuscumqnc tarn de inagnis rebus
et mercibus, quam de parvis, mobiUbus et stabilibns in mari et in terra*) ;
von jeder ausserordentlichen Steuer können sie sich loskaufen (»dum
causaverint seu conveneririt a trino procento«); .aus jedem (üscaUschen)
Walde dürfen sie das für ihren Gebrauch oder den Schiffsbau nothige
Holz ohne Zahlung entnehmen; sie werden nicht zum Secdien^te ge-
zwungen; Bürger der Stadt ist, wer ein Jahr, einen Monat, eine Woche,
einen Tag daselbst gewohnt hat; dieser Freiheiten und Gnaden sollen
sich die Juden gleichwie die Christen erfreuen; auch sollen sie Zutritt 7,u
den höheren königlichen und anderen Aeratern haben, so^vie ta dem könig-
1) »Consuetudines Panormitanae,« cap. 36, bei Ros. Gregovio: »In-
troduzione allo studio del dritte pubblico Siciliano,« lib. 1, c. l^in »Operescelte,«
Pal. 1845, p. 83; bei Brünneck, a. a. 0. I, 27. Dasß diese Bestimmung nncli
lange Geltung hatte, erhellt aus ihrer Aufnahme in die wohl erst mit dem
Ausgange des 18. Jahrhunderts zum redactionellen Abschlüsse gelan^^ten Co«-
suetudines.
2) Dieser Freibrief findet sich im Anhange der zuerst von Stepfu Baluze
(»Miscellaneorum libri VII,< Par. 1678 sqq., t. 6, p. 188 sqq.) veröffentlichten
»Brevis historia liberationis Messanae.« Er entnahm dieselbe einer von A* Du-
chesne hinterlassenen — wie dieser bemerkt, »ex codice lila, [lerantiquo Itiblio-
thecae Senatus Messanensis summ^ fide transcripta« -^ Oopie. Aueh MuratoH
druckte sie ab (Reruni Italicarum Scriptores, Mediol. 1723 sqq. t. 0, col C14 aqq.)
und erachtet sie für einen gleichzeitig oder nicht viel später nbgefassten Be-
richt (»multam enim vetustatem sapit«). Qregorio dagegen äussert die stärksten
Zweifel an der Aechtheit sowohl der Historia als des Freibrief.s (^Considerazioni
sopra la storiadi Sicilia,« 1. 1, c. 4; l. c. p. 96, n. 1; p. Hl, n. ?), und Amari
erklärt beide aus inneren und äusseren Gründen für eine Fälschung. Z^uGrundü
liege allerdings eine ursprüngliche und ächte Tradition ; dieselbe sei jedoch mit
dem wachsenden Einflüsse und Ehrgeize Messina's erweitert und verderbt und
endlich in der gegenwärtigen Gestalt zusammengestellt worden (>Storiat 3, 56
sqq.). Der Text des Freibriefes findet sich auch bei Lfmig: »Codex Italiae
diploraaticus,« Francof. et Lips. 1726, Bd. 2, col. 401.
A
16 tJrler, Hist-krit, Ueher sieht d. nationalökon» u. soc.*pol. Literatur,
liehen Eathe befördert werden können (»Supradictis immunitatibus et
gratiis gandebnnt Jndaei simnl cum Christianis. Cives eosdem volamns
in regiis officiis majoribns et aliis promoveri. Eegium Consiliam continuo
ipsorom civium consultatione niuniri«) *). Inwieweit dieser Freibrief nun,
wenigstens was die Juden betrifft, interpolirt ist, mögen andere entschei-
den. Dass die Juden aber in Messina wirklich Zutritt zu öffentlichen
Aemtern hatten, und zwar bis kurz vor ihrer Vertreibung, scheint durch
zwei andere Nachrichten bestätigt zu werden. Nach Giovanni erliess näm-
lich Roger n. im gldchen Jahre 1129 ein Beeret für Messina, in wel-
chem »von Vergehungen die Rede ist, durch welche Christen oder Juden
des Rechtes ein öffentliches Amt zu bekleiden, verlustig gehen,« und
wurden im Jähre 1453 »in Messina, vermöge der alten Verfugung
Rogers II., wonach Niemand, der vom Vaterlande schlecht gesprochen,
ein Amt erhalten solle,- vier Juden von öffentlichen Aemtem ausge-
schlossen^.« Auch wird unter Friedrich II. (1197—1250)' ein Jude als
Notarius siclae (der Münze) in Messina genannt 8). König Wilhelm I.
(1154—1166) bestätigte und erweiterte die Freiheiten Messina's im Jahre
11604); ebenso Wilhelm II. (1166-1189) und Kaiser Heinrich VI.
(1195—1197), welcher die Bürger von allen Handelsabgaben und vom Kriegs-
dienste befreite. Kein Messinese, mochte er Lateiner, Grieche oder Jude
sein, zahlte in einem adeligen oder geistlichen Bezirke Abgaben ;' keiner
wurde, sobald er Bürgschaft stellte, verhaftet, es sei denn wegen grosser
Verbrechen 5). Grosse Vorrechte besassen auch andere Städte^ wie Pa-
lermo, Neapel ^ und mögen auch hier die Juden ihren Antheil daran ge-
habt haben '). Von Catania ersehen wir aus einer Urkunde vom J. 1168,
1) Dass die letzte Bestimmung sich ebenfalls auf die Juden bezieht, wird
noch klarer durch den Text bei LiXnigj wo es heisstr »Su^ra dictis immunita-
tibus et gratiis gaudebunt Judtzei simut et Chriatiani cives; eosdem, vo-
iumus in Regiis officiis majoribus et aliis promoveri, Regiumque Consilium« etc.
2) So Zunz: »Zur Geschichte und Literatur« (der Juden). Bd. 1. Berl.
1845, S. 486 und 497, der die Angaben seiner »Geschichte der Juden in Si-
cilien« in dem genannten Werke (S. 484—534) meistens aus Giovanni: »L'e-
braismo della Sicilia,« entnimmt.
3) »Gaudius ebreus, notarius siele nostre Messane« nennt ihn Friedrich U.
in einem Schreiben vom Jahre 1239 an den Secretus zu Messana und sendet
auch »predicto Gaudio ebreo« ein eigenes Schreiben. Regestum Frid. II. bei
Carcani: »Gonstitutiones regum regni utriusque Siciliae,« Neapoli 1786, p.
297. — Huillard'Br^holles: »Historia diplomatica Friderici IL,« Par. 1852
-1861, t. 5, p. 594.
4) Baluze, 1. c. p. 194 sqq. ; Muratori, 1. c p. 624 ; Lünig, 1. c. t. 2,
p. 404. Maurolycus: »Sicanicarum rerum compendium,« lib. 3, p. 158 bei
Graevius: »Thesaurus antiquitatum et historiarum Siciliae, S^rdiniae, Corsicae«
etc. Lugd. Bat. 15 vol. 1723—25. tom. 4. Maurol. fügt hinzu: »Neque omit-
tendum est, a Guilelmo seniore Messaneisibus raultas vectigalium immunitates
concessas.« / .
5) Raumer: »Gesch. d. Hohenstaufen,« 2. Aufl. Leipz. 1841. Bd. 3. S. 34.1.
6) Räumer, a. a. 0. S. 340.
7) »Von den städtischen Privilegien, den ertheilten Indulten waren die
Die Judßn Italiens im Mittelälter. 17
dass der Bischof Agello, der ein ausgedehntes Herrschaftsrecht mit der
Civil- und Criminal Justiz über die Stadt Catania und ihr Gebiet besass i),
den Juden daselbst eigenes Eecht zugestand (»Latini, Graeci, Judaei et
Saraceni unusquisque juxta legem suam judicetur«) ^). Die Juden zu
Trani hatten zur Zeit Wilhelms ü. ihre »guten Gebräuche und guten
Gewolyiheiten« (;»bonos usus et bonas consuetudines«), die ihnen auch Ton
Kaiser Heinrich VI. belassen und von Friedrich IL bestätigt wurden.
Näheres über dieselben wird nicht angegeben ^). Doch finden sich diese
Ausdrücke auch bei nicht jüdischen Communitäten.
Ob den Juden auch an anderen Orten zur Zeit der Normannen und
inwiefern ihnen eigenes Recht, und insbesondere , ob ihnen eine gewisse
eigene Gerichtsbarkeit und weit'ere der genannten Privilegien eingeräumt
waren, darüber fehlen bestimmte Nachrichten. Bei dem erwähnten Grund-
satze der Normannen, allen vorgefundenen Volksthümlichkeiten gerecht
zu werden, und nach dem von ihnen anerkannten Princip der Personalität
des Eechtes dürfte es anzunehmen sein, dass den J-uden hierin ziemliche
Freiheit gelassen war, zumal da dieselben immer und überall mit grösster
Hartnäckigkeit eigenes Recht und Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch
nahmen und Rechte und Privilegien, die sie an einem' Orte besassen,
auch an jedem anderen Orte durchzusetzen suchten. Unter den Norman-
nen war aber, wie Raumer ausführt, eine allgemeine Gesetzgebung
selbst bis auf die Idee derselben verloren. »Jeder dehnte den Kreis
seiner Ansprüche soweit als möglich aus . . . Was von römischen, grie-
chischen, longobardischen,. kaiserlich deutschen, saracenischen, jüdischen
und normannischen Rechten gelte, und wo und wie es gelte, wusste Nie-
mand gründlich zu beantworten*).« La Mantia sagt sogar ganz be-
bestimmt: »Muselmannen, Hebräer, Longobarden, Franken, Normannen,
Griechen und Lateiner lebten unter einer Regierung , aber nach ihren
verschiedenen Gesetzen, Gewohnheiten uhd religiösen Lehren *).< Es war
also dieses Terrain ganz geschaffen zur Geltendmach ang jüdischer An-
Juden nie ausgeschlossen, und in der Handhabung des Rechtes gab es keinen
Unterschied,« bemerkt Zunz S. 504.
1) Gregorio: »Considerazioni« etc. 1. 1, c. 5, 1. c. p. 12L Das Stadt-
recht Catania's wurde von König Ludwig im Jahre 1345 bestätigt, »majoris
tamen Catinensis ecclesiae: In omnibus et per omnia juribus semper salvis.«
Brünnech, I, 32.
2) De Groasis, »Catania sacra,« p. 88 sq.; bei Gregorio, »Conside-
razioni,« 1, 4, 1. c. p. 108 ; ZunZf S. 487.
3) Winkelmann: »Acta imperii inedita sec. XIII.,« Innsbr. 1880, n. 221;
Böhmer:* Regesta Imperii V, 1,« herausgegeben und ergänzt von J. Ficker,
Innsbr. 1881, n. 1320. Wir werden in der Regel statt der gedruckten Quellen
diese Regesta citiren, und jene nur dann, wenn wir des vollständigen In-
haltes wegen auf sie recurriren. Die Namen Böhmer*8 oder Ficker's werden
wir vollständig angeben , je nachdem das betreffende Regest schon von jenem
oder erst von letzterem beigebracht ist. Das genannte Regest ist von Ficker
beigebracht. Wir bemerken jedoch, dass die Regesten nicht immer der in den
Urkunden aufgeführten Juden erwähnen.
4) Raumer, a. a. 0. S. 318. — 5) La Mantia, »Storia« etc., 1, 67 ; cf. 1, 62.
Archiv für Kirchenrecht. XLYin. ' 2
18 Erler f Hist-krit Üeher sieht d, nationalökon» w. soc-poL Literatur.
Sprüche. Doch hören "wir, dass den Juden von Pescara (früher Atemi)
in der Provinz Chieti (früher Teate) von dem Grafen (comeö Teatinus)
^ Trasiraund zu Septi — wohl damals schon unter Normannischer Herr-
schaft und ziemlich zu Anfang derselben — im Jahre 1065 Eecht ge-
sprochen wnrde^). Auch finden wir, dass an einer Reihe von Orten
die Gerichtsbarkeit über die Juden sammt gewissen oder allen Ein-
künften von denselben den Bischöfen zustand, beziehungsweise von den
normannischen, wie von späteren Herrschern übetgeben wurde. So schenkt
Herzog Roger T. von Apulien (1085—1101) der erzbischöflichen Kirche
von Salerno im Jahre 1090 das Judenviertel und alle Juden daselbst
. mit ihrer Gerichtsbarkeit und ihren Einkünften % und König Wilhelm IL
(1166—1189) räumt der Kirche von Asculum in Apulien die weltliche
Gerichtsbarkeit über die dortigen Juden nebst gewissen Abgaben der-
selben ein, was von Friedrich II. im Jähre 1226 und von Carl I. im
Jahre 1280 bestätigt wurde*). Es hing dies zum Theil mit der Lehns-
stellung der Bischöfe zusammen^), und hatte ohne Zweifel auch noch bei
einer Reihe anderer Bischöfe statt. -
Ebenso liegen keine Nachrichten vor, ob die Juden, wie es ihnen in
Messina zugesichert gewesen sein soll, auch sonst zu Aemtern Zutritt
hatten. Da jedoch unter der Herrschaft der Normannen nicht bloss Leute
aus Antiochien, aus Frankreich und England, selbst von geringem Her-
1) üghelli: »Italia sacra« ed. Coletiy Venet. 1717-25, t. 6, p. 691 sqq.
2) . . . »Concedimus in sacro Salemitano Archiepiscopio . . . totam Ju-
deam hujus nostre Salernitane civitatis cum omnibus Judeis, qui in hac
eadem Civitate modo habitantes sunt et fuerint, aut undecumque huc adveneriut,
exceptis illis, qui de Terris, que sub dominio nostro sunt, huc advenerint, et
illis, quos huc tantum ego conduxero, ea ratione, ut semper sint juris et ditionis
ipsius Salernitani Archiepiscopii : et cuncta servitia et census et plateaticum, et
portulaticum, et portaticum, intrando et exeundo, et dationes, et quidquid nobis
nöstrisque successoriBus et parti nostre Reipublice dare, facere et persolvere de-
bent ; vel quocumque modo in ipsis et in rebis eorum nobis et nostre Reipublice
aliquid pertinet vel pertinuerit, ipsi Domno Archiepiscopo atque successoribus
et parti ipsius Archiepiscopii dent, faciant et persolvant atque pertineant.«
Muratori: »Antiquitates Italicae,« t. 1, coL 899 sq. Wenn Romuald, Erz-
bischof von Salerno (1153—1181) in seinem »Chronicon« (itfi^rafori, Script. 7, 184;
Mon, Germ. Script. 19, 418) zum Jahre 1123 sagt: »Hie (Willelmus dux apuliae)
Salernitan'ae Ecclesiae omnia, quae Robertus dux avus suus, et Rogerius dux
pater ejus donaverant, cöntirmavit, et Judai/cam pro ma^na^ar^e adjunxit,«
so kann hierin nur eine Bestätigung der obigen Urkunde, beziehungsweise eine
weitere Aufhebung der darin gemachten Ausnahmen liegen.
3) »Volumus itaque et mandamus,« sagt Friedrich H., »ut super tempo-
rali Jurisdictionen quam ecclesia Asculana obtinet super judaica, ut nobis
constitit ex concessione prefati regis (Gulielmi II.), et in clericos et judeos
Asculi et Candeli super üedditibus, plateaticis vulgariter appellatis, qui pro-
venerunt ex venditione eorum, que venduntur a clericis undecumque habeant,
et a judeis undecumque sint, nullus predi9tam ecclesiam molestare presumat.«
Huillard'Br^hoUes, 2, 700; cf. üghellh l c. 8, 226.
4) VgL darüber Gregorio, »Con8id.€ 1. 5, 1. c. p. 113 sqq.
bie Juden ttaliens im MiUelatter. t9
kommen, sondern auch Mohamedaner hohe Wurden erlangten ^), so dürfte
dies auch den Jaden nicht unmöglich gewesen sein.
In Sicilien wurde die nicht geringe Zahl der Juden noch dadurch
vermehrt, dass Roger II. nach der Eroheruug von Corfu, Cephalonia und
eines Theiles von Moreä (1146) die dortigen Juden, weil er sie als ge-
wandte Kaufleute und, Seidenweber kannte, dabin überführte ^). Ein in
hoher Gunst desselben Königs stehender, einflussreicher Höfling bewies
sich , freilich , wie es scheint , ohne Wissen des Königs , als heimlicher
Mnhamedaner und grosser Gönner der Juden ^). Roger selbst bemühte
sich in den letzten Jahren seines Lebens, Saracenen und Juden zu be-
kehren und beschenkte die Bekehrten reichlich^).
Da^s auch Apostasien, sowohl zum Judenthume wie zum Muhamedanis-
raus, vorkamen, ergibt sich aus dem von Boger 11. gegen die Apostaten
erlassenen Gesetze — womach dieselben mit dem Verluste ihrer Güter,
ihres Erbrechtes und sonstiger Rechte bedroht werden — welches auch
von Friedrich II. in seine Constitutionen aufgenommen und wiederholt
eingeschärft wurdet). Nicht minder scheint aus dem von Roger oder
wahrscheinlich von Wilhelm II. gegen den Wucher gerichteten und von
Friedrich II. gleichfalls aufgenommenen Gesetze auf den Wucher der
Juden geschlossen werden zu dürfen^). Ebenso war das Verbot des
3. lateranensischen, 11. allgemeinen Concils vom Jahre 1179, dass Juden
und Saracenen keine christlichen Dienstboten oder Sclaven (mancipia) halten,
und bekehrte Juden ihr Vermögen nicht einbüssen dürften, ohne Zweifel
auch durch die Zustände in Sicilien und im Neapolitanischen in beson-
derer Weise veranlasst, was schon aus der Zusammenstellung mit den
Saracenen erhellt '^), Es wird dies bestätigt durch das von Friedrich IL
erlassene, in den zu Capua im Jahre 1220 verkündeten Assisiae enthaltene
1) Leo, a. a. 0. Bd. 2, S. 20.
2) »Principes etiam et majores ^mnes et cunctos Judeos illius terre cap«
tivos ad Siciliam duxit.« ^Annalea Cavenaes* in Mon, Germ, Script, t. 3,
p. 192; bei Muratori, Script. 7, 925. Vergl. dazu die Nachricht des Otto
Frisingenais , »Gesta Friderici« 1, 33: »Opifices etiam, qui sericos pannos
tezere solent, . , . captivatos deducunt. Quos Rogerius in Panormo Siciliae
metropoli coUocans artem illam texendi suos edocere praecepit et exhinc. prae-
dicta ars illa prius a Graecis tantum inter Ohristianos habita romanis patere
coepit ingeniis.» Mon, Germ. 20, 370; Murat Script. 6, 668. Amari be-
merkt übrigens, dass die Saracenen schon längst die Seidenweberei auf Sicilien
betrieben hätten. »Storia« etc., 3, 434.
3) »Synagogas malignantium frequenter visitabat et eis oleum ad con-
cinnanda luminaria et quae erant necessaria ministrabat.« Romualdi Saler-
nitani »Chronicon,« bei Muratori, Script. 7, 194. In den Mon, Germ. Script.
19^ 426 fehlt dieses Gapitel, weil in dem Texte des Vaticanischen Codex nicht
vorhanden. Amari jedoch hält es für acht (»Storia« 3, 439 A. 1).
4) Rom. Sal, L c. 7, 196.
5) ConsL, 1, 3 bei Carcanip.6; Huillard-BrdhoUes.A^S; 5, 206, 216;
Böhm.'Ficker 2365.
6) Const, 1, 6; bei Carc, 7; HuilL, 4, 10.
7) Harduin, 6, 1685; Decret Greg.y 5, 6, 5.
2*
20 Erler, Hist-krit Uebersicht d, nationälökon* u, soc-poL Literatur.
Gesetz, dass kein Jude oder Heide einen christlichen Sclaven erwerhen
oder unter irgend einem Titel besitzen dürfe i). Endlich finden wir noch
in den in ihren älteren Bestandtheilen in die Normannenzeit fallenden
' »Consuetudines et Statuta Messanae« dieselbe Bestimmung mit der
Strafandrohung, dass der Uehertreter (wie im romischen Rechte) den Ver-
lust seiner Güter und seiner eigenen Freiheit, und, wofern er den
Sclaven gar beschnitten oder zur Verläugnung des Glaubens verleitet
habe, den Tod zu erleiden habe*).
Berichtet werden auch aus der Normannenzeit zwei Frevelthaten der *
Juden. Zu Pescara (früher Aterni) in der Provinz Chieti kreuzigten sie
im Jahre 1062 ein aus Wachs gefertigtes Bild des Heilandes. Auf dem
oben erwähnten Gerichtstage zu Septi im Jahre 1065 kam dies an's
~ Tageslicht. Die Schuldigen wurden gestraft, ihre Synagoge zerstört und
das durch Wunder verherrlichte Crucifix in die Kirche übertragen 3). Die
andere Frevelthat ist die Kreuzigung eines Widders durch die Juden zu
Syrakus im Jahre 1193; die Schuldigen wurden auf Befehl Tankreds
hingerichtet *).
Dass die Juden auch unter den Normannen und unter den folgenden
Fürsten die oben genannte Gisia zu zahlen hatten , ist durch eine Beihe
von Urkunden bezeugt. Auch wurden einer Reihe von bischöflichen Kirchen
die Abgaben der Juden zugewiesen. So schenkte die Herzogin Sichelgaita,
Wittwe des Herzogs Robert Guiscard im Jahre 1089, der Kirche von Pa-
lermo die Abgaben der dortigen Juden 5). Von den ähnlichen Zuwen-
dungen an die Kirche von Salerno und Asculum haben wir bereits ge>
hört. Roger I. schenkte femer der Kirche von Melfl den Zins (censas)
1) »Judaeus, Paganus servum Christianum nee comparare debet, nee ex
aliquo titulo possidere.« »Assisiae regum regni Siciliae VI,« bei Carc, 227;
Böhmer-Fick. , 1260. J. Merkel , (»Juris Siculi seu Assisarum regum Siciliae
fragmenta,« Halisl856) schreibt diese Assisiae dem Könige Roger, La Lumia,
(»Storia della Sicilia sotto Guglielmo il Buono ,« Fir. 1867) Wilhelm II. dem
Gütigen zu, während La Mantia (»Storia« etc. 1, 178) sie mit Carcani
(Praefatio p. IX) entschieden für Friedrich in Anspruch nimmt. Vielleicht rührt
ein Theil- derselben von den früheren Königen her und wurde von Friedrich nur
wiederholt.
2) Brünnecky a. a. 0. I; 98. Bass sich überhaupt in Sicilien, wie im
Oriente, in Folge des Zusammenlebens mit den Saracenen, die Sdaverei länger
erhielt, als anderwärts, geht, wie aus den Constitutionen Friedrichs II. (3, 34
und 86, bei Huillard^ 4, 142, 173), so auch aus verschiedenen Stadtrechten
Siciliens (Palermo, 20, 31; Corleone, 26; Caltagirone, 44) hervor. Vgl. Brün-
neck, II, 179, A. 5. und Amariy »Storia,« 3, 234.
3) Ughelli 1. c. 1, 47.
4) Zunz, S. 486.
5) »Ego Sichelgaita Ducissa, Roberti Ducis uxor . . . concedo et firrao
et firmiter in aeternum de Ecclesiae B. Dei Genitricis Mariae, quae Panormi
est, et loci illius venerabili Archiepiscopo Duo Alcherio sextam partem de red-
ditibus Judaeorum, qui Panormi commorantur, post decessum vero meum . . <
concedo omnes supradictorum reddifcus haeredifario jure possidendos.« Rocchus
Pirrus, »Sicilia sacra^« bei Oraevitis, 1. c. 1, 56.
Die Juden Italiens im Mittelalter, 21
der dortigen Juden, was aufs neue vom Papste Cölestin III. im J. 1193
bestätigt wurdet). Ebenso überwies Papst Paschalis IL im Jahre 1102
der Kirche von Melfi den Zins der Juden des Bisthams Laviello, das er
Oiufhob^). Herzog Wilhelm räumte im Jahre 1113 der Kirche von Co-
senza den Zehnten seiner Einkünfte von den dortigen Juden, sowie aller
seiner übrigen Einkünfte daselbst ein^). Dasselbe, und ausserdem noch
drei bestimmte Judenfamilien, war von verschiedenen Herrschern der
Kirche von Rossano bewilligt worden und wurde von Friedrich IL be-
stätigt *). Doch war letzteres keine vereinzelte Thatsache, sondern ganz
allgemein erhielten die Bischöfe durch Verordnungen des Grafen Roger
und der späteren Herrscher den Zehenten wie von allen Einkünften des
Fürsten, so auch von der Gisia der Juden. Friedrich IL bestätigte dies
und nahm nur die von ihm neu angeordneten Abgaben aus^). Als
während der späteren politischen Wirren die Leistung dieser Zehnten
unterbrochen oder verweigert worden war, fand wenigstens in Sicilien
eine neue Feststellung der betreffenden älteren Zehnten statt, wobei
ausdrücklich überall die Gisia der Juden genannt wird^). Erwähnt werde
noch, dass im Jahre 1140 der Bischof von Cefalu , Besitzer der Kirche
der hL Lucia in Syrakus, der Judengemeinde daselbst ein Stück Land
als Lehen zu Erweiterung ihres, Begräbnissplatzes bewilligte ''f).
Unter Heinrich VL (Köigg beider Sicilien von 1194—1198) hören
wir von den Juden nur, dass er die zu Nerito in den Abruzzen im Jahre
1195 mit allen Gerechtsamen über dieselben und allen Abgaben und
Dienstleistungen, wie sie dieselben bisher seinen Vorgängern zu leisten
1) UghelU, 1. c. 1, 925.
2) Epist, Pasch, 85, bei Mansi, 20, 1049; vgl. Cassel, 146, A. 43.
3) Ughelli, 1. c. 9, 192.
4) Ughelli, 9, 297; Huill., 2, 364; Böhmer-Fick,, 1492.
5) Constit^ 1, 7; bei Carcani, p. 9; Huill,^ 4, 11.
6) So heisst es in einer Urkunde der Kirche von Messina vom J. 1270:
»Ecclesia Messanensis ... de proventibus regiae curiae consuevit anno quolibet
percipere decimas infrascriptas, videlicet . . . gesiae Judaeorum« etc. Aehnlich
heisst es in einer Urkunde der Kirche zu Girgenti vom Jahre 1266, wo dann
fortgefahren wird : praeter regalium proventuum de novo statutorum per quon-
dam imperatorem Fridericum, videlicet . . . cabellae joculariae inter Judaeos,«
und ebenso in einer weiteren Urkunde vom Jahre 1309. — In einer Urkunde vom
Jahre 1280 heisst es : »Vetera jura terrarum ipsatum Agrigenti et Saccae sunt
haec, videlitjet . . . gisiae Judaeorum, jocularia Judaeorum« etc. Vgl. Gregorio:
»Consideraz.,« 1, 4; 1. c. p. 109. Statt »jocularia« vermuthet Huillard-
Briholles: »juzataria« (?) (Preface et Introduct. p. CDXX, n. 2). Cassel
S. 163 f.) erklärt die cabella jocularia für eine Garne valsteuer und verweist da-
für auf eine Nachricht von Naudaeus (bei Schudt: »Judische Merkwürdig-
keiten,« Frkf. und Leipz. 1714, I, 237), wo es heisst : »Le Pape prend tribut
d'eux (den Juden), ^t d'outre cela ils sont obliges de payer le prix, que Ton
court (Wettrennen) ä Rome les jours de Carneval.« Vgl. auch Beugnot:
»Les Juifs d*Occident,« Par. 1824, 1, 167. Aehnliches fand also auf Sicilien statt.
7) Amari, »Storia« etc., 3, 294,
22 Erler, HisL-krii, Ueberaicht d. nationalökon, u, soc-pol, Literatur.
hatten, der dortigen Abtei überwies i) und denen zu Trani, wie aus einer
Urkunde Friedrichs IL erhellt, ein nicht näher bezeichnetes Privilegium
ert heilte 2).
Was die Stellung Friedrichs IL (1198—1250) zu den Juden betrifft,
so erhellt dieselbe zunächst aus einem allerdings von ihm als Kaiser und
für einzelne Juden erlassenen, aber sicherlich seine Gesinnung überhaupt
ausdrückenden Schutzprivileg und aus seinen Constitutionen. In jenem
sagt er, dass er im Hinblicke auf die Hilflosigkeit des jüdischen Volkes,
und weil alle Juden, welche in den seiner Jurisdiction unterworfenen
Ländern wohnten, kraft des christlichen Gesetzes und der kaiserlichen
Gewalt die speciellen Knechte der kaiserlichen Kammer seien , sie und
ihre Güter in seinen und des Reiches besonderen Schutz nehme ^nd ihre
guten Gebräuche und zugebilligten Gewohnheiten, wie sie dieselben unter
seinen Vorgängern besessen, genehmige ^). In seinen Constitutionen ^1, 16)
* bestimmt er, dass die Juden (und Saracenen) nicht, weil sie Juden (oder
Saracenen) seien, ohne ihre Schuld vergewaltigt werden dürften, und dass
sie desshalb, wie alle übrigen ünterthanen, von dem Eechte der gesetz-
lichen »defensa imponenda,« d. i. durch Anrufung des kaiserlichen Namens
gegen ungerechte Angriffe siph zu vertheidigen, Gfcbrauch machen dürf-
ten*). Femer dehnt er die Constitution »De maleficiis clandestinis
puniendis« (1, 27) ausdrücklich i^f die Juden (und Saracenen) aus und
fügt hinzu, dass er dieselben, da sie wegen der Verschiedenheit der Reli-
gion den Christen verhasst und aller anderen Hilfe haar seien, der
Macht seines Schutzes nicht berauben könne *►). Und in der Constitution
»De homicidiis et damnis clandestinis« (1, 28) verhängt er über die Ein-
wohner des Bezirkes, in welchem ein Mord geschah, dessen Thäter nicht
1) »Tibi, Innocenti, Venerabilis abbas sanctae Mariae de Neritono, tuisque
successoribus ... in perpetuum concedimus totam Judaeam civitatis Neritoni
cum Omnibus et singulis Judaeis, eorum familiis, bonis, Juribus et responsionibus,
ita ut amodo et in perpetuum sint et habeantur de Jure et Dominio vestro et
Ecclesiae Neritoni : et omnia servitia, census« contributiones, responsiones, Ligia,
Gabella, et omne aliud Juris sive scrvitii, quod nobis vel Pracdecessoribus
nostris et Haeredibus nostris respondere debent vel consueverunt , ex nunc in
antea et in perpetuum tibi tuisque successoribus et vestrae Ecclesiae integre et
inviolabiliter solvant.c VgheUi, 10, 298. Vergl. »Chronicon Neritinum« bei
Muratoriy Script. 24, 894.
2) Winkelmann: »Actac etc., 221; BöhmrFicker, 1820.
3) . . . »quod nos attendentes imbecillilatem gentis Judaismi, et quod
omnes et singuli Judaei degentes ubique per terras nostrae jurisdictioni sub-
jectas, Christianae legis et imperii praerogativa (qua dominamur et vivimus)
servi sunt nostrae Camerae speciales« . . . Petrus de Vineis: »Epistolae« lib. I,
c. 12; Basileae, 1566, p. 727. Nach Lünig: »Das deutsche Reichsarchiv,«
Lips. 1710—22, t. 4, p. 164 gehört die Urkun4e in d. J. 1234. Hier findet sich
zum ersten Male der Ausdruck: »die speciellen Knechte der kaiserlicben Kam-
mer,« obwohl die Sache selbst älter ist. Uebrigens heisst es schon in einem
Privileg Friedrichs I. vom Jahre 1177 für die Kirche von Arles bezüglich der
Juden: »quos camere nostre pertinentes« {Huill. 2, 473).
4) Carc. 17; üuill. 4, 19. - h) Carc. 26; HuiU. 4, 28.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 23
auszamitteln , für einen ermordeten Christen eine Geldstrafe von 100
Augustaien , von 50 Augastalen aber, wenn der Ermordete ein Jade oder
Saracene gewesen, da diese der Verfolgung durch die Christen allzusehr
ausgesetzt seien (»in quibus, prout certo perpendimus, christianorura per-
secutio nimis abundavt) ^).«
Bass die Jud^n übrigens unter Friedrich mit Eintritt seiner Gesetz-
gebung (1231) eigenes Recht und Gerichtsbarkeit verloren, soweit sie selbe
überhaupt besassen» unterliegt keinem Zweifel. Es entsprach dies seinem,
besonders in der zweiten und grösseren Hälfte seiner Eegierung hervor-
tretenden Bestreben, alle Verschiedenheit des Rechts nach Volksstämmen
zu beseitigen, eine für Römer, Griechen, Deutsche, Araber, Normannen
und Juden eii^heitliche Gesetzgebung herzustellen, allen Grossen, wie
allen Corporationen die Stellung politischer Individualitäten und die Aus-
übung eigentlicher Staatsgewalt abzuschneiden und den Staat als eine
das ganze Leben umfassende Form herzustellen ^). Wir verweisen dafür
auf die Constitution Lib. 2, tit. 64: »De foro competeiiti et de poena con-
temptorum,« wo die Confiscation aller beweglichen und unbeweglichen
Güter über diejenigen verhängt wird, »qui nostra jurisdictione contempta
ad forum aliud de his que ad curiam nostram pertinent, convolaverint ^),«
was zunächst zwar für die geistliche, sicher aber auch für die jüdische Ge-
richtsbarkeit galt. Und im Gegensatze zu den im Jahre 1072 durch die
Normannen anerkannten Gewohnheitsrechten Palermo's (s. oben S. 14)
wird durch Lib. 1, tit. 80, cf. tit. 79 : »De instrumentis conficiendis« be-
stimmt: »Instrumenta publica et quaslibet cautiones per litteraturam
communem et legibilem per Statutes a nobis Notarios scribi debere^).«
Zu bemerken ist aber, dass das Privilegium, welches Kaiser
Friedrich am 12. October 1233 Palermo ertheilte, der Hauptstadt
alle ihre Privilegien und Gewohnheitsrechte (consuetudines) bestätigte
»non obstantibus novis constitutionibus nostris,« mit dem Bemerken, dass
diese consuetudines dort schon von den Zeiten der normannischen Könige,
namentlich aber seit der Regierung König Wilhelms II. mit landesherr-
licher Zustimmung in ununterbrochenem Gebrauche gestanden hätten ^),
so dass hier das auch den Juden eingeräumte Recht in Geltung blieb
und demgemäss auch in die am Ende des 13. Jahrhunderts redigirten
Consuetudines Aufnahme fand (s. oben S. 15, A. 1).* ,
Doch hatte Friedrich, entsprechend seinem früheren guten Verhält-
nisse zum Papste, wie er bei seiner Kaiserkrönung im Jahre 1220 die
kanonische Gesetzgebung überhaupt anerkannte ^), so auch die bezüg-
1) Carc. 27; HuilL 4, 29. Dieselbe Geldstrafe wird in den Capitula
Papae Honorii für das Königreich vom Jahre 1285 angesetzt, Giannone:
»Gesch. d. Königreichs Neapel,« deutsch v. Le Brety Leipz. 1768, Bd. 3, S. 121.
2) Vgl. Raumer 3, 318 ff.; Leo 2, 241.
3) Carcani p. 67 ; Huillard 4, 61.
4) Carc. 67. 80. "81; HuilL 4, 54. 56.
5) Huill. 4, 454; vgl. Brünneck, S. XXXVIU sqq.
6) »In die, qua de manu sacratissimi patris nostri sümmi pontificis re-
cepimus imperii diadema, curavimus ad Dei et ecclesiae suae honorem edere
quasdem leges . . . §. 1. . . . Irritamus et irrita nunciamus omnia statuta et
24 Erler^ Hist-kriL üebersicht d. nationalökon. u. soc-poL Literatur.
liehen Bestimmungen in Betreff der Juden, insbesondere die Beschlüsse
des IL und 12. allgemeinen Concils (Lateranense III. et IV.) vom J. 1179
und 1215 eingeführt ^). So verordnete er ausser dem Gesetze bezüglich der
Sclaven (s. ob. S. 19) auf einem allgemeinen Hoftage zu Messana im J. 1221,
dass die Juden eine sie unterscheidende Kleidung tragen müssten^), er-
liess im J. 1224 ein Gesetz, dass die Juden , was religiöse Beziehungen
und unerlaubten Umgang mit christlichen Frauenspersonen angehe , der
kirchlichen Inquisition unterworfen seiend), und bestimmte, »dass die
oonsuetudines, quae civitates, vel loca, potestates, consules vel quaecumque aliae
personae contra libertatem ecclesiae vel ecclesiasticas personas edere vel servare
adversus canonicas vel imperiales sanctiones praesumserint ... Im Anhange des
Corpus juris civilis. Ed. A, et M* Kriegelii, Lips. 1866, t. 3, p. 884 j — Huill.
2, 3; Böhmer-Fick. 1203.
1) Zunz schreibt einfach mit Berufung auf Giovanni: »Friedrich unter-
warf sie (die Juden) zwar durch Erlasse aus den Jahren 1210 und 1224 der
geistlichen Gerichtsbarkeit, befahl aber, denselben ein gleiches Kecht wie den
Christen angedeihen zu lassen; der mit der Beschützung der Gerechtsame der
Unterthanen beauftragte iBeamte solle keinen Unterschied machen, indem Nie-
mand die Juden quälen dürfe, da vom Paradiese der Kirche ausgeschlossen zu
sein für sie schon Strafe genug «sei.« a. a. 0. S. 487.
2) Huill. 2, 178; Böhm.'Ficker n. 1325 a. Die Nachricht ist aus
Ryccardus de S. Germano. Mon. Germ, Script. 19, 341.
3) »che 11 dritte di giudicare la perfida nazione in ordine alle cause di
religione e d'impurita con donna di christiana religione privativamente spetasse
agli inquisitori del santo uffizio.« Paramua: »De origine et prpgressu sanctae
inquisitionis.« Matr. 1598, p. 197, bei. Böhm.-Ficker n. 1511. Ficker be-
merkt, ein solches Gesetz könne von vornherein nicht von Kaiser Friedrich
herrühren, sondern die Jahresangabe 1224 sei wahrscheinlich irrig, und Kaiser
Friedrich mit einem der späteren sicilischen Könige dieses Namens verwechselt.
Allein innere -Gründe sprechen nicht gegen ein solches im Jahre 1224 erlassenes
Gesetz, insbesondere in Anbetracht der erwähnten Anerkennung der kanonischen
Gesetzgebung durch Friedrich bei seiner Kaiserkrönung im J. 1220. Nehmen
wir femer dazu , dass Friedrich die Gerichtsbarkeit über den Ehebruch , wel-
chem schon nach dem römischen, von Friedrich so bevorzugten Rechte die Ver-
heirathung mit Juden gleichgalt {Cod, Theod, 3, 7, 2; 9, 7, 5; Cod* Just.h
9, 6) der Kirche zugestand. (Constit. 3, 83 bei Carc, 219; Huill. 4, 171, cf. 1,
638; 2, 494; 2, 700; Böhmer-Fick. 1020, 1567, 1688); dass er im J. 1211
der Kirche von Palermo alle Gerichtsbarkeit über Testamente und Eheange-
legenheiten (Huill. 1, 191; Böhmer-Fick. 647) und mancher Kirche die ge-
sammte Gerichtsbarkeit über die Juden überwies, wie insbesondere der ge-
nannten Kirche von Palermo; dass er die kirchliche Inquisition für Deutsch-
land ausdrücklich anerkannte und die vom Apostolischen Stuhle für Deutsch«
land ernannten Inquisitoren in seinen Schutz nahm und allen Obrigkeiten sie
zu unterstützen befahl (Const. general. vom Jahre 1232 bei Huill 4 , 300 ;
Böhmer-Fick. 1942)j dass er in seinem Königreiche den Institutarien im .
Verein mit den Bischöfen die Inquisition anzustellen befahl (im Jahre 1233,
HuUL 4, 435; Böhmer-Fick. 2021; Rycardus de S. Germano berichtet ad
ann. 1233: »Item alias [mense julio] ad Casertanum episcopum litteras mittit pro
t)ie Juden Italiens im MiüelaUer, 25
Juden für den Ketzei'eien-Inqoisitor and seine Öedienniig sorgen müssieil)
vrenn derselbe ihrethatber in Amtsgesöhäfttin sich Von einem Orte nach
einem andern begebe) iieü brancbien sie aber nur einmal jährlich zu lei-
sten, und dürfe der Beitrag auf einen Kopf einen Gros tonrnois» d; i;
12V» Grani, V^» Unze oder einen römischen. Paolo liicht ttbefsteigiBtti).^
Ebenso scheint Friedrich die Jad^n nicht in öffentlichen Aemtern
tngelässen zn habeii^ niit ^nsnahroe des oben genannten Notarias siclae
^a llteBSina^). Darauf weisen auch die Bestimmungen der Constitutionen
hin, wonach von einer Beihe Ton Beamten ein Zeugniss über ihren
Glauben und ihre Sitten und der Eid auf das Evangelium verlangt wird^).
Und wenn Friedrich in dem der Stadt Wien im Jahre 1237 erthellten
Freibriefe die Juden von Beamtungen aasschliesst , wie es einem christ-
lichen Fürsten gezieme, damit sie nicht unter dem Verwände ihres Amtes
die Christen bedrückten, da die kaiserliche Autorität seit alten Zeiten
ihnen zur Strafe des verübten jüdischen Verbrechens ewige Knechtschaft
auferlegt habe^), so müssen wir annehmen, dass Friedrich in seinem Erb*
reiche dem nicht widersprochen habe.
Femer erneuerte Friedrich da^; erwähnte Gesetz Roger's II. gegen
die Apostaten^) und wandte sich in seinen Gesetzen gegen die Häretiker
wiederholt gegen die »Beschnittenen« (Circumcisi) , d. i. zum Christen-
thum bekehrte, aber rückfällige Juden und judaisirende Christen ^).
Gleichfalls erneuerte er das Gesetz Rogers (oder Wilhelms) gegen das
Zinsnehmen ^) und fügte eine weitere ausführlichere Constitution hinzu,
in welcher er bezüglich des Wuchers der Juden specielle Bestimmungen
erlässt. Während nämlich das 4* Lateranensische Concil sich nur im all-
gemeinen gegen »den schweren und unmässigen Wucher der Juden«
wendet, »damit die Christen von den Juden nicht in ungeheuerlicher
inquisitione focienda haereticae pravitatis, ut tam Patarenos quam eorum fau-
tores, quos invenerit hujus criminis reos, sub suo et justitiarii Terrae Laboris
testimonio sibi debeat intimare,« »Chronicon« in Mon. Germ. Script. 19, 370),
so wird uns dieses Gesetz nicht unwahrscheinlich erscheinen.
1) Zunz S. 503.
2) Raumer bemerkt bezüglich der Regierung Friedrichs II. im König-
reiche beider Sicilien : »Einen Münzschreiber in Messina ausgenommen , finden
wir keinen Juden in öffentlichen Aemtem.« A. a. 0. 3, 315.
8) Bezüglich der Bajuli, Camerarii und Advocati ist namentlich der Eid
auf das Evangelium (»tactis sacrosanctis Evangeliis . . , corproralia subeant sa-
cramenta«) erwähnt {Constit 1, 62, 84); ebenso bezüglich der Judices und
Notarii das »testimonium fidei et morum« {Const 1, 79). Wenn femer wieder«
holt von Beamten verlangt wird , dass sie »de genere fidelium orti« seien , so
hat sicherlich das fidelis hier die Bedeutung »gläubig.« Carc. 63. 84. 81;
UuiU. 4, 41. 62. 55, insbös. N. 1.
4) Huill 5, 55; Böhmer-Fick. 2237.
' 5) Const 1, 3 bei Carc. 6; HuilL 4, 8.
6) HuüL 2, 2 (a. 1220); 4, 298 (a. 1232); 5, 201 (a. 1238) 5, 279
(a. 1239); Böhmer^Fick. 1208. 1940. 2347. 2422. Nach Zunz S. 487 fand
zu Palermo im Jahre 1220 die Bekehrung von 200 Juden statt,
7) Const. 1, 6, bei Carc. 7; Huill. 4, 10.
26 Erler, HisL-kril, Uebersicht d. nationalöhon. u. soc-poL Literatur,
Weise bescbwert und ganz aasgesogen würden ^),« sagt Friedrich in der
genannten Constitution, er nehme zwar die Jaden aus, da bei ihnen das
Zinsnehroen nicht — als unerlaubt und durch das göttlicl^e Gesetz unter-
sagt — verhindert werden könne ; allein er wolle auch nicht unmässigen
Wucher derselben zalassen, sondern lege ihnen eine Gränze auf, dasssie
nSmlioh für zehn Unzen im Jahre nur eine Unze als Zins annähmen
(also lO^jo)} was sie darüber nehmen würden, sollten sie in neunfachem
Betrage der kaiserlichen Gasse zahlen^). Dass sich die Juden übrigens
an dieser gewiss noch hohen Zinsgränze nicht sehr mögen gestört haben,
lässt sich schliessen aus den Zinsen, die Friedrich selbst bei seiner fort-
währenden Geldnoth in seiner späteren Begierungszeit christlichen
Wacherem zahlen musste. Das uns erhaltene »Begestum imperatoris
Fridericill.« aus den Jahren 1239 und 12403) liefert dafür die zahlreich-
sten Beweise*). '
Allerdings gibt Friedrich in seinen Schulddocumenten keine eigent-
liche^ Ziiistaxc an, sondern nur die Summe, welche zurückgezahlt werden
soll. Allein es ist 'sehr wahrscheinlich, bemerkt Huillard, dass die
Banquiers bei Zahlung des Darleihens von demselben statt der Zinsen
eine Summe vornweg abzogen. Ausserdem wurde immer in der Schuld-
' Urkunde vorgesehen, dass, im Falle der Bückzahlüngs-Termin nicht ein-
gehalten werde, dem Darleiher für den daraus entstehenden Verlust und
entgehenden Gewinn (»pro dampno et Interesse«) monatlich eine be-
stimmte Summe gezahlt werde. Dieselbe war in den meisten Fällen auf
drei Procent monatlich (»de singulis 100 uuciis tres uncias auri per
mensem,« also 36<>/o jährlich) angesetzt 5). Doch stieg diese Summe in
Fällen , wo eine weitere Verlängerung stattfand, auf fünf Procent (»ad
rationem de quinque uncüs pro centenario per mensdm," also 60 o/o jähr-
1) Hard. 7, 6; Mansi 22, 960; Beeret Greg. 5, 20, 18.
2) »A nexu tamen presentis constitutionis nostre judeos tantum excipimus,
in quibus non potest argui fenus illicitum , nee divina lege prohibitum , quos
constat non esse sab lege a beatissimis patribus instituta, quos etiam auctoritate
nostre licentie improbum fenus nolumus [Carcani hat im Texte volumus, be*
merkt jedoch p. 423, dass nolumus mit dem grichischen Texte und einer Beihe
von Handschriften jedenfalls richtig sei , wie auch Huillard hat) exercere (der
griechische Tex4? hat etwas abweichend: Iv oTs xwXudrjvai oO Stivaiai ^ dbcpe«^?
iwv TOXKJTwv «7ca{Tif)<ji?, xa&ÖTt cpavEpöv l<m fi9) öicoK^a&at toütoü? tö ^eit») vö|xw
xö Tcapa twv «yCtöv «aWpwv SiateiaYfi^vo), (Ä$ tfj ^Eouata ttj? ^er^pa^ Tuapa^fopiiaews
a[A^Tpü)$ ttfxou;^ hioxttsbt o5 ßouXd^e^), sed metam ipsis imponimus, quam eis non
licebit transgredi, ridelicet ut pro decem uncüs per circulum anni integri unam
ipsis tantummodo lucrari liceat pro usuris; quiequid autem ultra acceperint, in
nonum (iwGocXavjto^) cnrie nostre componant, nee ex abusu licentie, quam eisdem
propter necessitatem hominum coacti relinquimus, cominodum ultra licitum
consequantur.« Conai. \\ 6, bei Carc, 7; HuüL 4, 10.
3) Bei Cwrcani p. 233--420 ; bei Huillard t. 5. eingereiht nach'' den
Daten.
4) Cf. Winkelmann: »De regni Siculi administratione , . . regn. Frid.
II,« Berol. 1859, p. 31 sq/
5) Carc. 250; HuUl. 5, 446 und oftmaki.
Die Juden Italiens im Mittelalter, 27
lieh) ^) und selbst auf 5^/2 Froeent (»computatis dampms et interesse
prediötofam sex theiisinm, de singulis tribos unciis quatuor uneias facere
exhiberi« oder, wie eä ein andermar heisst : »comt)iitat}s dämpnis et in-
teresse qnatnor mensinm et dimidii, ad rationem pro singnlig qnatnor
nnciis quinqne tincias,« ako 66^/0 jährlich^). Da aber diese Darleihen
gewöhnlich nur für kurze Zeit gema<Jht wurden, so rechnete der Dar-
leiher auf das TJnTermögen des Schuldners zur Einhaltung des Zahlungs-
termins und fand in diesem Falle gerade in der bedungenen Oonventio-
nalstrafe, abgesehen von dem von vornherein 8tsttgefan4enen Abzüge,
seine grösste Gewinnchance *). In der Thai erwähnen auch alle in dem
Begestum ausführlich enthaltenen Zahlungsanweistingen Friedrichs dieser
Conventionalstrafe, die, wie es scheint, oft genug bezahlt werden rausste.
Auffallender Weise scheinen sich in dem Begestum keine Namen jüdischer
Darleiher äu finden, obwohl Friedrich in guten Beziehungen zu deft Juden
stand und sieh reicher Juden zur Ausbeutung seiner Monopolien bediente,
so dass man kaum an Heranziehung derselben zu «einen Anleiben zweifeln
kann*).
Wie seine Vorgänger, so hat auch Friedrich in den 'früheren Jahren
seiner Regierung einzelnen Kirchen' die Juden ihres Bezirkes mit ihren
Abgaben und selbst mit allen Gerechtsamen über dieselben; einschliess-
lich der Gerichtsbarkeit, übergeben. So im Jahre .1211 der Kirche zu
Palermo (mit Einschluss der fiscalischen Färberei), was er iii demselben Jahre
^ durch ein ausfahrliches Document mit weiteren Schenkungen bestätigte 5).
Im Jahre 1215 erneuerte Friedrich dieses Privil^giura, ohne jedoch der
Juden (und der Färberei) zu erwähnen, resfituirte dieselben jedoch bald,
allein nur auf sechs Jahre ^)* Ob dann eine neue Bestätigung eintrat,
wird nicht berichtet. Aus dem Jahre 1247 findet sich nur die allgemeine
1) Carc. 317; Huill h, 659,
2) Carc. 3U. 316; ^wiZL 5, 655. 658.
3) Vgl. HuilL, Pr^face et introduction, p.ODXXI. Dass dies allgemeine
Praxis der Wucherer des Mittelalters in Italien war, zefigt; auch Muratori,
Antiq. ital t. 1, col. 893 sq.. Für Frankreich erhellt dasselbe, wie Huillard
anfuhrt, aus den Untersuchungen von Servai» inj BibL de TEcole d^s chart.,
IV. Serie, t* 4, p. 119 et suiv. Aehnliches findet sioiti b^zügli^h Englands bei
Matthaeuß Paria: Historia major, ad a. 1235.
4) A, del Veechio sagt geradezu, Friedrich sei zur erwähnten Gestat-
tung des Zinsuehmans von Seiten der Juden hauptsächlich durch die Noth-
wendigkeit, an sie für seine Anleihen zurecurriren, bewogen worden« »La
legislazione di Federico II.,« Torino 1874, p. Ul, A. 4.
5) . . . »perpetno eoneedimus omnes Judaeos civitatis nostrae Panormi-
tanae . . . ut de eetero homines.vestri sini . . . subditi m onndbus existentes
de gisia et omni servitio et jure et aliis rätionibus eorum vöbis «t-eocksiae
Panormitanae respondeant, sicut haetenus curiäe et dohanae nostrae consUeverant
respondere. De oausis etiam eorum non alibi quam in foro ecclesiae conveni-
autur et judicentur« . . . Rocchua PirruSy U c. 1, 99.101; Huill. 1, 182. 191;
Böhmer-Fick, 641. 647.
6) Plrrua, h c. 1, 138; Huill. 1, 364. 373; Böhmer-Fiek. 787. 79*,
§8 Erler j Hist-Hrit, U^h^r^icht (?. mtiQnalökon, u, soc-poL Literatur.
Kaehriclitj dftss Friedrieh die PrivUegien dieser Kirche bestätigtet). Ge-
iViss ist aljör« dass diefseltie noch im I4i Jahrhunderte die Gerichtsbar-
keit übef die Juden besasä^). Det Kiirche ton Cosenza schenkte er im
Jahre 12l2 die Jaden daselbst mit der Gerichtsbarkeit über sie nebst
dfer dem Fiscüs gehörenden Färberei, welche von den Jttden betrieben
Ätifdö^). i)er. Kirche töfl. Ötranio bestäiiigte f^riedrich im Jahre 1219
anter verschiedenen von seinen Torgangern verliehenen Privilegien, alle
Zehenten sowohl von den Christen als von dön iaden ^j^ Der Eircbe'
von Salerno bestätigte er im Jahre 1221 unter anderen ihr früher er-
theilten Privilegien auch die Juden dieser Stadt mit allen ihren Frei-
heiten, Bechten, Giitem und der Gerichtsbarkeit über dieselben^).
Die zu Trani wohnenden Juden nahm er im Jahre 1221 in seinen be-
sonderen Schutz, bestätigte ihnen das von seinem ^ater erhaltene Pri-
vileg und die guten Gebräuche, welche sie zu Zeiten König Wilhelms II.
und seines Vaters hatten und bestimmt , dass Juden , nachdem sie ein
Jahr zu Trani wohnten, nach ihrem Vermögen mitzahlen sollen an, den
38 Goldunzen, welche sie jährlich der Kirche von Trani zu entrichten
haben, dass keine Christen gegen Juden, wie auch keine Juden gegen
Christen zum Zeugniss zugelassen werden sollen , wie dies seither unter
ihnen Gebrauch gewesen sei, dass sie ausserdem niemanden zu
persönlichen oder sachlichen Leistungen verpflichtet und niemanden,
als der Curie der Kirche von Trani verantwortlich seien ^). Der Kirche
von Eossano bestätigte er 1228 den von seinen Vorgängern verliehenen
Judenzehnten und 8 genannte Judenfamüien daselbst*^). Der Kirche
von Ascoli bestätigt er 1226 die von Wilhelm IL ihr übergebene welt-
liche Gerichtsbarkeit über die Juden mit gewissen Abgaben derselben^).
In den späteren Jahren Friedrichs begegnen wir solchen Zuwendungen
an die Kirchen nicht mehr, theils wegen des Bestrebens, alle Gewalt in
seiner Hand zu vereinigen, theils wegen seiäes Kampfes gegen die Kirche,
theils wegen seiner Geldnoth.
Zu den besonderen Collecten, welche Friedrich in seinen Geldnöthen
seit 1235 jährlich, aber auch früher schon oftmals -- wenigstens seit
1228 in den meisten Jahren — und in manchen Jahren wiederholt, den
emzelnen Provinzen auferlegte, wobei er die aufzubringende, in der Begel
sehr hohe Summe selbst festsetzte^), mussten auch die Juden eine be-
stimmte Suname beitragen i<>).
Als Friedrich in jener Zeit, wo vor allem seine Geldnöthen be-
gannen, unter andern Monopolien (dem Handel mit Salz, Eisen, Kupfer
1) Huill. 6, 558; Böhmer-Fick. 8688.
2) S. Zunz, S. 488 und unten. -
3) Ughelli 9, 209; Huill. h 206; Böhmer-Fick. 655.
4) Ughelli 9, 57; Huill 1, 638; Böhmer-Fick. 1020.
5) Huill 2, 111; Böhmer-Fick. 1280.
6) Böhm.-Ficker 1820 ; Winkelmann 221.
7) Ugheüi 9, 297; HuiU. 2, 364; Böhmer-Fick. 1492.
8) Ughelli 8, 226; Huill 2, 700; B(^hmer-Fick. 1688; s. ob. S. 18, A.3.
9) Winkelmann: »De regni Sic. adm.,« p. 28 sqq.
10) Winkelmann: »Acta« 873, IV.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 29
und in gewisser Beziehung mit Getreide) auch den Handel mit Rohseide
und die Färbereien monopolisirte (im J. 1231) , wusste er für diese ein-
traglichen Moifofiolien — Süditalien war damals noch der Hauptplatz des
Seidenbaues im Abendlande (vgl. ob. S. 19, insbes. Anm. 2) — keine ge-
wandteren Verwalter zu finden, als die Juden. Bestimmten Juden aus
Trani — dessen Juden, wie es nach dem oben erwähnten Privilegium
scheint, in besonderer Gunst bei ihm standen -^ musste alle Seide in
dem ganzen Lande verkauft werden, und diese mussten sie zum Nutzen
der Curie um ein Drittel theuerer verkaufen*). Ebenso scheint er über
alle Färbereien, als er dieselben für den Fiscus übernahm, Juden gesetzt
zu haben. So ernannte er in der bezöglichen Weisung an den Justiciar
der Provinz Terra di Lavoro zwei Juden, welche ausser den Färbereien
zu Neapel und Capua andere an geeigneten Orten errichten, alle ordnen
und für die . Entrichtung der festgesetzten Gebühren an den Fiscus sorgen
soUfen. An die Justiciarien der übrigen Provinzen ergingen aber ähn-
liche Weisungen, deren Wortlaut jedoch nicht aufbewahrt ist ; nur ist
aus dem Schreiben an den Justiciar der Provinz Abruzzo erwähnt, dass
derselbe z.u diesem Zwecke vier reichere und bessere Juden auswählen '
solle, denen zugleich ein bezüglicher Auftrag an den Erzbischof und an
den Logotheten"(d. h. den magister rationum curiae, einen höheren
Finanzbeamten) ertheilt wurde ^). Zu dieser Zeit (wahrscheinlich im
Frühjahr 1231) war es wohl auch , dass dör sei. Jordanus , der zweite
General des Dominikanerordens, dem Kaiser in einer Unterredung unter
anderen Vorwürfen auch den machte,, dass er die Juden und die Sara-
cenen allzusehr bevorzuge (»Judaeis et Saracenis nimis favetis«)^).
1) . . . »praecipitur universis, ut . . . Ebreis de Trano constitutis super
seta emenda ad opus curie vendant setam, et non.aliis, precio competenti . . . (Ebrei)
setam emptam precio competenti, considerata solucione precii, eam ad opus
curie tercio plus vendant.« Winkelmann, Acta, n. 785. Cf. Ryccardus de
S, Germ, ad a. 1231 : »Mense Augusto de mandato imperiali per totum regnum
seta cruda emi prohibetur, similiter sal, ferrum et aes emi non nisi a Doana
imperiali mandatur.« Mon. Germ. 19, 365.
2) Winkelmanny Acta n. 796. In San Germano (Terra di Lavoro), wo die
Färberei der Abtei Monte Cassino gebort zu haben scheint, stiessen die Juden
bei dem Erzbischof auf Schwierigkeiten. Ryccardus de S. Germ, berichtet
hierüber in seiner Chronik ad a. 1231 : »Tinctarias omnes de regno ad opus
fisci imperialis recipi praecipit Imperator et super hoc suas mittit litteras gene*
rales; quas cum duo Judaei pro judaeca Sancti Germani recipienda detulerint,
ipsam Eeginus archiepiscopus capi proh'ibuit, raandans ipsis Judaeis, ut ipsam
in pace dimittant monasterio Cassinensi.« Mon. Germ* 19, 365. Dass einzelne
Färbereien auch schon früher Eigenthum des Fiscus waren und von Juden be-
trieben wurden, haben wir oben aus den Privilegien der Kirchen von Palermo
und Coscnza ersehen.
3) So berichtet der gleichzeitige Dominikaner Gerhart von Frachet
aus Limousin, Prior der Provinz Provence (t 1271), ein durchaus zuverlässiger
Geschichtschreiber in seinen >Vitae fratrum ordinis Praedicatorum« 3, 44, die
er im Auftrage des Orduhsgenerals Humbert verfasste. Cf. Mone: »Quellensamm-
lung zur bad. Landesgesch.,« Karlsr. 1867, Bd. 4, S. 21, wo auch Näheres über
30 Erler, Hiat-krit, Uebersicht d. nationatökon. u. soc.-pol. Literatur,
Wie gern Friedrich die Juden in seinem Königreiche — ihres
Geldes wegen — hatte, zeigt auch sein Verfahren gegen Juden, die aus
Africa, weil dort verfolgt, nach Sicilieu im Jahce 1239 ausgewanderjb
waren. Er Hess ihnen in Palermo, mit dessen Juden sie nicht harmo-
nirten, Wohnsitze zur Erhauung von Häusern anweisen, gestattete
ihnen einen eigenen Vorsteher aus ihrer Mitte, jedoch nicht die Erhauung
einer neuen Synagoge — wofür ihnen eine unhenützte alte eingeräumt
werden ^lle, die .sie wiederherstellen könnten — und überwies ihnen auf
ihr Gesuch die Fruchtbarmachung der fiscalischen Dattelpalmenpfianzung
zu Palermo gegen die Hälfte der Früchte, jedoch nur auf 5—10 Jahre.
Den in sonstige Theile Sicilicns eingewanderten africanischei^ Juden wollte
er kdnen Zwang zur Uebersiedlung nach Palermo angethan wissen, da-
mit nicht andere Juden dadurch von der Einwanderung abgehalten wür-
den (»ne forte tolleretur aliis qui venturi sint materia conferendi se in
regnum nostrum«). Einem weiteren Theile dieser Juden wies er grosse
Strecken fiscalischen Landes (»multas terras«) an, um daselbst zum Nutzen
seiner Curie verschiedene bis dahin in Sicüien nicht einheimische Pflanzen
zu cttltiviren. Während er aber im Jahre 1231 bestimmt hatte, dass alle
Fremde«, welche sich für immer im Königreiche niederlassen wollten, auf
zehn Jahre von allen Abgaben frei sein sollten ^), ordnete er an, dass
jene- eingewanderten Juden allsogleich bestimmte jährliche Abgaben
zahlen^ und diese bei Vermehrung jener gesteigert werden sollten^).
Auch ztt wissenschaftlichen Zwecken bediente sich Friedrich kundiger
Juden. So zum Uebersetzen philosophischer und astronomischer Schriften. *
Einem spanischen gelehrten Juden Jehuda Ihn Matka liess er wissen-
schaftliche Fragen vorlegen und »beweg ihn wahrscheinlich dazu, nach
Italien (Toscana) auszuwandern. Derselbe hatte Zutritt zum kaiserlichen^
Hofe, vielleicht wegen seiner astrologischen Kenntnisse, denen der Kaiser
sehr ergeben war 3). Einen anderen jüdischen Gelehrten, Jacob Anatoli,
Hess der Kaiser aus der Provence nach Neapel kommen und setzte ihm
einen Jahrgehalt aus, damit er in Müsse der Ver.dolmetschung arabischer
Werke wissenschaftlichen Inhaltes obliegen sollte ^).« In Salerno wirkten
an der äi-ztlichen Schule auch Juden, die für ihre Glaubensgenossen Vor-
träge in hebräischer Sprache hielten s).
Gerhart. Der Text ist genommen aus einer correcten und vollständigen Hand-
schrift der Breslauer Universitätsbibliothek, während eine frühere zu Heidel-
berg, nun zu Rom befindliche, weniger zuverlässige Handschrift den Zusatz
»Judaeis« nicht hat.
1) Peter de Vin., I.e. 6, 7; p.716; Huill. 4, 234; Böhml-Ficker 1905.
2) Eeg. Frid. bei Carc, 280. 290; Huill. 5, 535. 571; Böhm.'Ficker
2595* 2G27.
3) > Frederic crut a Tastrologie ju8<j[u'ä la derniere heure de sa vie et
continua ä a^entourer de devins.« Huill. Preface DXXXI.
4) Grätzel, 94. -4. del Vtcchio sagt 1. c, p. 247: »Le persone di sen-
timenti liberal! convenivano a Corte, dove avcvano trovato aiuti e lorga pro-
tezione molti Ebrei,incarioati dal imperatore di tradurre le opere di scienza araba.«
5) Ant Mazza: »Urbis Salernitanae historia,« bei Graeviua, Ant.ital.
9, 63. — Raumer, 3, 417.
Die Juden Italiens im Mittelalter. ol
Nach dem Tode Friedrichs scheint eine Verfolgung der Juden aus-
gebrochen zu sein. Eine jüdische Quelle erzählt, die Juden des König-
reichs Neapel hätten hei einem heftigen Kriege im Jahre 1240, als be-
reits alle Hilfsquellen erschöpft gewesen, den König mit ihrem ganzen
Vermögen unterstützt und so gerettet, wofür der König sie sehr geehrt
und erhoben habe, so dass die Juden übermüthig geworden seien. Ster-
bend habe der König seinem Sohue aufgetragen, den Juden ihr Geld zu
erstatten und sich ihnen gefällig zu zeigen. Diesen aber hätten seine
Bathgeber überzeugt, das beste Mittel, die Juden zu belohnen sei, sie zu
bekehren. Listig hätten dann die Juden, um dieser Zumuthung auszu-
weichen, sich dazu bereit erklärt, wenn sämmtliehe Vornehme des
Reiches sich mit ihnen verschwägern wollten. Als der König dies ver-
sprochen, und die Juden sich dennoch der Bekehrung geweigert hätten,
habe der König ihnen nur die Wahl zwischen dem Christenthume und
dem Tode gelassen, worauf viele die Taufe angenommen und si<;h üiit
den Vornehmen verheirathet hätten, die Übrigen aber erschlagen worden
wären 1). Nach einer anderen jüdischen Quelle würden im Jahre 1260
»zwei grosse Gemeinden, die zu Neapel und Trani, gezwungen, ihre Re-
ligion aufzugeben, was die meisten thaten.« Die Veranlassung dazu sei
die einem Juden zur Last gelegte Verunehrung eines Crucifixes zu Trani
gewesen, wo man die Juden, insoweit sie nicht flohen, zum Christen-
thume gezwungen habe. Die, welche nach Neapel flohen, seien dort zum
Theil von den Vornehmen vejrborgen worden und dann in entfernte Länder
geflohen, die meisten aber hätten auch dort aus Furcht vor dem ihnen
angedrohten Tode den Glauben gewechselt*). Beide Berichte werden von
späteren jüdischen Schriftstellern als zusammengehörend betrachtet ^).
Das Wahre daran mag sein, dass die Juden von Friedrich, der oft ihres
Geldes benöthigt war, und von den Grossen des Reiches, die ohne Zweifel
gar manchmal sich in gleicher Lage befanden , begünstigt , dadurch
übermüthig wurden und zugleich das Volk ausbeuteten. Dieses aber,
vom König und von den Juden zugleich ausgebeutet, erhob sich in seiner
Erbitterung nach dem Tode des Königs und erschlug die Juden oder
zwang sie zur Taufe, insoweit sie nicht ^ohen*). Dabei mag die unmit-
1) Jos. ha Cohen: >Emek habacha,« hsg. von M, Wiener, Leipz. 1858,
S. 40 u. 176, nach Samuel Usque: »Con8ola9am de Ysrael,<f 3. Dial.
2) »Schevet Jehuda« von R. Salomo aben Verga, hsg. v. M, Wiener j
Hannover 1856, S. 85.
3) S. Wiener, Note 170 zu Emek habacha, S. 176.
4) Das Volk war voll Erbitterung über die schweren Lasten unter Friedrichs
Regierung. Bezüglich der letzten, von Friedrich im August 1250 ausgeschrie-
benen CoUecte bringt der gleichzeitige Chronist Matteo SpineUi folgende
charakteristische Notiz : »Air ^ intrata d'Agosto 1250 fo posta per tutto
lo Reatne una coUetta la piu grande, che sia stata mai posta, che se
paghe uno tarl per capo. II di di Santo Simone e Juda Tlraperatore venne
allo Castiello di Bellomonte, Alli 5. di Novembre lo Justitiero Messer Borardo
Caracciolo Dusso andao a vedere Tlmperatore, e portaole settocentö onze, che
a^ea ra^ colto dalle collette. Et lo Imperätore se scorucciao fortemente , che
non avea raccolto piü, e le disse molte parole injuriose; e lo Justitiero gli
32 ErleVf Hist'krit üeberaicht d. nationälökon, u. soC'poL Literatur,
telbare Veranlassung auch in einer Thatsache, wie die von Trani er-
zählte, gelegen haben.
Unter der Regierung CarVs L von Anjou (1263—1285) finden wir
in den Constitutionen, welche sein Sohn — der spätere Carl IL — als
Reichsverweser mit einer Versammlung der Ständö im Jahre 1283 er-
liess, unter der Rubrik: »De privilegiis et immunitatibus ecclesiarum«
etc. cap. 17. die Bestimmung : »Juden, so ünterthanen der Kirche wären,
solle man keine Aemter anvertrauen, ihnen aber auch keine Beschwerde
oder Unterdrückung zufügen *) ,« woraus sich zu ergeben scheint , dass
andere Juden nicht von Aemtern ausgeschlossen waren. Nach einer weiteren
Nachricht wurden jedoch durch ein Statut CarVs IL vom 8. December
1298 die Juden nebst allen s. g. Lombarden, Caorcinern und anderen
Ausländern, welche Wucher trieben, aus dem Königreich Neapel ausge-
trieben*), was für Sicilien keine Geltung mehr hatte, da dieses seit der
sicilianischen Vesper (1282) sich von der Herrschaft der Anjou frei ge-
macht und Peter III. von Aragonien zum Könige (1282—1285) erhoben
hatte. Vielleicht trug zu dieser Vertreibung, ausser dem Wucher, auch
die Thatsache bei, dass die Juden in dem Kampfe zwischen Ghibellinen
und Guelfen (Anhängern der Kirche) für die ersteren Partei ergriffen
hatten. »In einem Briefe, den Papst Martin an die Messinesen gerichtet
haben soll, um sie zur Unterwerfung unter Carl von Anjou aufzufordern,
redet er sie daher an: »»A li perfidi Judei dilla IsUla di Sicilia Martinll
papa terzu manda quilli saluti, sic^omu a corrumpituri di paci e dl
Christian! aucidituri e spargituri di lu sangu di nostri figli etc^).««
ripose: »»Signore. se non vi place lo servire mio, proveditevi per altro, perche
le Terre stanno tutte povere,€<i Et lo Imperatore se adirao piu forte« etc.
£r drohte ihm, ihn über die Mauer hinabwerfen zu lassen. »Ephemerides Nea-
politanae,« bei Murat Script, t. 7. coL 1067. Andrea d'Isernia sagt, dass
Friedrich wegen der iBedrückung des Volkes durch übermässige Abgaben »in
pice et non in pace requiescit« (»Comment. ad Constit.« 1, 7). Thatsache ist, dass
nach Friedrichs Tod die Provinzen NeapeFs und Sicilien's ganz verarmt waren.
Vgl. A, del Vecchio, L c. p. 190, A. 1; Depping: »Les Juifs au moyen äge.«
Par. 1845, p. 459.
1) Giannone: »Gesch. des Königreichs Neapel,« deutsch von Le Bretf
Leipz. 1768; Bd. 3, S. 95.
2) Ducange: »Glossarium ad script. med. et inf. latin.« Par. 1733, t. 2,
col. 205 sq.
3) So berichtet der Anonymus der »Historia conspirationis Joh. Prochytae*
(bei Gregorio: »Bibliotheca scriptorum, qui res in Sicilia gestas sub Arago-
num regno retulere,« Par. 1791—93, t. 1, p. 267). Ca5«eJ bemerkt hiezu:
»Dass der Brief nicht an Juden gerichtet war, was, wie es scheint, Gregorio
und Clarenza (»Storia di Catana« 2, 139) gemeint haben, ist aus den vorher-
gehenden Worten deutlich . . . Auf ähnliche Weise wurden die Sicilianer von
den Franzosen Patarener genannt» eine damals besonders in Sicilien vorhandene
und ungemein verabscheujbe Ketzersecte.« Bei Giovanni Villani (»Historia
universalis« lib. 7, c. 65, bei Murat Scr. 13, col. 28 fehlt übrigens das Wort
Judei und heisst es einfach : » A' perfidi et crudeli deir Isola di Cicilia Martino
papa« etc. Der neuere Geschichtschreiber der sicilianischen Vesper, Mich*
Die Juden Italiens im Mittelalter, 33
Dagegen wird Peter von Aragonten bei seinem Feldzuge nach Africa,
bevor er Sicilien erobert, von einem Juden sehr wirksam unterstützt i),
und ein aragonischer Herrscher durfte ihnen mehr Sicherheit als ein
französischer damals gewähren*).« Als Peter von Aragonien in
Messina im Jahre 1282 einzog, gingen ihm auch die dortigen Juden mit
dem Gesettze entgegen ^). Sicilien stand nun von 1282 an unter aragoni-
schen Fürsten (von 1295—1409 unter eigenen, dann wieder unter den
Königen von Aragonien) und blieb getrennt von Neapel, mit Aus-
nahme der Jahre 1432--1458, wo König Alphons von Aragonien und
Sicilien auch Neapel besetzt hatte, das er jedoch im letztgenannten Jahre
seinem Sohne Ferdinand I. übergab. Im Jahre 1501 dankte Friedrich III.
von Neapel zu Gunsten Ferdinand's des Katholischen ab, und waren von
da an. bis 1713 Neapel und Sicilien Provinzen der spanischen Monarchie,
von Vicekönigen mit fast unumschränkter Gewalt regiert.^
Wir betrachten nun zunächst Sicilien, über dessen Juden wir eine
Reihe speciellerer Nachrichten haben.
Zuerst erwähnen wir einige Bestimmungen der Stadtrechte si-
cilianischer. Städte, die sich seit der aragonischen Herrschaft einer
grossen autonomen Selbstständigkeit gegenüber der allgemeinen Landes-
gesetzgebung (den Constitutionen Friedrich*s IL und den Capitula der
aragonischen Könige) erfreuten. Der redactionelle Alsschluss dieser Stadt-
rechte fällt meistens in das Ende des 13. und in die erste Hälfte des
14. Jahrhunderts, während ein Theil ihrer Bestimmungen bis in die
Normannenzeit zurückreicht^).
Das Stadtrecht (»Antiquissimae consuetudines«) Palermo* s, dessen
zahlreiche jüdische Gemeinde das Haupt aller Judengemeinden Si-
ciliens war, stellt sich den Juden ziemlich feindlich gegenüber. Nach
dem 15. Capitel (»De Judaeis et Saracenis aliisque haereticis a testi-
monio repellendis«) dürfen Juden nicht als Zeugen oder als Schieds-
richter wider Christen angenommen werden, »quod est ex longa consuetu-
dine introductum.« Als Grund wird angegeben: »Cum eos Christianis
subjacere oporteat. Sunt alias infames Judaei et debent s^ communione
fidelium separari.« Man fürchtete eben, dass sie gegen Christen nie auf-
I
Amari behauptet jedoch mit Recht, wie uns scheint, dass dieser Brief unächt
sei (»ün Periode delle istorie Siciliane del sec. 13.« Pal. 1842, p. 80 u. 291).
Cassel bemerkt: »Selbst wenn der Brief nicht acht und die Historia nicht von
einem Zeitgenossen ist, bleibt doch die darin liegende Anschauungsweise be-
achtenswerth« (S. 143).
1) Historiae Sabae Malaspinae Contin. (Villani), bei Qregorio: Script,
rer. arag. 2, p. 361—364; s. Cassel S. 143.
2) Cassel, S. 143.
3) Barthol de Neocastro: »Historia Sicula« c. 53, bei Muratori,
Script, t. 13, coL 1066. Amari schreibt: »Si.feano innanzi al re . . . e la sina-
goga de*reietti giüdei, per loro ricchezze or carezzati, or manomessi in quei
secoli.« 1. c. p. 99.
4) BrünnecK a. a. 0. S. XXVI u. XXXVII. Leider gibt Brünneck nicht
sämmtliche vorhanden^, aondem nur die in lateinischer Sprache abgefassten
Stadtrechte.
Arohiv fiir Kirchenrecht. XLVIIL 3
34 Erler, Hiat-hriU Üehersicht d. nationalökon. u, soc-poL Literatur,
richtig zeugen würden. Dagegen sollten Christen gegen Juden zum
^eugnisB zugelassen werden, wofern sie nicht durch das gemeine Recht
vom Zeugfnissgeben überhaupt ausgeschlossen seien. Nach* dem 27. Ca-
pitel (»De his quibus jus prothimisii non competit«) wurden von dem,
aus dem griechisch-römischen Rechte herübergenomn^enen , Vorkaufs-
rechte (Retracte) — das bei Liegenschaften den Verwandten oder Nach-
barn eingeräumt war und auch nach erfolgter Tradition an den ander-
weitigen Käufer geltend gemacht werden konnte — nebst dem Fiscus,
den Kirchen, Klöstern, Grafen, Baronen und Saracenen auch die Juden
ausgeschlossen. Wir ersehen daraus, dass die Juden Siciliens auch
noch im 13. Jahrhunderte Landbesitz erwerben konnten (es werden in
dem genannten Capitel auch Weinberge, Gürten und Landgüter er-
wäiint), und dass man auch hier' das Bedürfniss fühlte, den kleinen
Grundbesitz und den Bauernstand gegen den grossen Grundbesitz und die
reichen Juden zu schützen. Dass den Juden im 36. Capitel die Einrichtung
besonderer Notare zur Aufnahme von Kaufverträgen und anderer Rechts-
geschäfte in hebräischer Sprache mit verbindlicher Kraft zugestanden
w«r, jst bereits oben erwähnt worden. Dass sie von obrigkeitlichen
Aemtern ausgeschlossen waren, geht schon aus dem 15. Capitel hervor;
die Stellung von Advocaten, Aerzten u. s. w. war ihnen überdies
noch durch dea im 67. Capitel auf das Evangelium geforderten Eid, den
die Advocaten und Aerzte sogar jedes Jahr aufs neue ablegen mussten,
verwehrt. Im 56. Capitel wird gesagt, dass »ex obtenta et veteri con-
suetudine« gewisse Classen von Leuten und so auch die Juden (*meretrices
publicae vel privatae, tabernarii vel buccherii et Judaei«) weder vom
königlichen Marschall noch von irgend einem Officialeu, möge der König
an- oder abwesend sein, zu irgend einer besonderen Zahlung oder
Leistung angehalten werden dürften i).
Die »Consuetudines et Statuta« Messina^s waren den Juden gün-
stiger. Wir finden hier nur die Bestimmung, dass Juden nicht gegen
Christen, aber auch Christen nicht gegen Juden zeugen sollen (Cp.*47;
vgl. oben S. 28 das Privilegium TranVs), sowie die oben (S.20) erwähnte Be-
stimmung bezüglich der Sclaven (Cp, 57). Günstig war den Juden jedenfalls
auch das 35, Capitel (»De usuris«), wonach, entgegen dem kanonischen
Rechte, bereits gezahlte Zinsen weder zurückgefordert, noch von dem ge-
schuldeten Capital als Zahlung abgerechnet werden dürfen; doch sollen
versprochene Zinsen nicht eingeklagt werden können , es sei denn zu
Gunsten von Wittwen und Waisen, wofern die ausbedungenen Zinsen
massig seien. »Wenn demnächst Papst Clemens V. (1305—1314) alle
diejenigen Communen, ihre Magistraten und Richter mit der Excom-
munication bedroht, welche innerhalb von drei Monaten nicht die den
kanonischen Zinsverboteh widersprechenden Statuten ihrer Städte wieder
aufheben würden, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass der päpstliche
Gesetzgeber dabei gerade auch an das Messineser Stadtrecht gedacht
und dessen Reprobation bezweckt hat.-^ Dieselbe Bestimmung findet sich
auch im Stadtrecht von Patti (Pactae, Stat. 62)2),
1) Brünneck, Theil I, S, 15, 23, 27, 47 ff. 58.
2) Brünneck I, 93, 98, 89, 210; IL 156.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 35
Die »Consuetudines« CatanicCs erwähnen der Juden nicht. Wenn
wir oben (S. 16) sahen, dass den Juden daselbst im Jahre 1168 ihr
eigenes Eecht zugesichert war, so ist jedenfalls eine etwaige eigene Ge-
richtsbarkeit derselben später aufgehoben worden, wofür auch die Bestim-
mung (Tit. 2, cöns. 2) spricht, dass — mit Ausnahme der Wittwen, Pu-
pillen und Hofbeamten in bestimmten Fällen — niemand vor andern
Richtern als dem Patricius und den Judices civitatis Recht nehmen dürfe ^).
Die »Consuetudinesc von Syr actis schliessen ebenfalls die Juden
(und Ungläubigen) von dem Zeugnisse gegen die Christen aus (»ad
comprimendam eorum iniquitiam et perfidiam Judaeorum«), aber auch
die Christen vom Zeugnisse gegen jene (cona. 24), und sprechen überdies
den von Juden und Ungläubigen producirten Urkunden , sei es öffent-
lichen, sei es privaten, die Beweiskraft Christen gegenüber ab^).
Erwähnt zu werden verdient, dass am Ende des 13. Jahrhunderts
viele Juden Siciliens durch die Wirksamkeit des hl. Albert aus Trapani
bekehrt worden sind 3).
Unter König Friedrich IL (III.) (1295-1337) fand es das am
20. October 1296 zu Piazza abgehaltene Parlament für nothwendig, das
(schon von Kaiser Friedrich II. verkündete) kanonische Verbot, dass
Juden Richter und Aerzte seien, einzuschärfen, ihr gerichtliches Zeug-
niss gegen Christen für unwirksam, dagegen — mit ausdrücklicher Auf-
hebung der entgegenstehenden Localrechte von Messina und Syracus und
unter Hinweis auf die Vorschriften des gemeinen Rechtes — das Zeug-
niss der Christen gegen Juden für statthaft zu erklären, sowie das
Tragen des jüdischen Abzeichens aufs neue zu gebieten*). Am 23. Juli
1312 verfügte König Friedrich ferner, dass die Juden in Palermo fortan
abgesondert von den Christen ausserhalb der Stadtmauern wohnen soU-
1) Brünneck I, 106. — 2) Brünneck T, 147.
3) Für diese und die folgenden Angaben über Sicilien verweisen wir, so-
weit wir nicht andere Belege anführen, durch die eingeklammerten Zahlen auf
das schon genannte Werk von Zunz: »Zur Geschichte und Literatur,« Berlin
1845, S. 487 ff., das wir oft wörtlich anführen. Zunz entnimmt seine Angaben
dem im Jahre 1748 in Sicilien erschienenen, ziemlich umfangreichen, uns
leider nicht zugänglichen Werke von Giovanni di Giovanni (de Johanne):
»L'Ebraismo della Sicilia,« berichtet aber in einem christenfeindlichen, den
Juden nur günstigen Sinne. Die Darstellung Giovanni's mag ganz anders
lauten. Zunz sagt von ihm: »Die Befangenheit des Geschichtschreibers ist
gross, aber auch seine Treue.« Uns scheint gerade Zunz Giovanni sehr be-
fangen benutzt und manches verschwiegen zu haben. Giovanni, der auch einen
Codex diplomaticus Siciliae herausgegeben hat, war Kanonikus und Fiscal der
Inquisition in Palermo. Sein Werk besteht aus zwei Abtheilungen. Die erste
bespricht in 28 Capiteln den Ursprung der Juden auf Sicilien, ihre Volkszahl,
Wohnplätze, Abzeichen, Freiheiten, Lasten, Besitz, Gerichtsbarkeit, Vorstände,
Rabbiner, Synagogen, Bäder, ihren Wucher, ihre Verbrechen, die Aufläufe gegen
sie, ihre Vertreibung und Wiederaufnahme. Die zweite Abtheilung ist in
33 Kapiteln den einzelnen Orten gewidmet, wo Juden auf der Insel gewohnt
haben.
4) C. 67; Friderici (Cap. Regni Sic, I, p. 79) bei Brünneck 11, 267.
3*
Erler, Hiat-kriU üebersicht d, nationälöhon. u. soc.-poL Literatur.
ten. Sie zogen aus , wurden jedoch bald wieder von der Stadt aufge-
nommen, während es bei dem Ghetto verblieb (S. 487). Uebrigens be-
wohnten die Juden schon um das Jahr 977 ein eigenes Judenquartier
(il Quartiere de* Giudei) in Palermo^).
Der Kirche von Mazara gestand Friedrich am 15. December 1318 die
Gerichtsbarkeit über die Juden der Stadt und Didcese zu ^). Am 28. Mai
1327 wollte Peter 11. (1337—1342) dieses Privilegium zurücknehmen, stand
aber auf Einspruch des Bischofs davon ab^). Dkss die Kirche von Ma-
zara noch im J. 1392 Jurisdiction über die Juden ausübte, geht aus
einem Documente von diesem Jahre hervor*). Im Jahre 1405 wurde
dieselbe von den Juden aufs neue bestritten ; mit welchem Erfolge
wird nicht berichtet. In Marsala scheinen ähnliche Verhältnisse be-
standen zu habend). In Palermo behielt der Erzbischof die ihm schon
von Kaiser Friedrich IL überwiesene Gerichtsbarkeit über die Juden.
Als hierüber Zweifel" laut geworden, erlangte der Verweser des Bis-
thums von Peter II. am 25. Februar 1338 die Bestätigung der wohl
hergebrachten Rechte^). An anderen Orten verblieb den Bischöfen die
Jurisdiction in geistlichen Dingen. Im Jahre 1338 verbot Peter den Bunde-
Hauptleuten der Hauptstadt (Palerm«)), die Juden zu behindern, wann sie
in Aufzügen bei Hochzeitsfeierlichkeiten die Altstadt (Cassero) passirten.
Am Charfreitage des folgenden Jahres machte ein Volkshaufe einen An-
griff anf das Ghetto und plünderte mehrere jüdische Familien. Ein
königliches Decret vom 30. April trat dagegen auf. Auch bedeutete die
Regierung dem Erzbischof von Messina, dass er eine vor einem könig-
lichen Gerichtshofe abgemachte Sache nicht nochmals vor sein Forum
ziehen dürfe (S. 488 f.).
Unter der Regierung Ludwigs (1342—1355) kreuzigten die Juden in
Messina im Jahre .1347 ein diristliches Kind. Die Schuldigen wurden
hingerichtet und die Synagoge in eine Kirche umgewandelt*^) (S. 489).
1) Ibn Hawqvial: »Libro delle vie e dei reami,« bei Amari: >Biblio-
theca« etc. T, 20.
2) • . . »litteras regias 15. Dec. 1318 transmissas Bajulo et Judicibus
Mazarae obtinuit, quibus decernebatur, causas Judaeorum Mazarae ac ejus dioe-
cesis ad Episcopum pleno jure spectare.« Ä. Pirrus, 1. c. 2, 959.
3) . . . Id contra jura Ecclesiae Mazarensis^ noster Antistes esse con-
tendebat; sed adversus regium -magistratum pro Episcopo judicatum est.«
Pirrua 1. c. 2, 959. Zunz behauptet das Gegentheil (S. 488); ebenso Cassel
S. 143, n. 78.
4) Pirrua, 1. c. 2, 964.
5) »PInres Mazarae et Marsalae versabantur tunc Judaei. Ji ex privilegio
Regis Friderici solum suorum rectorum jurisdictioni subjaceri asserebant . . .
Discussa res est coram F. Matthaeo Quaesitore de rebus fidei in Sicilia et
coram judicibus magnae curiae per literas 20. Febr. 1405 volonte rege.« Pirrus,
1. c. 2, 962. ' Vgl. Zunz S. 492 und unten.
6) Mongitore: »Bullae, privilegia et instrumenta Panormitanae metro-
polit. ecclesiae,« Pan. 1734, p. 181.
7) Pirrua f 1. c. 1, 317. Von der Umwandelung der Synagoge in eine
Kirche sagt Zunz nichts.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 37
An manchen Orten nöthigten vornehme Beamten die Jaden zu gewissen
niedrigen Diensten, was durch einen Schutzbrief vom 23. November
1347 verboten wurde. Ein Decr^t vom 22. December desselben
Jahres legte den Juden ^e Lieferung der Standarten fQr die Galeeren
auf; ein anderes vom 2. December 1350, wozu eine Beschwerde der
Juden zu Palermo Anlass gegeben, schärfte den Beamten ein, bei Be-
lohnungen und Bestrafungen keinen Unterschied zwischen Juden und
Christen zu machen (S. 489 f.).
Den Juden in Castrogiovanni wurde am 16. Juli 1361 durch Friedrich IJI.
(1355—1377) erlaubt, ihre alte Synagoge neu aufzubauen, und am 12.0c-
tober 1366 wurde die Vorschrift erneuert, dass bei Neubauten die Sy-
nagogen nicht grösser und prächtiger als die alten gebaut werden dürf-
ten, widrigenfalls sie wieder niedergerissen werden sollten, was durch
Decret vom 20. December 1369 an einigen neu errichteten Synagogen
wirklich vollzogen wurde. Doch wurde den Juden zu Marsala die Er-
weiterung der Synagoge durch die Stadt im Jahre 1373, und durch den
König am 18. April 1375 genehmigt. Gleichergestalt wurde im J. 1369
das Tragen des Abzeichens neuerdings eingeschärft, und, um die Be-
obachtung dieser Vorschrift zu sichern, ein höherer Beamter oder Geist-
licher als >Custos rotellae rubeae« aufgestellt. Es war dasselbe ein rundes
Stück rothen Tuches von dem Umfange -eines königlichen Siegels erster
Grösse , welches auf der Brust getragen werden musste i). Die Juden
von Palermo hatten das Vorrecht, dass ihr Zeichen nur die Grosse eines
Carolin oder halben Tari hatte (S. 490).
Ein königlicher Erlass vom 13. November 1375 beschränkte die Ge-
richtsbarkeit der Inquisition über die Juden von Sicilien, denen fortan
die Berufung an den königlichen Gerichtshof freistehe. Ohne Zuziehung
des weltlichen Eichters, des Capitano und der Geschworenen solle die
Inquisition gegen keinen Juden einen Process einleiten, auch den Ver-
urtheilten nicht in ihre Kerker, sondern in das öffentliche Gefängnis«
setzen lassen (S. 491).
König Martin I. (1392—1409, als König von Aragonien Martin V.)
erwies sich den Juden sehr günstig. Er erliess zwar im Jahre 1392 die
Verordnung, dass die Juden überall abgesondert (in dem s. g, Ghetto)
i^ohnen sollten. Dagegen wurden am 29. März im gleichen Jahre die
Privilegien der Juden zu Marsala erneuert und denen der Juden zu
Trapani gleichgestellt, sowie auf Ersuchen der Juden von Palermo die
früher zum Schutze der Juden erlassenen Bullen durch königliches De-
cret bestätigt, und durch ein^ eigene Verfügung den sicilianischen Juden
fernerer Schutz versproclien. Als trotzdem in San Giulano die Juden
bald nach Bestätigung ihrer Gerechtsame in einem Aufstande gegen sie
sämmtlich getödtet wurden, eirneuerte der König jene Verfügung, und als
bald darauf auch gegen die Juden in Syracus ein Tumult ausbrach, befahl
er am 11. Juli strenge Bestrafung aller daran Betheiligten. Die Syra-
cusanischen Juden sprachen ihren Dank durch ein Geldgeschenk aus.
Um dieselbe Zeit befreite die Eegi'erung die Juden zu Mineo von einer
ihnen widerrechtlich auferlegten jährlicben Abgabe von zehn Unzen Gold
1) Pirrus, 1. c. 1, 1050.
38 Erler, Hist-kriL Uebersicht d. nationalökon, u, soc-poL Literatur,
(S. 491 f.). Im Jahre 1392 schenkte der König »Terram et Castrum Ca-
meratec mit allen Feudalrechten »cum Christianis et Judaeis« an Peter
von Queralto, und in gleicher Weise im Jahre 1393 Vizini an Huguest
de Sancta Face i).
Wahrscheinlich im eigenen Interesse der Juden wurde am 12. Mai
1393 verordnet, dass' der von vier Mahnern nach dem Begrähnissplatze
getragene Sarg einer jüdischen Leiche nur mit einem wollenen oder
seidenen Tuche bedeckt, sonst aber mit keiner Zierrat von Silber und
Gold versehen sein solle. Als in demselben Jahre zu Polizzi ein Jude
sich mit einer Christin vergangen , blieb er ohne weitere Strafe ; das
geistliche Gericht musste sogar die Geldstrafe, zu der es ihn verurtheilt
hatte, zurückzahlen und erhielt einen Verweis. Dagegen wurde am
10. August 1395 das Tragen des Abzeichens unter einer Gefängnissstrafe
von fün&ehn Tagen aufs neue eingeschärft (S. 492) ^).
Als die Juden zu Marsala sich im Jahre 1399 beschwerten, dass sie
von den Marsalesen gezwungen würden, am Stephanstage der Predigt
beizuwohnen 3); und auf dem Heimwege von Steinwürfen verfolgt würden,
so erklärte ein Decret vom Jahre 1399 jede an Juden verübte derartige
Kränkung, sogar für ein Majestäts verbrechen. Drei Jahre darauf (1402)
erhoben die Juden zu Marsala neue Beschwerden. Sie verlangten : 1) dass
sie von den königlichen Hofbeamten nicht mehr mit solchen persönlichen
Dienstleistungen belastet würden, zu welchen sie nur der Person des
Königs verpflichtet seien; 2) dass ihnen nicht mehr als ein Zehntel der
allgemeinen städtischen Abgaben auferlegt würde, da sie nur der zehnte
Theil der Einwohnerschaft seien; 3) dass sie fortan nicht mehr der
bischöflichen Jurisdiction unterworfen seien , sondern in Civil- und pein-
lichen Sachen dem königlichen Oberrichter, in ßeligionsangelegenheiten
dem Inquisitor mit dem Rechte der Berufung an den König; 4) dass für
ihre Verpflichtung der Fahnenlieferung die in Trapani stattfindende Ord-
nung eingeführt werde, und sie nicht den Forderungen des Schlosshaupt-
mannes, sondern dem Befehl des Oberaufsehers der königlichen Schlösser
zu genügen hätten ; 5) dass ihnen das widerrechtlich genommene Frauen-
bad in der Stadt restituirt werde. Decrete vom 7. August und 6. De-
cember 1402 bewilligten diese Gesuche. Ferner wurde im Jahre 1403
dem Schlosshauptmann von Naro untersagt, die Juden zu unentgeltlichen
Dienstleistungen zu zwingen, indem sie bloss verpflichtet seien, monatlich
einmal. Saal und Kammer des königlichen Schlosses reinigen zu lassen
auch sollte weder er noch sonst Jemand sie an der Befolgung ihrer Ge-
bräuche hindern. In demselben Jahre (1403) erhielten die Juden von
Trapani eine ähnliche Zusicherung : "ihre bisherigen Bechte sollen auf-
recht erhalten bleiben, und kein Christ sie kränken dürfen. Wiederum
klagten die Juden zu Marsala, dass man das zu ihren Gunsten erlassene
Decret vom Jahre 1399 ihnen unrechtmässig abgenommen habe und nicht
zurückgebe, was darauf durch zwei neue Decrete vom 3. und 8. Deceraber
befohleiy wurde (S. 492 f.).
1) Gregorio, Script, rerum Aragon. 2, 506, 511; bei Cassel S. 145.
2) Pirrus, 1. c. 1, 1050.
3) Pirrus, 1. c. 1, 962.
^^?fÄ?^V
Die Juden Italiens im Miltelalter, 39
Sogar mit wichtigen diplomatischen Sendungen wurden Juden von
König Martin betraut. Im Jahre 1393 liess er zur Wiedergewinnung der
früher zu Sicilien gehörigen Insel Gerba dem Fürsten von ^Tripolis durch
einen Juden eine Allianz gegen Tunis antragen ^) , und im Jahre 1409
übertrug derselbe König einem Juden von Trapani Namens Samuel Sala
die Verhandlung der Friedenspräliminarien mit dem Könige von
Tunis und versah ihn mit den nöthigen Beglaubigungsschreiben uüd In-
structionen^. Auch wurden diesem Juden Samuel und seinem Bruder Elias
dafür besondere, jedoch nicht näher angegebene Begünstigungen zu
Theiis).
Wie anderswo, so wurden auch in Sicilien die Verfolgungen der Juden
durch ihr Verhalten hervorgerufen. »Die universellen Verläumdungen,«(?)
sagt Cassel , »Kindermord und Hostienverletzung , ziehen auch hier
Fanatismus und Gewaltthaten nach sich .... Aber von den beinahe
60 Orten in Sicilien, in denen, wie man weiss, Juden sich aufhielten,
sind es kaum 12, aus welchen solche Scencn der Unruhe und des Un-
friedens berichtet werden, und kaum 3, worin wirkliche blutige Ver-
folgungen, wie sie jede deutsche Stadt erfahren, vorgekommen sind.«
Von Zeit zu Zeit erkauften sich die Juden Verzeihung für alle
Vergehungen. So sprach der König am 4. Juni 1406 die sicilianischen
Juden von allön Strafen los, die sie wegen Wuchers und anderer Ver-
gehen verdient hätten; ein 60 Unzen schweres Stück Gold war ihr An-
walt. Einem ähnlichen Mittel verdankten die Juden zu Trapani die Zu-
sicherung der Unantastbarkeit ihrer Privilegien. Auf eine Beschwerde
der Juden in Polizzi im J. 1413 wegen Beleidigungen in der Charwoche
und gezwungener Reinigung des Schlosses gewährte ein Erlass des Vice-
königs Abhilfe. Um dieselbe Zeit machte der Infant Don Juan eine An-
leihe bei den sicilianischen Juden, welche im Jahre 1415 zurückerstattet
wurde. Aus Vizini wurden im Jahre 1415 die Juden, trotz dem Verbote
der Königin Bianca, ausgetrieben und konnten nie wieder dahin zurück-
kehren (S. 494 f.).
Unter Alphons V. (1416—1458) wurden für die Juden »die ungünstigen
Dinge verfügt, die günstigen aber ausgeführt, und neuen bedrohlichen Mass-
. 1) Grefforio: »Consideraz.« 446.
2) Ein Schreil^pn des Königs an den Juden beginnt: »Bex Siciliae etc.
Xamueli. Bicippiniu li toi littri intisu lu memoriali , chi ni mandasti , e zb chi
to frati ni havi expostu di tua parti, breviter ti respundimu« etc. Die In-
structionen haben die Ai;ifschrift : »Responsioni fatti per lu serenissimu signuri
re di Sichilia ad Xamueli Sala judeu di Trapani supra quillu, chi illa scripsi
a lu dittu signuri re di lu trattamentu di la pachi, chi fu toccatu lu dittu
Xamueli por lu illustri re di Tuniz.« Gregorio, 1. c. 448 sq.
3) »Rex Martinus etc. Universis et singulis officialibus regni nostri Sici-
liae . . . mandamus, quatenus omnes-et quascumque litteras pernos aut dictam
reginam nostram carissimam consortem', dictis Xamueli et Eliae vel ipsorum
alteri in eorum favoribus factas, juxta eorum tenorem penitus observetis et
per quoscumque observari integre faciatis.« Datum 10. Maji 1409; Gregorio,
1. c. 449.
40 Erler, HiaL'kriU üehersicht d, nationälökon, u, soc-poL Literatur.
regeln begegnete altes Gold.« In der Stadtordnung Palermo's vom J. 1423
findet sich das Verbot aller Arbeiten am Sonntage für die Juden, um
die Feier nicht zu stören i). Am 15. Februar 1428 schärfte ein könig-
licher Befehl das Wohnen in deii Ghetto und das Tragen des Abzeichens
ein. Zugleich wurden Judenpredigten angeordnet. Allein eine jüdische
Deputation mit betrachüichen Summen Goldes erlangte am 5. Januar
1430 den Widerruf der letzten MassregeL Ebenso wurde auf die Klage
der Juden zu Girgenti im J. 1433, dass die Beamten sie zu persönlichen
Dienstleistangen niedrigster Art höthigten , dieser Missbrauch der Be-
amtengewalt bei 100 Unzen Strafe verboten. Dagegen wurde am 2. No-'
vember 1435 decretirt, dass die Fleischscharren der Juden in Palermo
durch Aushängung des rothen Abzeichens sich als jüdische kenntlich zu
machen hätten (S. 495 f.).
Im Jahre (1443 und) 1444 befand sieh der hl. Johannes Capistran
als päpstlicher Legat auf Sicilien , um die kirchlichen Angelegenheiten
zu ordnen, wobei er auch gegen die Unordnungen und Missbräuche der
Juden sich wendete^). Im Jahre 1449 wurde eine Untersuchung gegen
die Juden eingeleitet. »Man fand sie des Wuchers und anderer Gräuel-
thaten überführt.c Allein sie wussten sich mit 2000 Unzen loszukaufen.
Ja noch vor diesem Abschlüsse erhielten sie nicht unbedeutende Rechte,.
z. B. die medicinische Praxis unter den Christen ; auch wurde den Juden
in Palermo gestattet, ausserhalb des Ghetto*s zu wohnen. Am^^l. Oc-
tober 1452 wurde ihnen die alte Zusicherung wiederholt, dass sie nur
der Jurisdiction der vom Könige eingesetzten Eichter unterworfen seien ^).
Das Decret, welches den angeklagten Juden die Verzeihung des Königs
gewährte, erschien am 11. August 1453; es bestätigte das Recht zum
Besitze von liegenden Granden und verbot Juden zum Kirchenbesuche
oder zum Anhören christlicher Predigten zu zwingen; aach wurde frei-
gegeben , bauliche Veränderungen in den Synagogen , ohne Anfrage bei
dem königlichen Commissarius, vorzunehmen (S. 496 f.).
Den Juden zu Palermo verminderte Alphons im Jahre 1453 auf ihre
Beschwerde, dass sie, obwohl nur der zehnte Theil der Bevölkerung, den
vierten Theil der städtischen Abgaben tragen müssten, ihr Beitrags-
Quantum um 30 Procent. Im gleichen Jahre fand zu Messina die oben
erwähnte Ausschliessung mehrerer Juden von öffentlichen Aemtern statt.
Den Juden zu Taormina, die neben dem Dominicanerkloster eine Sy-
nagoge nebst Begräbnissplatz errichtet hatten , befahl der König im
Jahre 1455, auf päpstliche Mahnung, beide zu verlegen. Als im Jahre
1455 eine Anzahl Juden aus verschiedenen Städten auswandern wollten,
wurde ihnen , in der Voraussetzung , dass sie" edle Metalle und baares
Geld mitnehmen wollten, nach einem Gesetze vom Jahre 1400, das
dergleichen verbietet, der Process gemacht, und sie an Leben und Habe
1) »Statuta un\versitatis Panormitanae,« bei Gregorio, »Script, rer.
Aragon.« 2, p. 537; s. Cussel S. 144, n. 93.
2) »Acta Sanctorum.« Oct, t. 10, p. 291. Näheres ist nicht angegeben.
3) Ob die Gerichtsbarkeit der Bischöfe über die Juden, soweit sie be-
stand, allgemein war aufgehoben worden, oder ob dies nur für Pakrmo galt,
findet sich nicht bei Zunz angegeben.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 41
für dem Könige verfellen erklärt; sie kauften sich mit tausend Unzen
los (S, 497 f.).
In den folgenden Jahren finden wir wiederholte Beschwerden wegen
des Abzeichens., Die Juden von Palermo wandten sich am 27. Mai 1471
an den Yicekönig de ürrea. Derselbe sicherte ihnen die ungeschmälerte
Theilnahme an den städtischen Freiheiten zu; bezüglich des Abzeichens
werde er nicht zu strenge sein (S. 498 f.).
Zu Modica wurden am 15. August 1474, als bei Gelegenheit einer
Frocession die Juden die allerseligste Jungfrau lästerten, 470 derselben
erschlagen. Die Güter der Erschlagenen fielen der Stadt anheim; die-
selbe musste aber .7000 Gulden Strafe zahlen. An demselben Tage und
wohl aus derselben Ursache wurden in Noto 18 Juden erschlagen ^). In
Oalatagirone gab im Jahre 1475 ein' Auflauf gegen die Juden Anlass zu
einem Frocesse ; in Messina erkauften sie sich durch ein Geschenk von
200 Unzen von Johann IL (1458—1479) einen besonderen Schutzbrief;
ebenso in Agosta. Ein Erlass vom 20. August 1478 verfügte, dass das
Gerichtsverfahren gegen Christen- und Juden ganz gleich sein müsse.
Femer wurde den Juden zu Calatagirone im Jahre 1480 unter Ferdi'
nand IL (1479—1516) das Recht eingeräumt, Schulden halber nicht mit
Gewalt ans dem eigenen Hause, und überhaupt nicht für einen Betrag
unter dritthalb Scudi oder einer Sicilischen Unze zur Haft gebracht
zu werden. Im Jahre 1484 wurden sie nach Ablieferung einer Summe
Geldes an den Hof von allen Yergehungen losgesprochen. Näheres ist
über diese Vergebungen nicht berichtet. Zwei Decrete vom September 1482
und vom 18. Februar 1486 verboten dem Erzbischof von Messina, sich
von den Vermächtnissen der Juden den vierten Theil zuzueignen, indem
dieselben seiner Gerichtsbarkeit nicht unterworfen seien, und im J. 1491
wurde er abermals daran erinnert.
Zu Castrogiovanni wurden zwar im J. 1484 ein Christ, der bei einer
Beschneidung zu Gevatterschaft stand, sowie der Vater des Knaben
streng bestraft, aber im folgenden Jahre (1485) die dortigen Juden,
welche man zu besonderen Lasten heranziehen wollte , in ihren Frivi-
legien geschützt. Als man in demselben Jahre den Juden zu Trapani
die Ausbesserung der Stadtmauer auflegen wollte, weil das Judenquartier
sich dicht an derselben befand, schritt die Regierung dagegen ein. Den
Juden in Calatabillotta wurden am 2. Juni 1486 für das Frocess- Ver-
fahren gewisse Garantieen bewilligt. Als dagegen die Juden in Santa
Lucia im gleichen Jahre (1486) ihre Synagoge vergrössern wollten,
wurde ihnen bedeutet, dieselbe nicht grösser und prächtiger als die
christlichen Kirchen zu bauen. Der Stadtobrigkeit von Taormiha wurde
im J. 1487 verboten, die Juden schwerer als sich gebühre zu belasten,
1) So berichten Vinc* Littara (zwischen 1550--1602): »De rebus Ne-
tinisc bei OraeviuSy Antiq. Sic. t. 12, p. 50 und Plac. Carrafa (c. 1653):
»Motucae descriptio,« l. c. p. 23. Nach Zunz (S.- 499) waren die Juden natür-
lich viel schuldloser. Einfach »schrie bei einer Frocession in Modica der Föbel;
Maria lebe, Tod den Hebräern! drang bewaffnet in das Ghetto und erschlug,
was ihm unter die Hände gerieth : in Modica 360 oder gar 600 , ifl Noto 500
Juden,« und Hess der Vicekönig die Rädelsführer erdrosseln.
42 ErleVf Hist.'krit Uehersicht c/. nationalökon, u, soc.-pol. Literatur.
und dem Comraandanten des Castells, sie mit der Reinigung der Ge-
bäude zu behelligen; ebenso den städtischen Beamten von Polizzi im
Jahre 1491, den Juden Gesetze vorzuschreiben. Auch wurde am 28. Fe-
bruar 1489 den Dominicanern erlaubt, sich jüdischer Aerzte zu bedienen.
Zu Palermo vereinigten sich die Juden im J. 1491 mit der christlichen
Bürgerschaft zur Bewahrung ihrer gemeinschaftlichen städtischen Frei-
heiten, und der Vertrag wurde mittelst gerichtlichen Actes vom 2. No-
vember 1491 vollzogen. Um dieselbe Zeit kamen mehrere aus der Pro-
vence geflüchtete, desgleichen viele africanische Juden in Sicilien an.
Diese letzteren wollten die Sicilianer, in Anbetracht des Krieges mit den
Arabern /als Sclaven vorkaufen; aber auf Vorstellung der Juden in Pa-
lermo nahm sie die Eegierung in Schutz (S. 498 ff.).
In der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts gährte es schon an vielen
Orten Siciliens gegen die Juden. Die Juden hatten eben , schon vorher
zahlreich, seit den Zeiten der Normannen sich immer mehr vermehrt und
waren unter den aragonesischen Königen über die Massen an Keichthum
und Zahl gewachsen ^). *In gleichem Masse hatte aber auch ihr Ueber-
muth zugenommen. Die Begierung richtete deswegen in den Jahren
1486 und 1487 auf die Vorstellung der Juden zu Sciacca Mahnungen an
die Fastenprediger, sich der Aufreizung gegen die Juden zu enthalten,
das Volk vielmehr zu beschwichtigen. Die Juden scheinen freilich nicht
vorsichtiger geworden zu sein. Ja »als in der Bittwoche 1491 die Procession
zu Castiglione an dem Hause des Rabbiners Biton vorüberzog, warf dieser,
heisst es, einen Stein aus dem Fenster, der dem Crucifix einen Arm ab-
-schlug. Er wurde sogleich von zwei Brüdern Crisi erschlagen« (S. 500 f.).
Am 18. Juni 1492 endlich wurde das Edict Ferdinands vom 31. März
1492, welches die Austreibung der Jud^n aus der spanischen Monarchie
auf den 2. August befahl, in Sicilien amtlich verkündigte).^ Da dasselbe
schon früher bekannt geworden war, so waren bereits am 24. Mai
und 1. Juni Decrete erlassen worden, welche die Juden unter königlichen
Schutz stellten und jeden, der sie kränkte, mit ernsten Strafen bedrohten.
Dagegen wurde den Juden unter dem 9. Juni bei Leibes- und Vermö-
gensstrafe verboten, durch heimliche Flucht, Verkauf ihTor Habe, Ver-
bergung von Waaren sich den angeordneten Massregeln zu entziehen.
Sie sollten vorher ihre Schulden an den Staat wie an die Einzelnen
bezahleu, und zu diesem Behufe sollte ihre bewegliche Habe inventarisirt
und versiegelt werden. Die jüdischen Verträge über Eigenthumsrechte
mussten binnen 48 Stunden von den Notarien eingeliefert werden, christ-
liche Gläubiger binnen 14 Tagen ihre Forderungen, christliche Schuldner
binnen 6 Tagen das Verzeichniss ihrer gegebenen Pfandstücke, ihres
Schuldbetrags und deif jährlich zu entrichtenden Zinsen einreichen , die
Juden aber binnen 24 Stunden ihre liegenden Gründe angeben, und die Chri-
sten sich melden, welche dergleichen vom April 1492 an gekauft hatten.
Als Ablösungsgeld mussten die Jaden 100,000 Gulden zahlen, worauf sie
ihre versiegelte Habe zurückerhielten.* Edelsteine und edle Metalle durften
gar nicht ausgeführt, sondern mussten eingetauscht werden. Die liegende
1) LU Mantia: ^Storia€ etc. 1, 47 A. 2.
2) Vgl. Vinc. lAttara, 1. c. p. 52.
Die Juden Italiens im Mittelalter. 43
Habe konnten sie veräussern. Auch durften sie ihre Bücher und Scrip-
turen mitnehmen. Der Abzug wurde zur Abwicklung aller Geschäfte
auf den 18. December und später , gegen Zahlung von 5000 Gulden auf
den 12. Januar hinausgeschoben. Die Juden auf den Inseln Malta und
Gozzo hatten bezüglich der Bedingungen ihres Abzugs noch besondere
Bedingungen an den Vicekönig gestellt , die, wie es scheint , alle bewil-
ligt wurden. Die Abziehenden begaben sich grösstentheils nach Apulien,
Calabrien und Neapel und von dort nacl^ und nach in die türkischen
Länder (S. 525 ff.).
Werfen wir nun noch einen Blick auf einzelne Verhältnisse der Juden
in Sicilien und ihre Lage überhaupt,, so »übersteigt ihre Abgabenlast,«
wie Cassel in Hinsicht auf die Angaben bei Zunz sagt, »nur um ein
Geringes die der anderen Mitbürger.« Die besonderen Leistungen der
Juden waren nämlich: 1) das jährliche Kopfgeld oder die Gisia, welche
ursprünglich einen Agostaro = V^ Unze (20 Karat, 7^/2 Tari, 5/8 Scudo,
^/i3 eines sicilianischen Ducaten) betrug und sammt dem Namen ein
Erbe der arabischen Herrschaft war; 2) die Lieferung der Fahnen für die
königlichen Schlösser und der Standarten für die Galeeren; 3) die oben
genannte, von Kaiser Friedrich verordnete Leistung für den Inquisitor;
4) die mehrerwähnte Verpflichtung, persönlich oder auf ihre Kosten die
Reinigung der königlichen Schlösser und Castelle zu besorgen. An
einzelnen Orten gab es besondere Verpflichtungen, aus bestimmten Rech-
ten hergeleitet, die jedoch von keiner besonderen Bedeutung waren.
Dahin, gehört die oben erwähnte Cabella jocularia, die wohl nur für ein-
zelne Städte galt. Die bedeutendste dieser besonderen Verpflichtungen
war die tägliche Zahlung einer Unze für den königlichen Tisch durch die
Juden zu Syracus ; bis zum Jahre 1399 mussten sie auch dem Hofe jähr-
lich eine Quantität Wachs liefern. Von den Juden in Mazara bekam
der dortige Bischof jährlich an Ostern und Weihnachten je ein oder zwei
Pfund Pfeffer 1). Von dem Nacht wachedienst auf den Stadtwällen, die
Graf Nicolo Peralta den Juden Sciacca's auferlegt, kauften diese sich im
J. 1398 durch eine jährliche Abgabe von 12 Unzen los.
In Palermo wurden für eine jüdische Hochzeit vier Tari, bei der Ge-
burt eines Knaben ein Tari, eines Mädchens ein halber Tari gezahlt. In
Catania und Messina, verrauthlich auch an anderen Orten, war Wein und
Fleisch mit einer Abgabe belegt; hiervon war die Einnahme theils zur
Aufbringung der Kopfsteuer, tlieils aber auch für die Bedürfnisse der
Gemeinde selbst bestimmt. Die Einziehung der Abgaben besorgte ein
Beamter in Palermo. Wurde wegen verzögerter Zahlungen ein Jude in
Syracus verhaftet , so musste er täglich dem Gefangenwärter einen Sol
Grano zahlen (S. 502 ff.) Auch ward den Juden i. J. 1456 den Zehnte und die
Erstattung der Wucherzinsen für den Krieg gegen die Türken auferlegt 2).
»Von den städtischen Privilegien, den ertheilten Indulten waren die
Juden,« sagt Zunz ausdrücklich, »nie ausgeschlossen, und in der Hand-
habung des Rechts gab es keinen Unterschied; zwar konnte ein Jude
nicht gegen einen Christen zeugen, aber auch nicht umgekehrt ^). Die
1) PirruSj L c. 1, 964. — 2) Waddm</: »Annales minorum« ad a. 1496.
3) Die Ausnahme zu Palermo und unter Friedrich II. (IlL) s. ob. S, 34 u. 35.
44 Erler t Hiat'kriL Ueberaickt'd, nationalökon. u. aoc-pol, Literatur,
Jaden besassen Haaser, Äecker, Weinberge ; aber Christensclaven durften
sie nicht halten, and für einen gekauften heidnischen Knecht, der sich
taafen liess, -gab es nar' zwölf Soldi Entschädigung. Eigentliche Ghetti
. . . finden sich nicht vor dem 14.-Säcalani. Die verschiedenen Gemein-
den besassen verschiedene Privilegien, und eine Gleichförmigkeit wurde
erst in den letzten vierzig 'Jahren des A^ufenthaltes der Juden auf der
Insel angestrebt« (Zunz 504).
Von einer Ausschliessung der Juden von Gewerben hören wir nir-
gends. Selbst die medicinische Praxis übten sie bei den Christen aus.
Die kanonische Gesetzgebung bezüglich der Juden war zwar im Principe
anerkannt, aber in der Praxis oft genug nicht in Geltung. Wenn sie an
«iner Anzahl von Orten unter der Gerichtsbarkeit der Bischöfe standen,
so war dies, wie auch andere bezügliche Verhaltnisse, im ganzen Geiste
des Mittelalters begründet. Sicherlich war diese "Gerichtsbarkeit keine
härtere, als die weltlicher Beamten. Höchstens waren diese leichter zu-
gänglich für Geschenke.
Sehr richtig bemerkt Cassel, gerade mit Rücksicht auf Znnz: 9 Ein
richtiges Bild von dem Zustande der Juden im Mittelalter und beson-
ders in Italien ist nicht zu gewinnen, wenn man, persönlich gereizt, die
Eigenthümlichkeit jener mittelalterlichen Welt vergisst und die einzelnen
in grossen Zeit- und Raum Verschiedenheiten erscheinenden Gewaltthaten,
die eben von den Geistlichen allein berichtet , in den Schutzprivilegien
allein verboten sein können, als continuirend nebeneinander stellt«
Wenn auch in Sicilien gegen die Juden Gewaltthaten vorkämen, so sind
sie zwar nicht zu entschuldigen, »aber sie waren provocirt durch den
»Wucher« und die »Verbrechen« der Juden, von denen Giovanni in zwei
Capiteln handelt, die aber nach Zunz alle nur erdichtet sind. Nach ihm
war der Juden »Existenz ihr einziges wirklich erwiesenes Verbrechen«
(S. 494).
Was die Zahl der Juden auf Sicilien betrifft, so wird dieselbe im
15. Jahrhundert auf 100,000 Seelen geschätzt, die in c. 60 Orten wohn-
ten. Auf der Insel Malta lebten zur Zeit Kaiser Friedrich's II. 25 jü-
dische Familien (unter 47 christlichen und 681 saracenischen), auf Gozzo
(Gaudisium) 8 jüdische Familien (unter 203 christlichen nnd 155 moha-
medanischen) ^). Die Gemeinde zu Palermo, wo bereits im 6. Jahr-
hunderte eine beträchtliche Anzahl Juden mit mehreren schmuckreichen
Synagogen und dazu gehörigen Gärten und Hospitälern wohnten*), zählte
um's J. 1170 ungefähr 1500 Judenfamilien ^), war das Haupt aller jüdischen
Gemeinden in Sicilien und an Grösse und Relchthum die bedeutendste.
Man kann darauf schon schliessen aus der Nachricht, dass »bei den Fest-
lichkeiten, womit sie im Jahre 1469 die Vermählung Ferdinands von
Aragonien mit Isabella von Castilien feierte, man eine Schaar von 400
1) Winkelmann, p. 938. — 2) S. oben S. 11.
3) »Voyages de Rabbi Benjamin de Tudela,^ trad. par Baratier.
Amsterdam 1734, t. 1, p. 240. Benjamin war ein spanischer Jude, der — auf
einer wahren oder erdichteten Reise? — gegen 1170 Europa, Asieaund Africa
besuchte und seine Erfahrungen niederschrieb, unter der Anzahl der Juden, die er
angibt, scheint er Familienväter verstanden zu haben, wie auch Qrätz annimmt.
. Die Juden Italiens im Mittelalter, 45
Sängern und Tänzern bewanderte, die aus den aumuthigsten und kräf-
tigsten jüdischen Jünglingen bestand« (Zunz , S. 505). Im Jahre 1453
machten sie jedenfalls, nach ihrer eigenen oben erwähnten Beschwerde
wegen der Abgaben, den 10. Theil der Einwohnerschaft Palermo's aus;
ebenso in Marsala. In Messina wird die Zahl der Juden um 1170 auf
200 1) , im Jahre 1453 auf 180 Familien oder i/ss der Einwohner ange-
geben. In Catania wird die ZaM der jüdischen Familie^ im J. 1144
auf 25 angegeben *).
Die Verfassung der Gemeinden entsprach wesentlich den Einrich-
tungen der Juden in Aragonien, Catalonien und der Provence. An der
Spitze der einzelnen Gemeinden standen die Proti. in den grösseren Ge-
meinden zwölf an der Zahl, und wurden von vier durch die Gemeinde
gewäblten Geschworenen auf ein Jahr ernannt ; später wurde ein für alle
Juden "der Insel gemeinsames Obergericht eingesetzt, welches die Vor-
steher der einzelnen Gemeinden bestellte. Doch warde dieses Oberge-
richt auf die Klagen der Juden aufgehoben, und den Gemeinden ein
gewisses Mass der Selbstverwaltung gestattet. In wie weit damit eigene
Gerichtsbarkeit verbunden war, ist nicht bekannt.
Mit der Vertreibung der Juden hatte jedoch das Judenthum auf
Sicilien nicht aufgehört. Viele hatten sich nämlich taufen lassen,
waren aber heimlich wieder zum Judenthume zurückgekehrt. Sie muss-
ten zur Strafe, so verfügte der Inquisitor, ein grQnes Kleid mit rothem
Kreuze tragen. Ihre Zahl war zu Palermo eine sehr grosse (»quorum
ingens eo tempore Panormi erat multitudo«). Ein Fasteuprediger trat
im Jahre 1516 zu Palermo gegen diese heimlichen Juden — aus eigenem
oder auf Antrieb der Grossen (»proprio ingenio an procerum instinctu,
incertum«) — auf, und die Folge war, dass das erregte Volk nach ge-
endigter Predigt allen Juden , die ihm mit dem erwähnten Kleide auf-
stiessen, dasselbe wegriss und es zerfetzte, woran sich weiter ein Auf-
stand gegen den verhassten Statthalter Hugo Montecatinus anschloss^).
Erwähnt sei noch, dass die Juden, selbst nachdem Carl V. sie 1539
auch aus Neapel verbannt, als fremde Kaufleute Sicilien besuchen durf-
ten, bis Philipp II. im Jahre 1591 auch dies verbot, Carl n. erlaubte
im Jahre 1695 den Juden wieder , behufs ihrer Geschäfte nach Messina
zu kommen ; aber sie mussten ein Abzeichen tragen und während der
Nacht die Stadt verlassen. Am 9. October 1728 wurde ihnen erlaubt, in
jeder sicilianischen Stadt Handel zu treiben, in Messina zu wohnen, Sy-
nagogen zu errichten, Begräbnissplätze zu erwerben, ihre Religion zu
beobachten, als Aerzte zu prakticiren. Im Uebrigen fallen ihre Geschicke,
daselbst mit denen der Juden in Neapel zusammen.
Von den Juden des Königreichs Neapel — das bis 1442 unter dem
Hause Anjou (seit 1382 unter der ungarischen Linie desselben) stand,
und dann unter aragonischen Fürsten, von 1442—1458 wieder mit Sicilien
1) Benjamin de Tud. t, 1, p. 240.
2) AmaH: »Storia dei Musulmani di Sicilia,« t. 3, p. 209.
3) So der gleichzeitige Qeschichtschreiber Th. Fazetlo: »De rebus Sl-
culis,« II. Dec. 1. c. 1 bei Graevius, 1. c. t. 3, p. 689.
46 Erler, Hist-krit Ueberaickt d. nationälökon, u, soc-poL Literatur,
vereinigt, bis es 1501 mit Sicilieu Provinz der spanisclien Monarchie
ward — haben wir wenige Nachrichten. Ob die durch das oben er-
wähnte Decret Carl's IL vom J. 1289 verfugte Austreibung der Juden
wirklich stattgefunden , darüber fehlen weitere Angaben. Jedenfalls
finden sich die Juden später wieder in dem Königreiche. »Sie hatten
sich,«c sagt Giannone bezüglich des 13. und der folgenden Jahrhunderte,
»besonders in Calabrien so sehr ausgebreitet, dass sie in verschiedenen
Städten ganze Strassen bevölkerten, welchen man deswegen den Na-
men Giudecca, Judengasse, gab. Sie vermehrten sich nicht nur iif An-
sehung der Bevölkerung, sondern sie erlangten auch ausserordentliche
Reichthümeri).€ Ihr Treiben veranlasste die Königin Johanna am
3. Mai 1427, den hl. Johannes Capistranus zum Inquisitor der Juden
zu ernennen, weil si^, wie es in dem betreifenden Diplome heisst,
in vielen Punkten gegen die gesetzlichen Bestimmungen handelten und
insbes(^idere durch Wucher das Volk bedrängten 2). Auch legte ihnen
Johanna am 28. October 1429 eine besondere einmalige Steuer zur Be-
streitung der Kosten für die Wiedereroberung des hl. Grabes auf ^). Er-
wähnt sei femer, däss König Alphons am 2l5. Mai 1450 und ebenso
König Ferdinand L am 12. Mai 1467 der erzbischöflichen Kirche von
Cosenza die ihr schon von Kaiser Friedrich II. im Jahre 1212 über die
Juden daselbst verliehene Gerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfange be-
stätigten, und dass Ferdinand durch einen weiteren Erlass vom 27. März
1469 an alle Magistrate und Grossen des Königreichs den Erzbischof
von Cosenza und seine Vasallen im Besitze des dortigen Judenviertels
und anderer Territorien und Rechte zu schützen befahl*).
Einen anschaulichen Bericht von dem damaligen Treiben der Juden
gibt uns der gleichzeitige Geschichtschreiber Ambrosius Leo in einer
Geschichte seiner Vaterstadt Nola. Im Jahre 1440 seien die ersten Juden,
erzählt er, in geringer Zahl nach Nola gekommen, unter ihnen auch ein
Arzt Vilielmus in schäbigem ärmlichem Aufzuge. Ganz Nola sei darüber
in Aufregung gekommen. Nachdem diese so gleichsam Quartier gemacht,
seien allmälig mehrere gekommen, so dass sie zwanzig Häuser in Miethe
bewohnt hätten. Die zuerst Angekommenen ^seien binnen wenigen Jahren
durch Wucher sehr reich geworden; denn sie hätten gegen Kleidungs-
stücke aller Art, gegen Gefässe aus Erz , Zinn und Silber, gegen Ringe
und jedwelcüe Pretiosen als Unterpfand Geld auf Zins geliehen; der Zins
aber sei monatlich gewesen und habe, zum Capital geschlagen, dasselbe
in kurzer Zeit so vermehrt, dass die Forderung dem Werthe des Unter-
pfandes gleich kam und dieses dem Juden verfiel 5). Vilielmus habe als
der erste auch ein grosses Haus gekauft und dasselbe noch vergrössert
und verschönert ; ebenso habe er ein umfangreiches Grundstück erworben.
1) Giannone a. a. 0. Bd. 4, S. 94. Nach Benjamin de Tud. (t. 1, p. 29 sqq.)
zählte Capua c. 300, Neapel 500, Salerno 600, Amalfi 20, iBenevent 200, Melfi
200, Ascoli 40, Trani 200, Tarent 300, Brindisi 10, Otranto 500 Judenfamilien.
2) *Acta Sanctorum,* Octob. t. 10, p. 284, n. 56.
3) Giannone a. a. 0. S. 94. — 4) Ughelli L c. 9, 218. 240. 244.
5) »Foenus autem erat menstruum: velut pro sexagenis mutuatis num-
mis singulos cum seraisso expilabant,« also 120 ^JQ jährlich I
'^:.:
Die Juden Italiens im Mittelälter, 47
Beide seien später in den Besitz der vornehmen Familie der Cäsariner
übergegangen, als bei dem Einmärsche der Franzosen in das Land (1495)
alle Juden beraubt worden seien. Sie benzig Jahre hätten die Juden in
Nola gewohnt, bis sie im Jahre 1509 aus dem ganzen Königreiche aus-
gewiesen worden seien i).
Gegen dieses wucherische Treiben trat auch der selige Bernardinus
von Feltre während seiner Wirksamkeit im Neapolitanischen am Ende
des Jahres 1488 und am Anfange des folgenden Jahres auf. Als er zu
Aquila weilte und zur Eindämmung des Judenwuchers die Wiederherstellung
des in Vergessenheit gerathenen Mons pietatis (Leihhauses) bewirkte, schick-
ten die Juden , voll Unwillen über diese Beeinträchtigung ihrer Leihge-
schäfte, Abgesandte an ihn mit der Bitte, er möge, da der König durch
ihre Privilegien sie beschütze, nicht so heftig gegen sie auftreten und
ihre Zinsgeschäfte, die sie ja überall und gerade in den vornehmsten
Städten Italiens betrieben, nicht für so unerlaubt erachten. Als dies ver-
geblich war, gewannen sie den Vorsteher der Provinz durch viele Geschenke
fiii; sich und reizten ihn, sowie auch den Herzog von Calabrien, den
späteren König Älphons, Sohn König Ferdinand L, gegen den Heiligen
auf. Von Alphons erhielt er alsbald ein Schreiben, dass er vor
dem Könige in Neapel zu erscheinen habe , und von dem <}uardian zu
Neapel. wurde er gemahnt, dass der König wegen der Aufregung aller
Bürger gegen die Juden sehr über ihn erzürnt sei. Bernardinus antwortete,
er sei für die Sache Gottes und der Armen eingetreten und habe den
gottlosen Wucher verurtheilt; er wundere sich überaus, dass von katho-
lischen Fürsten das so verbrecherische, den Christen so feindselige, Gott
und den Menschen verhassto jüdische Volk durch soviele Gunstbezeugungen
und Privilegien in Schutz genommen werde; er werde jedoch er-
scheinen und sich über seine Thätigkeit verantworten, sobald er von
seinem Vorgesetzten die Erlaubniss erhalten habe, Aquila zu verlassen.
Man scheint ihn jedoch nicht weiter behelligt und die Forderung, dass
er vor dem Könige erscheine, fallen gelassen zu haben. In einer
weiteren Predigt verherrlichte Bernardinus den hl. J"ohannes Capistranus,
den unerbittlichen Gegner der Juden und Häretiker, welcher in der Nähe
jener Stadt geboren war.
Von Aquila begab er sich nach Theate (gewöhnlich Chieti genannt), '
wo er in seiner letzten Predigt ebenfalls gegen den Wucher der Juden
auftrat und die Errichtung eines Mons pietatis veranlasste. Zu Inte-
ramna sorgte er für' die Hebung des Mons pietatis. Auch in einigen
naheliegenden Städten des Kirchenstaates veranlasste er bei dieser Reise
die Errichtung der Montes. Weiter kam Bernardinus nicht im Neapoli-
tanischen, da er abberufen wurde, um in Siena die Fastenpredigten zu
halten. Als er aber im August des Jahres 1489 zu Reggio im Modene-
sischen war, und die Herzogin Eleonora von Perrara, eine Tochter des
Königs Ferdinand von Neapel, mit ihren Kindern ihn besuchte, ermahnte
er sie, ihrem Bruder^ dem Herzog Alphons von Calabrien zu schreiben,
1) Amhr, Leo: »Antiquitatum necnon Historiarum urbis et agri Nolae
libri III,« 1. 3, c.-4, bei Graevius: »Thesaurus antiquitat^m et historiarum
Italiae.« Lugd. Bat. 1704 sqq. t. 9, p. 4.
48 Erler, Hist-krit Uebersicht d. tuttionatökon. U. aoc.-pöt Literatur.
er solle sich vor der Unterdrückung der Armen, der Begünstigung der Juden
und ungerechten Kriegen hüten, widrigenfalls er gemäss der Weissagung
des Jacob von Picenum aus seinem Reiche werde vertrieben werden, was
in der That auch in Erfüllung ging^).
Die Könige Ferdinand I. (1458-1494) und Alphons IL (Januar
1494 bis Januar 1495) waren beide sowohl wegen ihrer Grausamkeit dem
Volke verhasst, als auch Freunde der Juden. »Beide ,€ sagt Joseph ha
Cohen, »hatten sich gegen die Juden gnädig erwiesen, und viele von den
Juden, welche aus Spanien vertrieben worden waren, hatten sich dorthin
(nach Neapel) begeben und in den Städten ihres Beiches sehr vermehrt^).«
In der That, Ferdinand I , »mag es nun aus Berechnung oder aus Edel-
muth geschehen sein, hiess sie willkommen und öffnete ihnen sein Land.
Viele Tausende landeten im Hafen von Neapel (1492) und wurden gut aufge-
nommen').« Unter diesen Flüchtlingen befand sich auch der von den Juden
vielgenannte Isaak Abrabanel , der bereits in Portugal Finanzagent und
Schatzmeister der Könige Alphons V. und Johann IL gewesen, dann,
der Theilnahme an einer Verschwörung beschuldigt, mit Verlust seines
ganzen Vermögens nach Spanien geflüchtet war (1483), wo er alsbald
wieder das Amt eines königlichen Steuerpächters (1484—1492) erlangte
und sich, wie er selbst erzählt, Reichthümer erwarb, Grundbesitz an-
kaufte und von Seiten des Hofes und der ersten Granden hohe Ehren
g'enoss. Auch in Neapel ward er von dem Könige Ferdinand bald in^
seine Dienste, »wahrscheinlich im Finanzfache,« gezogen und »erwarb
sich Namen und Vermögen und hatte Freude und Ueberfluss an Allem.«
Auch Alphons IL behielt Abrabanel in seinem Dienste und nahm ihn
nach seiner Abdankung und Flucht vor Carl VIII. von Frankreich
mit nach Sicilien. Nach Alphons Tode^) begab er sich nach Corfu,
1) Wadding: »Annales« ad a. 1489 in: Act Sanct Sept. t. 7, 848 sqq.
n. 827 sqq.
2) »Emek habacha,« hsg. v. Wiener, Leipz. 1858, S. 78.
3) Qrätz, 8, 348.
4) An Alphons hat sich die oben erwähnte Weissagung des Jacobus
Picenus wörtlich erfüllt. Volk 'und Adel sahen ihn als einen grausamen und
tyrannischen Menschen an und begrüssten die herannahenden Franzosen als
ihre Befreier. Alphons aber Hess, wie Giannone erzählt, »alle Hoffnung
sinken . . . Seine Verzweifelung brachte ihn zu dem Entschlüsse^ das Beich zu
verlassen.« Er dankte zu Gunsten seines Sohnes Ferdinand^s H. ab , »in der
Hofbung, es würden seine Unterthanen nach der Herrschaft der Franzosen kein
so grosses Verlangen mehr tragen, wenn durch seine Abtretung die Quelle ihres
ungemessenen Hasses verstopft würde.« Allein m war zu spät. »Er verflel
in eine so ausserordentliche Furcht, dass es ihm schien, als schriee alles zu- '
sammen : Frankreich ! Frankreich ! Er entschloss sich also schnell von Neapel
abzureisen und sich nach Sicilien zu begeben.« Nicht einmal seinem Bruder
und seinem Sohne sprach er davon. »Bei seiner Abreise selbst zeigte er noch
so viele Furcht, dass es ihm schien, als ob er schon von Franzosen umgeben
wäre. Er floh nach Mazara in Sicilien,« wo er bereits im November desselben
Jahres nach strenger Busse starb. Sein Sohn Ferdinand II. musste alsbald
nach Ischia fliehen. Er gewann zwar im Juli desselben Jahres sein Beich
Die Juden Italiens im Mittelalter, 49
dann nach Monopoli in Apulien nnd endlich nach Venedig , wo er zur
Vennittelung eines Streites zwischen der Republik und Portugal, sowie
in anderen politischen Fragen thätig gewesen sein soll und im J. 1509
starb 1). Auch hatte König Ferdinand I. einen jüdischen Leibarzt, den
er sogar in den Adelstand erhob ^J.
Bei der Eroberung Neapels durch Carl VIII. von Frankreich in den
Jahren 1495 und 1496 und ebenso bei der zweiten Besetzung Neapels
durch die Spanier und Franzosen und dem in der Folge zwischen beiden
ausgebrochenen Kriege von 1500—1504 kamen die Juden in arges Ge-
dränge, Sie wurden theils von den Soldaten, theils von dem Volke ge-
plündert ^). Viele flohen; andere nahmen die Taufe an., kehrten aber,
sobald (Jie Gefahr vorüber war, wieder zum Judenthume zurück. Sie
scheinen sogar an dem, wie Grätz ihn nennt, »heldenmüthigen, liebens-
würdigen und verschwenderischen« spanischen Grosscapitän Gongalo de
Cordova, dem Eroberer und Vicekönig Neapels, einen Beschützer ge-
funden zu haben. Denn »als König Ferdinand (der Katholische) nach
Eroberung des Königreichs Neapel (1504) befohlen hatte, die Juden von
hier ebenso wie aus Spanien ,zu verweisen , hintertrieb es der Grosscapi-
tän mit der Bemerkung : dass sich im Ganzen nur wenig Juden im Nea-
politanischen befänden ,' indem die meisten der Eingewanderten entweder
wieder ausgewandert oder zum Christenthume übergetreten wären^ Die
Ausweisung dieser wenigen würde dem Lande nur zum Nachtheil ge-
reichen, weil sie nach Venedig übersiedeln und ihren Gewerbfleiss und
ihre Reichthümer dortbin tragen würden.« Gon9alo hatte auch (von
1505—1507) einen: jüdischen Leibarzt , den Leon Medigo , einen Sohn
Abrabanels. Gon9alo wurde jedoch im Jahre 1507 in ungnädiger Weise
seiner Stelle enthoben 4).
Im Jahre 1509 wollte König Ferdinand hauptsächlich der verkappten
Juden wegen die Inquisition in Neapel einführen. Er stand zwar wegen
der allgemeinen Aufregung des Volkes gegen dieses Staatsinstitat , an
wieder, starb jedoch schon im Jahre 1496 ; dessen Sohn Friedrich IIL wurde im
Jahre 1501 von den Franzosen und Spaniern entthront und starbnh Frankreich
im J. 1504. Sein Geschlecht war eben so unglücklich. Es erlosch ira.J. 1550.
{Giannone, 3, 625 ff.).
1) Grätz, 8, 316. 349; 9, 6. Kayserling: »GesAi. d. Juden in Portu-
gal,« Lpz. 1867, S. 72. 100.
2) Grätz, 8, 237.
3) Es scheint unter dem Volke eben eine grosse Erbitterung, gegen die
Juden geherrscht zu haben. Als Carl VIIL nach Neapel kam und Ferdinand IL
vor ihm floh, »gab man,« wie Joseph ha Cohen berichtet, »die dort in grosser
Anzahl befindlichen Juden der Plünderung Preis , so dass Israel in jener ver-
hängnissvollen Zeit sehr herunterkam.« A. a. 0. S. 74.
4) Grätz, 9, 3 ff. — Depping : »Les Juifs dans le moyen äge.« Par.
1845, p. 487 f. In der Familie dieses Gonpalo scheinen überhaupt jüdische
Sympathieen und vielleicht auch jüdisches Blut vorhanden gewesen zu sein.
Wenigstens trat ein Nachkomme desselben, Alonso de Herrera (geb. um 1570,
gest. 1631), der als Kriegsgefangener nach England kam und bei seiner Frei-
lassung nach Amsterdam ging, daselbst zum Judenthuihe über {Grätz, 9, 494),
Archiv für Kircbenrecht. XLVIU. 4
50 Erler, Hist.-krit V eher sieht d, nationalökon. u. soc-poL Liter aiuf^
welcher die Juden nicht geringen Antheil hatten, davon ah, übersandte
jedoch zugleich mit dem Schreiben, worin er dies dem Vicekönige knnd-
that, ein Decret, durch welches alle Juden und alle Neophiten (Neubekehrte),
welche von Juden abstammten, aus dem Königreiche verwiesen wurden.
Als diese Nachrichten dem Volke mitgetheilt wurden, erhob sich allge-
meine Freude 1). Ob diese Ausweisung allgemein durchgeführt wurde,
scheint fraglich; jeden&Us kehrten nach Fenlinands Tod (1516) nicht
wenige wieder zurück, bis sie von Carl V. im Jahre 1540 definitiv aus
dem Königreiche ausgewiesen wurden. Der liberale Giannono berichtet
über ihr Treiben in jener Zeit n^h gleichzeitigen Geschichtschreibern
folgendermassen : »Die Juden kamen das zweite Mal im Jahre 1492 zu
uns, als sie Ferdinand der Katholische aus Spanien vertrieben hatte.
Diese neuen Ankömmlinge vermischten sich mit der ersten Brut dieses
Geschlechtes; hierdurch wurden die Judenstrassen , die sie bewohnten,
noch mehr bevölkert; sie vervielfältigten sich erstaunlich und zogen die
grössten Beichthümer an sich; sie trieben ihr gewohntes Geschäft, sie
kauften and verkauften Kleider und andere alte Waaren und zogen dar-
aus ihren Nutzen; vornehmlich aber machten sie Geldanlehnungen um
die allersohwersten Zinsen. Auf der einen Seite dienten sie zu einer
grossen Bequemlichkeit, auf der anderen aber waren die Zinsen, welche
diejenigen, welche mit ihnen zu schaffen hatten, erlegen mussten, uner-
träglich. Gregorius Bosse erzählt, dass die Monate über, als sich der
Kaiser in Neapel aufgehalten hatte (vom 25. November 15B5 bis 22. März
1536), viele Bürger und besonders viele Vornehme und Edele verarmten,
weil sie, um bei dieser Gelegenheit Staat zu machen, den Juden fast all
ihr Silber und ihre Kostbarkeiten verpfändeten, welche daraus die alier-
schwersten Zinsen zogen und noch mehr würden gewonnen haben, wenn
sich der Kaiser noch länger in Neapel würde aufgehalten haben. Ob sie
nun wohl Ferdinand der Katholische aus Spanien verjagt hatte, so dul-
dete sie doch Kaiser Carl V. im Beiche; nur verordnete er, dass sie,
damit sie nicht mit andern Einwohnern sich vermischten, alle in einer
Strasse wohnen, und sowohl Männer als Weiber ein besonderes Kenn-
zeichen am Halse tragen sollten. Nachdem aber zur Zeit des Vice-
königs Pedro von Toledo ihr Wucher noch mehr gestiegen, und die
ganze Stadt voll von Beschwerden wider die Erpressungen dieser Leute
war ; so hielt der Vicekönig für rathsam , dem Kaiser davon Nach-
richt zu geben , von welchem er auch den Befehl erhielt , sie zu ver-
jagen. Er Hess zu dem Ende im Jahre 1540 öffentlich bekannt machen,
dass alle Juden sich aus Neapel und aus dem ganzen Königreiche ent-
fernen sollten. Sie zogen endlich davon und der grösste Theil begab
sich nach Born und in andere Gegenden?).« Ein Gesuch um die Erlaub-
1) TrisL Caraccioli: /»De inquisitione epistola« bei MuratoH, Script,
t. 22, c. 97 sqq.; Zurita: Anal, de Aragon, 6, 9, 26 bei Depping, p. 489.
Giannone meldet nichts von dieser Ausweisung, sondern nur von einer Prag-
matica de Judaeis (4, 103); allein nach der bestimmten Angabe des gleich-
zeitigen Caraccioli und des Zurita. sowie nach dem obigen Berichte des Ambr.
Leo über Nola ist daran nicht zu zweifeln.
2) öianno7i€, 4,. 94 f.
Die Juden Italiens im Mittelalter, 51
uiss zur Rückkehr .wurde Dicht bewilligt. Doch blieben eine Anzahl von
Familien jüdischer Abkunft zurück, welche in ihrem geschäftlichen Ge-
baren das jüdische Wesen nicht verläugneten, bezüglich der bürgerlichen
Pflichten und Lasten jedoch keine Ausnahme machten ^).
Zweihundert Jahre später gestattete König Carl III. durch ein Edict
vom 3. Februar 1740 den Juden aller Orten sich im ganzen Reiche auf
50 Jahre niederzulassen, mit folgenden ausserordentlichen Privilegien:
Sie sollten ohne Entrichtung von Zöllen Handel zu Wasser und zu Land
treiben können. Zur Entscheidung über wichtige Fälle wurde ihnen ein
besonderes Judengericht gesetzt, und sollten sie keiner anderen Behörde
unterworfen sein* übrigens aber im Handelsrechte allen Neapolitanischen
Kaufleuten gleichstehen. Es ward ihnen ferner gestattet, eigene Rab-
biner zur Leitung der inneren Angelegenheiten einzusetzen, Synagogen
zu bauen, Handwerke jeder Art auszuüben, Grundstücke mit Ausnahme
solcher, die Lehngüter oder mit Jurisdiction verbunden seien, zu erwer-
ben, türkische Sclaven zu halten, christliche Ammen nach eingeholter
Erlaubniss zu nehmen, christliche männliche Dienstboten Ciber 25 Jahre
alt und weibliche über 35 Jahre alt zu miethen, die Arzneikünd6 unter
sich ohne Einschränkung und bei Christen unter Aufsicht eines christ-
lichen Arztes auszuüben, Waffen zu tragen. Den Rabbinern zu Neapel
ward das Recht in Civil- und Criminalsachen zu erkennen und den Bann
zu verfügen eingeräumt, sowie das jüdische Recht hinsichtlich der Mit-
gift, der Testamente, der Erbfolge, der Buchführung, des Kalenders an-
erkannt. Gerichtsgebühren sollten sie landesüblich zahlen , alle in ihren
Angelegenheiten erlassenen Ordonnanzen unentgeltlich haben, bei vor-
fallenden Bankerotten das fremde Gut bergen dürfen, von jeder Einquar-
tierung und Lieferung zum Heere frei sein, Kennzeichen nicht zu tragen
haben. Den Christen ward jede Beleidigung der Juden und Proselyten-
machen bei deren Kindern streng untersagt. Auf Blutsvermischung
zwischen Juden und Christen wurden Geldstrafen gesetzt. In streitigen
Fällen sollton alle diese Privilegien im besten Sinne ausgelegt werden.
Nach Verlauf der fünfzig Jahre sollten die Juden im Falle der Kündigung
eine fünfjährige Frist zum Abzüge erhalten ; im anderen Falle aber soll-
ten die Privilegien auf weitere fünfzig Jahre geltdii. Dieses Edict ^ er-
regte grossen Unwillen unter dem Volke. Die Juden kamen zwar von
allen Seiten herbei, zogen sich aber aus Furcht vor der allgemeinen Er-
regung bald wieder zurück. Das Edict wurde am 13. September 1740
widerrufen. Es blieben nur wenige und fast nur arme Juden in Neapel,
einige abgerechnet, die unter der Maske des Christenthums ungekannt
ihren Handel daselbst fortsetzten ^). Seitdem durften bis in die neuere
Zeit Juden nicht mehr im Königreiche wohnen.
1) »Neapoli a Petro e Toleto 1540 ejecti sunt ; iterum cum accedere ten-
tassent, non fuit permissum. Reliquae tarnen aliquot familiae sunt, quae a
Judaeis originem ducunt et quae in negotiis peragendis Judaismum sapiunt nee
in rebus publicis onera subire et petere verentur.« Capacius: »Antiquitates
et hLstoriae Neapolitanae,« bei Graevius: »Thesaurus antiq. et bist. Ital.«
t. 9, pars 2, pg. 58.
2) Joatj 9, 18 ff. — Die »Beriinische Nachrichten« von 1740, N. 41 be-
4*
52 Erler, Hist-krit, Üebersicht d, nationalökon. u. aoc-poL tdteratur,
Anf der Insel Sardinien finden sich die Jnden schon sehr frühe.
Wenn sie bereits zur Zeit des Jesaias (im 8. Jahrh. vor Chr.) mit Italien
und Spanien Verbindangen oder gar schon Niederlassungen daselbst
hatten, so mag auch die Behauptang des sardinischen Geschichtschrei-
bers Salvafor Vitalis (zu Anfang des 17. Jahrh.) richtig sein, dass sie
damals schon auf Sardinien lebten, wenn auch seine Beweisführung der
Grundlage entbehrt ^). Gewiss ist, dass durch Decrete des Augustus ver-
boten wurde, die Juden auf Sardinien an der Sendung von Geschenken
und Geldern für den Tempel nach Jerusalem zu hindern^), sowie dass
Tiberius im Jahre 19 nach Chr. 4000 wafPenfähige Juden aus Eom nach
Sardinien verbannte ^). Auch Gregor d. Gr. richfete. wie oben erwähnt,
in BetreflF der Juden einige Briefe nach Sardinien. Im Mittelalter befand
sich Sardinien unter der Herrschaft der Vandalen, Griechen, Saracenen
(seit 720), Pisaner im Kampfe mit den Genuesen (seit 1022) — eine kurze
Zeit nannte sich auch Enzio, ein Sohn Friedrichs IL, König von Sar-
dinien (1238-^1249) — dann der Konige von Aragonien (seit 1324), bis
sie 1713 an Oesterreich und. 1720 an Savoyen kam, und theilten da die
Jnden wohl im allgemeinen die rechtliche Lage und die Schicksale ihrer
Stammgenossen in den betreffenden Ländern. Factisch scheinen sie , wie
sehr zahlreich , so auch sehr einflussreich auf Sardinien gewesen zu sein.
Der genannte Geschichtschreiber berichtet, dass das schlaue und ver-
schlagene Volk (»sagax versutaque natio«) in vielen Städten und Gegen-
den, vorzugsweise aber in den furchtbarsten Gegenden ansässig gewesen
sei (»pinguioribus regionibus renibus posita est«), die besten Ländereien
besessen habe (»meliorem possedit agrum,« wobei er die Worte des alten
Philo citirt: »Omnes urbes, quae bonum agrum habent, a Judaeis in-
coluntur«) und namentlich in Stadt und Gegend von Sanctus Petrus de
Paradiso (San Pietro) sehr reich und mächtig gewesen sei (»Erat enim ibi
ditissimus et potentissimus Judaismus»)*). Die Juden Sardiniens wur-
den, wie die Spaniens und Siciliens, ebenfalls im J. 1492 verbannt 5).
Daher erwähnt Vitalis ihrer auch nur als solcher, die früher auf Sar-
dinien gewohnt.
richteten als etwas ^Merkwürdiges, dass vier von den in Neapel angekommenen
Juden reiche Leute seien, Degen trugen und von Bedienten begleitet ausgingen
{Zünz a. a. 0. S. 533). Jost berichtet im 10. im J. 1847 erschienenen Bande,
2. Abth. S. 288. . »Im Königreiche beider Sicilien dürfen gesetzlich keine Is-
raeliten wohnen. Doch will mau wissen, dass gegen 2000 zerstreut sich in
diesem Reiche aufhalten, ohne gerade verfolgt zu werden, aber ohne Rechte.
Das Haus Rothschild ist in Neapel begünstigt, und mehrere Glieder desselben
decorirt und in Würden eingesetzt.«
1) »Annales Sardiniae,« bei Graevius: »Thesaurus antiq. et bist. Si-
ciliae, Sardiniae« etc., Lugd. Bat. 1723 sqq. t. 15, p. 89 sq.
2)'Ftaviu8 Joaephus: »Antiquit.« 16, 10; 18, 12.
3) Tacitus: »Annales« 2, 85; s. oben Bd. 42, S. 57.
4) »AnnaL Sard.* 1. c. p. 208 sq.
5) Gazana: »Storia della Sardcgna,« 2, 151, bei Cassel S. 147.'
(Portsetzung folgt.)
53
ir.
Die bürgerliche Todeserldärung behufs Wiederverehelichung
und die l(irchenrechtliche Doctrin hierüber.
Von Dr. Theodor Kohn, Weltpriester der Erzdiöcese Olmütz.
Ans Anlass des Bingtheaterbrandes in Wien am 8, December
1881 wurde die k. k. Regierung aufgefordert, eine Gesetzesvorlage
im Beicbsrathe einzubringen , die die bisherige in den §§. 24, 112,
113, 114, 277 und 278 des a. b. G. B. vorgezeichneto Procedur
regeln und zum rascheren Ende führen sollte. Ohne über die Zweck-
mässigkeit des projectirten Gesetzes ein ürtheil abgeben zu wollen,
bemerken wir, dass Stimmen auf katholischer Seite laut wurden, die
die Begierungsvorlage, insbesondere jene §§. derselben, die über die
beizubringenden Beweise des erfolgten Todes des einen Ehegatten
handeln, vom kirchenrechtlichen Standpunkte aus als nicht annehm-
bar bezeichneten.
Wir wollen nun die diesbezügliche kircherirechtliche Doctrin
in chronologischer Ordnung und zum Schlüsse eine den Gegenstand
vollkommen erschöpfende Instruction der Inquisition aus unseren
Tagen mittheileuv
Die Kirche war zu allen Zeiten ängstlich bemüht, das einmal
geschlossene Eheband unter allen umständen au&echt zu erhalten.
Mochte die Civilgesetzgebung bezüglich der Abwesenheit des einen
Ehegatten was immer stipulirt haben : für die Kirche reichte eine
blosse Abwesenheit^ wenn sie noch so lange dauerte, nie hin ^).
Hiefür kann man die ältesten Schriftsteller der Kirche an-
führen. So schrieb z..B. der hl. Basüius an Ämphilochium : »Quae
cum vir secessit et non apparet, antequam de ejus morte certior
facta Sit, cum alio cohabitavit, moechatur.« Und an einer anderen
Stelle: »Militum uxores, quae cum mariti ipsarum non appa^eant,
nupserunt, eidem rationi subjiciuntur, cui eae, quae propter marito-
mm peregrinationem ac absentiam reditu non exspectato nupserint %
Nur die verbürgte Kunde von dem Tode des verschollenen Ehe-
1) Van Espen, Jus eccles.' univ. tars II. Tit. XV. cap. III. n. 5
Sanchez, de s. matrimonii Sacramento lib. IL Disp. XLL n. 1; Giraldi,
Expos, jur pontif. P. I. Tom. IL Tit. XVII. pg, 538.
2) 8. Basilii epistola canonica ad Amphilocbian) can. 31 und 36.
54 Kohriy Die hürgerl, Todeserklärung behufs Wiederverehelichang.
gatten galt für die Kirche als genügender Grund, dem anderen Ehe-
theile die Erlaubniss zur Wieder verehelichung zu ertheilen.
Als an den Papst Clemens III. von einigen Frauen, deren
Männer in Gefangenschaft geriethen und seit vielen Jahren nicht
zurückkehrten, das Begehren gestellt wurde, ihnen zu erlauben, sich
zu verehelichen, obschon nach sorgfältigster Nachforschung der er-
folgte Tod der abwesenden Gatten nicht constatirt werden konnte,
da antwortete der Papst: »Quod quantocunque annorura spatio ita
remaneant viventibus vrris suis, non possunt ad aliorum consortiura
canonice convolare , nee auctoritate ecclesiae permittas contrahere,
donec certum nuntium recipiaut de morte virorum.c Cap. 19. de
sponsalibus.
Und der Papst Lucius IIL bestimmt im Allgemeinen für die
Gläubigen, die in die -Gefangenschaft der Saracenen geriethen: »üt
nullus ex vobis amodo ad secundas nuptias migrare praesumat, donec
ei firma certitudine constet, quod ab hac vita migraverit conjux ejus.«
Cap. 2. de secundis nuptiis.
Diese Bestimmung des Decretalen-Rechtes ging in die Parti*-
culargesetzgebung über. So verordnet z. B. die Diöcesan-Synode
von Mecheln: »Cum ex longa conjugis absentia non resultet certi-
tudo de ejus obitu et mors non praesuraatur, sed probanda sit —
quilibet enim vivere praesumitur — ad secundas nuptias convolare
desiderans, raatrimonio non jungatur, nisi habita prius legitima cer-
titudine de morte prioris conjugis, etiamsi non septem tantum, ut
multis persuasum est, sed etiam viginti, triginta et plures annos
continuos eum abfuisse constiterit ^).«
Es fragt sich nun, wie muss die Kunde beschaffen sein, um
den kirchlichen Richter zu bestimmen, dem übrig gebliebenen Ehe-
gatten die Erlaubniss zur Wiederverehelichung zu gewähren?
Diese Frage wurde von den Canonisten der älteren Schule viel-
fach erörtert. Der gelehrte Streit drehte sich zumeist um folgende
drei Punkte:
a) ob die. Kunde über den erfolgten Tod über jeden Zweifel
erhaben sein muss — omnimoda certitudo mortis — ;
b) ob die Aussage eines Zeugen hinreichend ist — dictum
unius tesfis — ;
c) ob das blosse Gerücht genügt — an sufficiat fama.
Was den ersten Punkt betrifft, so war die Mehrzahl der Ca-
nonisten dafür, dass das in den oben angeführten Decretaleu cap. 19.
1) Synodns Dioec. Mechlin. anni 1609. Tit. IX. cap. X.
Kohn, Die bürgert. Todeserklärung behufs Wiederv er ehelichung. 55
de Sponsalibus und cap. 2. de secundis nuptiis vorlangte certum
nuntiura, iirma certitudo nichts anderes als die certitudo moralis
bedeute. Zur Bestätigung des Gesagten führen wir nachstehende
Auetoren an : Ärmilla verb. matrimouinm n. 45 ; Mascard, de prob,
conclus. 1074. n. 5 ; D. Antonius 3. part. t. l. c. 9 ; Bartholomaeus
a Ledesma de matriraonio dub. 56. conc. 9;- Sotus. 4. d. 37. q. a.
5. vers. de hac certitudine; Manud. I. Tom. Sum. 2. edit. c. 233. n. 2.
Bezuglich des zweiten Punktes fehlte es nicht an solchen
Casuisten, die die Aussage auch eines Zeugen, falls er eine in jeder
Hinsicht glaubenswürdige Person war, als ausreichend zur Erlaubniss,
sich wiederzuverehelichen, erklärten. Wir erwähnen unter Anderen
den Äbbas d^ c. In praesentia. n. 6 ; Ängdus Matrimonium imped.
13. n. 4; Veracrmz I. P. Spec. a. 41. conclus. 1.
Doch die ansehnlicheren Canonisten der älteren Schule wollten
die Aussagen eines Zeugen im Allgemeinen nicht als genügend an-
sehen, sondern nur dann, wenn der Ort, wo der eine Ehetheil ge-
storben zu sein vermuthet wurde, derartig weit war, dass es unmög-
lich war, andere Beweisgründe beizubringen. Dies ist die Ansicht
von Sanchez in dem oben citirten Werke de s. matrimonii Sacra-
mento lib. 11. Disput. XLI. n. 12, wo er ^ich auf eine ganze Reihe
von Casuisten beruft.
Auch über den dritten Punkt waren die Ansichten sehr ge-
theilt. Die besten und gewiegtesten Canonisten erklärten, dass das
blosse Gerücht nicht ausreiche, wenn nicht andere adminicula vor-
handen sind. So die Glossa c. Quoniam frequenter, verb. praesumat,
ut Ute non contest; Nßvarm Sum. c. 22. n. 53; D. Antoninus 3.
P. t. 1. c. 9. in fine; Sotus 4. d. 37. q. a. 5. verb. Inprimis.
üeberhaupt musste die fama nach Sanchez also beschaffen sein :
a) Ut duplici teste probetur: id enim generale est, ut non
minus quam duo testes pleno probent — n. 16. — ;
b) ut testes sint omni exceptione majores deponantque, se au-
divisse a fide dignis;
c) ut concurrat causa rationabilis , ex qua fama orta est e. g.
ut si is de cujus morte agitur, mare navigaverit, subortaque tem-
pestate exspectatus tempore congruo et per loca verisimiiia quaesitus,
non comparuerit, nee uavis, qua vehebatur;
d) ut testes deponant se audisse publice a majori populi parte
nee sat erit deponere publice audiisse;
e) conditio est, ut deponant testes a quibus personis fama or*
tum habuerit et a quibus ipsi audierint ^).
1) Sanchez, Matrimoniam Üb. IL Disput. XLI. n. 6. pag. 197.
56 Kohn, Die bürgerL Todeserklärung hehufa Wiederverehelichimg,
Dies ist die kirchenrechtliche Doctrin der älteren Schule über
die eingangs aufgestellte These.
Welche Modificationen dieselbe im Laufe der . Zeiten erfahren
und welche kirchlichen Normen heutigen Tages zu^ Recht bestehen,
möge man aus den im Archiv Bd. 12. S. 37 ff., Bd 13. S. 214 ff. 223 ff.
vom sei. Canonicus Df: Dvormh und ebds. Bd. 27. S. 111 ff. von
Schönhavs dargestellten Bechtsfällen , insbesondere aber aus der im
Archiv Bd. 22. S. 186. Note 4. mitgetheilten Instructio vom 12. Juni
1822 entnehmen, und aus der neuerlichen umständlicheren, von den
Acta s. Sedis Bd. 6. p. 476 sqq. mitgetheilten, folgenden Instructio
Inquisitiqnis ad probandum obitum alicujus conjugis.
Matrimonii vinculo duos tantummodo, Christo ita docente, co-
pulari et conjungi po3se : alterutro vero conjuge vita functo, öecundas
imo et ulteriores nuptias licitäs esse, dogmatica Ecclesiae catholicae
doctrina est.
Verum ad secundas et ulteriores nuptias quod attinet, cum de
re agatur, quae difficultatibus ac fraudibus haud raro est obnoxia,
hinc s. Sedes sedulo curavit modo Constitutionibus generalibus, sae-
pius aytem responsis in casibus particularibus datis, ut libertas, no-
vas nuptias ineundi ita cuique salva esset, ut praedicta matrimonii
unitas in 'discrimen non adduceretur.
Inde constituta s. Canonum, quibus, ut quis possit licite ad~
alia Vota transire, exigitur, quod de morte conjugis certo constet,
uti cap. Dominus, de secundis nuptiis, vel quod de ipsamorte reci-
piatur certum nuntium, uti in cp. In praesentia, de sponsalibus et
matrimoniis. Inde etiam ea, quae explanatius traduntur in Instruc-
tione »Cum alias« 21. Augusti 1670 a demente X. sancita et in
BuUario Romano inserta, super examine testium pro matrimoniis
contrahendis in Curia Eminentissimi Vicarii ürbis et caeterorum
Or^iinariorum. Maxime vero, quae propius ad rem facientia ibi ha-
bentur n. 11 et 12.
Et haec quidem abunde sufficerent si in ejusmodi causis pera-
gendis omnimoda et absoluta certitudo de alterius conjugis obitu
haberi semper posset; sed cum id non sinant casuum propemodum
infinitae vices (quod sapienter animadversum est in laudata Instruc-
tione his verbis : Si tamen hujusmodi testimonia haberi non possunt,
s. Cong. non intendit excludere alias probationes, quae de jure com-
muni possunt admitti, dummodo legitimae sint et sufficientes) sequi-
tur, quod stantibus licet principiis generalibus praestitutis, haud raro
casus eveniunt, in quibus ecclesiasticorum praesidum judicia haerere
solent in vera justaque probatione dignoscenda ac statuenda; imo
Kohn, Die bürgerl. Todeserklärung behufs Wiederverehelichung. 57
pro summa illa facilitate) quae aetate nostra facta est remotissimas
quasque regioiies adeuDdi, in omnes fere orbis partes homines deva-
gentur, ejusmodi casuum multitudo adeo succrevit, ut frequentissimi
hac de re ad Supreraam hanc Coagregationem habeantur recursiis,
non sine porro partium incoramodo, quibus inter informationes
atque instructiones , quas pro re nata, ut aiunt, peti mittique ne-
cesse est, plurimum defluit temporis, quin possint ad optata vota
con volare.
Quapropter s. eadem Congregatio hujusmodi necessitatibus oc-
currere percupiens simulque perpendens in dissitis praesertim missio-
num locis, ecclesiasticos praesides opportunis destitui subsidiis, quibus
ex gravibus difficultatibus extricare se valeant, ere esse censuit,
uberiorem edere Instructionem , in qua iis, quae jam tradita sunt,
nuUo pacto abrogatis, regulae iudigitentur, quas in ejusmodi casibus
haee ipsa s. Cougregatio sequi solet , ut illarura ope vel absque ne-
cessitate recursus ad s. Sedem possint judicia ferri, vel certe, si re-
currendum sit, status quaestionis ita dilucide exponatur, ut impediri
longiori mora sententia non debeat. Itaque
1. Cum, de conjugis morte quaestio instituitur, notandum
primo loco, quod argumentum a sola ipsius absentia quantacunque
(licet a legibus civilibus fere ubique admittatur) a s. canonibus mi-
nime sufficiens ad justam probationem habetur. Unde s. m. Pius VI.
ad Archiepiscopum Pragensem die 11. Julii 1789 rescripsit, solam
conjugis absentiam atque omnimodum ejusdem silentium satis argu-
mentum non esse ad mortem comprobandam , ne tum quidem , cum
edicto regio conjux absens evocatus (idemque porro dicendum est, si
per publicas epberaerides id factum sft) nuUum suimet Judicium
dederit. Quod enim non comparuerit, idem ait Pontifex, non magis
mors in causa esse potuit, quam ejus contumacia.
2. Hinc ad praescriptum eorumdem s. canonum, documentum
authenticum obitus diligenti studio exquiri omnino debet; exaratum
scilicet ex regestis paroeciae vel xenodochii, vel militiae, vel etiam,
si haberi nequeat, ab auctoritate ecclesiastica, a gubernio civili loci,
in quo, ut supponitur, persona obierit.
3. Porro quandoque hoc documentum haberi nequit, quo casu
testium depositionibus supplendum erit. Testes vero duo saltem esse
debent, jurati, fide digni et qui de facto proprio deponant, defunc-
tum cognoverint, ac sint inter se concordes quoad locum et causam
obitus aliasque substantiales circumstantias. Qui insüper, si defuncti
propingui sint, aut socii itineris, industriae vel etiam militiae, eo
magis plurimi faciendum erit lUorum testiraonium.
58 Kohn^ Die bürgert, Todeserklärung behuftf Wicderverehelichung.
4. InterduQi uuus tantum testis examinandus reperitur et licet
ab omni JQre testiiuoniam unias ad plene probandum non admittatur
attamen ne eonjux alias nuptias inire peroptans, vitam coelibem agere
cogatur, etiam unius testimouiam absolute non respuit Supreraa
Congregatio in dirimendis hujusmodi casibus, dummodo ille testis
recensitis conditionibus sit praeditus, nulli exceptioni obnoxius ac
praäterea ejus dispositiö aliis gravibusque adminiculisfulciatur; sique
alia extrinseca adminicula colligi oninino nequeant, hoc tarnen cer-
tum sit, nihil in ejus testimonio reperiri, quod non sit congruum
atque omnino verisimile.
5. Contingit etiam, ut testes omnimoda fide digni testificentur,
se tempore non suspecto mortem conjngis ex aliorum attestatione
audivisse, isti antem vel quia absentes, vel quja obierint vel aliam
ob quamcunque rationabilem causam examinari nequennt; tunc dicta
ex alieno ore, quatenus omnibus aliis in casu concurrentibus circura-
stantiis aut saltcm urgentioribus respondeant, satis esse censentur
pro sequutae mortis prudenti judicio.
6. Verum haud semel experientia compertum habetur, quod
nee unus quidem reperiatur testis qualis supra adstruitur. Hoc in
casu probatio obitus ex conjecturis, praesumptionibus, indiciis et ad-
junctis quibuscunque, sedula certe et admodum cauta investigatione
curanda erit; ita nimirum, ut pluribus hinc inde coUectis eorumque
natura perpensa, prout scilicet urgentiora vel leviora sunt, seu pro-
piore vel remotiore nexu cum veritate mortis conjunguntur , inde
prudentis viri Judicium ad eandem mortem affirmaudam probabilitäte
maximu, seu morali certitudine promoveri possit. Quapropter quan-
donam in singulis casibus habeatur ex hujusmodi conjecturis simul
conjunctis justa probatio, id prudenti relinquendura est judicis ar-
bitrio; heic tamen non abs re erit, plures indicare fontes, ex
quibus illae sive urgentiores, sive etiam leviores colligi et haberi
possint.
7. Itaque imprimis illae praesumptiones investigandae erunt,
quae personam ipsius asserti defuncti respiciunt qnaeque profecto
facile haberi poterunt a conjunctis, amicis, vicinis, et quoquomodo
notis utriusque conjngis. In quorum examine requiratur e. g.
An ille, de cujus obitu est sermo, bonis moribus imbutus esset,
pie religioseque viveret, uxoremque diligeret, nuUam sese occultandi
causam haberet^ utrum bona stabilia possideret vel alia a suis pro-
pingnis aut. aliunJe sperare posset.
An discesserit annuentibus uxore et conjunctis, quae tunc ejus
aetas et valetudo esset.
Kohn, Die bürgerl. Todeserklärung behufs Wi€dtrvereheti<:hHntj. 59
An aliquandö et quo loco scripserit, et nutu suam volnutaLem
quamprimara redeundi aperuerit aliaque hujus göiicris iodklii col-
ligantur.
Alia ex rerum adjiinctis pro varia absentiao causa colligi indicia
sie poterunt:
Si ob militiam abierit, a duee militam requiratur, quid de eo
sciat; utrum alicui pugnae iuterfuerit, utrura ab lioaübiis fiiorit
captus, Qum castra deseruerit aut destinatioues t^ericuloaas habaerit.
Si negotiationis cansa iter susceperit, iaquiratur, iitriim
tempore itineris gravia pericula fueriiit ipsi supennida; nura solus
profectus faerit vel pluribus comitatus: utrum in regionem, ad
quam se contulit, supervenerint seditiones, bella, fames et pesti-
lentiae.
Si maritimum fuerit iter aggressus, sedula investigatione fiat a
quo portu discesserit, quinam fuerint itineris socii, quo ae contulerit,
quod uomen navis, quam consqendit, quis ejusdem navis guboniatoi",
an naufragium fecerit, an societas, quae navis cautionera forsan
dedit, pretium ejus solvent aliaeque circumstantiae, si quae sint, di-
ligenter perpendantur.
8. Fama quoque aliis adjuta admiaiculis argumentum de obitu
constituit, bisee tarnen conditionibus , nirairum: quod a duobös sal-
tem testibus fide dignis et juratis comprobetur, qui depouaiit de
rationabili causa ipsius famae; an eam acceperitit a majori et
saniori parte populi, et an ipsi de eadem fama recte senüant; nee
Sit dubium illam fuisse concitatam ab illis, in quorum coramodum
inquiritur.
9. Tandem si opus fuerit, praetereuuda non erit investigatio
per publicas ephemerid^s, datis directori oranibus neccssariis per*
sonae indiciis, nisi ob speciales circumstantias aaniori ac prudentiori
consilio aliter censeatur.
10. Haec omnia pro opportunitate casuum s* haec Congre-
gatio diligenter expendere solet cumque de re gravissima agatur,
cunctis aequa lance libratis atque insuper auditis plurium tlieologo-
rum et juris prudentum suifragiis denique suum Judicium pronuntiat,
an de tali obitu satis constet et nihil obstet , quominus petenti
transitus ad alias nuptias concedi possit.
11. Ex bis Omnibus ecclesiastici Praesides certam desumere
possunt normam, quam in hujusmodi judiciis sequantur, Quod si
non obstantibus regulis hucusque notatis res adhuc incerta fit
implexa illis videatur, ad S. Sedem recurrere debebunt, actis ora-
nibus cum ipso recursu transmissis aut saltem diligenter expositis.
60 Kohn, Die bürgerL Todeserklärung behufs Wiederverehelichung.
Passt man die canonische Gesetzgebung über unseren Gegen-
stand recht ins Auge und prüft dann • darnach die im Beichsrathe
eingebrachte Begierungsvorlage betreffend die bürgerliche Todes-
erklärung, so muss man sagen, dass der Standpunkt den die
Kirche gegen die oben angefahrten §§. des a. b. G. B. in der An-
weisung für die geistlichen Gerichte des Kaiserthum Oesterreich
in Betreff der Ehesachen vom Jahre 1856 eingenommen hat, voraus-
gesetzt dass die Rechtsbasis der Anweisung dieselbe ist^ durch die
Annahme der jetzt eingebrachten Begierungsvorlage nicht im Ge-
ringsten alterirt werde.
61
iil.
Der ungarische Episcopat und die katholische Autonomie.
Von Dr. Stephan Böredy in Budapest
Der von der ünterrichtscommission des uagarischen Reichs-
tages zurückgewiesene Gesetzentwurf für Mittelschulea hat dem
ungarischen Episcopat Gelegenheit geboten, bezüglich der soge-
nannten Autonomie entschiedene Stellung zu nehmen. Während
nämlich der genannte Gesetzentwurf die Autonomie der akatholischen
Gymnasien ausdrücklich anerkannte und der Staatsregierung nur die
oberste Leitung und Aufsicht sichern wollte, that er in seiner ur-
sprünglichen Passung von Gymnasien mit katholischem Charakter
gar keine Erwähnung, so dass die Möglichkeit offen blieb, katho-
lische Mittelschulen nach Umständen in staatliche Anstalten zu ver-
wandeln; ausserdem wurden die aus dem katholischen Studienfond
erhaltenen Gymnasien unter die- unmittelbare Leitung des ungarischen
Cultusministers gestellt. Da hiemit nicht nur dem katholischen Cha-
rakter der betreffenden Gymnasien, sondern auch dem des katho-
lischen Studienfondes ein gefährliches Präjudiz geschaffen würde^
erachtete es' der Episcopat als seine Pflicht , für den katholischen
Studienfond und den katholischen Charakter der aus demselben unter-
haltenen Gymnasien in die Schranken zu treten. M. s. die im Arcliiv
Bd. 47. S. 311 ff', mitgetheilte Denkschrift, die Card. Hayndld im
Namen des Episcopates der ünterrichtscommission des Abgeordneten-
hauses überreichte. Card. Haynald vertrat überdies in dem Aus-
schuss der genannten Cammission persönlich die Rechte der katho-
lischen Kirche. Ausserdem vertheidigte Bischof Schlauch in der im
Archiv Bd. 47. S. 425 genannten Broschüre den katholischen Stand-
punkt bezüglich der ungarischen Mittelschulen.
Da diese Fragen mit der viel ventilirten Autonomie im innig-
sten Zusammenhange stehen, ist es leicht erklärlich, wenn beide
Eirchenfürsten auch diese Frage kurz besprechen. Beide betonen,
dass die Autonomie der katholischen Kirche, nämlich das Selbstbe-
stimmungs- und Gesetzgebungsrecht., so alt wie die Kirche selbst
ist, also älter als der ungarische Staat, an dessen Begründung die
katholische Kirche wesentlichen Antheil nahm ; dadurch , dass die
Kirche Staatsreligion wurde und dem Oberhaupte des Staates Privi-
62 Böredy, Der ungar. Episcopat und die katholische Autonomie,
legien ertheilte, opferte sie nicht ihre Freiheit, Unabhängigkeit nnd
-Selbstständigkeit; der ungarische Staat selbst bezweifelte nicht die
volle Autonomie der Kirche, indem,er das jus canonicum als selbst-
ständige Rechtsquelle anerkannte. Beide Kirchenfursten betonen aber
auch den wesentlichen Unterschied zwischen katholischer und pro-
testantischer Autonomie, der nicht nur in der wesentlich verschie-
denen Kirchen Verfassung seinen tiefen Grund hat, dem zu Folge die
katholische Autonomie von oben, herab sich entwickelt, die pro-
testantische aber von unten hinauf sich aufbaut ; sondern der Grund
des Unterschiedes ist auch ein historischer, indem die ungarischen
Protestanten iftit den Waffen in der Hand, daher auf der breiten
Grundlage der Demokratie, wie Bischof Schlauch hervorhebt, ihre
autonomischen Rechte erzwangen, während die Autonomie der [katho-
lischen Kirehe Ungarns ursprunglich ist und ebendeshalb mit der
Gründung des christlichen ungarischen Staates durch den hl. Stephan
zusammenfällt und von Anfang an mit der staatlichen Gewalt im
freundschaftlichen Bundesverhältniss stand.
Die Nichtbeachtung dieser grundwesentlichen Verschiedenheit
der beiderseitigen Autonomien ist Ursache davon , wenn ungarische
Protestanten die Autonomie der katholischen ungarischen Kirche
darum in Zweifel ziehen oder geradezu läugnen, weil die katho-
lischen Stiftungen, Fonds und Schulanstalten unter der unmittelbaren
Leitung der Regierung stehen und den katholischen Bischöfen that-
sächlich auf die erwähnten Angelegenheiten nur wenig Einfluss ge-
stattet wird. Aber abgesehen davon, dass blosse Thatsachen noch
kein Recht begründen, sind die Machtbefugnisse, welche die Re-
gierung und insonderheit das Cultusministerium in dieser Richtung
in Anspruch nimmt, nicht staatlichen Ursprungs, - Das. Schutz- und
Patronatsrecht, kraft dessen der apostolische König Ungarns der
kathoUschien Kirche gegenüber ajitonomische Rechte ausübt, hat
seine Wurzel in kirchlichen Privilegien und Concessionen , wodurch
sich dasselbe von allen jenen sogenannten Rechten , welche die mo-
derne Staatsweisheit und Staatsomnipotenz den Regierungen unter
irgendwelchem Titel zuerkennt, wesenhaft unterscheidet. Die Klar-
stellung des kirchlichen Ursprunges dieses königlichen Patronats-
rechtes lässt sich Bischof Schlauch in seiner Broschüre besonders
angelegen sein ; er betrachtet das königliche Patronatsrecht als den-
jenigen Factor im ungarischen Staatsleben, welcher die Vermengung
der beiden Gewalten verhinderte. So lange der Staat selbst katho-
lisch war, konnte es ohne wesentliche Gefährdung der Autonomie ge-
schehen, dass der apostolische König seine obersten Patronatsrechte
Möredy^ t>er ungar, ßpiscopat und die katholische Autonomie, 63
durch die Kegierungsorgane ausübte; allein nachdem die Kegierung
interconfessionell geworden ist und an der Spitze des Cultusmiui-
steriums ebenso gut ein akatholischier als ein Minister katholischer
Confession stehen kann, nehmen die Katholiken ihr Reclit in An-
spruch, nämlich die der katholischen. Kirclie dem Staate gegenüber
zukommende Autonomie ohne Beeinträchtigung des königlichen Pa-
tronatsrechtes ebenso auszuüben, wie dasselbe den akatholischen Con-
fessionen durch den Staat gewährleistet ist. Eine praktische Folge
dieser Auffassung ist es, wenn Card. Haynald im Namen des ungari-
schen Episcopats die Errichtung einer katholischen Studiencom-
mission verlangt, unter deren unmittelbarer Leitung die katholischen
Mittelschulen stehen sollten. Wenn auch die V'erwirklichung dieses
Postulats in nächster Zeit vielleicht noch nicht zu erwarten ist, so
ist es doch aller Anerkennung werth, dass der hochwürdigste Episco-
pat die Rechte der Kirche wahrt und die factisch bestehenden Zu-
stände als solche bezeichnet, mit denen die Katholiken Ungarns nicht
zufrieden sein können.
Aus einem ungarischen Erzstifte, Martinsberg, schrieb man,
wie wir hier beifügen, der Germania 1882 Nr. 156: »Bis jetzt stehen
die katholischen Mittelschulen Ungarns mit Ausnahme der sieben-
bürgischen unter der Leitung des Cultusministeriums , während alle
übrigen Confessionen ihre sämmtlichen Mittelschulen mit allen darauf
bezüglichen Angelegenheiten in ihrer leitenden Hand behielten. Das
abhängige Verhältniss der katholischen Schulen -erklärt sich durch
die Beziehungen, in welchen die katholische Kirche Ungarns ^um
Staatsoberhaupt als apostolischer König und Supremus Patronus
Ecclesiae stand. Das Patronatsrecht mit dem Titel eines aposto-
lischen Königs erhielt König Stephan der Heilige und seine Nach-
folger vom Papst Sylvester II. als Anerkennung für die grossen Ver-
dienste, die sich der h. König um die katholische Kirche Ungarns
erworben hat; denn er war wirklich der Apostel seines Landes. So
kam es, dass das Oberhaupt des Staates mit seiner Regierung sich
als ergänzenden Bestandtheil der Kirche und ihren natürlichen Schut?-
herrn betrachtete, wozu er selbst durch die^heimathlichen Gesetze
und den Krönungseid verpflichtet war.
Mit der Schulfrage sind die katholischen Stiftungen, besonders
aber der Siudienfonds ^ in strenger Verbindung. Vor der Reforma-
tion haben Könige und Unterthanen Klöster und Schulen in reicher
Auswahl gestiftet, an deren katholischem Charakter wohl nicht ge-
zweifelt werden kann. Die Reformation brachte die Spaltung ins
Land, dazu kam noch die verheerende Töjkenplage, unter deren
64 ßöredy. Der ungar. Epißcopai tmd die katholische Autonomie^
drückender Herrschaft viele Klöster zu Grunde gingen, deren Guter
dann oft von den Nächstbesten in Besitz genommen wurden. Um
diesem- Unwesen zu steuern , wurde vom Landtage des Jahres 1548
der 1,2. Gesetzartikel geschaifen , welcher bestimmt, dass die Güter
und Einkünfte der verlassenen Klöster und Capitel unter Obsorge
des Diöcesanbischofes »im Interesse des alten, wahren und katho-
lischen Glaubens zu kirchlichen und Schulzwecken verwendet« wer-
den sollen. In Folge dieses Gesetzartikels wurden die Güter der
verwüsteten Klöster grossentheils den Jesuiten und Piaristen über-
geben. Nach Authebung der Gesellschaft Jesu wurden von der
Kaiserin* Königin Maria Theresia die den Jesuiten gehörigen Güter
als katholischer Studienfonds sequestrirt, jedoch mit derselben Be-
stimmung, welche die Güter in den Händen der Jesuiten hatten,
nämlich zur Hebung des katholischen Unterrichtes und Gottesdienstes
nach Massgabe des erwähnten Gesetzartikels. Die Verwaltung des
Studienfonds übernahm zwar die Regierung, aber unter ausdrück-
licher Wahrung des katholischen Charakters der Stiftungen. Maria
Theresia verordnete schon im Jahre 1775," dass diese Stiftungen un-
verletzt »sine Ulla permixtione in sua integritate« aufrecht erhalten
'werden sollen. Dieselbe Kaiserin errichtete auch zum Behufe des
Schulwesens eine eigene ßegierungsabtheilüng, die sogenannte Stu-
diorum Conimissio^ die in allen katholischen Schulangelegenheiten
zu entscheiden hatte , und den katholischen Charakter der verschie-
denen Schulanstalten mit aller Entschiedenheit festhielt.
So standen die Dinge bis zum Jahre 1848, als auf einmal an
die Stelle der früheren katholischen Begierungsabtheilung das con*
fessionslose Culfais- und Unterrichtsministerium trat. Die neue par-
lamentarische Regierung war zwar nur von kurzer Dauer, aber nichts-
destoweniger von weittragender Bedeutung, indem der Ausgleich vom
Jahre 1867 vielseitig an die Aera 48 anknüpfte, welche der katho-
lischen Kirche nicht freundlich gesinnt war und manche kirchliche
Angelegenheit in eine schiefe Stellung brachte , die dann der Libe-
ralismus mit Energie auszunützen suchte. Die Commissio sttsdiorum
ecdesiastica verschwmid und die Erbschaft derselben trat der Cul-
tusminister an als Vertreter des apostolischen Königs; so geschah .
es, dass, während die dkaOiolischen Confessionen ihre Kirchen- und
Schulangelegenheiten autonom ordnen, die katholische Kirche in den-
selben Angelegenheiten vielseitig von der Regierung ahhängig ist,
trotzdem die katholische Religion nicht mehr wie ehemals als Staat&-
religion betrachtet wird. Dieses Abhängigkeitsverhältniss kann bei
der herrschenden Strömung des Liberalismus für die katholische
ßöredy, Der ungar. ^iscopat und die kathotiscke Autonomie, 65
Kirche nicht von Nutzen sein. So ist die Landesuniversität, ur-
sprunglich eine katholisclie Stiftung, factisch interconfessionell ge-
worden , wo heute schon ein bedeutender Theil der Professoren au?
Protestanten und Juden besteht. Die katholischen Mittelschulen
sind zwar zum grösseren Theil in den Händen geistlicher Orden, wie
der Piaristen, Benedictiner , Cistercienser , Prämonstratenser, Mino-
riten, Jesuiten, einige werden auch von Weltpriestern versehen. Die
übrigen katholischen Gymnasien werden von weltlichen Lehrkräften
versehen und vom katholischen Studienfonds erhalten ; aber alle diese
katholischen Mittelschulen sind bezüglich der äusseren Leitung dem
Cultusminister untergeordnet^ während die akatholischen Mittelschulen
die grösste Freiheit gemessen.
Der genannte Gesetzentwurf will nun nicht nur das de facto
bestehende Verhältniss bezüglich der katholischen Gymnasien auf-
recht erhalten, sondern der katholische Charakter derselben ist im
ursprünglichen Entwürfe mit keinem Worte erwähnt, so dass die
Möglichkeit offen bleibt , den confessionellen Charakter der katho-
lischen Stiftungen in Zweifel zu ziehen und katholische Gymnasien
in Staatsanstalten zu verwandeln. Nicht einmal den Gymnasien der
religiösen Körperschaften ist der katholische Chara^cter zugesprochen.
Die Aussicht, welche der Gesetzentwurf eröffnete, ist für die Katho-
liken nicht sehr trostvoll, umsomehr, als die Protestanten, welche
1701 ihren Antheil an den Stiftungen, deren nicht wenige katholischen
Ursprungs sind, gemäss des damaligen »status possessionis actualis«
erhielten und auch gegenwärtig festhalten, nun einen weiteren An-
spruch auf katholische Stiftungen erheben, während andererseits der.
Liberalismus nicht die protestantischen^ wohl aber die katholischen
Stiftungen als Staatseigenthum betrachten und erwerben will , wozu
der in Rede stehende Gesetzentwurf leicht eine geeignete Handhabe
bieten könnte. Die ungarischen Katholiken haben daher allen Grund,
wenn sie dem Gesetzentwurf legalen Widerstand leisten; sie fordern
nur gleiche Rechte mit allen übrigen Confessionen ; sie leugnen auch
nicht die Patronatsrechte des apostolischen Königs; verlangen aber,
dass dieselben nicht durch ein interconfessionelles Ministerium aus-
geübt werden, sondern durch ein derartiges Regierungsorgan, dem
der katholische Charakter anhaftet, damit auf diese Weise die könig-
lichen Patronatsrechte von den eigentlichen Staatsrechten strenge
geschieden werden. Diesen Sinn hat die von Card. Haynald gefor-
derte Wiederherstellung der Commissio studiorum ecclesiastica. Der
Cardinal wies darauf hin, dass im sog. Culturkampf, obschon schlei-
chend und entlarvt, jedoch genug erkennbar actu besteht, und eben .
Archiv für Kirchenrecht XLVIII. K
66 Böredjft Der imgar. Episcopat und die katholische Äniofiomie.
♦
. darum die Katholiken nicht in Zweifel sein können , wohin die Ab-
sichten des Liberalismus zielen.
Bis jetzt haben die Katholiken die Herrschaft des oft von
akatholischen Rathgebern bedienten Cultusministeriums geduldig er-
tragen, und wie hat es gewaltet? Es wäre interessant, alle die
Metamorphosen zu beschreiben, welche die innere Organisation des
Mittelschulunterrichtes seit 1867 dnrchgemaeht hat, und neben den
eigentlichen Staatsgymnasien sind es die Jcatholischen Mittelschulen,
auf welche sich die vielfältigen ministeriellen Verordnungen erstreck-
ten. Von Seite katholischer Schulmänner wurde bis jetzt kein er-
heblicher Widerspruch geleistet Dem Mittelschul-Gesetzentwurf ge-
bührt das Verdienst, manchen Katholiken die Augen geöffnet und
die katholischen Oemüther zur Vertheidigung ihrer Bechte ange-
spornt zu haben. Wollte Gott, dass die Katholiken Ungarns klar
sehen und für. ihre Bechte im Kampfe gegen den Liberalismus muth-
voU einstehen möchten.«
(Die Petition des griech.-orient-romän. Erzbischofs Miron Roman vom
20. Februar 1882 an das ungarische Abg.-Haus wegen Umarbeitung .des Mittel-
schnlgesetzeutwurfs werden wir im. folgenden Hefte des Archiv mittheilen.)
67
IV.
Drei Kundgebungen Leo's XIII. über die gegenwärtige Lage
der Kirche in Italien.
L Encyclica Leon. PP. XIIL dd. 15. Febr. 1882 ad Episc. Ital
Venerabiiibus Pratribus Archiepiscopis et Episcopis aliisque locorum
ordinariis in Regione Italica.
LEO PP. XIII. PAPST LEO XIII.
P P.
Venerabües Fratres,
Salutem et Apostolicam Benedic-
tionem.
Etsi Nos, pro auctoritate
atque amplitudine Apostolici
muneris, et universam christia-
nam rempublicam et singulas
ejus partes maxima, qua possu-
mus, vigilantia etcaritate com-
plectimur: nunc tarnen singulari
quadam ratione curas cogitatio-
nesque Nostras ad se Italia con-
vertit. — Quibus in cogitationi-
bus et curis altius quiddam re-
bus humanis divinisque suspi-
cimus: auxii enim et solliciti
sumus de salute animarum sem-
piterna; in qua tanto magis
fixa et locata esse omnia studia
Nostra oportet, quanto eam
majoribus periculis videmus op-
positam. — Cujus generis peri-
cula, si magna unquara in Ita-
lia fuerunt, maxima profecto
sunt hoc tempore, cum ipse re-
rum publicarum status magno-
pere sit incolumitati religionis
calamitosus. Eamque ob caus-
Ehrwürdige Brüder.
Oruss und Apostolischen Segen.
Obwohl Wir, wie dies die Er-
habenheit und der Umfang des
apostolischen Amtes erheischt, so-
wohl die gesammte christliche Welt
als auch ihre einzelnen Theile mit
aller Sorgsamkeit und Liebe um-
fassen , deren Wir fähig sind , so
zieht gegenwärtig doch in beson-
derem Masse Italien Unsere Auf-
merksamkeit auf sich und erregt
Unsere Besorgniss. — Diese Auf-
merksamkeit und Besorgniss rich-
tet sich jedoch auf etwas Höheres
und Heiligeres als die menschlichen
Dinge: bange Kfimmerniss erfüllt
Unser Herz ob des ewigen Seelen-
heiles, womit all Unsere Sorgen um
so mehr sich beschäftigen und be-
fassen müssen, je grösseren Gefah-
ren Wir dasselbe ausgesetzt sehen.
— Wenn die Gefahren dieser Art
jemals in Italien gross gewesen
sind, so ist dies gewiss in hohem
Grade gegenwärtig der Fall, wo-
selbst die Lage der öffentlichen
5* .
68
EiicycL Leo XtlL ad Episcop, ttah d. 15. Febr. 1882.
sam Nos movemur vehementius,
quöd singulares conjunctionis
necessitudines Nobis cum Italia
intercedunt, in qua Deus domi-
cilium Vicarii sui, magisterium
veritatis, et catholicae unitatis
centrum collocavitu — Alias
quidem multitudinem monui-
mus, ut sibi caveret, et shiguli
intelligerent, quae sua sint in
tantis offensionum caussis offi-
cia. Nihilominus, ingravescen-
tibus raalis , volumus in ea
Vos, Venerabiles Fratres, men-
tem diligentius inteudere , et
coramuuium reruni inclinatione .
perspecta , munire vigilantius
populorura anirnos , ornnibusque
praesidiis firmare, ne thesaurus
oraniura pretiosissimus , fides
catholica diripiatur.
Perniciosissima hominum
secta, cujus auctores et prin-
cipes non colant neque dissi-
raulant quid velint ^ in Italia
jamdiu consedit: dentineiatisque
Jesu Christo inimicitiis, des-
poliare peuitus institutis chri-
stianis multitudinem contendit.
— Quantum audendo processe-
rit, nihil attinet dicere hoc
loco , praesertim cum extent
Vobis , Venerabiles Fratres,
ante ooulos vel fidei vel mori-
Ding9 der Sicherheit der Religion
gar sehr geföhrlich wird. Wir
fühlen Uns aber, um so mehr er-
griffen, aus dem Grunde, weil be-
sonders innige Bande zwischen
Uns und Italien bestehen, wo Gott
den Sitz seines Statthalters , den
Lehrstuhl der Wahrheit und den
Mittelpunkt der katholischen Ein-
heit begründet hat. — Wir haben
zwar anderweitig schon das Volk
ermahnt, auf der Hut zu sein und
der Pflichten sich bewusst zu wer-
den , welche bei so grossen Fähr-'
lichkeiten einem Jeden obliegen;
trotzdem wünschen Wir, Ehrwür-
dige Brüder , da das üebel immer
mehr um sich greift, dass Ihr auf
diese Pflichten mit erhöhtem Eifer
aufmerksam macht und, klar die
immer schlimmer sich gestaltende
Lage . überschauend , mit noch
schärferer Wachsamkeit die Her-
zen der Völker wappnet und mit
jeglicher Schutzwehr umgebet, da-
mit der köstlichste von allen
Schätzen, nämlich der katholische
Glaube, nicht verloren gehe.
Eine in hohem Masse verderb-
liehe Secte, deren Begründer und
Führer ihre Ziele gar nicht ver-
bergen oder ableugnen, hat schon
lange in Italien sich niedergelassen ;
sie hat Jesu Christo Hass und
Feindschaft geschworen und geht
darauf aus, dem Volke die christ-
lichen Einrichtungen vollständig
zw rauben. Wie weit ihre Frech-
heit schon vorgeschritten ist, brau-
chen Wir .hier nicht zu erwähnen,
da Ihr , Ehrwürdige Brüder , mit
>^-':
EncycL Leo XIIL ad Episcop, ItaL de 15. Febr, 1882,
69
bus illatae jara labes et ruinae.
— Apud ita^las gentes, quae in
avita religioae constanter et
fideliter omni tempore perman-
serunt, immiuuU^ nunc passim
Ecclesiae libertas est^ atque
acrius in dies hoc agitur, ut ex
Omnibus publice institutis forma
illa et veluti character christia-
nus deleatur, quo semper fuit
Italorum non sine caüssa nobi-
litatum genus. Sublata soda-
lium religiosoram collegia; pro-
scripta EcQlesiae bona; rata
citra ritus catholicos connubia;
in institutione juveiitutis nuUae
potestati ecclesiasticae partes
relictae. — Neque finis est nee
modus uUus acerbi et luctuosi
belli cum Apostolica Sede sus-
cepti, cujus caussa incredibiliter
Ecclesia laborat , Romanusque
Pontifex in suramas angustias
compulsus est. Is enim civili
principatu spoliatus necesse fuit
ut in alienam ditionem potesta-'
temque concederet. — - ürbs
autem Roma, augustissima ur-
bium christiauarum , exposita
est et patet quibuslibet Eccle-
siae hostibus, profanaque rerum
novitate polluitur, scholis et
templis ritui haeretico passim
dedicatis. Quin immo excep-
tura fertur hoc ipso anno lega-
tos et capita inimicissimae re-
rura catholicarura sectae, huc
ad singulare quoddam concilium
coetumque profecturos. Quibus
quidera hujus deligendi loci sa-
tis apparet quae caussa fuerit;
eigenen Augen die V^erluste und
Trümmer schauet, die sie auf re-
ligiösem und sittlichem Gebiete
bereits aufgehäuft hat. — Inmit-
ten der italienischen Stämme,
welche stets in der Religion ihrer
Väter standhaft und getreulich
beharrten , ist gegenwärtig die
Freiheit der Kirche auf Schritt
und Tritt verringert und mit täg-
lich wachsender Leidenschaft dringt
man darauf, dass alle öffentlichen
Institutionen des Gepräges und des
christlichen ^ Charakterä eaU^lÖsst
werden, welcher stets mit Kwcht
das italienische Volk ausgezeichnet
hat. Die religiösen Genossen-
schaften sind autgehoben , die
kirchlichen Güter verschlendert,
eheliche Verbindungen werden als
giltig angesehen, die nicht nach
katholischeqa Ritus geschlossen
sind, und an der Erziehung der
Jugend hat die kirchliche Behörde
keinen Antheil mehr. — Weder
Ziel noch Mass kennt der erbit-
terte und unglückselige Kampf
gegen den apostolischen Stuhl, in
Folge dessen die Kirche so uu-
glaublich viel duldet und der Bi-
schof von Rom den grössten Be-
drängnissen ausgesetzt ist. Der
weltlichen Herrschaft beraubt, ist
er fremder Botmässig^eit und Ge-
walt unterworfen worden. — Rom,
die erhabenste aller christlichfiu
Städte, steht allen Feinden der
Kirche vollständig offen und wird
durch verwerfliche Neuerungen be-
fleckt, allenthalben werden häre-
tische Schulen und Tempel errich-
70
Encycl. Leo XIIL ad Ejdscop. Ital. d. 15. Febr. 1882.
videlicet conceptum advfersus
Ecclesiam odinm explere pro-
caci injuria volant, Bomanoque
Pontificatu in ipsa sede sna
lacessendo , funestas belli faces
proxime admovere. — Dubitan-
dum profecto non est, quin im-
pios hominum conatus Ecelesia
aliquando victrix effugiat; cer-
tum tarnen exploratumque est,
his artibus eos hoc assequi
velle, una cum Capite totum
Ecclesiae corpus afficere et re-
ligiohem, si fieri possit, exstin-
güere.
Quod sane velle eos, qui se
italici nominis amantissimos
profitentur , incredibile videre-
tur; nam italicum nomen, in-
tereunte Me catholica, maxi-
marnm utilitatum fönte prohi-
beri necesse esset. Etenim si
religio christiana cunctis natio-
nibus optima salutis praesidia
pepi^rit, sanctitatem jurium, tu-
telam justitiae; si caecas ac
temerarius hominum cupiditates
virtute sua ubique edomuit, co-
mes et adjutrix omnium rerum
quae honestae sunt, quae lau-
tet. Nun soll sogar die Stadt im
Laufe dieses Jahres die Abgesand-
ten und Häupter der gegen alles
Katholische am meisten feindlich
gesinnten Verbindung aufnehmen,
welche hier zu einer Berathung und
Versammlung zusammentreten wol-
len. Wesshalb man gerade diese
Stadt hierzu ausersehen hat, ist
zur Genüge klar: man will dem
Hasse gegen die Kirche durch
freche Beschimpfung Ausdruck ge-
ben, das Papstthum an seinem eige-
nen Sitze verhöhnen und gegen das-
selbe aus nächster Nähe die un-
glückselige Kriegsfackel schleudern.
Freilich unterliegt es keinem Zwei-
fel, dass die Kirche schliesslich
das gottlose unterfangen der Men-
sehen . siegreich überwinden wird ;
es ist aber klar und sicher , dass
jene Bestrebungen darauf abzielen,
zugleich mit dem Oberhaupte die
gesammte Kirche zu treffen und,
wenn es möglich wäre, die Reli-
gion zu vernichten.
Man sollte es nicht für mög-
lich halten, dass jene darauf hin-
ausgehen^ die mit ihrer Liebe zu
Italien sich brüsten, denn dem ita-
lienischen Volke würde nothwen-
diger Weise mit dem Untergang
des katholischen Glaubens zugleich
die Quelle reichlichen Segens ab-
geschnitten werden. Denn wenn
das Christenthum für alle Völker
die beste Grundlage ihrer Wohl-
fahrt ist, dem Rechte seine Weihe
und der Rechtspflege Schutz ver-
leiht; wenn das Christenthum die
blinden und zügellosen Leiden-
Encycl. Leo XIIL ad Episcop. llah de 15, Febr. 1882.
71
dabiles , quae magnae ; si va-
rios civitatum ordines et di-
versa reipublicae membra , ad
perfectam stabilemque coücor-
diam ubique revocavit , horum
profecto beneficioram copiam
nberius quam ceteris Italornm
generi impertivit. —- Est qui-
dem nimis multorum haec la-
bes et macnla, ut obesse et
nocere saluti ant incremento
reipnblicae Ecclesiam dicant :
Bomanumque Pontificatum Pro-
sperität! et magnitadini italici
Dominis inimicum putent. Sed
istoram querelas absurdasque
criminationes aperte superiomm
temporum omnia monumenta
convincunt. Revera enim Ec-
olesiae Summisque Pontifieibus
Italia maxime debet, quod glo-
riam suamapud omnes gentes
propagavit, quod iteratis bar-
barorum incursionibusnon succu-
buit, et immaües Turcarum
impetus invicta repulit, et
multis in rebus aequam legiti-
mamque libertatem diu conser-
vavit , et pluribus iisdemque
immortalibus optimarum ar-
tium monumentis civitates suas
locupletavit.. — Neque post-
rema Romanorum Pontificum
haec laus est, quod provincias
italicas ingenio moribusque di-
versas communi fide et reli-
giöne unas . semper conserva-
verint, et a discordiis omnium
funetissimis liberaverint. At-
que in trepidis calamitosisque
temporibus non semel erant
Schäften der Menschen bändigt, und
alles Edle, Lobenswerthe und Er-
habene unterstützt und fördert,
wenn das Christenthum die ver-
schiedenen Qesellschaftsclassen und
die einzelnen Glieder , des Staates
überall zu vollkommenem und con-
stantem Zusammenwirken anhält,
so hat wahrlich diese Fülle von
Segen in reichlicherem Masse als
die übrigen Völker Italien erfahren.
— Freilich behaupten sehr viele zu
eigenem Schimpf und Schande, die
Kirche stehe der Wohlfahrt und
Entwickelung des Staates hinder-
lich im Wege, und meinen, das
Papstthum sei ein Feind des Glü-
ckes und der Grösse Italiens ; allein
die Anschuldigungen und absurden
Verleumdungen dieser Leute wer-
den feierlich durch alje Beweis-
mittel der Vergangenheit widerlegt.
Thatsächlich verdankt es ja Italien
vornehmlich der Kirche und den
Päpsten, dass es bei allen Völkern
berühmt geworden, dass es den wie-
derholten Einföllen der Barbaren
nicht unterlegen ist, dass es sieg-
reich die gewaltigen Angriffe der
Türken zurückgewiesen, dass es in
vielen Beziehungen lange einer bil-
ligen und gesetzlich geregelten
Freiheit sich erfreut und seine
Städte mit zahlreichen und un-
sterblichen Denkmälern der schö-
nen Künste geschmückt hat. —
Ferner ist es nicht das letzte Ver-
dienst der Päpste, dass sie die ita-
lienischen Stämme, welche in Be-
zug auf Geistesrichtung und Sitten
so ungleich sind, durch das Band
72
EncycL Leo XllL ad Episcop. ItaL d. 16, Febr. 1882,
publicae res ad extremos casus
praecipitaturae, nisi Pontifica-
ttts Bomanns ad salutem va-
luisset. — Neque futurum est^
ut minus valeat ia posterum,
modo U6 voluntas homiai;im
obsisteus virtutem ejus inter-
cipiat, neu libertatem impediat«
Etenim vis ilia banefica, qnae
in institutis catholicis inest,
quoniam ab ipsa eorum natura
sponte . proficiscitur, immutabilis
est et perpetua. Quemadmo-
dum pro salute animarum om*
nia religio catholica et locorum
et temporura intervalla com-
pleetitur, ita Cytiam in rebus
civilibi^s ubique et semper sese
ad hominum utilitates porrigit
atque explicat.
Tot vero ereptis tantisque
bonis , summa mala succedunt :
quoniam qui sapientiam chri-
stianam oderunt, iidem, quid-
quid contra fieri a se dicant,
ad perniciem devocant civita-
tem. Istorum enim doctrinis
nihil est magis idoneum ad in-
flammandos violenter animos,
concitandasque perniciostssimas
cupiditates. Sane in iis quae
cognitione scientiaque continen-
t^ur , caeleste fidei lumen repu-
di^nt : quo extincto , mens bu-
des religiösen Glaubens stets zu-
sammengehalten und vor dem trau-
rigsten Zwiespalts den es gibt, be-
wahrt haben. Gerade in den
schliinmsten und unglückseligsten
Zeitlaufen wären die öffentlichen
Dinge wiederholt dem kläglichsten
Verfall entgegengegangen , wenn
nicht das Papstthum Bettung ge-
bracht haben würde. — und auch
fernerhin wird das Papstthum nicht
minder segensreich wirken , ^enn
seine Kraft durch den bösen Willen,
der Menschen nicht lahmgelegt
und seine Freiheit nicht behindert
wird. Denn jene segensreiche, den
Institutionen des Eatholicismus in-
newohnende Kraft ist unwandelbar
perpetuirlich, weil sie direct seinem
Wesen selbst entspringt Wie in
Bezug auf das Seeleuheil die katho-
lische Beligion alle Orte und Zeiten
umfasst , so entfaltet sie auch in
weltlichen Dingen überall und im-
mer ^eine der Wohlfahrt der Men-
schen zu Gute kommende Wirksam-
keit.
Auf den Verlust so vieler und
so grosser Güter folgen die höch-
sten Uebel; die Verächter der
christlichen Weisheit, und mögen
sie sich noch so oft ihrer Verdienste
rühmen , locken den Staat an den
Band des Verderbens. Denn gerade
die Lehren diesei: Leute sind vor
Allem geeignet, die Gemüther wild
zu entflammen und die verderblich-
sten Leidenschaften zu erregen. Sie
verschmähen nämlich auf den Ge-
bieten, welche der menschlichen Er-
kenntniss und Weisheit zugänglich
* ••'«arp"^?>SF-^
Encycl. Leo XIIL ad Episcop. ItaL <i. 15, Febr. 1882,
73
maoa in errores saepissime ra-
pitur, nee vera cernit, atque il-
luc facile evadit, ut in humi-
lern foedumque materialismum
abjiciatur. Spernunt in genere
montm aeternam immutabilem-
que rationem , ^ et supremum le-
gnm latorem ac vindicem
Daum despiciunt: quibus sub-
latis fundamentis , conse^uens
est , ut , nuUa satis idonea le-
gam sanctione, omnis vivendi
Qorma ab hominum volantate
arbitrioque sumatur. In civi-
tate vero ex immodica liber-
tate, quam praedieant et volunt,
liceutia gignitur: licentiam se-
quitur perturbatio prdinis, quae
est maiima et funestissima pe-
stis reipublicae. Revera nuUa
fuit aut deformior species, aut
miserior conditio civitatis,
quam illa in qua tales et doc-
trinae^et homines valere ali-
quamdiu potuerunt. Ac nisi
recentia exempla suppeterent,
id fidem excedere videretur,
potuisse homines scelere auda-
ciaque furentes in tanta excidia
ruere, et retento ad ludibrium
libertatis nomine, in caede et
ipcendiis debacchari. — Quod
si tantos nondum sensit Italia
terrores, primo quidem singu-
lari Dei beneficio tribuere, de-
inde id quoque caussae fuisse
ätatuere debemus, quod, cum
itali homines numero longo
maximo in religione catholica
studiose perseverarint , idcirco
flagitiosarum opinionum , quas
sind, das göttliche Licht des Glau-
bens; wenn dieses ausgelöscht ist,
dann wird der menschliche Geist
wieder und wieder in Irrthümer
hineingerissen, er vermag die Wahr-
heit nicht mehr zu unterscheiden
und sinkt schliesslich zu dem nied-
rigen und elenden Materialismus
herab. Man verschmäht das ewige
und unabänderliche Sittengesetz,
und den höchsten Urheber und Ver-
theidiger des Gesetzes verachtet
man. Wenn diese Basis beseitigt
ist, dann gibt es keine genügende
Autorität des Rechtes mehr und
die Consequenz ist , dass jede Le-
bensnorm von dem, Willen und Be-
lieben der Menschen allein abhän-
gig gemacht wird. In dem bürger-
lichen Gemeinwesen aber entspringt
aus der masslosen Freiheit, welche
diese Leute predigen und wollen,
die Willkür, auf die Willkür folgt
die Störung der Ordnung, die grösste
und verhängnissvollste Gefahr für
deii Staat. Wahrlich, es hat keine
hässlichere und traurigere Staats-
verwaltung gegeben, als diejenige,
in welcher solche Doctrinen und
solche Menschen zur Macht gelan-
gen konnten. Und wenn nicht die
Erfahrung der neuesten Zeit es uns
lehrte, so würde mau es für un-
glaublich halten, dass Menschen in
der Raserei ihrer Laster und ihrer
Verwegenheit zu solchen Excessen
sich hinreissen lassen und , unter
dem Missbrauch des Namens der
Freiheit , für ihre Ausgelassenheit
an Mord und Brand sich ergötzen.
Wenn Italien von so grossen
74
EncycL Leo XIIL ad Episcop. ItaL d, 15. Febr. 1882,
diximas , dominari libido non
potait. Vernm si haec, quae
religio praebet , rnttnimenta
penrampantar , continao Italia
in eos easus ipsos delaberetur,
qui maximas et florentissimas
nationes aliquando percülerunt.
Etenim necesse est, ut simili-
tadiaem doctrinaram exitus si-
miles Gonsequantur: et qaoniam
in eodem vitio sunt semina,
fieri non potest, quin fructns
plane eosdem effundant. Immo
vero majores fortasse poenas
violatae religionis gens .italica
laeret, quia perfidiam et impie-
tatem culpa ingrati animi cu-
mttlaret. Non enim casu ali-
quo, aut levi hominum volun-
tate datnm est Italiae , ut par*
tem per Jesnm Christum salu-
tis vel a principio esset parti-
oeps, et beäti Petri Sedem in
siQu gremioque suo collocatam
possideret, et longo aetatum
cursü iis, quae a religione ca-
tholica sponte fluunt, maximis
et divinis beneficiis perfruere-
tur. Quapropter metuendum
sibi magnopere esset quod in*
gratis populis Paullus Aposto-
1ns minaciter nuneiavit , ,,Terra
saepe venientem super $e bibens
imbr^m^ et generans herbam
opportunam Ulis a quibm edtir
tur, aocipit benedidionem a
Deo: proferem autem spinas
Mlulos s rq^oba est et male-
dicto pnfxima , . cujus consum'
matio ineombustionem}^ (Hebr.
VI, 7. 8,)
Schrecknissen noch nicht betroffen
worden ist, so Verdanken Wir das
zunächst der besonderen Wohlthat
Gottes, dann aber müssen Wir es
auch dem Umstände zuschreiben,
dass^ die Italiener in ihrer über-
wiegenden Mehrzahl in der katho-
lischen Religion treu verharrt sind,
und desshalb diese verderblichen
Lehren, welche Wir erwähnt haben,
nicht zur vollen Herrschaft gelan-
gen konnten. Wenn aber die Schutz-
wehren der Religion durchbrochen
werden , dann werden auch der
Reihe nach über Italien jene Schick-
sale hereinbrechen, welche einst die
grössten und blühendsten Nationen
verheert haben. Es ist Naturgesetz,
dass ähnliche Ursachen ähnliche '
Wirkungen erzeugen, und der Sa-
men derselben Sünde muss stets
dieselbe Frucht zeitigen. Ja, Ita-
lien würde sogar eine schwerere
Strafe für den Abfall von der Re-
ligion zu tragen haben, weil es zu
dem Treubruch und der Gottlosig-
keit noch die Schuld des Undanks
häu£en würde. Denn nicht einem
Zufall und nicht einem menseh- ^
liehen Willensentschluss verdankt
Italien den Vorzug, dass es von An-
fang an des Heiles, welches uns Je-
sus Christus gebracht hat, theil-
haftig geworden ist, und in seiner
Mitte den Stuhl des hl. Peters be-
sitzt, und im langen Laufe der
Jahrhunderte der grössten und hei-
ligsten Wohlthaten, welche der ka-
tholischen Religion entflossen , im
vollsten Masse theilhaftig geworden
ist. Desshalb würde auch für das
Encycl. Leo XIIL ad Episcop. ItaL d. 15, Febr. 1882,
75
^ Prohibeat Deus hanc tan-
tam iormidiuem^ atqne omnes
pericula serio coDsiderent, quae
partim jam adsunt, partim im-
pendent ab iis, qui non com-
mtitii utilitati öed Sectarum com-
modis servientes, capitales cum
Ecclesia inimicitias exercent.
Qui si saperent, si vera cari-
tate patriae tenerentur, certe
nee de Ecclesia diffiderent, nee
de nativa ejus libertate detra-
here , injuriosis suspicionibus
addacti, conarentur; immo vero
consilia ab ea oppugnanda ad
tuendam adjuvandamque verte-
rent: idque in prirais provide-
rent, ut Pontifex Romanus sua
jura reciperet. — Etenim sus-
cepta cum ÄpostoUca Sede
cont^ntio quanto plus Ecclesiae
nocet, tanto minus est incolu-
mitati rerum italicarum profu-
tura. t De qua re alio loco
mentem Nostrara declaravimus :
»Dicite, publicas Italiae res ne-
>que prosperitate florere , neque
Ȋiuturna tranquillitate posse
»consistere, nisi Romanae Sedis
abtrünnige Italien dievDrohung gel-
ten , welche der Apostel Paulus
ge'gen die undankbaren Völker ge-
richtet hat: »Das Land, welches
den oft darauf fallenden Regen ein-
saugt, und dienliche Gewächse für
diejenigen trägt, die es bauen, em-
pfängt Segen von Gott ; wenn es
aber Dornen und Disteln trägt, so
ist es verwerflich , und der Fluch
ist nahe; sein Ende ist Verbren-
nung.« (Hebr. 6, 7 u. 8.)
Möge Gott ein so grausiges Un-
heil abwenden und mögen Alle
ernsthaft die Gefahren ins Auge fas-
sen, welche theils schon vorhanden
sind, theils noch bevorstehen von
Seiten Derer , die nicht dem Ge-
meinwolil^sondern dem nackten Vor-
theil der Secten dienend, einen ver-
derblichen Kampf gegen die Kirche
führen wollen. Wenn diese Leute
von Vernunft und wahrer Vater-
landsliebe sich leiten Hessen, dann
würden sie wahrlich von dem Miss-
trauen gegen die Kirche abstehen
und sich nicht durch ungerechten
Verdacht verleiten lassen, die der
Kirche gebührende Freiheit anzu-
tasten; sie wflrdep im Gegentheil,
statt sie zu bekämpfen, ihr sehüz-
zend und helfend zur Seite treten
und vor allem dafür sorgen , dass
das Oberhaupt der Kirche wieder
zu seinem Rechte gelangt. Denn
jemehr der Streit mit dem aposto-
lischen Stuhle der Kirche schadet,
um so schlechter ist für die Wohl-
fahrt Italiens gesorgt, üeber diesen
Punkt haben Wir schon an anderer
Stelle Uns dahin ausgesprochen.
76
EncycL Leo XIIL ad Episcop. lUiL d. 15, Fthr, 1882.
»digoitati et Sumrai Pontificis
»libertati, prout omnia jura
»postulant, faerit consultöra.«
Quapropter, cum nihil ma-
gis velimus, qnaiu ut res cliri-
stiana salva sit, camque prae-
seöti italiiJarum gentium dis-
criniinecommoveamur, Vos ve-
liementius^ quam unquam alias,
Venerabiles Fratres, hortamur,
nt Studium caritatemque Ve-
stram ad cotuparanda tot ma-
lorum remMia Nobiscum con-
ferätis. — Et primum quidem
edocete sutnma cum cura popu-
los, quanti sit fidem catholicam
possiddre> et quam magna ejus-
denj tuebdae necessitas. —
Quoniam vero hostes et oppug-
natores catholici Hominis, quo
facilius: male caatos decipiant,
multis in rebus aliud simulant,
valde interegt occulta. eorura
consilia patefieri in lucemque
proferri , ut sdlicet , comperto
quid reapse velint et qua
caussa eontendant, excitetur in
cathollcis hominibus ardor
aiiiftii, et Bocleaiam, Bomanum
PöBtificem , hoc est salutem
suam viriliter • apei'teque defen-
dant. '
Multorum • ad haue diem
virtus, quae plurimum potuis-
set, Visa est aliquantura in
afi:eudo lenta et in labore re-
dass das italienische Gemeinwesen
wedier Wohlfahrt noch däueniden
Frieden gemessen könne, wenn
nicht für die Würde des römischen
Stuhles und für die Freiheit des
Papstes, sowie das fteeht es fordert,
gesorgt sei.
Da Wir nun nichts so sehnlichst
• wünschen, als das Wohl der Chri-
stenheit, und über die gegenwärtige
Nothlage der italienischen Völker-
schaften bekürnmert sind, so er-
mahnen Wir Euch , Ehrwürdige
Brüder, aufs Dringendste, dass Ihr
Eueren Eifer in der Abwehr dieser
grossen üebel mit Uns vereinigt,
und vor Allem belehret zunächst
aufs Sorgfältigste das Volk, welch'
grossen Schatz es im katholischen
Glauben besitzt und wie nothwen-
dig es sei, denselben zu pflegen und
zu beschützen. Da die Feinde des
katholischen Namens , um die
Schwachen leichter zu bethören,
sich in vielen Dingen der Heuchelei
und Verstellung bedienen, so kommt
es sehr viel darauf an, ihre gehei-
men Pläne zu entlarven uüd ans
Licht zu Ssiehen , damit durch die
ErkenntnisS ihrer wahren Absichten
und Beweggründe in den Gemütherü
der Katholiken ein heiliger Eifer
entflammt werde und öie männlich
und furchtlos die Vertheidi^ung
übernehmen für die Kirche und den
Papst, das heisst für ihr eigenes
Heil.
Die Kraft Vieler, die Grosses
hätte erreichen können, ist bis auf
den heutigen Tag lässig und unbö*
nutzt geblieben, sei es, weilmati
EncycL Leo Xlll ad Episcop, Ital. de lö, Febr. 2882.
77
missa , sive quod insaeti rerum
essent animi, $ive quod pericu-
loruiD non satis fuerit roagni-,
tudo perspeeta. Nunc vero,
cognitis experiendo temporibns,
nihil esset peiiiiciosins , quam
perferre oscitanter longioquam
improborum malitiam , expedi-
tumque ipsis locum relinquere
rei christianae ad libidinem
suam diutius vexandae. li
qnidem prudentiores quam filii
lacis raulta jam ausi : inferio-
res numero^ calliditate et opi-
boB Talidioresi haud longo tem-
pore magna apud nosf maloruni
iucendia exeitaveruni Tntelli*
gant igitur quicumque amant
catbolicum nomen , tempus jam
esse conari aliquid, et nuUo
pacto ^ languori desidiaeque se
dedere , cum nemo celerius op-
primatur, quam qui vecordi se-
curitate quiescunt. Videant
quam nihil reformidarit vete-
rum illorum nobilis et operosa
virtus: quomm et laboribus et
sangaine fides catholica adole-
Vit. Vos autem, Venerabiles
Fratres , excitate cessantes,
cunctantes impellite : exemplo
et auctoritate Vestra universos
confirmate ad exercenda con-*
stanter et fortiter offlcia , qui-
bus actio vitae christianae
continetur. — Ad haue alen-
dam augendamque experrectam
virtutem, curare ac providere
opus est , ut uiiraero , consensu,
efficiendis rebus, floreant late-
que amplificentur sodetates
mit dem Gegenstande zu wenig ver-
traut ist , sei es , weil man die
Grösse der Gefahren nicht ausrei-
chend durchschaute. Jetzt aber,
nachdem die Erfahrung uns über
die.Lagß aufgeklärt hat, wäre nichts
verderblicher, als trägen Sinnes die
andauernde Bosheit der Gottlosen
zu ertragen und ihnen die gunstige
Position zu beliebiger weiterer Ver-
folgung der christlichen Kirche gut-
willig zu überlassen. Klüger alBdi^
Söhne des Lichtes, haben Jene ja
schon Vieles gewagt : geringer )an
der Zahl, aber an Schlauheit und
Mitteln überlegener, haben sie bd
uns in kurzer Zeit viel Uebles an-
gerichtet. Alle, welche der katho-
lischen Sache zugethan sind, sollten
es daher begreifen, dass es hoch an
der Zeit sei, sich aufzuraifen und
nicht länger lässig und müssig zu-
zuschauen, da derjenige am schnell-
sten unterjocht wird , der trägen
Herzens der Buhe fröhnt. Sie möi>
gen sich ein Beispiel nehmen an
jener edlen und werkthätigen Kraft
der Altvordern» die vor nichts zu-
rückscheute und deren Arbeit und
Blut die katholische Kirche gross-
gezogen hat Ihr aber, Ehrwürdige
Brüder, wecket die Schlafenden auf,
spornt an die Zögernden: durch
Euer Beispiel und Euer Ansehen
bestärket Alle in der unermüdlichen
und unerschrockenen Erfüllung der
Pflichten, welche die Bethätigung
der christlichen Gesinnung aofer-
legt. — Um diese inBedestehendo
Kraft zu nähren und zu stärken,
ist es nöthig, das8„Ferewee'S deren
78
Encycl Leo XltL ad l^piscop. ttal, d. 15. Febr. 188^.
qaibas maiime propositam sit
fidei christianae virtutuiDque
ceteramm retinere et incitare
^adia. Tales sant consociatio-
nes juvenum » opificum ; quae-
•que cönstitutae sunt aut coeti-
bas catholicofum hoiDinam in
tempora certa agendis, aut in-
opiae miserorum levandae, et
pneris ex infima plebe erudien-
dis; aliaeqne ex eodem genere
complures. — Et cum i-ei
christianae quam maxime inter-
sit Pontiflcem Bomanum in
gubernanda Ecclesia et esse et
videri ab omni periculo , mole- "
stia, dif&cultate liberum, quan-
tum lege possunt agendo , ro-
gando , contendendo , tantum,
Fentificis caussa, enitantur et
ef&cia'nt; neque ante quiescant,
quam sit Nobis reapse , non
specie, libertas restituta, qua-
cum non modo Ecclesiae bo-
num , sed et secundus rerum
italicarum cursus, et christia-
narum gentium tranquilUtas
necessario quodam vinculo con-
jungitur.
Deiude vero permagni refert
publicari et longe lateque fiu-
ere salubriter scripta. — . Qui
«apitali odio ab Ecclesia dissi-»
dent, scriptis editis decertare,
iisque tamquam aptissimis ad
iiocendum armis uti consuere-
Hauptaufgabe darin besteht, den
christlichen Glauben und die christ-
lichen Tugenden zu bethätigen und
anzuspornen , zahlreich entstehen,
viel Anklang und Unterstützung
finden, zur Blüthe kommen und
sich weit ausbi-eiten. Solcher Art
sind die Jugend- uöd Handwerker-
vereine, deren Zweck es ist, zu be-
stimmten Zeiten Versammlungen
katholischer Männer zu veraustai-
ten, oder der Noth der Armen zu
steuern, oder die Sonn- und Fest-
tagsfeier zu wahren, oder arme
Kinder zu unterrichten oder Ande-
res dem Aehnliches zu thun. —
und da es für die katholische
Kirche von der grössten JBedeutung
ist, ' dass der Papst beim Regieren
der Kircfhe von jeder Gefahr, Belä-
stigung und Schwierigkeit frei sei
und frei erscheine, so sollen sie,
soweit das Gesetz es ihnen gestat-
tet, durch Handeln, Bitten, Bestür-
men die Freiheit des. Papstes nach
Kräften fördern und durchzusetzen
suchen; und sie mögen nicht eher
ruhen, als bis Uns, und zwar that-
säcblich und nicht nur zum
Scheine, die Freiheit wiedergegeben
wird, mit der nicht nur das
Heil der Kirche, sondern auch dss
Wohl Italiens und die Ruhe der
christlichen »Völker verknüpft ist.
Ferner ist es von grossem ESn-
flusse, gute Schriften zu veröffent-
lichen und weit zu verbreiten. —
Jene, welche hasserfüllt die Kirche
verfolgen , sind gewohnt , dieselbe
durch Schriften zu bekämpfen und
solche als die geeignetsten und em-
EncycL Leo XIIL ad Epkcop. Ital de 15. Febr^ 1S82.
79
runt. Hinc teterrima libroram
collavies, hinc turbnlentae et
iniquae ephemerides , qaaram.
vesanos impetas nee leges fre-
uant, nee verecuadia contioet!
Quidquid est proxhnas bis an-
nis per seditionem et turbas
gestum , jure gestum esse de-
fendunt: dissimulant aut adal-
terant verum: Ecclesiam et
Pontiflcem Maximum quotidia-
nis imaledictis falsisque crimi-
nationibus hostiliter petunt:
nee ullae sunt tarn absurdae
pestiferaeque opiniones , quas
non disseminare passim aggre-
.diantur. Hujus igitur tanti
mali , quod serpit quotidie la-
tius, sedulo prohibeoda vis est:
nimirum oportet severe et gra-
viter adducere multitudinem,
ut intento animo sibi caveat,
et prudentem in legendo delec-
tum religiosissime servare velit.
Praeterea scripta scriptis oppo-
nenda, ut ars quae potest plu-
rimum ad perniciem eadem ad
hominum salutem .et benefi-
cium transferatur , atque inde
remedia suppetant, unde mala
venena quaeruntur. — Quam
ad rem optabile est , ut saltem
in singulis provincüs ratio ali-
qua instituatur demonstrandi
publice, quae et quanta sint
singulorum christianorum in
Ecclesiam officia, vulgatis ad
id scripticmibus crebris, et,
quoad &eri potest , quotidianis.
In primis autem sint ip con-
spectu posita reiigionis catholi-
pfindlichsten Waffen zu betrachten.
Daher jene Fluth abscheulicher Bft-
cher, daher die scandalösen und
schändlichen Zeitungen , d^efi
Wuthausbrüche weder das Gesetz,
noch irgend eine Bucksicht zu zäh-
men vermag. Was in den letzten
Jahren durch Aufruhr und Zusam-
menrottungen des Pöbels geschehen
ist, das vertheidigen sie als recht-
lich geschehen; Schein and Luge
geben sie für Wahrheit aus; die
Kirche und den Papst bewerfen sie
täglich mit Verwünschungen und
falschen Beschuldigungen und es
gibt keine noch so absurden und
giftigen Meinungen , die sie nicht
immer zu verbreiten versuchen
wurden. Dieses üebel, das so gross
ist und täglich zunimmt, muss also
mit Fleiss eingedämmt werden;
man muss durch ernstes und nach*
drückliches Handeln die Menge da*
hin bringen, dass sie die Gefahr be-
greift und einen vernünftigen Ge-
brauch von der lioctäro zu machen
als ihre Pflicht erachtet. Ausser-
dem sind Schriften durch Schriften
zu widerlegen, auf dass jene Kunst,
die viel Unheil anzustiften vermag,
zum Nutzen und Wohle der
Menschheit ausgebeutet werde, und
von dorther Hilfe komme, wo die
giftigen Pfeile gesucht werden. —
Zu diesem Zwecke ist es wün-
schenswerth, dass wenigstens in je-
der Provinz irgend eine Einrichtung
getroffen werde , um öffentUch zu
verkünden, welche und wie grosse
Pflichten die einzelnen Christen ge«
gen die Kirche haben, und das wird
80
Encyd. Leo XIIL ad Episcop. Kai d. Jö. fehr, 138^.
cae in omnes geutes praeclara
nierita: explicetur oratione vir-
tus ejus privatis publicisque re-
bus maiime prospera et saluta-
ris: statuatur quanti sit, cele-
riter Ecclesiam ad illuin digiii-
tatis loconi in civitate revocari,
quem et divina ejus raagni-
tudo , et publica gentium utili-
tas vehementer pöstulat. —
Harum rerum causa necesse
est, ut qui animum ad scriben-
tum ' appulerint , plnra teneant :
vidölicet idem omnes in scri-
bendo spectent: quod maxime
expedit,' id constituant judicio
certö et effitiant: nihil ex iis
rebus praetermittant , quarum
iitilis , atqüe expetenda cognif lo
vMeatur : gravitate et modera-
tione .dicendi reteiita, errores
efe vitia reprehendant , sie ta-
rnen ut careät acörbitate repre-
herisio , personisqüe par^atur :
deihde ' orätioriem adhibeant
• planum atque evidentem , quam
facile .queat multitudo perci-
pere. — Eeliqui autem omnes,
qui vere et ex animo cuplent,
flörere ires 6t sacras et civiles
ingenio bominum litterisque de-
fensa* , hos litteravum ingeni-
ique fmctus tuen liberalitate
sua studeant; et ut quisque di-
tior est , ita potissimurn re for-
tunaque sustineat. Iis enim^
qui scribendb dant operam,
omtiino afferenda sunt linjus
generis adjüm^nta : sine quibus
aut nfullos ipsorum industria
habitura'esrt exitus, ant incer-
am besten durch häufige, womög-
lich täglich eVscheinende Schriften
zu en-eichen sein. Vor Allem muss
man dabei die herrlichen Verdienste
der katholischen Kirche um alle
Völker stets vor Augen haben; man
belehre das Volk über den sehr heil-
samen und nützlichen Einfluss, den
die Kirche in privaten und öffent-
lichen Angelegenheiten ausübt, und
weise nach , wie vortheilhaft es
wäre, der K|rche wieder jene erha-
bene Stellung im Staate einzuräu-
men, welche für sie sowohl ihre
göttliche Stiftung, als auch das öf-
fentliche Wohl der Völker dringend
erfordert. — Aus diesem Grunde ist
es nöthig,dass diejenigen, die sich
mit der Schriftstellerei befassen, da-
ran festhalten : sie sollen alle den-
selben Zweck verfolgen ; was diesen
am besten zu fördern vermag, das
sollen sie reiflich erwägen und dann
iiis Werk setzen; sie sollen nichts
von dem ausser Acht lassen-, was
sie für nützlich und ihren Absichten
dienlich erachten. Im Stil sollen sie
ernst und massvoll sein, Irrthümer,
Fehler sollen sie widerlegen, doch
so, dass die Zurechtweisung der Bit-
teikeit entbehre und die Person
schone; dann sollen sie eine offene
und klare Sprache führen, die das
Volk leicht verstehen kann. Alle
Uebrigen aber, die wirklich und von
Herzen wünschen , dass die kirch-
lichen und bdrgerlichen Angelegen-
heiten mit Hilfe der Presse zur
Blüthe gelangen , mögen die gei-
stige Arbeit der Schriftsteller aus-
giebig unterstutzen, und je reicher
lüncycL Leo XUl ad Episcop* ttat d. iS. Febr. 1882.
tos et perexiguos. — In quibus
rebus omnibus si quid nostris
hominibus incommodi impendet,
si qua est dimipatio subeunda,
audeant tarnen sese obvios
ferre, cum homini Christiane
nulla Sit adeundi vel incom-
raoda vel labores ' caussa ju-
stier, quam ne lacerari ab im-
probis religionem patiatur.
Neque enim hac filios lege Ec-
clesia aut geauit aut educayit,
ut, cum tempus et uecessitas
cogeret, nullam ab iis opem
expectaret, sed ut singuli eo-
rum otio privatisque utilitati-
bus salutem animarum et inco-
lumitatem rei christianae ante-
ponerent.
Praecipue ^utem curae co-
gitationesque Vestrae , Venera-
biles Fratres , in eo evigilare
debent , ut ministros Dei ido-
neos rite instituatis. Quod si
Efpiscoporum est plurimum ope-
rae et studii in fingenda probe
omni juventute ponere j, longa
plus ipsos elaborare in clericis
aequum est, qui in Ecclesiae
spem adolescnnt, et participes
adjutoresque munerum sanctis-
simorum sunt aliquanda futuri,
— Caussae profecto graves et
omnium aetatum communes de-
Arohiv für Kirchenrecht. XL VIII.
Jemand ist, um so reichere Mittel
möge er ihr zukommen lassen.
Denn die Schriftsteller sind durch-
aus auf allseitige Unterstützung an-
gewiesen, 4a ohne diese ihre Arbeit
entweder keine oder nur unsichere
oder geringe Erfolge aufweisen wird.
— Wenn dieser Beruf mit irgend
einer Unannehmlichkeit verknüpft,
wenn ein Kampf auszufechten ist, so
möge man denselben muthig wagen,
da es für einen Christen kein erha-
beneres Motiv zum Ertragen von Un-
annehmlichkeiten und Mühseligkei-
ten geben kann, als zu verhindern,,
dass die Religion von den Gottlosen
geschmäht werde. Denn picht dazi;
hat die Kirche Söhne gezeugt und
sie grossgezogen, dass, wenn die
Zeit und die Noth es erfordert, sie
von ihnen keine Hilfe erwarten
könne, sondern vielmehr dazu, dass
sie alle und einzeln das Heil der,
Seelen und die Sache des Christen- .
thums über ihre Privatinjkeressei}
setzen.
Euere hauptsächlichste Sorge
und Bemühung, Ehrwürdige Brüder,
muss aber wachsam auf die gute.
Heranbildung tüchtiger Seelsorger
gerichtet sein. Wenn es schon die
Aufgabe der Bischöfe ist^ 4iG g^^^sste.
Sorgfalt und Anstrengung , auf die
gute Erziehung der ganzen Jugend
zu verwenden, so sind sie verpflich-
tet, eine noch viel grössere Sorgfalt
den Klerikern zuzuwenden, anf, 4e'
neu die Hoffnung der Kirqhe her
ruht und welche einst an den hei*
ligsten Aemtern Antheil haben ai;id
dieselben verwalten sollen. —
6
82
^ncyd. Leo XIlL ad ilpisdop. ttal. d. 15. t'ehr, l88i.
cora virtntum malta et magna,
in sacerdotibns postnlant: ve-
romtamen nostra aetaa plara
qnoqae et majora admodam
flagitat. Revera fidei catholi-
cae defensio, in qaa laborare
maxime sacerdotam debet indu-
Stria, et qaae est tantopere
bis tennporibus necessai^a, doc-
trinam desiderat non vulgarem
neque mediocrem, sed exquisi-
tam et yariam; quae non modo
sacras, sed etiam philosophicas
disciplinas complectatar , et
physicomm sit atque histori-
comm tractatione locnples. Eri-
piendns est enim error homi*-
num multiplex, singula cliri-
stianae sapientiae fundamenta
convellentium : luctandumque
persaepe cum adversariis ap-
paratissimis, in disputando per-
tinacibus , qui subsidia sibi ex
omni scientiaram genere astute
conquirunt. — Similiter cum
hodie magna si1| et ad plures
diffusa corruptela morum, sin-
gularem prorsus oportet in sa-
cerdotibus esse virtutis con-
stantiaeqne praestantiam. Fu-
gere quippe consuetudinem ho-
minum minime possunt: immo
applicare se propius ad multi-
tudinem ipsis officii sui mune-
ribus jubentur : idque in mediis
civitatibus, ubi nulla jam fere
libido est, quin permissam ha-
beat et solutam licentiam.
Ex quo intelligitur , virtutem in
Glero tantum habere virium
hoc tempore debere, ut possit
Wichtige uud zti jeder Zeit aner-
kannte Gründe stellen an die Prie-
ster die jp'orderung vielfacher und
grosser Tugenden; doch die Zeit, in
. der wir leben, fordert noch mehrere
und grössere. In der That, die Ver-
theidigung der katholischen Reli-
gion, die vor Allem den Priestern
obliegt und zu unserer Zeit in sc
hohem Grade nothwendig ist, erfor-
dert keine gewöhnliche oder mittel-
mässige, sondern eine hervorragende
und vielseitige Gelehrsamkeit ; eine
Gelehrsamkeit, welche nicht nur
die Theologie, sondern auch die
Philologie umfasst, und auch das
Gebiet der Naturwissenschaf ken und
der Geschichte beherrscht. Denn es
sind die mannichfaltigen Irrthümer
Jener gründlich zu widerlegen,
welche die einzelnen Grundlagen der
christlichen "Weisheit zu untermini-
ren trachten, und sehr oft ist der
Kampf mit Gegnern zu bestehen, die
höchst geschickt und im Wortkampf
hartnäckig sind und schlau den ver-
schiedenartigsten Wissenschaften
ihre Hilfsmittel entlehnen. — Da
ferner heute die Sittenverderbtheit
so gross ist und sich auf so Viele
erstreckt, so ist es nothwendig, dass
die Priester in der Tugend und
Standhaftigkeit in besonderer Weise
hervorragen. Den Umgang mit den
Menschen können sie in keiner
Weise meiden; die Obliegenheiten
ihres Amtes machen es ihnen im
Gegentheil zur Pflicht., mit dem
Volke eng in Berührung zu treten,
und zwar mitten in Städten, wo fast
jeglicher Leidenschaft bis zur Zügel-
:-?5»<*«r«^^^
JÖncycL Leo ^itt. ad kpiscöp. ttah de 15. Pehr. 1882. 8ä
se ipsa taeri firmiter, et omnia
cum blandimenta capiditatum
vincere, tum exemplorum peri*
cula sospes superare. — Prae-
terea conditas id Ecclesiae per-
niciem leges consecuta passim
clericoram pancitas^ est: ita
plane, nt eos qui in sacros or-
dines Dei^ manere legantur, du-
plicare operam suam necesse
Sit, et excellenti sedulitate,
studio, devotione exigaam c(h
piam compensare. Quod qui*
dem utiliter facere non possunt,
nisi animum gerant tenacem
propositi, abstinentem, incorrup-
tum, caritate flagrantem, in la-
boribus pro salute hominum
sempitemasuscipiendis promptum
semper atque alacrem. Atqui
ad hujusmodi munera est adU-
benda praeparatio diutarna et
diligens: non enim tantia rebus
facile et celeriter assuescitur.
Atque Uli sane in sacerdotio
integre sancteque versabuntur,
qui sese in hoc genere ab ado-
lescentia excoluerint, et tantum
disciplina profecerint, ut ad eas
virtutes , quae commemoratae
sunt, non tarn instituti quam
nati videantur.
Eis de caussis, Venerabiles
Fratres , jure Seminaria clerico-
ram sibi vindicant plurimas et
losigkeit gefröhnt wird. Darum muss
die Tugend des Klerus heutzutage
so stark sein, dass sie selbst uner-
schütterlich bleibt , und fiber die
verfährerischeq Begierden und die
gefährlichen Beispiele unverletzt
den Sieg zu erringen vermag. —
Ausserdem haben die zum Nach-
thdl der Eirohe beschlossenen Ge-
setze allmählich die Zahl der Geist-
lichen verringert; darum mfissen
diejenigen, die Gottes Gnade für die
heiligen Weihen erwählt, ihre An-
strengungen verdoppeln und durch
hervorragenden Fleiss, Eifer und
Frömmigkeit für die geringe An-
zahl einen Ersatz bieten. Das aber
vermögen sie nur dann, wenn sie
Charakterfestigkeit, Selbstentsag-
ung, Sittenreinheit, glühende Näch-
stenliebe und eine bereitwillige und
freudige Lust zur Arbeit an dem
ewigen Seelenheile der Menschen
besitzen. Zu solchen Aufgaben ist
eine lang andauernde und fleissige
Vorbereitung erforderlich; an so
grosse Dinge gewöhnt man sich
nicht leicht und schnell. Sicher-
lich wird* das Priesteramt unver-
sehrt und heilig von Jenen verwal-
tet werden, die sich einer Lebens-
weise von Jugend auf befleissigen
und inderchristlicheu Zucht solche
Fortschritte gemacht haben, dass
es den Anschein hat, als ob die er-
wähnten Tugenden bei ihnen nichts
Anerzogenes, sondern etwas Ange-
borenes fiieien.
Aus diesen Gründen, Ehrwür-
dige Brüder, gebührt den Klerikal-
seminaren mit Becht die meiste
84
Encycl. Lto XIII ad Episcop. Ital <f. J6. Febr, 18SQ.
maximas aiiimi consilii, vigilan-.
tiae Vestrae partes. Qood ad
Yirtatem «t mores , minime
fugit sapientiam Vestram,
qoibus f abcindare . praecep-*
t» et institatis adolescentem
cleripomm s^etatem oporteat. —
In gravioribas aotem discipli-
iiis, Litterae Nostrae Encycli- .
cae — Aetemi Patris — viam
rationemqas et studiornm op-
timam indicaverani Sed quo*
niam. in tanto ingeniomm cnrso
plära sunt sapienter et utiUter
inTenta») quae minus decet non
habere . perspeeta , praesertim
cum homm^ ' ioq^ii quidquid
inprBHienti afifert dies in hoc
genere, tamquam nova tela in
yeritates divinitus traditas in-,
tariere eoasueverint, date ope«
ram, Venerabiks Fratres, quan*
tum -potestis, ut alnmua sacro-
mm ju?entus noa modo ^sit ab
investigatione naturae instrnc-
tior, 8e4 etiam artibos apprime
eruditay quae cum sacrarum
Litteraram vel interpretatione
vel auctoritate cognationem ha-
be^flt. — Illud certe non igno-
ramos, ad elegan(iam studio-
xxkm optimoram res esse neces-^
sarijas: quarum tarnen sacris
Seminariis italicis adimunt aut
minuun^ . importauae leges fa-
cultateu^. -rr Sed bac etiam in
re .tempus poetulat, . nt largi-^
täte et munificentia bene de
religione catholica promereri
nostrates studeant! , Voluntas
majoi*em pia et beneficia egre<-
und grösste Anerkennung Euerer
Liebe, Eueres Eifers und Euerer
Wachsamkeit. Eu«:er Weisheit ist
nicht unbekan,at, welche Torschrif-
ten und Einrichtung in Bezug auf
.Tugend und Sitten für das jugend-
liche- Alter der ip^leriker in Anwen-
dung kommen müssen. — Für die
höheren Wissenschaften hat Unsere
Encyclica»Aeterni Patrisc die beste
Weise und Methode der Studien
angegeben. Da aber bei dem Wett-
lauf so vieler talentvoller Männer
zahlreiche scharfsinnige und nutss"
liehe Erfindungen gemacht worden
sind, die man um so weniger aus-*
ser Acht lassen kann, weil gottlose
Menschen sich gewöhnlich aller
Fortschritte, die jeder Tag. Bringt,
bemächtigen und sie alsWurfspiese
gegen die geoffenbarten Wahrheit^
schleudern, so verwendet, Ehrwür-
dige Brüder, alle Sorge darauf, dass
die geistliche Jugend nicht nur in
den Naturwissenschaften besser als
früher unterrichtet, sondern auch
in jenen Lehrgegenständen besser
unterwiesen werde, welche auf die
Erklärung und Autorität der hl.
Schrift Bezug haben.-— Wir wis-
sen sehr wohl, dass zur Vollkom-
menheit guter Studien viele Dinge
erforderlich sind, welche leider den
geistlichen Seminarien Italiens in
Folge unglückseliger Gesetze theil-
weisQ oder ganz abgehen. Aber
auch in dieser Beziehung stellt die
Zeitlage an unsere Gläubigen die
Forderung, dass sie sich bemühen,
durch freudige Preigebig^ceit sich
um die katboliöche Religion ver-
Encyccl. Leo XIIL ad Episcop, Ital. de 15. Febr. 18S2.
8i
gie ejusmodi necessitatibus pro-
viderat; atqae illud Ecclesia
assequi prudentia et parsiinobia
potuerat, ut tutelam et canser-
vationera reram sacrarum ne-
quaquaÜQ haöeret necesiie cari^
tau filiorurti suorum commea-
dare. ^ Sed patriiuoiiium ' ejus
legitimnm aeqae ae sacrosänc«,
tum , üai superiörum aetatum
injüiia pepercerat , - nostrorum
temporum procella dissipavit :
qaare canssa renaseitur, cnr
qiii diligunt catholicum nomen,
animam iuducant' majarum li-
beraütatem reno^are. Profecto
Galloram, Belgarum aliorumqüe
in eaussa haüd maltum dissi-
müi illttstria sunt manifieen-
tiae documenta, non ißäoAo ae-
quälium, sed etiam posterorum
ädmiratione dignissima. Neque
dubitamus, quia italiea gens
eommunium rerüm considera-
tione permpta, id pro viribus
actura 6it, ut et se patribus
suis digüam in^pertiat,* et ex
fraternis exemplis capiat quod
imitetur.
In bis rebus , qüas diiimüs,
profecto haud minimam habe^
mus '^pem solatii incolumitatis-
que repositam. — Verum cum
in Omnibus consiliis, tum ma-
xime in üs^ quae salutis publi-
dient zu machen. Die fromme
und aufs Wohlthun gerichtete Ge-
sinnung unserer Vorfithren hatte
für Bedürfnisse dieser Art in her-
vorragender Weise gesorgt. Die
Kirche hatte es durcfe Klugheit
und Sparsamkeit dahih gebracht^
dass sie die Bescbfitzubg und Wah-
rung der h. Interessen der Liebe
ihrer Kinder gar nicht zu empfeh*
len brauchte. Doch ihr ebenso le-
gitimes wie unverletzliches Erbe,
an dem sich selbst die Ungerech-
tigkeit frühei'er Jahrhunderte nicht
vergriffen hatte, ist durch die
Stürme unserer Zeit zerstreut wor-
den. Darum erfordern es die Zeit-
umstäüdci dass diejenigen, welche
ihrem katholischen Christenthum^
mit Liebe anhängen, den Ent-
fichluss fassen, die Freigiebigkeit
der \orfiahren wieder zu erwecken.
Die Franzosen, die Belgier und an-
dere bieten in ähnlicher Beziehung
helUeuchtfende Beispiele von Frei-
giebigkeit, welche der Bewunderung
nicht nur der Zeitgenossen , son-\
dern auch der Nachwelt werth
sind. Wir zweifeln auch nicht da-
ran, dass das italienische Volk,
durchdrungen von der Erwägung
gleicher Bedürfnisse, nach Kräften
bemüht sein wird, sich seiner Väter
würdig zu beweisen und das Bei-
spiel seiner Brüder nachzuahmen. '
Auf den Werken, die Wir er-'
wähnt, ruht in der That in hohem
Grade die HoflßiUög TJnsfir^s ttostes
und Unzeres Heiles. Aber mehr
als bei irgend einem Beschlüsse
ist bei solchen, die sich auf das
Encycl. Leo XIIL ad Epiacop. ItaU d. 15. Febr. 1882.
cae caussa sascipinntar, omnino
ad humana praesidia accedere
necesse est opem omnipotentis
Dal, cujus in potestate sunt
Don minus singulorum homi-
num Yoluntates, quam cursus
et fortuna imperiornm. Qua-
propter invocandus summis pre-
cibus DeuSr orandusque, ut tot
ejus beneficiis ornatum atque
auctam respiciat Italiam; in
eaque fidem catholicam , quod
est maximum bonuin , cunctis
periculorum suspicionibus de-
pulsis, perpetuo tueatur. Hanc
ipsam ob caussam imploranda
suppliciter' est Immaculata
Yirga Maria , magna Dei* pa-*
rens, fautriz et adjutrix consi-
liorum optimorum, una cum
sanctissimo Sponso ejus Jo-
sephe, custode et patrono gen-
tium christianarum. Ac pari
studio obsecrare opus est Pe-
trum et Paulum, magnos Apo-
stolos, ut in italicis gentibus
fructum laborum suorum inco-
luinem custodiant, nomenque
catholicum, quod majoribus no-
stris suo ipsi sanguine pepere-
runt , apud serös posteros sanc-
tum inviolatumque conservent.
Herum omnium caelesti
patrocinio freti, auspicem di-
vinorum munerum, et praeci-
puae benevolentiae Nostrae te-
allgemeine Wohl beziehen, durch-
aus notbwendig, dass zu den
menschlichen Mitteln die Hilfe des
allmächtigen Gottes hinzutritt, in
dessen Hand nicht nur der Wille
der einzelnen Menschen ruht, son-
dern auch der Weg und das
Schicksal ^ der Staaten. Darum
müssen wir die dringendsten Bit-
ten an Gott richten und ihn an-
flehen, dass er auf das mit so
vielen seiner Wohlthaten ge-
schmfickte Italien wieder seinen
Blick richte und darin, nach Ver-
scheuchung jeder Aussicht auf
drohende Gefahren, den katholi-
schen Glauben, dies höchste aller
Guter, tür immer in seinen Schutz
nehme. Aus demselben Grunde
müssen wir uns bittend an die un-
befleckte Jungfrau Maria wenden,
die mächtige Mutter Gottes , die
Begünstigerin und Helfertn aller
guten Entschlüsse, sowie auch an
ihren heiligen Bräutigam, den hl.
Joseph, den Beschützer und Patron
der christlichen Völker. Mit dem-
selben Eifer müssen wir zu den
beiden grossen Aposteln Petrus und
Paulus beten, dass sie unter dem
Volke Italiens die Frucht ihrer
Arbeiten unversehrt behüten und
den katholischen Namen, den un-
sere Vorfahren durch ihr Blut be-
gründet haben, bis auf die späteste
Nachwelt heilig und unverletzlich
bewahren.
Auf den himmlischen Schutz
dieses Aller vertrauend ertheilen
Wir von ganzem Herzen in Gott
Euch Allen, Ehrwürdige Brüder,
Älloc. Leon, XIIL ad Card, d: 2. Mari. 1882,
87
stem , Apostolicam benedictio- und dem Euerer Sorgfalt anver-
nem Vobis universis, Venerabi- trauten Volke als Unterpfand der
les Fratres, et populis fidei göttlichen Gnaden und als- Beweis
Vestrae commissis peramanter Unseres besonderen Wohlwollens
in Domino impertimus. den apostolischen Segen.
Datum Bomae apud s. Fe-*
tnim, die XV. Februarii an.
MDCCCLXXXII, Fontificatus
Nostri anno quarto.
Leo PR Xin.
2. Ansprache des M. Vaters Papst Leo XIIL an das Cardinais-
CoUegium am 2. März 1882 , betr. die heutige Lage des hl.
Stuhles.
Am vierten Jahrestage der Krönung Papst Leo's XIIL verlas
der Gardinal-Decan Dapentro im Beisein der in Born gegenwärtigen
Cardinäle vor Sr. Heiligkeit eine Glückwunschadresse. Dieselbe ist
wie auch die Antwort des Fapstes in italienischer Sprache gehalten
und theilte u. A. der »Osservatore Bomanot Nr. 52. vom 4. März
1882 den italienischen Wortlaut von beiden mit. Die AAtwort des
Papstes lautet im italienischen Original und in deutscher Ueber-
Setzung wie folgt:
Hell'accogliere con grato
animo i sentimenti affettuosi e
devoti che il Sacro OoUegio Oi
rinnova al tornare del giorno
anniversario della Nostra Coro-
nazione, Noi non solo amiamo
di esprimere ad esso il Nostro
gradimento, ma abbiamo altresi
sommamente a cuore di atte-*
stargli la piona Nostra soddis-
fazione per Tilluminato con-
corso che assiduamente Ci presta
nel difficile govemo della Chiesa.
— Nel quäle non ö punto a ma-
ravigliare, se alle gioie si mes-
colano in abbondanza amarezze
e dolori; giacche, come Ella,
Signor Cardinale, test^ a ac-
Indem Wir dankbaren Herzens
die Gefahle der Ergebenheit ent-
gegennehmen , welche das h. Col-
legium Uns von neuem bei der
Wiederkehr des Jahrestages unse-
rer Krönung darbringt, wollen Wir
ihm nicht nur Unsere Erkenntlich-
keit dafür ausdrücken, sondern Wir
fühlen auch das Bedürfniss, ihm
Unsere volle Genugthuung zu er-
kennen zu geben für die erleuch-
tete Unterstützung, welche es Uns
fortwährend in der schwierigen Lei-
tung der Kirche gewährt. Es kann
auch nicht Wunder nehmen, wenn
in dieser Leitung Bitterkeiten und
Schmerzen sich mischen mit Freu-
den; denn das ist, wie Sie, Herr
AÜQC. Leon. XUl. ad Card, d, 2. Marl 1S82.
ceonava, tale h Teconomiaf ta]e
il consiglio coQ oai e coodotta
la Cbiesa dalla P^rovvideDza di*
vina. .
Nö Ci; e grave che anche in
an giornq si lieto si riccordi la
dura coddizione Nostra e della
Ghiesa; essendo che : qnesta al
di sopra di ogni altra eosaCi.pre-
ocenpacontiimamentßi ^ Tolge a-sd
le NoaVe.piu sollecite pure, r- Su
^i ,e3^ .jielüannp. che ora ,si, ^
^ivi?o, upa , Serie. ^Ii fetti I al S..
Collegio bea noti,. ha .ricbiar
mato Tattenzione , di tutto il
nqondo cristiano; e d^lle; piu
lontane contrade molte ed auto-«
revoli yoci si levarono a larore
della Nosljra causa.
.Ora vediamo cl»e di propo-
sito si miira a farle Quovamente
tacere; e con, ^rtifizi si cerca
di caliqare le , apinrensjLoni dei
cattoUci, trepidi per la 3orte ri-
serv.a^ al. Bomano Fqf^tefice. --
Ha. i um banno apertamante
mQstraio, quanto giusti e fon-
dati siano tali timorij; e Tan^
illusione sfirebbe il creder^, ebe
con tali espedienti si possono
rimuovere le gravissime diffi-
coltä^ che neUo stato , {»reseiite .
di cosQ per in.triasec,a necessitä
da ogni p^te rampollano a
daunp dQlIa Nc^str^: Ubert^ e.inr
dipei^flenssa., — . flia.: tal ;C9Biro-:
ve^raia, , cpjp.^ .qggi ycgliaup chiar.
marla, . .c9ll*.,.qjjale..sQno con-
giuQti .ghnter^ßi piu vit^lji della
Chijösa,, la. dignitl^ . del Seggio
Cardinal, vorhin sich ausdrückten,
die Anordnung und Absicht der
göttlichen Vorsehung bei der Be-
gierung det Kirche.
Ebenso wenig auffallend ist es,
dass man selbst an einem so freu-
digen Tage an die harte Lage der
Kirche und unserer Person erin-
nert;, denn diese Lage beschäftigt
uns fortwährend vor allen änderen
Dingen und legt Uns die drü-
ckendsten Sorgen auf. .£ine Beihe
dem h. OoUegium wohlbekannter
Tbatsachen hat im verflossenen
Jahre die Aufmerksamkeit der gan-
zen Welt auf diese Lage gerich-
;tet, und von den entferntoBten Ge-
genden erhoben sich zahlreiche
. und competente Stimmen zu Guur
sten Unserpr SaQhe.
Heute sehen Wir, dass maa
sich von neuem ben^üht, diese Pro-
teste, zu unterdrücken. Durch
verschiedene E^unstgriffe sucht man
die Besorgnisse, der Katholiken,
, welche unruhig sind übei* das dem
römischen Papst bevorstehende 6e*
schick, zu. beschwichtigen. Aber
die Ereignisse haben offen darge-
. than, wie gerechtfertigt and wohl
. |)egründet diese Befürchtungen sind,
und es wäre eine eitle Täuschung,
zu versuchen, mit .solohea Mitteln
die Schwierigkeiten bei Seite zu
schafG^n, welche bei gegenwärtiger
Lage cler Dinge mit iöia^rlieber
Nothwendigkeit von allen Seiten
sich erheben zum Naohtheile Un-
serer EVeiheit und Unabhängigkeit,
üine derartige Controverse, wie man
es heut zu Tage zu nennen be-
Attoc. Leon. XIII. ad Card. d.2. Mari, 1882.
89
Apostolico, 1» libertä delPonte-
fice, la päce e la tranquillitä
noki di unä uazio&e soltanto ma
di tutto il mondö cattotico, per
fermo !W>ä si «ompone colbene-
^d d^l tempO) ed anche meno
eol sUenzio; sino^ a che ne^ laset
SQSsistere la cagione, forza &.
ehe «issa tosto.o tardi, si ris-
fegli piü riva che mai.
!> Infotti , da nna parie , • non
sali mai che il Pontefice s'in-^
JbKJa ad accettare Tiüa condi«-
aioae cosi umiliante, che, maK
grado le contraiie proterstc , lo
pone in bSIIa deiraltrai potere,
6 in mano della rivoltisiojie ; la
^ale ddpo avcrla violentemente
spogliato della piö efficace tu-
teia della sua indipendenza , e
private dei pin valMi aiati pel
goyemo della Chiesa, lascia che
sia tatto giorno in mille guise
insultato ed offei^o uella sua
Persona, nella sua dignitä, negli
atti piu venerandi deirAposto*
lico ministero.
D'altra- parte ö stoltezza il
pensare che i cattolici di tutto
il mondo vogliano tranquilla-
mente soffirire, cl^e il loro Cape
e Maestro supremo rimanga a
Inngo in tina condizione s\ in-
degna della sua altissima dig-
nüä , e 8\ penosa al loro euere
di figli. — Che aiizi crescendo^
liebt i bei welcher die wichtigsten
Interessen der Kirche in Betracht
kommen: die Würde des aposto-
lischen Stctbles, die Freiheit des
römischen Papstes, der Friede und
die Freiheit nicht einer Nation,
sondern der ganzen katholischen
Welt, lässt sich wahrlich nicht
durch die Zeit, noch weniger aber
durch Stillschweigen aus der Welt
schaffen. So lange man die Ur-
sache bestehen lässt, muss sie früh
oder spät unausbleiblich wieder
auftauchen und ^War heftiger als je.
Auf der einen Seite /wird man
'niemals den rSmischen Papst ver-
mögen, eine so deiüütfaigende Lage
zu acceptiren , welche ihn, trotz
seiner Proteste , dem Gutdünken
einer anderen Gewalt unterwirft
und den Händen der Bevolution
' überliefert. Nachdem diese Revo-
lution ihn der wirksamsten Bürg-
ischaft seiner Unabhängigkeit und
der stärksten Hilfsmittel Mr die
Regierung der Kirche beraubt hat^
gestattet sie , ' dass der Papst alle
Tage auf tausenderlei Art be-
schimpft und beleidigt wird in sei-
ner Person, in seiner Würde und
in den erhabensten Akten seines
apostolischen Amtes.
Auf der anderen Seite ist es
Unvernunft, zudenken, die Katho-
liken, ider ganzen Erde würden es
ruhig dulden, dass ihr Oberhaupt
und oberster Meister lan^e Zeit in
einer Lage bleibe , welchö so un-
würdig ist seines hohen Amtes und
so peinlich für ihre kindlichen
Herzen. Ausserdem isehen wir an-
90
Alloc. Leon. XII!. ad Card. d. 2. Mari /882.
come vediamo, e prevalendo
sempre pro le popolari passioni,
alla religione non meno che alla
civil societa funeste« teitipo forse
verrä che dagli stessi nemici si
riconosca e s'inyochi la potente
e benefica virtü, onde h ricoo
il Pontificato Romano, anche a
tntela dell' ordine pubblico, e a
salvezza dei popoli.
Si pnd qumdi esser certi
4;he studio ed arti non varranno
a tenere sempre sopito an con-
flitto, che tante cause concor-
rono a ridestare ad ogni mo-
mento. Varranno solamente a
mantenere pin a lungo uno stato
di cose violento, nemico del
pubblico benb, pieno didifficoltit
e di pericoli, e che ogni uomo
di yero senno politico avrebbe
tutto r interesse di fare scom-
parire al piu presto. Giacchd
se esso perdurando sarä molesto
e dannoso alla Ghiesa, non sarä
per certo profittevole al populo
italiano , nh sicuro ed onorevole
per coloro, che secondando
grintendimenti delle sette, si
ostinano a riguardare come ne-
mico, e a volere perciö soggetto,
umiliato e depresso il Pontifi-
cato Romano.
gesichts der täglich wachsenden
Leidenschaften der Völker, welche
mehr und mehr zur Vernichtung
nicht blos der Religion, sondern
auch der bürgerlichen Gesellschaft
drängen, die Zeit kommen, wo
vielleicht die Feinde selbst zur
Erkenntniss gelangen und jene
mächtige und wohlthätige Gewalt,
an welcher das Papstthum so reich
ist, zu Hilfe rufen werden zur Ver-
theidigung der öffentlichen Ord-
nung und zum Heil der Völker.
Desshalb kann man sicher sein,
dass alle Anstrengungen und kunstr-
lichen Mittel auf die Dauer nicht
.einen Conflict werden aufhalten
können, welcher aus so vielen Gran-
den jeden Augenblick entstehen
kann. Es kann dadurdh nur län-
gere Zei( hindurch gewaltsam ein
Zustand der Dinge aufrecht erhal-
ten werden, welcher dem öffent-
lichen Wohle schädlich ist und
Schwierigkeiten und Gefahren in
sich birgt, ein Zustand, an dessen
möglichst baldiger Beseitigung je-
der Mann von wahrer politischer
Einsicht ein Interesse hi^en sollte.
Denn wenn derselbe auf die Dauer
der Kirche lästig und nachtheilig
ist, so wird er sicherlich dem ita-
lienischen Volke nicht nützlich
sein, um so mehr, als er nur denen
Ehre und Befriedigung gewährt,
welche den Bestrebungen der ge-
heimen Gesellschaften Vorschub
leistend etwas darein setzen, das
römische Papstthum als Feind zu
betrachten und in Folge dessen das-
selbe niedergeworfen, gedemüthigt
und vernichtet sehen wollen.
Leo XllL ad episcopos Siciliue d. 22. April. 1S82.
91
In qnanto a Noi , non sap-
piamo qaali e quanto difficoltä
Ci occorra di affrontare, per
compiere fino air ultimo i do-
veri del gravissimo officio che
portiamo. Perö fidenti in Dio,
forti del sao validissimo ainto,
prosegairemo animosi nelPaspro
cammino, nel quäle, ne siamo
certi, avremo sempre con Noi
e per Noi il fedele coucorso e
la constante assistenza del S.
Collegio.
Intanto ^ dolce al Nostro
CQore in qaesto giorno di letizia
cbiamare sa di esso in abbon-
danza i piü eletti doni del cielo;
dei qnali vogliamo cbe sia pegno
rapostolica benedizione, che in
argomento di specialissima be-
nevolenza a tntti e singoli i
snoi membri con efiFnsione di
caore impartiamo.
Was Uns betrifft ^ so können
Wir nicht wissen , wie gross die
Schwierigkeiten sind, die Wir zu
überwinden haben, um die Pflich-.
ten unseres so sehr schweren Am-
tes bis zum Ende zu erf&llen. Aber
vertrauend auf Gott und stark
durch seine so m&chtige Hilfe,
werden Wir muthig weiter geben
auf dem beschwerlichen Wege.
Wir sind gewiss, auf demselben
stets mit und fSr Uns zu haben die
treue Hilfe und den steten Bei-
stand des h. CoUegiums.
In dieser Erwartung ist es an
diesem freudigen Tage unserem
Herzen angenehm, die Fülle der
Gaben des Himmels auf das h.
CoUegium herabzuflehen. Unter-
pfand derselben möge ihm der apo-
stolische Segen sein, den Wir allen
seinen Mitgliedern und jedem ein-
zelnen von ihnen von ganzem Her-
zen als ein Zeichen Unseres ganz
besonderen Wohlwollens ertheilen.
3. Episiola ss. Dom, Nostri Leonis XIII. ad Archiqnscopos^
Episcopos äliosque locarum ordinarios in regione Sicuia.
Venerabües Fratres et düecti
Filii Sdlutem et ApostoUcam
benedieUonem.
Schreiben Leo XIII. an den
Episcopat Sicüiens.
Sicut multa audacter et insi-
diose ii susceperunt, qui de per-
nicie catholici nominis jamdiu
cogitant: ita nominatim videntur
decrevisse, vim quamdam popu-
laris invidiae in Pontifices ma-
ximos ezcitare. — Quod quidem
ipsorum consilium quotidie magis
illustratur et erumpii Omnem
enim occajqonem vituperaijdoruin
Ehrwürdige Brüder und geliebte
Söhne, Gruss und apostolischen
Segen« Unter den tollkühnen und
im Dunkel wirkenden Parteien,
welche schon seit langem darauf
ausgehen, den katholischen Glau-
ben auszurotten, scheint namentlich
der Beschluss gefasst worden zu
sein, gegen die Päpste den Volks-
bass aufzustacheln. Diese Absicht
92
Leo XJlLadepUcQpßs^SicUU^ d^^2%^Ap(^if* /882.
Fontificum datam av^de airipinnt,
Qon d^ta^. (^udipse csipti^t: inr
c(^rnipti3 .rerum . gß^tarjum. roopiiT
mentis i>08tbat)itia,. fictps «^ri90^
9(98 4i§sü>f^Dt:. f^U^ criiQJipa,
t^qu^i9 veoei^ata, te^ajac^At,
licßntia,,^ quanto eßt imguDitas
Tßßim Jn. qua ma}e .dic^nd^.
Cdpßpetudine. .aliud quippiam pro-r.
ppMti.inöst, ßT^etof (jfli^tmneUam:
vifliBiU/set. hup ßlßn« ^pectant bor;
i|4na^!iiHprobi,,,at e p^rspn^ Po^-r
tificum JEboin^orfm ad ^p^um
Igm^Sfifit^jß, diyinit^a iQ^ti|ai^^I^
co^tuqielis^ peiryeniatj ^^dvclisqn!^.
sji^ ^;aBiQ»?.bij8., JBpoiesi^. ip^a,
sjiößrAPQWtif.i^PWftBe, lipmiiiRm.
jn4jiciciqu.e dj^ioB^tu^. , : . ...
^arumMnaohia^tioimm triste
ad r^cordaUanejm. dQcamentii^m
extrenpo inende. mwtio-Vois^Veue-
rabiles, Fratres et ßileQti Eilü,
potiiit JadigQ«Aio. siegjara;. sigw-
fica|9OO0m .f jus In^rtW^W et no-
hü»m , m^^ ftbr- JQpiscppifi es;%
p^afi x)pdrtßl>ati ad .Noaper
Utt^^B , qffiqü pl^DM 4ef^f endaiii .
c«rawi4s. Ptojfectp ilUeuijuriaß
praeter Hwd^l» graveis -faera^ ut;
quieiv cpQ^tUntpiPaaorwum cqd-^ ,
venerwt I . oQctjioiendiaMQertatim
tritt .von. ^ag ,zvi Tage immer of-
fei^.beryor. . U^erig. greifen ajie
nämlict jede sieb darbietende Ge-
. 4egwheit. aj*f „ ^^l;. die.iPÄpste zu
.4iadetln, qpd. fehlt ea ihnen, an soI-
«her^ 30 zie^ aie dißselbp hei den,
,Haafrpn hei:bei;.sie verbreitep, npter
.ilisgachtqng .authentischer bi^rir
^ch^ .Documenta Lüg;engesp^n|ist9 ;
giftjgPQ Pfeilen gleich, achleudern
sie ei:diohtete Verbrechen in. die
Welt, und ihre ausgelassene Zügel-
liosigkeit ist um. so frecher, al3.;3ie
der Straflosigkeit sicher sind. Doch
die J^leidlgung gßuugt ihnpu nicht ;
.hinter ih^eu gewohnh^itsmäasigeu
LägpD atectdt. noch.. eioe andere Abr
sieht» ^Die. (gottlosen iQgen es darauf
an, dass von .der Pei^san der romi-
.sehen Päpste die Schmach auf die
,yon Gott gegründete Institution des
Papstthums falle und dass in Folge
der Verächtlichmachung des Ober-
hauptes der Kirche, wenn möglich,
.die Kirche selbst von der öffentr
lichen Meianug verurtheilt und ver«*
;dammt werde.
Gegen Ende des Monats Mai habt
ihr, ehrwürdige Brider und iheuere
-3öhne,. zu Palermo einen traurigen
Beleg, für diese; bösen Umtriebe ge-
sehen.. Euxe.Entruetung konnte da»
nicht -stillschweigend ertcagen.und^
ihr habt einen glänzeuden und edkn
Beweis eurer Entrostung, wie man
ihn von Bischöfen erwarten durfte^
Uns in eurem respectvollen Schrei-
ben zukommen lassen. In der That
überschritten die Beleidigungen je-
des Mass^ 80 dass es den Anschein
bat, als ob mau in Palermo absieht-^
Leo Xitt^'ad epkcöpd»^iciUtt^'tt: ^2. April ISSi.
6ä
probri3'= in Pdntifices llotoanos
Vfei ömt coärettisse. Nb ulk
quWerii Verö^nftiä röliglotii^ ftilt,
quam ^Iciili Üömittes at> avis et
majoribuö" säncte itiviöMe^aö '
c(msertaöf, quäecjue 'est ötröteiter
didHir lacesättä, in qtiibüs ipsaiü
agreötemlttitöSnitätöm iietno pro-
bös lötre aeqtw) anitnö potiiit.
Qüanttis harüm reiurti inustus
anirao Nösiro öit dolor, conjec-'
türam ei dolore vestro 'singuli^
Ikcite. WMl enim tarn lameri-^'
tabile eldtv ^uani puMi«6e Höei'«'
Edeleside thaji^rtatem ' salit^titä-
teiöque lief ärie cöntetönöte; nihil
tarn midemtn^ quam s^mtnörütfi
Pöntidcttm memoriam ab Halis
bomifiibus iiidigne violaH:
Eä quae Pontiflces Jlomanrpr6
salatb Italiae gessetunt; orbis
terf ae testlmonio jtididoqne dotä^
probantur, ita ut nihil sit, qnod
nomini Decessofum Nostroram
metaamns ab aeqüis et pniden-
tibos virki. Vefnmtamen Noö
in crhninätionibus, de quibus lö-
quimur; valde comtnovit primum
rei indiguitas per set deinde
mtiltitudinifir minus eruditae ^eri-
cnlnm, quae Bacillus decipi et in
errorem impölli potent.
• Et sane magnus futttrus est
eito^, d in re judicanda sex
licK nur zu dem Zwecfeii zusammen -
' gekommen itäi*e, um* die i^mischeh
Päpste um die Wette äru' öchtaähen.
Selbst diö Religion^'welehö vöttdetf
' Bicilianerh seit ' dem- Üräfaf arige an
"so Heißg unä dnverleftzt beobachtet
' *wordeii ist, tet inan hiehtTersbhontV
-sie wüi^de durcäi die' schmachvoll-'
sten Worte ürtd'in so roher Weisfe'
angegriffen, :däs§ kein Billigdcfnkeh-
der SolcKeÖ^rtrageii kann. Wölchen
Schiüferi diiese Thatsache«' UnseWih
Herzen bereitet haben ^ das kSnht*
ihr -llßteht aus' der ''<SFr5^e feur^ö'
Sctenöt^eä' föl^ei^n. Denh WcMs ist'
' beklägeiÄWertheV ; als dife' ausge-
lassene J'röiheit, df^'Mäjfestät tind
Heiligkeit der BÄrcHe «ffentlicli ätif
böswillig^ Airt' zu .verspotten' j' nichts
ist betrfibenderj'^als das Atidenlcehi
der Päpste von Italienern auf un-
würdige Weise geschmäht zu er-
blicken.
Die hohen Verdienste der römi-
schen Päpste um das Wohl Italiens
Werden durch das Zeugniss und ür-
theil des ganzen Erdkreises derart
anerkartÄt, daös wir^ vöä dem A\is-
Bprüche'gel-^chter itüi #felser Märi^*-
ner föf ^en Ruf 'ünöÄtei* Vöi^ätf^ei''
nichts zu ßrbWten häbeii; Wa^Ülis
bei den AnächuMigutiget)'; vofi deiifen'
Wir hier redöti, ate' fneigten'bettübt
hat, das ist eii^öi^l 'dile unwürdige
•Behandlung der Sache selbst, dann
aber aueh die Gefall, dAsä sieh die
weniger' tinteitit3htete 'Volksmenge •
dadurch • leicht tauschen 1iM' in
krth'öm führen Iftssenkatits. * '
Sicher wäre es ^ein'grössel» Fehlet,
wenn riia'n eine Vdr 6 Jahrhunderten
94
Leo XtlL ad epUcopos SicUiae d. 2i. April 188^,
ante saeculis gesta non ab bis
temporibos moribasque nostris
eogitatio avocetar. Bespicere
qiiippc opus est ad instituta et
leges ejus temporis , maxime
vero jus gentium, quo tunc vi-
veretur, repetere. Ezploratum
est, quaecumque demum illius
juris origo et indoles extiterit,
temporibus Ulis plurimum in re-
bus etiam civilibus äuctoritatem
Bomanorum Pontificum valuisse,
idque non modo non repugnan-
tibus, sed consentientibus liben-
tibusque principibus et populis.
Cumque optabile videretur Vi-
carii Jesu Christi patrocitiinm,
non raro usu veniebat praeseri^im
in Italia, ut ad eum velut ad
parentem publicum confugerent
civitates, eidemque sese in fidem
sponte sua traderent et com-'
mendarent. Domina animorum
religione, Apostolica Sedes per-
inde habebatnr ac propugna^
culum justitiae, et infirmiorum
tatela adversus injurias potentio-
rum. Et> hoc quidem cum magna
utilitate commuui: hacenim ra-
tione hcüm est, ut Pontificibus
auctoribus diremptae saepa sint
controversiae , sedati tumultus,
sublatae discordiae, bella com-
posita.
In hoc tarnen magisfterio po- ,
pulorum ac pene dictatura, nemo
Romanos Poutißces jijire coarguet
imperii sui vel opos augere, vel
vollzogene Thatsache nach den Ver-
hältnissen und den Sitten unserer
Zeit beurtheilen wollte. Man muss
den Blick in die Vergangenheit
richten, auf die Einrichtungen und
Gesetze jener Zeit und namentlich
auf das damals geltende Völkerrecht.
Welches auch der Ursprung und die
Natur jenes Rechtes gewesen sein
magf so viel steht ausser Zweifel,
dass zu jener Zeit die römischen
Päpste auch in weltlichen Dingen
eine grosse Autorität besassen und
dass die Fürsten und Völker gegen
dieselbe nicht nur nichts einwen-
deten, sondern mit derselben ganz
einverstanden waren. Wenn das
Protectorat des Statthalters Jesu
Christi erwünscht schien, kam es
nicht selten vor, namentlich in
Italien, dass sich die Staaten an
ihn wie an den gemeinsamen Vater
wendeten, und sich und das Ihrige
gern seinem Schutze unterwarfen.
Die Beligion war die Beherrscherin
der Seelen und darum galt der apo-
stolische Stuhl als ein Schutzwall
der Gerechtigkeit und als Schutz-
wehr der Schwächeren gegen ün-
gerechtigkeijien der Mächtigeren.
Das allgemeine Wohl zog den Nutzen
daraus, denn auf diese Weise ge-
schah es, dass, Dank der Interven-
tion der Päpiste, oft Streitfragen er-
ledigt, Unruhen besänftigt, Feind-
schaften gehoben und Kriege be-
endet wurden.
Es kann aber Niemand mit Fug
die römischen Päpste beschuldigen,
dass sie bei dieser Macht über die
Völker und bei dieser Art von Die-
L€ö XltL ad episcopos Siciliae d. 22. April. 1882.
dS
fines proferre voluisse. Omnem
potestateiD suam illnc semper
converterunt ut civitatibus pro-
dessent : nee semel ipsoram opera
et auspiciis Italia impetravit, at
?el externorum hostium propul-
sarentar incursiones , vel dorne-
sticoram adversariorum tarba-
lenta ambitio frangeretar. Quam
ad rem sapienter et opportune,
Venerabiles Fratres et Dilecti
Filii, commemorati a Vobis sant
Gregorius Vn., Alexander IlL,
Innocentius in., Gregorius IX.,
Innocentius IV. Decessores No-
stri, qui exterarum gentium do-
minationem rebus italicis saepins
imminentem pmdentia et forti-
tadine summa prohibuerunt.
Qnod ad Sidliam vestram per-
tinet, fidei et pietati ejus in hanc
ApostolicamSedem paterna bene-
Yolentia Fontificum mutue cu-
mnlateque respondit. Bevera
ipsorum consiliis vigilantiaeque,
non mediocri ex parte Siculi de-
bent quod potuerint Saracenam
servitutem efiPngere. Gratamque
etiam et aequam libertatem ab
Innocentio IV.. et Alexandre IV.
gens Siculä tunc impetravit cum,
post Conradi Imperatoris obitum,
sammam imperii penes munici-
pium esse placnit.
Post autem si Clemens IV.
Carolum Andegavensera solemni
ritu Siciliae regem appellavit,
cur Pontifex reprehendatur nihil
tatur ihre Macht zu vermehren und
ihr Gebiet zu erweitern trachteten.
Sie benutzten ihre Macht stets da-
zu, um den Staaten zu nfltzen, und
mehr als einmal verdauM Italien
ihren Bemühungen und Anstreng-
ungen die Abwehr der Einfälle aus-
wärtiger Feinde oder die Unter-
drückung des unruhigen Ehrgeizes
einheimischer Gegner. In dieser Be-
ziehung habt ihr, ehrwürdige Brü-
der und geliebte Söhne,, mit Becht
und zeitgeroäss an Gregor VII.,
Alexander III., Innocenz III., Gre-
gor IX. und Innocenz IV., Unsere
Vorgänger erinnert, durch deren
Weisheit und hohe Tbatkraft zu
wiederholten Malen die Unterwer-
fung Italiens unter die Herrschaft
auswärtiger Völker verhindert wor-^
den ist.
Was euer Sicilien. anbetrifft, so
hat seine Treue und Liebe gegen
diesen apostolischen Stuhl in dem
väterlichen Wohlwollen der Päpste
eine reichliche Belohnung em-
pfangen. In der That verdanken
die Sicilianer zum grossen Theil es
ihren Bathschlägen und ihrer Wach-
samkeit, dass sie der Knechtschaft
der Saracenen entgingen. Aiich da-
mals, als nach dem Tode des Kaisers
Konrad die Begierung in die Hände
der Städteverwaltungen überging,
erhielt das Volk Siciliens von In-
nocenz IV. und Alexander IV. eine
angenehme und billige Freiheit.
Wenn später Clemens IV. Karl
von Anjou in feierlicher Weise König
von Sicilien nennt, so ist keine Ver-
anlassung vorhanden, den Papst des-
Ö6
Leo XtJt ad episcopos iSiciUae d. M. April. IS^t
est. Pecit ille jure suo, fecit
quod e republica Siculorum ma-
gis esse judicavit, delatis im-
perii insignibus viro nobili et
potenti, qui civicas res ordinäre
et exterorum ambitioni resistere
posse videbatur : de quo viro vel
ipsa maximarum virtutum do-
raestica exempla sperare jube-
bant, fore ut jnste et sapienter
imperaret. Nee caussa est, qua-
mobrem vel ürbano IV. vel Cle-
menti IV. vitio detur, quod homo
natione exterus reguum Siculo-
rum capessivit. Etenim praeter-
quam quod exeraplis hujus ge-
neris nee antea carebat nee
postea caruit historia, Siculi ipsi
in potestatem externi principis
illo eodem anno volentes con-
cesserunt. Simul ac vero se
Oarolus inflexit in dominatum
injastiorem, maxime ministrorum
vitio praecipitata in perniciosam
partem republica , desid,erata
certe non est Bomanorum Pon-
tificum in admonendo Caritas,
in corripiendo severitas, Constat
inter omnes , quot quantasque
curas Clemens IV. et Nicolaus
III. adhibuerint, ut hominem ad
aequitatem justitiamque revo*
carent. Quoriftn Providentia per-
vicisset fortasse obstinationem
viri principis, nisi viam rebus
novis cruenta multitudinis ira
subito patefecisset. Post inhu-
manam illam caedem, cujus, ubi
furor constitisset , ipsos puduit
auctores, conscientia oftcii ini-
pulit Martinum IV., ut Siculos
balb zu tadeln. Er machte Ge-
brauch von seinem Rechte und'
' that, was er für Sicilien von Vor-
theil hielt, indem er die Insignien
der Herrschaft einem edlen und
mächtigen Mahne übertrug, der die
Geschäfte in Ordnung zu bringen
und dem Ehrgeize der Ausländer
zu widerstehen im Stande zu sein
schien, einem Manne, der zuvor im
kleineren Kreise Beweise von sehr
grosser Tüchtigkeit abgelegt hatte
und so hoffen Hess, er werde eine
gerechte und weise Regierung
führen. Es liegt auch keiu Grund
vor , ürban IV. oder Clemens IV,
einen Vorwurf deshalb zu machen,
dass ein Ausländer die Herrschaft
über Sicilien in seine Hände be-
kam. Abgesehen davon , dass die
Geschichte ähnliche Beispiele so-
'wohl aus früherer wie späterer Zeit
aufweist, traten die Sicilianer in
eben demselben Jahre freiwillig
unter die Herrschaft eines auslän-
dischen Pursten. Sobald aber Karl
auf weniger gerechte Weise von der
Regierüngsgewalt Gebrauch machte,
und als besonders durch die Fehler
seiner Minister der Staat ins Un-
glück gestürzt wurde, da fehlte es
seitens der Päpste nicht an liebe-
vollen Ermahnungen und strengem
Tadel. So leugnet Niemand, dass
Clemens IV. und Nicolaus III. viele '
und grosse Mühe sich gegeben haben,
ihn auf den Weg der Billigkeit und
Gerechtigkeit zurückzufuhren. Ihre
Klugheit hatte vielleicht den Starr-
sinn des Fürsten gebrochen, wenn
nicht die wilde Wuth der Menge
Leo XI iL ad eptscopos äiciUne d. 22» April 1882,
9f
itemque Petram Aragonium ali-
quanto severius pro meritoipso-
ram a^hiberet. Nihilominus ta-
rnen eam severitatem et ipse
Martinas et Honorius IV., Ni-
colaus IV. , Bonifacius VIII.
lenitat«' et misericordia mitiga-
runt : iidemque non antea quies-
cere visi'sunt, quam, Omnibus
iis controversiis per litteras le-
gationesque compositia, Siculo-
rum saluti et legitimae liber-
tati, quantum fieri poterat, con-
suluerunt. Quibus ex rebus
manifestum est, quod Vos, Vene-
rabiles Fratres et Dilecti Filii,
verissime dixistis, fautores injusti
dominatus vel popularis invidiae
concitatores appellari Bomanos
Pontifices nisi per summam in-
juriam non potuisse. In quo
quidem Decessores Nostri ju-
stioribus judicibus usi sunt iis
ipsis bominibus Siculis, qui, re-
centi adhuc caede, Sedem Apo-
stolicam fidedtibus animis im*
plorandam censuerunt.
Haec commemorare voluimus,
ut de tot tantisque injuriis Ec-
clesiae et Pontificatui Bomano
impositis querelas Nostras publice
testaremur : eodemque tempore
ut TOS intelligeretis, gratas ad-
modum accidisse Nobis com-
Arohiv filr Kircheqrecht. XLVTII,
plötzlich neue Wendungen herbei-
geführt hätte. Nach jenem nn-
menschltchen Blutbade, desmn die
Veranstalter sich später, als die
Wuth vorüber war, selber schämten,
hat Martin IV. es für seine Pflicht
gehalten^ den Siciliern und ebenso
Peter von Aragonien gegenüber
Strenge walten zu lassen, wie sie es
verdient hatten. Trotzdem milder-
ten sowohl Martin selbst, als Ho-
norius IV, , Nicolaua IV. , Bonifa-
cius VIIL, diese Strenge durch
Sanftmuth und Güte, und wir sehen,
dass sie nicht eher ruhten, als bis
sie nach Beilegung aller jener Zwi-
stigkeiten auf dem Wege von Schrei-
ben und Gesandtschaften für das
Wohl und die legitime Freiheit von
Sicilien gethan hatten, was in ihren
Kräften stand. Hieraus folgt offco-
bar, dass ihr^ ehrwürdige Brüder
und geliebte Söhne, vollstäDdig der
Wahrheit gemäss erklärt, die Päpste
könnten nur mit dem grössten un-
recht als Begünstiger der ungerech-
ten Herrschaft oder als Schürer der
Unzufriedenheit des Volkes hinge-
stellt werden. In dieser Beziehung
fanden Unsere Vorgänger gerechtere
Bichter gerade in den Sicilianernf
die kurz nacli dem Blutbade voller
Vertrauen sich au den apostolischen
Stuhl wandten.
An dieses wollten Wir erinnern,
um laut und öffentlich Unsere Kla-
gen zu erheben über die so vielen
und so grossen Unbilden, die der
Kirche und dem Papstthum zuge-
fügt werde* sind ; zugleich auch,
um euch zu zeigen, wie überaus an-
7
98
Leo XIIL ad episcopos Sidliae d. Ö2. April. 188S.
munes litteras vestras, qaibas
easdem injarias summa volanta-
tum concordia Nobiscum pariter
deploratis. Apparent in iis lit-
teris episcopalis vestigia virtutis,
cujus gratia forsan ignoscentior
posteritas erit eorum temeritati,
qui nihil dubitarunt Bomanum
Pontificatum, hoc est nobilissi-
mum et maximum Italiae decus,
incesto ore lacerare.
Ceternm ex hoc ipso magis ac
magis perspicitis, qttod superiore
mense Februario monuimus,
quanta vigilantia providere opor-
teatf ut fides catholica in tanta
iniquitate temporam apud Italos
conservetur. Pergite itoque, Ve-
nerabiles Fratres et Dilecti Filii,
fortiter pro juribus Ecclesiae pro-
pugnare, mendacia improborum
convinceire, fraudes detegere, Si-
culosque universos in fide et
amore retinere hujus Apostolicae
Sedis, unde iis, beneficio Aposto-
lorum, christianae sapientiae lu-
men affulsit.
Divinorum munerum auspicem
et praecipuae benevolentiae No-
strae testem Vobis, Venerabiles
Fratres et Dilecti Filii, et populis
curae fideique vestrae concreditis
Apostolicam Benedictionem pe-
ramanter in Domino impertimus.
Datum Uomae apud S. Pe-
trum die XXIL Ap'rilis anno
MDCCOLXXXn , Pontificatus
Nostri anno Quinto.
Leo P.
genehm Uns euer gemeinsames
Schreiben berührt hat, in welchem
ihr eben diese Unbilden in vollkom-
menster Uebereinstiramung mit Uns
beweint. Das Schreiben enthält Be-
weise jenes bischöflichen Eifers,
Dank welchem die Nachkommen
vielleicht weniger nachsichtig über
die Verwegenheit . jener urtheilen
werden, die kein Bedenken trugen,
die schönste und grösste Zierde
Italiens, das Papstthum, in frecher
Weise mit Schmutz zu bewerfen.
Im Uebrigen erseht ihr daraus
immer deutlicher — was Wir euch
schon im verflossenen Februarmonat
an's Herz gelegt haben — wie sehr
man darauf bedacht sein muss,
dass der katholische Olaube in
diesen so beunruhigenden Zeitver-
hältnissseu den Italienern erhalten
werde. Fahret daher fort. Ehrwür-
dige Bruder und Geliebte Söhne,
für die Rechte der Kirche muthig
zu kämpfen, die Lügen der Gott-
losen zu widerlegen, ihre Schliche
aufzudecken, und alle Sicilier im
Glauben und in der Liebe zu diesem
h. Stuhle zu festigen, von welchem
sei Dank den Aposteln, das Licht
des chrisüichen Glaubens erhalten
haben.
Als Unterpfand der göttlichen
Gnadengaben und als Beweis unseres
besonderen Wohlwollens ertheilen
Wir euch. Ehrwürdige Brüder und
Geliebte Söhne, und dem euer Ob-
hut anvertrauten Volke voll 'Liebe
im Herrn den apostolischen S^gen.
Gegeben zu Rom bei St. Peter,
am 22. April 1882, im fünften
Jahre Unseres Pontificats.
P. XIIL
dd
Y.
SS. Domini Nostri Leonis XIII. PP. Literae Apost de ordine
S. Basilii Ruthenae nationis.
Sanct. Dom. Nostri Leonis Diy. Provid.
PAPAE XIII.
Apost. Litt, de ord. S. Bas. M. Käthen.
Nationis in Gallicia Beformando.
Leo PP. XIII.
Ad futuram rei memoriam.
Singalare praesidiam et decos
semper Ecclesia catholica stbi
sensit accedere eoram hominum
o^era, qai christianam sanctitatis
officiique perfectionem expetentes,
hamanis rebus generosa quadam
alaciitate dimissis, sese Jesu
Christo dicavissent. Qai etsi
principio qaidem seinota a civi-
tatibns loca liberius Deo vaca-
tari incolerent, rationemque aeta-
tis degendae clericalium mune-
rnm expertem mallent, postea
tarnen, proximorum caritate et
qaandoque Episcopornm etiam
aactoritate couipulsi, in urbes
concedere et sacerdotalinm mn-
nerum officia suscipere non re-*
cusarunt. — Mirifice inter hos
vel a primis Ecclesiae saecalis
effulsit magnus ille Basilius Cae-
sareae in Cappadocia Episeopas,
theologus idemqae orator cum
paucis comparandus, qui non
modo ad omnem virtutis laudem
ipse contendit, sed ad imitatio-
nem sui vocavit plurimos: quos
sapientissimis praeceptis Insti-
tutes ad communem religiosae
yitae disciplinam in coenobia
Apostolisches Schreiben
PAPST LEO' XIII. .
über die Beform des Basilianer-Ordens
rathenischer Nation in Galizien.
Leo XIIL Papst.
Zum künftigen Gedächtnisse.
Die katholische Kirche hat es
immer empfunden , dass ihr eine
besondere Hilfe und Zierde aus dem
Wirken jener Männer zuwachse,
welche, nach der christlichen Voll-
kommenheit, der Heiligkeit und der
.PflichterfüUang strebend, mit hoch-,
herziger Freudigkeit den mensch-^
liehen Dingen entsagten und sich
Jesu Christo weihten. Und obwohl
sie anfönglich von den Städten ent-
fernte Orte bewohnten, um sich
Qott mit mehr Freiheit widmen zu
können und ihr Leben lieber ohne
geistliche Aemter zubringen woll-
ten, weigerten sie sich doch später,
von Nächstenliebe und zuweilen
auch durch die Autorität der
Bischöfe bewogen, nicht, in die
Städte zu kommen und priester-^
liehe Aemter zu übernehmen. —
Wunderbar glänzte unter diesen
schon in den ersten Jahrhunderten
der Kirche jener grosse Bischof von
Gäsarea in Cappadocien, Basilius,
ein Theologe und Redner, wenigen
vergleichbar, welcher nicht nur für
sich selbst nach jeder löblichen
Tugend strebte, sondern auch viele
zu seiner Nachahmung berief und
100 Leo XllL ConaU Singulare praeMium d.d.^^. Mai J(882.
congregavit. li vero poenis volun-^
tariis. et labore assaefacti in di-
vinäs laudes sacrarumque doc-
trinarum studia dispertiebant
litiliter temporaj atque bis arti;
bus . cum alia . multa assecuti
fuerant , tuni ilf ad praecipue ut
rem christianam valerent et^vir-
tate saa illastrare et, ubi opus
esset, data opera defendere.
QuamobreiD quo tempore praecla-
riis ille virorum religiosorum Ordo
F)ibtiana clade interiit,, fons uti-
litat'am non exiguiis ana secum
^xaruit. Verum ubi primum, re-
ceptis denuo in Ecclesiam catho-
licam Buthenis, ille revixit, et
in dignitatem pristinam revoca-
tüs est adnitente Sancto Josa-
phato Archiepiscopo Polocensi,
martyre ihvicto, eodemque ejus
Ördinis alumno, tunc Butheni
revirescentis sodalitii celeriter
sensere öperäm. Ejus enim so-
dalibus iä maxime erat propo-
situm, conservare Kutbenorura
cüni Ecclesia Romana conjunc-
tioneiA, plebem erudire, in ju-
ventute instituenda elaborare,
l^arochialia munera gerere, cunc-
tiä demum officiis, quae ad ex-
cölendos animos pertinent , per-
fung{, praesertim si Cleri saecu-
läris aüt numerus äut industria
iemporibus iräpar extitisset.
sie, mit höchst weisen Vorschriften
versehen , zur gemeinsamen Di?-
ciplin des Ordenslebens in Klöstern
vereinigte. Diese aber theilten, au
freiwillige Busse und Arbeit ge-
wöhnt, ihre Zeit nützlich in das
Lob Gottes und in das Studium
der heiligen Wissenschaften, und
damit erreichten sie nebst vielem
Anderen insbesondere das, dasssie
die christliche Sache durch ihre
Tugend zu verherrlichen und nöthi-
genfalls auch durch die That zu
vertheidigen vermochten. Darum
versiegte zur Zeit, als jener herr-
liche Mönchsorden durch ^as
Schisma des Photius unterging, mit
ihm eine ergiebige Quelle mannig-
faltigen Nutzens. Aber sobald er
nach der Rücktehr der Ruthenen
in die katholische Kirche wieder
auflebte und durch das Bestreben
des heil Josaphat, Erzbischofs von
Plock des unbesiegten Märtyrers
und Zöglings desselben Ordens, zur
früheren Würde zurückberufen
wurde , empfanden die Ruthenen
bald das Wirken der neu auf-
blühenden Genossenschaft. Denn
ihre Genossen machten es sich zur
Hauptaufgabe, die Verbindung der
Ruthenen mit der römischen Kircbe
zu erhalten, das Volk zu unter-
richten, an der Erziehung der Jugend
zu arbeiten, die Pfarrseelsorge zu
führen und alle Aemter zu ver-
richten, welche zur Bildung der
Seelen gehören, namentlich wenn
entweder die Zahl oder die Bildung
der Weltgeistlichen zu Zeiten un-
zureichend war.
:^W>
De reform* ord. s. BasiL M. Ruth, nat in GaU^ia,
Qaibus Uli de caussis (iantum
sibi^ apüd omneö benevolentiaö
conciliärttiit, 'taritum dpinioniä et
gratiae, ut nönnisi ex Basilianls
Aus diesen Ursachen erwarben
sie sieb bei Allen ^vjeVWohi-^
wollen, so viel Ansehen uncl Dänic,
dass Diejenigen, welche ttischöf^
legererittir, qui vel Episcopi Vel oder Arcyman^riten werden sc^l^
Ätchimatidritae fiiereöt (Breve ^ten^, hur aus den BasilinnerD ge-
wählt wurden. (Breve Bemdic^s
XIV. iüclytüm quidem vom H,
April 1753.) Auf der rutheiiischen
provinciali, cujus Apostolica So- Provincialsyiiodezu Zamoysk, deren
des decreta confirmavit, cautum Decrete der römische Stuhl bestä-
tigt hat, wurde veroidnet, dass
Niemand Bischof sein könne, der
nicht die Profess als Basilianer ab-
'Ben^ä.'Xir.^ diei 12. Aprilis
*l'75ä' iric, iticlylufti quidem.) Ih
'^fnoscena Synodo Ruthenorum
fuerat, üt nemo esde Episcopus
posset, quin institutum Basilia-
num professus esset, nemo autem
prböteri, quin ihtra monasterii
sejpta annum prohaUonis regu-
taris et sex hebdonias ad leges
ef/ cönsuetudines sancti Basilii
ei^set (Syn. Zamosc. Tit. VI.
de Episcopis.) Itaque non solüm
gelegt hätte, und dass Niemand
die Profess iablcgen könne, der
nicht innerhalb des Klosters ein
Probejahr und sechs Wochen zur
^ Erlernung der Gesetze und Ge*
wohnheiten des heil. Basilitis zu-
Episcopi Ruthenorum, sed etiani gebrächi hätte, (Syn. Zamoac,
Ponti&ces Rbmani, Decessores
Kostri, sodalitatem Basilianam
magno in honore habuerunt, me-
ritisque 'laudibus pros^cuti et
praecipua cura, coinplexi sunt:
eam quippe probe noverant Ec-
ciesiae catholicae m^xime apud
Ruthehos et antea pluriraum pro
Tit. VI. de Episcopis.) Daruni
hielten nicht nur die Bischöfe der
Ruthenen, sondern auch die römi-
schen Päpste, Unsere Vorgänger,
die Genossenschaft der Basilianer
in hohen Ehren und spendeten ihnen
verdientes Lob und widnrieten ihnen
besondere Sorgfalt, denn sie )yuss-
fuisse et in posterum noii minus ten, dass sie der katholischen KircKe
profuturam. De Clemente YIII. zumeist bei den !Ruthenen und auch
(plem. Vm.<t Altissimi dispo- schon vorher setr viel genützt EaVen
sitiöne 23. sept. 1603) et Gre- und in Zukunft nicht weniger nützen
gorio XIII. {Greg. XIIL Benc;- werden. Von Ölenaens VIII. (Öte-
dictus Dens 1. nov. 1579) satis mens Vltl, Altissinai iäispösitione
const^t, quantum in ornandis vom 23. September 1603), Gregor
Basilianis operae studiique col- Z/JJ. (Benedictus Dens vom l.No-
locarint: quos ipse Benedictus vember 1579) ist sattsam bekannt,
XIV. {Sened. X/F., Inter plures wie viel Sorgfalt und Eifer sie auf
1 maji 1749; Inclytum 12. apr. die Auszeichnung der Basilianer
1753; Super familiam 30. mart. verwendeten, welche auch Benedict
102 Leo XIII. Const, Singulare praesidium d» d, 12, Mai 1S82»
1756) et recentiore memoria
Pias VII. (Fit4S VIL, Ea sunt
ordinis julii 1822) singularibus
verbis commendaruiit. His vero
luculentum postremo tempore
accessit testimonium f. r. Pii IX.
(Pius IX. , Splendidissimum
Orientalis Ecclesiae 29. jun.
1867) iis consignatum litteris
Apostolicis, in quibus B. Josa-
phato sanctorum caelitum so-
lemnes honores deceruebantur.
Sed pristina mouasteriorum
conjünctione dirempta, Ordinem
jampridem florentissimum variis
debilitatum casibus humanae in-
firmitatis incommoda non parum
afflixere : idque maxime per hanc
aetatem, cum in tanta opinionum
insania et corruptela morum pas-
sim doctrina catholica in invidiam
vocetur. Abductis praeterea re-
rum novarum cupiditate ad pro-
fana stndia animis muUorum Ca-
ritas deferbuit, ac pauci inveni-
nntur, qui mortalibus abdicatis
rebus proxime ingredi Jesu Christi
vestigiis instituant. — Nobis in-
terim Ordinis Basiliani dolenti-
bus vicem, et qua ratione rele-
vari casum ejus oporteret, in_
animo considerantibus, illud com-
mode accidit, ut de rerum statu
non modo Nos Episcopi, sed
etiam ex eodem Ordiue sodales
diligenter docuerint.
XIV. (Inter plures vom 2. Mai
1749 Inclytum vom 12. April 1753,
Super familiam vom 30. März 1756)
' und in neuerer Zeit Pim VII (Ea
sunt Ordinis vom 30. Juli 1822)
besonders empfohlen haben. Hiezu
kommt in neuester Zeit' das glän-
zende Zeugniss Pim' IX. seligen
Andenkens (Splendidissimum Orien-
talis Ecclesiae vom 29. Juni 1867),
welches in jenem apostolischen
Schreiben verzeichnet ist, worin
dem seligen Josaphat die feierlichen
Ehren eines Heiligen des Himmels
zuerkannt wurden.
Aber nachdem der ursprängliche
Verband der Klöster zerrissen war,
beugten den einst so blähenden, durch
verschiedene Zufälle geschwächten
Orden die Schäden der mensch-
lichen Schwachheit nicht wenig dar-
nieder; und das hauptsächlich in
unserer Zeit, wo bei so ungesunden
Ansichten und bei so grosser Ver-
derbniss der Sitten die katholische
Beligion allenthalben angefeindet
wird. Und da ausserdem durch die
Sucht nach Neuem die Geister zu
profanen Studien abgezogen wurden,
ist die Liebe in Vielen erkaltet»
und Wenige finden sich, welche
das Irdische verlassen und ganz in
die Fussstapfen Jesu Christi treten
wollen. Während Wir Uns inzwi-
schen über die Lage des Basilianer-
Ordens betrübten und die Mittel
erwogen, wie er von seinem Falle
wieder aufzurichten wäre, fügte es
sich passend, dass Uns nicht blos
die Bischöfe, sondern auch Sodalen
desselben Ordens sorgfältig über
De reform. ord. s. BasiL M, Ruth» naL in Gaticia,
103
Immoquod olim inOrientalium
Ecclesiarum discrimine Basilius
'roagnus, idem illi sibi faciendum
opportune censuerunt ut opem
Apostolicae Sedis imploraverint,
propositis etiam inter alia reme-
diis\ quae sanctus Josaphat in
caussa simili sapieater et ntiliter
adhibnit. Perplacuit Nobis com-
munis Episcoporum et Monacho-
rum voluntas: et leuiri coeptus
est animi nostri dolor Butheno-
rum caussa susceptuSf de quibus
quoties cogitamus, toties angi-
mur: non enim possumus vel
illatas fidei cathoUcae jacturas
non deplorare vel praesentia pe-
ricula non extimescere. Sed recte
sperandum in posterum judica-
mus, si Deo adjutore et au^ice
magnus ille Monachorum Ordo
ex Integro floruerit, quo vigente,
Ruthenorum viguit Ecciesia. Ha-
bendus enim ille est annosae
instar arboris, cujus radix sancta:
unde novorum insitione palmi-
tum fruptus expectare licet laetos
et uberes: idque eo magis quod
cultores expetuntur, quorum alias
est in opere eodem industria
spectata, scilicet sodales ex So-
cietdte Jesu, quo ipse sanctus
Josaphat et Velaminus Butski
Metropolita adjutores optimos
experti sunt- — Igitur de gravi
bujusmodi negotio , quod singu-
lares curas Nostras sibi jure
vindicat; mature deliberare jus-
simus aliquot Venerabiles Fratres
den Stand der Dinge unterrich-
teten.
Ja, sie erachten es für zweck-
mässig, dasselbe zu thun, was einst
in der gefahrvollen Lage der orien-
talischen Kirchen der heil. Basilius
der Orosse gethan, dass sie näm-
lich die Hilfe des apostolischen
Stuhles anriefen und unter anderen
Mitteln auch diejenigen vorschlu-
gen, welche der heil. Josaphat in
ähnlichem Falle mit Weisheit und
Nutzen anwendete. Es gefiel Uns
der gemeinsame Wille der Bischöfe
und der Mönche und es begann
sich unser Schmerz über die Bu-
thenen zu mildem, deren Lage Uns
mit Kummer erfallt, so oft Wir an
sie denken : Denn Wir können nicht
anders als die dem katholischen
Glauben zugefügten Nachtheile be-
klagen, und die gegenwärtigen Ge-
fahren fürchten. Aber mit Becht
glauben Wir auf eine bessere Zu-
kunft hoffen zu dürfen, wenn mit
Gottes Hilfe und Beistand jener
grosse Mönchsorden, unter dessen
Blüthe auch die Kirche der Bu-
thenen blühte, aut*s Neue wieder
aufblüht. Denn er ist wie ein Jahr-
hunderte alter Baum zu erachten,
dessen Wurzeln heilig sind. Und
darum darf man von dem Auf-
pfropfen neuer Zweige erfreuliche
und reichliche Früchte erwarten,
und das um so 'mehr, als Pfleger
erbeten werden, deren Geschick in
demselben Werke schon früher er-
probt wurde, nämlich Sodalen aus
der Gesellschaft Jesu, welche der
heil. Josaphat selbst und der Me-
104 Leo XUl €onvt Sing^Uintre praesidium d. d. J2. ülai 7882.
nosticos S. B. B: Gardinales e
sacro Oonsüio cfaristianae fidei
prop'agätidäe OHefiftaJibus - nego-
tiis praeposito. Quorum cum
probavtt*imtis sententias' , ad or-
dinandilm äo4^1itatoM Basttia-*
ttam in 'monasteriis Oalliöiae ea
qüae s^triitur aiietdriiltte Nostra
Äpodtolica decernimas religio-
seque servarf präecipimns.
Indytom Ordiuem S. Basifii
magni in 'Buthenis: ^ic restitni'
voinmtHf, ' ut nodales ejus ad sa» :
t^tAotsAi^ mnnera probe ex<mlti
in cttranda proiimoram saloie
Btopitema strenue versentar.
Atque in hoe' genere nthil opta^
lUtts magis , quam ab studeant
ipsüm S. Josaphatam ferme al-
tehim pareiitem suum imitari,
et ad excellentem ejus caritatem
proximo a^ed^re. Hujüs rei
gratia OoU^giam tirociniomm^
seu Ni^iatum^ ati Tocaat, jure
legitimo constiM volumus ia
Mönasterio Dobromilef^si intra
fines Dioeeesis Premisli^nsis :
cüjas n^nasterii templdm et oon-
tinetites aedes una cnm omni re
familiari luribtiS) reditibns Col-
legio tirociniOrtim seviNmtialui
cedant. *
Moüachod Ordinis BasHiani in
tropofit Batski als ihre besten Ge«
hilfen erprobt haben. — Velanin
haben Wir einige unserer ebrirär-
digea Brfider^ dia Gaardinäle der
heiligen römischen Kirche atus der
Congregation der Propaganda fide
für die orieotalisdien Angelegen-
- betten beauftragt, diese Angelegien*
heit> welche Unsere besondere FGr^
sorge mit Recht in Ansprach nimmt,
reiftiieh za erwägen. Dnd nach dem
Wir ihre Ausspräche gebilligt
haben^ beschliessen Wir mr Ordi-
nuüg der Basilianer-Sodaliitätiiiden
Klöstern Oaliziens kraft unserer
apo8t(dischen Autorit&t Folgendes
und wollen es gewissenhaft . bee^
bachtet wissen.
Wif wollen , dass der berühmte
Orden des heil. Basüius des Gh^ossen
bei den Bnthenen so wieder her-
gestellt werde^ dass seinci, Sodalen,
zum Priesteramte rechtschaffen
ausbildet, ernsüich am ewigen
Heile des Nächsten arbeiten und
in dieser Richtung wänschen Wir
nichts mehr, als dass sie trachten
mögen, den heil. Josaphat gerade-
zu als ihren zweiten Vater nach- -
zuahmen und seiner ausgezeich-
neten Liebe möglichst nahe zu
kommen. Darum wollen Wir, dass
ein Gollegium der Nonzen, ein so*
genani^es Noviziathaus im Kloster
zu Dobromir, dessen Kirche nnd
anstossende Gebäude mit allen Ein-
richtungen, Rechten und Einkünf-
ten dem Noviziathans abzutreten
sind, rechtmässig errichtet werde.
Wir befehlen, dass die Mönche
Detefatin,ord^8*BfMsü.M: Huth. nat. in Galicia.
105
€rallicia fatttTos tirocinium in Mo-
nasterio Dobrormilefisi ponere rato
tempore jubemas: si seeus fo^
saeriat,. professio reUgiosa irrita
infectaque estd.
<^ totios et firmios latis-
oeiitis Chrdtnis necessitatib^ con^
^nlatar*, pluresque adolesoentes
ad profitendum tarn salutare vitae
iüdiitatameicite&tttr, Privilegium
eamdem ob cauesam a Pio VIL
Decessore Nöstro renovatum vel
cancessum per Apostolicias Lit-
teras die 80. Juli an. 1822 da-
taä, quarum initiam Eor simt
orcHniSi Ma confirmamus , ui
etiam Latinos, nondum tarnen
sainis ordiiiibus initiatos , coop-
tari liceat. lis fas csto ad Ba-
thenorum ritnm sese in omaibus
coüfonnare ante solemnem pro^-^
fessionem: qua peracta, non ta-
mm antaa, ad ritnm Buthenum,
VQtito ad Latinum regressn, vere
etpenitus transiisse intelligantnr.
Cum snsceptnm hnjus Ordinis
reformandi negotium mnltas ha-*
beat difficultates, quae consilium
auctoritatemque Sedis Apoiäto-
licae postulant, idcirco* ejus re-
gimen Nobis et Bomanisr Fonti-
ficibus ^ucceasoribus Nostris re*
servamus, curam agente sacro
Ccoisitio ehristianae fidei propa-
gandae /Orientalibus negotiis
praeposito, donec aliter ab ipsa
Sanota^Sede Apostolica decerna-
des BasilianettOrdens. kfiÄ(tig,,^if
der bestinwt€^n Zeit das Novizif^t
im Klostf^r von Dobrpmir voll-
bringen 9Q]hu, ; wenn ^e i^s anders-
wa vollbringen, so solV ibr^ Qr-
densprofe$s null und nicbtiif.ß^ip«
um Swc dia Bedürfnia^ des npthf'
leidenden V Ordens ;£iiiihÄr^r und
dauerhafter vorznsorgen ^uQd melir
junge Leute anzuregen , i^inen so
heilsamen Lebensberuf zu erwählen,
bestätigen Wir aus derselben Ur-
sache das von Unserem Vorgänger
Pins VII. mit dem apostolischen
Schreiben Ea sunt ordinis vom
30. Juli 1822 erneuerte oder ver-
liehene Privilegium dahin , dass
man auch Lateiner, welche jedoch
noch nicht die heil Weisen em-
pfangen haben, beliehen ci^rf.
Diese sollen sich vor der feierlichen
Profess in Allem dem. ruthenisohen
Bitus €onformireß4 nach dear Prp-
fesS} aber nicht früher, sollen sie
wissen, dass sie unter dem Ver-
bote der Bückkehr zum lateini-
schen Bitus wahr)iaft und voll-
ständig zum rutheniscben Bitus
übergegangen sind.
Da di^ übernoQuneiie Aufgabe
der Beform dieses Ordens viele
Schwierigkeiten hat, welche^ den
Bath und die Autorität des apo-
stolischen Stuhles erfordern, so be-
halten Wir jseine Leitung Uns und
den römischen Päpsten Unserep
Nachfolgern unter der Obsorge der
heiligen Congregation .der , Propa-
ganda für die orientalischen Ange-
legenheiten vor, bis von diesem
heiligen Stuhle anders verfugt w|rd^
106 Leo XIIL ConuL Singular i praesidium d. d. 12. Mai 1882.
tur. Eidem sacro Consilio jus
potestatemque tribaimus nomi-.
nandi, rite perrogata Monacbo-
rum sententia, . eligeudique Pro-
toegumenum , ßeu Praepositum
Ordinis in Oallicia Provincia.
Hanc itaque sodalitatem Basilia-
nam ab ordiuaria^ Episcoporum
et ipsius etiam Metropolitae Ba-
thenorum auctoritate et jarisdic-
tione omnino eximimus et exemp-
tam esse declaramus: salvatameö
potestate, quam Trideutina Sy-
Dodus Episcopis in hoc genere
attribuit etiam uti Apostolicae
Sedes Delegatis.
Gollegiam tirociniornm , quod
diximus, veterum exempla se-
quuti, nominatim S. Josaphati et
Velammi Batski Metropolitae,
Societati Jesu instituendam ac
regendom taindiu concredimus,
quamdiu ex ipso Ordine Basi-
liano non extiterint viri, quibos
Monasterii Dobromilensis regendi
caram Sedes Apostolica deferen-
dam putet.
Itaqne praecipimus, uti quam
primum Coenobii Dobromilensis
et NovUiatus magisterium guber-
nationemque suscipiant lecti ali-
quot e Societate Jesu sacerdotes ;
qui tarnen non modo quod ad re-
ligiosam disciplinam, sed etiam
quod ad officii mutationem in
potestate ordinariä Antistitum
suerum, uti nunc sunt, ita esse
pergant lisdem sacerdotibus e
Societate Jesu Protoegumenus
^radat, salvo tarnen Basilianis
Derselben Congregation verleihen
Wir das Beebt und die Macht nach
ordnungsmässiger Anhörung des
Gutachtens der Mönche den Pro-
toegumenen oder Probst des Or*
dens in der Provinz Galizien za
ernennen und zu erwählen. Darum
eximiren Wir diese Basilianische
Sodalität von der ordentlichen Au-
torität und Jurisdiction der Bischöfe
und auch des Metropoliten der Bu-
thenen und erklären sie für eximirt,
jedoch unbeschadet der Gewalt,
welche das Ooucil von Trient den
Bischöfen in dieser Bichtung ver-
leiht, auch Delegaten des aposto-
lischen Stuhles zu verwenden.
Die Einrichtung und Leitung des
erwähnten Noviziates'vertrauen Wir,
nach dem Beispiele der Alten, ins-
besondere des heil. Josaphat und
des Metropoliten Velamin Butski,
der Gesellschaft Jesu an, so lange
als nicht Männer aus dem Basi-
lianer-Orden selbst vorhanden sind,
welchen der apostolische Stuhl die
Leitung des Klosters von Dobromir
zu übertragen erachtet.
Darum verordnen Wir, dass einige
auserwählte Priester aus der Ge-
sellschaft Jesu sobald als möglich
das Lehramt und. die Leitung des
Klosters von Dobromir übernehmen;
jedoch sollen dieselben, sowohl in
Bezug auf die Ordenszucht, als auf
die Umwandlung der Pflicht, so
wie jetzt, auch kfiAftig unter der
ordentlichen Gewalt ihrer Bischöfe
stehen. Diesen Priestern aus der
Gesellschaft Jesu soll der Protoe-
gumene, jedoch unbeschadet des
t)t reform. ord. «. j^asiL M, Ruth, nat. in GalicuL
107
jure domiDÜ, monasterium supra-
dictum, Nobis jam ultro obla-
turn ^ una cum omnibus ejus
bonis ac reditibus : de eaque tra^
ditione instrumeutum justüni per^
ficiatur, Ea bona eörumque bo-
norum fructus in tuitionem Coe-
nobii et Alumnorum insumendos
administrent sacerdotes Societatis
Jesu, uon auctoribus Monachis
Basilianis, auctore Sacro Con-
silio Christiane nomini propa-
gando, cui in annos siogulos ra-
tioues accepti et expensi, item
relationem de statu tirociniorum
deque adlectis inter tirocinia ex
ftde* reddant.
Monasterium Dobromilense,
quod interim potestate Protoegu-
meni exsolvimus, accipiat quot-
quot ex Butheno vel Latino ritu
in Ordinem Basilianum cooptari
se velle declaraverint. Nee ta-
rnen cooptentur, nisi quos probos
et idoneos esse constiterit non
solum legitimis de vita mori-
busque litteris, et utriusque Or-
dinarii tam originis quam do-
micilii testimonio, verum etiam
semestri probitatis constantisque
voluntatis documento, quod intra
Monasterii septa ante ediderint,
quam vestem initialem sumpse-
rint.
Dobruaiileusea alumui seu N(h
Besitzrechtes der Basilianer , das
eben erwähnte, Uns schon freiwil-
lig angebotene Kloster mit allen
seinen Gätern und Einkünften über-
geben; und über diese Uebergabe
soll ein rechtsgiltiges Instrument
abgefaisst werdeu. Diese Güter und
ihr zur Erhaltung des Klosters und
der Alumnen zu verwendendes Er-*
trägriiss sollen die Priester der Ge-
sellschaft Jesu verwalten, nicht im
Auftrage der Basilianer-Mönche,
sondern im Auftrage der Propa-
ganda, welcher alljährlich über
Einnahmen und Ausgaben Bech-
nung zu legen und über den Stand
der Novizen und über die in's No-
viziat Aufgenommenen gewissenhaft
Bericht zu erstatten ist.
Das Kloster von Dobromir, wel-
ches Wir einstweilen von der Ge-
walt des Frotoegumenos befreien,
soll Alle, welche erklären, dass sie
in den Basilianer-Orden aufgenom-
men zu werden wünschen, aus dem
rutbenischen oder aus dem lateini-
schen Ritus aufnehmen. Jedoch
sollen nur Solche aufgenommen
werden, von welchen nicht blos
durch rechtmässige Zeugnisse über
ihren Lebenswandel und durch das
Abstammungs- und Heimathszeug-
niss ihrer Ordinarien beider Biten,
sondern auch durch eine halbjäh-
rige , in den Klostermauern vor
Anlegung des Novizenkleides ab-
zulegende Prüfung Mer Becht-
schaffenheit und ihres standhaften
Willens bekannt ist, dass sie recht-
schaffen und tauglich sind.
Pie A^lmnnen oder Novizen ^qu
tos Leo XllL Const Singulare praesiMum d.d. JZ. Mai.J882.
vUa ad omnem pietatem reli^
giosamqne perfectionem infor-
mentinr ei ^iastitato Ordinis Bar
siliaxii diseiplinaqae per Sanc-
tarn Josapliatam ordinata« Cum-
qne omDVDO yelimas Rnthenoraai
rita^ probatasqve ooasuetudines
inTiolate wrvarif earent et pro«
Tideant rectorea MoDasteriU ut«
aliqno adhibito 6£ sacerdotibus .
Batbema, in aede aaora coutir
nenti dima . officia peragantar,
et SieramMita adminiatreatar
rittt BnirbeBÖ.: item ut alumni
likirgiam Deremoniasqae Butiie**
na» aednio ediscant lidem
«Ininai f cU vinaa latides rite . per*
»otnat^ aasaeaoant: abatinentiaa
et jejiini^' ad praeaoripta Saneti
ilcaapibatisaryant : ea tarnen pro«-
denter temperare Coenobii f rae^
leate.iliceatd xui et licere yoIu-
itos eoBf qnibAisr praeesi, a pvaer
oeptiseecläsiastieiejüfitade cauasa '
eESolvBc^, eidem^ue ceteras fa«-
mitates jm^ertimos, qnas in An-^
tiatites: Ordinqm röligiosomm
<3enferr6 Sedes Apeatolica com-
suent;
"•■'■ Saprameutalefi alumiionin) eon»
fessioBeö, etiam biehnk) postr.
faam vdta aimpUda lianonpaye«
rint^^ exoipiat ipaoram magister,
^i forte praefeetnram monaste*
ni, idem. gerat: ita tarnen ut
iUis int^ram sit, qnandocnmqne
volnerint) ad extraordinaxium
Confeasarinm aocedere.
Dobromir soll^ jiiacb.der Regel
dea Basilianer-Ordena no^d der vom
heil. Joeaphat (j^o^eord^eten Dia*
cipiin in aller Frömmigkeit und
VoUkommeobeit des Ordenslebena
herangebildet werden. Und da Wir
durchaus wollen , dasa der Bitns
und die gutgebeissenen Gewöhn-
, heiten der BatbeQ^n unverletzt be-
wahrt werden, ^ sollen die Leiter
des. Kloöters dafür Vorsorge treffen^
dass durob einen ruthenischen
Priester nach dem rutheniachan
Bitus der Gottesdienst in der w-
stossenden Kirche abgehalten, m^d
die Sacramente gespendet, werden. .
Auch sollen die Zöglinge die k^ch-
lichen Tagzeiten ordnungsmässig
persolviren, Abstinfenz und Pasten
nach den Vorschriften des heil.
Josaphat beobachten; jedoch soll,
es d«m Prafecten des Elostent. er-
laubt seiUf siq in kluger Weise zu
milder». Auch wollen Wir, dass
es ihm erlaubt sei, seine Unter-
gebenen aus gerechter Ursache von
den kirchlichen Vorsehriften zu be-
freien und verleihen ihm die äbri-
gen Facnltäten, welche der aposto-
lische Stuhl den Vorstehern der
religiösen Orden zu verleihen pflegt.
Die sacramentalische Beichte i^er
Alumnen soll auch noch zwei Jahre
nach Ablegung der einfachen Ger
lübde ihr Novizenmeister abnehmen,
auch wenn er zuf&llig Präfect des
EQosters wäre, so jedoch, dasa es
ihnen unbenommen bleibt, so oft
sie wollen, sich an einen ausserr
ordentlichen Beichtvater zu wen-
den.
be^t^forh, oM.s.BmiLM*Rüth49iat'in Galicia.
J09
Po6t tiit)clniü^ äüiii uftiü&iöt
siBX beWeyrÄAdü'iri, Vota si«npli(äa
AlümnöS titmöupai^e las -^td, di
rhb&o -aighl et Kabilös ad öffida
ÖMitiis stii Äritistittitti jüdiciö
Vidöafatuh ' Qüös mirtüs dignos
äftiütiWe idane6s esse canstfteriti
&0S cftiatasi votis obätrictos, (|[uae
äevotibnäUa appöllaiitar^ Prae-^
fectlas Ooeüobii iisdeto solutos
äbire jubeat. Qui vota siiiiplkJia
ritö ediderint, eos abirö jubere
ne liceat oitra S^is Apostolicae
aitretöritatem , erceplo quöd evi*
dieiisDecesditasrurgeatqüa^ cunc-
tatic^flem düllam recipiat.
Alumni post Vota siinplieia
Säcei^dötibtis Societatis ^esu stu-
diorum moderatöribus ad huma-
niores litteras instituantar: möx
philosophiam et tbeologiam sab
iisdetö doctöribus percipiant, at-
que in iis studiis ad disciplinam
D. Thomae Aquinatis exerceantur.
«lisdem, exacto a nuncupatione
votorum simplicium triennio, Or-
dinem Basilianum solemni ritu
profiteri liceat, servatis legibus
a f. r. Piö IX. Decessore Nostro
editis, imprimis Constitutione Äd
Universalis JEcclesiae edita die
7. Febroarii 1861.
Haec quidem decemenda judi-
- Nach : ein®B Jahr und sechs
Woehen sollen die Alumnen die
einfadien • öelübde abfegen dürfen,
wenn äie nur ijachl 4eni ürtheii
' ihrör . Vowteher als/ < würdig und
'tattgüehf ffcf' die -^Pflichten ihre^
Ordenä ötkaant werden. Diejeni-
gen, von 'Welchen' Consta tirt ist,
dass sie minder würdig oder min-
der tauglich seien, k^ll der Prä-
feetdea Klosters; auch wenn sie
durch die sogenannten devotioDalea
Gelübde gebnmdjeri sind, von den-
seBwn lösen und' entlassen. Die^
jenigen,^ ^welche die: einfachen Ge*
lubdeabgel^ haben, dürfen nicht
ohne diB Erläubrtiss des apoatoli-
scheit Stuhles * entlassen werden,
jaus&öT im Falle einer dringenden
= Nothwendigkeit , welche keinen
Aufschub zulässi
Nach Ablfegung .der einfachen
Gelübde sollen die Alumnen durch
Priester der Gesellschait Jean als
Leiter ihrer Studien;, in den Hu-
maniora gebildet ; werden , darauf
sollen, sie' Philosophie und Theo-
logie unier densdben Lehrern stu-
diren und bei diesen Studien in der
Disciplin des heil. Thomaä von
Aquino geübt werden.
Drei Jahre nach Ablegnng der
einfachen Gelübde soll es üuien er-
laubt sein, die feierliche Profess im
Basilianer<-Oi3dan abzulegen, unter
Beobachtung der von unserem Vor-
ganger Pius IXi seligen Andenkens,
insbesondere der Constitution Ad
universalis Ecclesiae vom 7, Fe-
bruar 1861 erlassenen Gesetze,
Das haben Wir anordnen zu sol-
HO Leo XIIL Conat. Singtäare praesidium d.d. 7Ö. Mai 188^,
cavirnns. Interim diligens da-
bitur opera perscribendis vivendi
legibus aeu Constitutionibus, iis-
que ad ipsas illas propios ac-
cedentibus, quas Basilins, Jos^-
phat tarn praeclare condiderunt,
Eas vero Nostra et hujus Apo-
stolicae Sedis anctoritate recog-
noscendas et approbandas esse
volumus. Bt hac demum ratione
fnturam confidimus, ot Basiliana
Bnthenorum in Gallicia societas
in spem gloriaQ veteris, opitu-
lante Deo, reviviscat, atque ad
omaem virtutem instructa, id
facile assequatur qnod ejus tum
conditor Basilins, tum restitntor
Josaphatus animo proposuerant:
nimlrum catholicnm nomen in
alteris conservare, ad alteros pro-
pagare , avitara ejus gentis cum
Ecclesia Bomana conjunctiouem
tueri , Episcopis Bnthenorum,
catholicis adjutores doctos, in-
dustrios, bene animatos suppedi-
tare.
Verum adlaborantes pro inco-
Inmitate Basilianae in Gallicia
familiae, non in hac unice curas
deflgimns, ut non etiam ceteros
Caritas Nostra complectatur ejus-
dem alumnos extra Qalliciam
consistentes. Qui sane paii studio
benevolentiaque Nostra digni
sunt, maxime ob utilitate Eccle-
siae catholicae non modo partas,
sed etiam reliquas et speratas.
Interea pro certo habemus, eos
minime sibi defuturos, ac volle
oniversQs omni ope contendere.
len erachtet. Inzwischen mOge man
sorgfältig bemüht sein, Lebensre-
geln oder Constitutionen zu ver-
fassen, welche denen, die Basilius
und Josaphat in vorzüglicher Weise
gegeben haben , möglichst nahe
kommen. Dieselben sollen durch
Unsere und des apostolischen Stuhles
Autorität eingesehen und bestätigt ,
werden, und schliesslich vertrauen/
Wir, es werde die Basilianer-Ge-
nossenschafb der Bnthenen in 6a-
lizien zur Hebung des alten Bnhmes
mit Gottes Hilfe wieder aufleben,
und, in aller Tugend unterwiesen,
es leicht dahin bringen, was so-
wohl ihr Stifter Basilius als ihr
Wiederhersteller Josaphat sich vor-
gesetzt, nämlich den katholischen
Namen bei den Einen zu erhalten,
unter den Anderen auszubreiten,
die angestammte Verbindung dieses
Volkes mit der römischen Kirche
zu bewahren, den katholischen
Bischöfen der Bnthenen gelehrte,
thätige, gutgesinnte Mitarbeiter zu
liefern.
Aber indem Wir für die Wohl-
fahrt der Basilianer-Familie in
Galizien arbeiten, ist unsere Für-
sorge nicht so ausschliesslich dar-
auf gerichtet, dass Unsere Liebe
nicht auch die übrigen Aluronen
derselben ausserhalb Galiziens um-
fassen sollte. Denn sie sind ge-
wiss in gleicher Weise Unseres
eifrigen Wohlwollens würdig, nicht
blos wegen des Nutzens, welchen
sie der katholischen Kirche schon
gebracht, sondern auch noch in
Zukunft bringen werden, Inde^seq
De reform, ord. 8. Baail. M. Hutk. nat in Oalicia,
11t
ut dignitas retineatur Ordinis
Basiliani, atque omniam mona-
steriuiA exoptata conjunctio,,Dei
beneficio, obtineatur. — Venera-
biles autem Fratres Buthenorum
Praesales, de sodalitate Basiliana
egregie meritos, libenti animo
fatnros arbitramur, oon quod
ipsos in hac parte levandos onere
daximus, sed quia, rebus aucto-
ritate Nostra ita constitutis, jure
ea bona ex Ordine Basiliano ex-
pectari possunt, quae communi
omnium desiderio expetebantur«
Prosperos coeptorum exitus im-
petret a Deo ipsa parens ejus
Maria Virgo, una cum Michaele
Archangelo, caelesti Gallicien-
siam Patrone, et Basilio magno
et Josaphato martyre: quorum
omnium gratia faxit Deus, ut
plnrimi ex omni hominum ordine
in animum inducant hujus refor-
mationis beneficia experiri.
Haec volumus, mandamus at-
que indulgemus, decernentes ir-
ritum et inane si quid contra
praemissa a quavis auctoritate
scienter vel ignoranter contigerit
attentari. Contrariis quibuscum-
que etiam special! et iudividua
mentione dignis minime obstan-
tibuSy quibus omnibus et singulis
sind wir gewiss, dass sie keines-
wegs gegen ihren Vortheil han-
deln und vor Allem auf jede Weise
dahin streben werden, dass die
Wärde des Basilianer-Ordens ge-
wahrt und mit Gottes Hilfe die
erwünschte Verbindung aller Klöster
erlangt werde. Die um die basi-
lianische Genossenschaft hochver-
dienten ehrwürdigen Brüder, die
Bischöfe der Buthenen , aber wer-
den, denken Wir, sich freuen, nicht
weil Wir sie in dieser Richtung zu
entlasten erachtet haben, sondern
weil man, nachdem die Angelegen-
heit durch unsere Autorität so ge-
ordnet ist , mit Becht jene Güter
vom Basilianer-Orden erwarten
kann, welche durch das gemein-
same Verlangen Alier erbeten
wurden.
Einen gedeihlichen Erfolg des
Unternehmens erflehe von Gott
seine jungfräuliche Mutter Maria
mit dem himmlischen Patrone der
Galizier, dem Erzengel Michaelt
mit Basilius dem Grossen und dem
Märtyrer Josaphat, durch deren
Fürbitte Gott geben wolle, dass
Viele aus allen Ständen sich vor-
nehmen , die Wohlthaten dieser
Reform zu erfahren.
Das wollen, befehlen und ge-
statten Wir und verordnen, dass
ungiltig und nichtig sei, was gegen
das Voranstehende von was immer
für einer Autorität wissentlich, oder
unwissentlich unternommen werden
sollte. Dem soll nichts was immer
Widersprechendes, auch wenn es
besondere und einzelne Erwähnung
il2 Leo Xltl, Const Singulare prae^idittm d. d. li* Mai ISSi,
ad effectum dumtaxat praesen- verdienen wurde, in keiner Weise
tium Apostolica auctoritate de-* entgegenstehen und Wir derogiren
rogamus. Yolnmus autem ut es im (Hnzeu und Einzelnen, ki^aftf
praesentium Litterarnm eiemplis unserer apostolischen Aptorität .je-
etiam typis impressis, ncianu ali- doch nur zum vorliegendeu Zweake^
cujus Notarii publici subscriptis Wir wollen aber, dass d^n Exens^-
et sigillo personae in ecclesiastica plaren dieses Schreibens, auch Am
dignitate constitutae munitis, gedruckten, wenn .sie von der Band
eadem prorsus fides ubique in eines öffentlichen Notars untf^r-
judicio et extra illud adhibeatur, schrieben und mit dem Siegel ei^r
quae ipsis praesentibus habe- in einer kirchlichen Würde stehen-
retur, si forent exhibitae vel ex- den Person versehen sind , überall
tensae. vor Gericht und ausserhalb des^
selben derselbe Glaube hdgemesseB
werde, wie dem, gegenwärtigen
Schreiben, wenn es vorgezeigt oder
entfaltet würde.
* Datum ßomae apud S. Petrum Gegeben zu Rom bei St. Peter
sub annulo Piscatoris die 12. Maji unter dem Fischerringe am 12. Mai
1882 Fontificatns Nostri anno 1882 Unseres Pontificates im fünften
Quinto. * Jahre.
Leo PF. XIII. Leo XIII Papst
Die Germania Nr. 244 meldete aus Lemberg vom 29. Mai 1882,
»gegen die päpstliche Bulle zur Reformation jäes BasUianer^Ordens
erklärte sich die von schismatischem Geiste durchseuchte ruthenische^
Presse , was vorauszusehen war. Jetzt hat nun der Basilianercafi-^
vent eu Buczace (Kreis Stanislau) in Rom Protest dagegen erhoben;
dass das Noviciat von Dobromir den Jesuiten unterstellt werde.
Ruthenische Blätter melden triumphirend, es würden weitere Pro-
teste folgen und der weltliche Klerus mit seinen Decanatsversamm-
lungen gleichfalls gegen das Ejitschreiten Roms Verwahrutig ein-
legen. Dass schwache Elemente innerhalb des Ordens sich der
strengen Zucht der Jesuiten nicht besonders gern unterstellen wür-
den, hätte Niemanden Wunders genommen ; der Protest von Buczacz
beweist aber klar, wie hohe Zeit es war, dass der h. Stuhl fest zu-
grifi. Mit der Demonstration werden die Ordensautoritäten schon
« fertig werden; sollte aber der weltliche ruthenische Klerus sich das^u
verleiten lassen, an derartigen Demonstrationen gegen <ien b. Stuhl
und die eigenen Bischöfe Tbeil zu nehmen^ so müsse der Metropolit
dagegen einschreiten, derselbe Metropolit, der kürzlich noch den
[Klerus vor gewissen als ultramontan bezeichneten polnischen Blättern
Protest "äes Baail'Oönv^v. ßUczdCB'ffeg.' die tief. d/Ördenk HS
wairnie, welche deü Mtith hatten, anf gewisse naeh dem schismati- •
sehen Riissland Hnfiberscliielend^ Elemente iiü nrtbenrschen Klerus
airfmerfesam zti iiaehen. Eö ist Thatsache, dass der päpstliche StöM
die hekannte Hefom des Basiliarier-Orfens angeordnet hat auf die
Initiative des Ordisiis^selbet, namentlich seines Provluzials. I>ie
Sache wtode fei^ner auf einer Goiiferenz besprechen, welche die rw-
thmischen und '^olniBehen BisiMfe auf Veranlassunlg *^es Ottltu^
miuisters mit d-em ' Statthalter töü Qalizien' - abgehiatteri haben: DK^
nials machte der' ruthenische Bischot 'StüpmsM von Pwemyil darauf
aiifmertsam , dass gewisse Leute darin, däss man die Durchfuhrung
der Reform äen Jesuiten überträfe, eine pö?i^scÄ6 Massregel eri^
blicken und daraus Veranlassung zu Aufreizungen nöhnieh worden;
gegen die Reform selber war der Bischof nicht. Der Bischof Mö^
^awsM ^ntgegn^te^ ein gewisses Ödium würde im Lager der Buthenen
imiäö^i*hiii iiadureh angeregt werden, dass einem fremden Orden die
Safehein die Hand gelegt weiSl«; dadurch, dass man die Jesuiten
wähle, sei wenigstens die Oaräntie gegeben, dass die Reform werde
di*chg€!fahrt n^^rden, wÄtitti ehtgegengeäetzfen Fälle TiellSicfet' nicht
er<rarf et Verden könne;' Diese Betaerküiigscheirit' das' Bedenken des
Bfechöfö'*Stupnicki beseitigt ' zu haben. - Der rütheiffsche Itfetropolil
Sembratowicsi erhob keinerlei Bledenken gegen die beabsichtigtiö''H0-'
form, .welche von dem Provincial der Basiliäiuer, ?r Samicki^ lebhaft
empfohlen wurde. Welche Stdlüng sonach- die 'geistliche 'Behörde
einnehmen wird, Hegt auf der Hand, und um musseü^ abwarten^ ob
die Hetzereien der ruthenischen' Presse innerhalb' des' ruthenischeti
weltlichen Klerus Erfolg haben* werden. Mau darf nicht ■übersehen,
dass hinter allen diesen Agitationen ^as schism^isdie Russlaöd ^teht« ,
Unter dem 1. Juni 1882 meldete die Germania Nr. 249 aus
Lemberg weiter : Der Brotest der Basiliaüer zu Buczdcsiiegb nnn^
mehr vor. Es ist bezeichnend, dass (der Slöwo) eiii pc^iti3ches Blatt, das
in schismätischem Fahrwasser segät, in der Lage ist, zuerst das be-'
daüerliche Aktehstück zu veröffentlichen. Das Schreiben, welches sich
an die* gesammten Basilianer in Gali7ien^^ wendet}, ist dentf auch iö
einem Tone verfasst, wie man ihn in MrchlicheTt Aktenstücken, die'
man an die' competente^ Seite etwa um Abstellung vou tJebelstän-
den richtet,' nicht findet. Der Provinaal des Ot'dens, P. /SarmVÄJtV
hatte die Cdnvente unter Uebersendung der päpstlichen Constitution
eingeladen, an den h. Vater durch Vermittelurig des Provinzials ihren
Dank für die Constitution auszusprechen. t)ie Mönche erklären, sie
hätten keine Veranlassung, dem Papste i^a danken, da sie Weder ihn
noch sonst Jemand um die Constitution gebeten, noch ihren Provinzial
Arohiy für Kirchenrecht. XLVUL 3
114 Protest des BcLSÜ.-Conv, v. Buczacs geg. die Ref. d. Ordens.
dazu ermächtigt hätten! Der Provinzial habe vielmehr einen für
den Orden »sehr verderblichenc Schritt gethan, indem er in »heim-
tückischere Weise ohne Wissen nnd Ermächtigung des ganzen Or-
dens das Kloster za Dob'romir nebst seinem Vermögen auf unbe-
schränkte Zeit unter die Verwaltung und bedingungslose Nutzniessung
der Jesuiten gestellt, unter deren Botmässigkeii in Zukunft das. No-
viciat stehen solle, ohne dass die oberste Behörde des' Basilianer-
Ordens eine Aufsicht darüber führe. Dagegen wird SÜQ^^uch er-
hoben und, bevor über eine Beform des Ordens das noch in diesem Jahre
stattfindende Capitel befinden werde, wird erklärt: 1) Jede weltliche
un4 geistliche Vereinignng bespfaliesst, für sich. selbeiT, W09 iiöthig sei,
und legjB dio Beschlüsse ihren Oberen nur zur Bestätigung vor; des-
halb protestire der Orden gegen die Octroyirung anderer Grundsätze.
2) Die Basiliatrer wollten der Jurisdiction ihres Metropoliten nicit
entÄögfen werden. 3) Nur der Metropolit solle ito Verein mitihÄeri
Sefotmen einführen, ohne die geringste Mitwii^ung der Jesuiten;
4) A]^ das Energischste widersi&tzen sich die Basilii^ner deoiydas»^
nach der päpstlichen Bulle den Vorstehern und Directoren dei:.
Schulen das Kecht entzogen werde, alle vier Jähre einen neuen Vor:
geisetzteii und Consulenten für den Orden zu erwählen; Niemand
soll« 81^ dabei einiiaischen. ;5) Die Ba^öllaner geben nicbt ihl:^
EinwilligBiig.dsiKn, das» das .Kloster zcr Dobromir den Jeaiiitea:übar^
geben werde, weil dßi: Provinzial die »Curiec(!) ^regefuhrt mit der
Erklärung^ alle Patres und Laienbrüder des Ordens wftnschten dieses;,
dks ser^ieltnehi* seinerseits eine »scliamlose Lfige.c Schliesslicli
werden die Mönche in 4en übrigen Orden aufgefordert v Üefem
Schritte sieb>^tiznschUes$en; Diese» Schreiben iiefert s^ho»' allein
den Beweia, das^ieipe, gründliche Beform des Orde^is dnjigeod g^:
boten ist. — Die »Gazeta Narodowa« sprach jedoch die Vermuthiin^
aus, der Protest der Basilianer von Buczacs sei ein Falsificat, weil
das Scbriftistück keine Unterschritten, sotiderrf nur ein Siegel habe,
dessen Bcbttoit 2U b€»zw«ifeln m« Der Oonveni selbst hat das Schrift^
stüi^k aber bisher nicht als unecht bezeichnet. Nach. dem intheni^
sehen Blatte »Dilo« ßoUen. noeK viel andere BasilianercpnveAtegege&v
die päpstliche Bulle prptestirt haben , , ebenso sechs Gremeinden . im .
Kreise Dobrbmil und der Klerus des Decanates Lubäczöw, während
in anderen Decanaten Proteste vorbereitet würden. (Vgl. Germ. Nr. 254
unter Lemberg 3. Juni 1882.) Einzelne Basilianerconvente haben (vgl.
Bericht der Germ. Nr. 264 aus Lemberg 12. Juni 1882) aus Anlass
der päpstlichen Bulle ^lugIi hei der ^Elegierung einen Öolleäivprocess
eingeleitet. Die Regierung hat keine Veranlassung, der durch die
competente geistliche Behörde im Einverständnisse mit der Central-
regierung entschiedenen Angelegenheit näher zu treten.
115
VI.
Deeretum s. Oongr. Officii dd. Ferla IV. 1 Febr. 1882, .
i ät invalida dispensaiione ob copiüam in^estnosam aponaorum.
(Vergl. Archiv Bd. 45. S. 328 fL)
Ih congregatione generali S. B. et universalis inquisitionifl
halJila, coram Emm. ac. Rmm. DD. S. B. E* Cardinal ibas in rebaa
fidei inquiaitoribus generalibus proposito dubio : Utrum ad valorem
dispeasatiOQumi quae sive directe ab apostolica Sede, me es pon-
tifieia delegationa coQceduntar suimr quibnseumqne gradibus prohi-
bittd cousanguinitätis, affinitatis, cognationis spiritualis et legalis nac
non publicae faonestatis uecessarium dit exprhnere copulam iacestuo^
s^m a spoasia babitam ante impetrationem vel executionam praedic*
taniin dispensatipnum ; nec non exprimer^ consilium et intentionetn
cum qua (M^ulam inierunt obtinendae focilins dispensationis.
' lidem Emi ac Bmi DD, praehabitö Veto DD. Gonsultomm
r^spoüdendum decreverunt: Standum Decretig S. 0. feria IV-
8« Augusti et sacrae Poenitentiariae 20. Julii 1869.
Decretum autem s. Off. d. 8. Aug. 1806 cfr. in nostro Archiv,
tarn. 45« pag. 329 sq., (ubi äutem falso relatum est aliud datom d,
1. Aug.)
Decräum vero ^. Pömit. d. 20. Juh 1869 in Archiv, eod,
loeo jun laudatum hunc habet teuerem : »Post conatitätioDem Bene-
dict! IV. Pastor ionus non posse amplius dubitari de nullitate
düspensationis obtentae reticita copula incestuosa vel prara intentione
facilius obtinendi dispensationem habita in ea patranda^c
8*
116
VII.
Die französischen Schulgesetze vom 15. März 1850 und
28. März 1882. und die bischoflichen Anweisungen beti^i das
Verhalten der Katholiken zum letzteren Gesetze.
1. Lot du 15. Mars 1850.
(Pnblicirt in Nr. 86. des Moniteur ÜDiversel , Journal Offi6iel de la Repu-
blique Fran^aise. Mercredi 27. Mars 1850.)
B^publiqne Fran^aise.
Liberte, Egalite^ Fratemüe. Loi sur VenmgnemmU
Au Nom Du Peuple Fran^ais/
L'Assembl^e nationale a adopt^la loi dont la tenear suit:
Titre I. Des autorit^s pr6pos6es a l'enseignefnent.
Chapitre L Du conseil sujperieur de Vinstruction puUique.
Art. 1. Le conseil sup^rieur de Tinstruction publique est com-
pose comme il suit:
Le ministre, pr^sident;
Quatre archeveques, ou ^veques, 61uö par leurs collfegues ;
Un ministre de T^lise röformöe, 61u par les consistoires ;
Un ministre de T^ßglise de la confession d/Augsbourg, flu par
les consistoires;
Un membre du consistoire central israflite , flu par ses
collegues ;
Trois conseillers d'feat, 61us par leurs collegues;
Trois membres de la cour de Cassation, 6Ius par leurs collögues.
Trois membres de llnstitut , flus en assembl^e g^n^rale de
FInstitut; -
Huit membres nomm^s par le Präsident de la Räpublique, en
conseil des ministres, et choisis parmi les anciens membres du con-
seil de rUniversitö, les inspecteurs gönöreaux ou supdrieurs, les
recteurs et les professeurs des facultes. Ces huit membres forment
une section permanente;
Trois membres de Tenseignement libre nommös par le Präsi-
dent de la Bäpnblique, sur la proposition du ministre de Finstruction
publique.
Art. 2. Les membres de la section permanente sont nommäs
ä vie.
Französisches Ünterrichts-Gesetz vom 15. März 1850, 117
IIs ne peuvent 6tre revoquds que par le President de la Repa-
blique, en conseil des ministres, sur la proposition du ministre de
rinstruction publique.
Ils refoivent seuls un traitement.
Art. 3. Les autres membres du conseil sont nommös pour
fiix ans.
Ils sont ind^finiment r^ligibles.
Art. 4. Le conseil supörieur tient au moins quatre- sessions
par an.
tes ministre peut le convoquer en Session extraordinaire toutes
les fois qu'il !e juge convenable.
Art. 5. Le conseil superieur peut etre appele ä donner son avis
sur les projets de lois, de reglements et de decrets relatifs ä renseigne-
meüt, et en g^n^ral sur töutes les questions qui lui seront soumises
par le ministre.
Jl est nöcessairement appelö ä donner son avis:
Sur les reglements relatifs aux examens, aux concours, et aux
programmes d'etudes dans les äcoles libres, et en g^neral, sur tous
les arretäs portant reglement pour les Etablissements d'instruction
publique;
Sur la cr^ation des facult^s^ lycEes et Colleges;
Sur les secours et encouragements ä accorder aux Etablisse-
ments libres d'instruction secondaire;
Sur les livres qui peuvent etre introduits dans les Ecoles pu-
bliques, et sur ceux qui doivent. etre defendus dans les Ecoles libres,
.comme contraires ä la morale, ä la Constitution et aux lois.
II prononce en dernier ressort sur les jugements rendus par
les eonseils acadEmiques dans les cas dEterminEs par Tart. 14,
Le conseil präsente, chaque annEe, au ministre un rapport sür
retat göneral de Tenseignement, sur les abuaqui pourraient s'intro*
duire dans les Etablissements d*instruction , et sui^ les moyens d'y
remEdier.
Art. 6. La section permanente est chargEe de Texamen prEpa-
ratoire des questions qui se rapportent ä la police, ä la comptabilitE
et ä Tadministration des Ecoles publiques.
Elle donne son avis, toutes le fois qu'il lui est demandE par
le ministre, sur les questions relatives aux droits et ä Tavancement
des membres du corps enseignant.
Elle prEsente annuellement au conseil un rapport sur TEtat de
Fenseignement dans les Ecolbs publiques.
118 . Französisches UnterrichiS'Giß^tz «o«i lÄ/ März 1850,
Chapitre IL Des conseils acad&mi^ues.
Art 7. n sera ^tabli aue acadänie dans cbaqpe d^partement.
Art. 8. Ghaque acad^mie est administr^e par ma recteur,
assist^, di le ininistr^f le jage necessaire, A'x^ ,ou. de plusieurs in-
specteur»^ et par HB conseil acad^Buqne.
Alt. 9; Les reeteurs ne sont pas obokis exelusiT^ment parmi
les membres de l-enaeignement pablic
Ils doivent avoir le grade de licenci^, oü dix ann^es d'exerdoe
comme inspecteurs d^äcad^mie, proviseavs, ceBsenrs, ehe& ou profes-
seurs des classes snp^rienres dans un ätablissemeDt public ou libre.
Art. 10. Le conseil acad^miqae est compos^ ainsi qaäl snit:
Le irecteur^ pir^sident;
ÜB iBspectear d'aoadäflne, ied fofictionBaire de TeBseigBeBieat
btl BB inspectear des öooles primaires, däsign^ par le ministre;
Le prüfet OB BOB däl^ga^;
L'öi^dqoe OB sob dä^gnä;
CM eeel^slatiqBe d^sigB^ par F^ySqBe;
Un miBistre de TBne des deBx %lises proteataBtes, d^igBifi par
le ministre de l'instmctioB publiqae , dans les departements ob il
existe Bne %lise I^alement ^tabÜe;
ÜB d^I^ga^ dB consistoire isra^lite daBS cbacan des d^parte-
Bients od 11 existe bb consistoire I^galement 6tabli;
Le procureBr g^n^ral pr&s la cour d-appel, dans lea villes od
si^ge BBC coBT d'appel, et, daBS les antres, le procBreor de la Bäpn-
UiqBe prte le tribBfial de premiere isstaBce;
ÜB hiembce de la coar d'appely äla par eile, ob, ä d^faat de
coBr d'appelf bb membre dB tribonal de premi^re inataBoe, ün par
le tribBBal ;
QBatre membres ^Ibs par le coBseil gdaäral, doBt denx an
moiBS pris daBS soB fteiB.
Les doyeifö dfs facBlt^ seront, en ontre, appel^s daBS le cob-
9^1 acad^iqne, arec voix dälibArative, poBr les affaires i&t^essaBt
lenrs facBlt^s respectives.
La pr&ence de la moiti^ plos bb des membres et nteessaire
ponr la validit^ des d^Qb^atioBS da. coBSeil acad^iqoe.
Art. 11, Poar le döpartement de la Seine, le coBseil aca-
. d^mique est- compos^ comme il SBit :
Le rectetir, prösideBt;
Le prüfet;
L'arcbeveqae de Paris ob sob d^l^gB^;
Jf^anzösivches Unierrichis^Gesei» vom 15. Mär» JSöO, .119
Trois eccl^siastiques d&ign6s par l'archevSque ;
Un ministre de l^Eglise r^fdrmöe, diu par le consistoire ;
"Üö minfetre de TEglise 'de la cönfessiiHi d'Augsbourg, flu par
le cönsistofret
üö ftiembre flu coikistoire feraflite, flu par lö consistoire;
Trois inspecteurs d'acadiScfiie, ^Mgn6s par le miHistrc^i
: v... xJq bspectiaur- des äeol^ primaires,^ däsigiu^ par le ministre;
Le procurenr g^n^ral pres la conrd'appelv ou uu membre du
psrquet d^sign^ par lui; '
Bn membre d'erla conr d'appel, flu par 1a conr;
ün^mtaibre dn tribunal de premi^re instaacd, äla par le
tribunal;
Quatre membres da couseil municipal de Paris, et deax mem-
bres da oonseil g^n^ral de la Seine, pris parmi cenx des arrondisse-
mentsde Sceaux et de Saint-Dems, tous ^us pcur. leconseil gen^ral.
Le secr^taire genäral de la pr^fecture du d^partementde la Seine.
Les doyens des facultas seront, en outre^ appel^ dans le con-
seil acad^mique, ayec voix d^lib^rative, pour les affaiites interessant
lenrs faeultte respeetiT«8.
Art« 12^ I^s membres das donseikacad^miquesdoQt Ja -noQii-
nation est faite par flectiou, sont ^as pour kois ana^ et iudälm-
mont rd^ligiblee. ■'..
Art. 13. Les d^partemeots foürniFOitt an: liacal poar le sorvu^e
de radministration acad^mique.
Art. 14 Le Gonseil acad^miqae donae son avis:
Sur retat des diSi^rentes 4coles ^tß,blie9 dans le d^partement;
Sor lea r^fortnes h introduire dans renseignement« la discipline
et Vädministration dea ^coles pnbliqnes;
Sur les budgets et les comptes administratifs des lyc^es, col-
. läges et ^coles norixmles primpires.' ' . * '
• Sur les secours et encouragements ä accorder aaxdcoles primaires.
' n iostrait les affaires disciplinairda relatives mx membres de
-i'ensetgnemeiit public saoondaire ou süpMeur, qui lui soat reuvoy^s
par le ministre ou le recteur. . ^ r . • - .■
H prononce, sauf reeours an^^onseil saii^riBUr^ sttr Ji^ affaires
contentieuses relatives ^ Tobtention des grades, aöx ccmeours. de^ant
les facultas, ä Touverture des ^coles Ubr^s , aux droits des mattres
particnliers et ä Texercice du droit d'enseigner; sur leis ppunsfuites
dirig^es contre les membres de rinstruotion secondaij;« publique et
tendant k la r^vocation, avec interdiction d'excerc^ 1^ profession
dinstituteur libre, de chef ou f^fesseur d'^tablif^eniQuti libre, et,
120 Frcmzösisches Unterrichiß-Qeaetz vom 16. Mär« 1850.
daas les cas d^terminäs par la präsente loi,.8ur l6s afifaires discipH-
naires relatives aux institateurs primaires, publics ou libres.
Art. 15. Le conseil acad^niique est näcessairement consalte
sur les reglements relatifs aa rägime iutäriear des lyc^es, Colleges et
e'coles normales primaires, et sur les r^glements relatifs aux ^oles
publiques primaires,
II fixe le taux de la rdtribntion scolaire, sur l'avis des conseils
munieipaux et des d^lögu^ cantonaux.
II d^termiue les cas oü les communes penvent, ä raison des
circoQstances^ et proyisoireäient^ etablir ou coosenrer des äeolesr pri*
maires dansdesquelles seront admis des enfants de l'un et rautre
sexe, ou des enfants appartenant aux difL^rents cultes reconnus.
U dofiue sonaris an recteur, sur les räcompenses ä accorder
aux ii^titutetirs primaires. -
. Le recteur fait les propositioos au ministre, et distribue les
recompenses aceord^es.
Art. 16. Le conseil acad^mique präsente, chaque aim^, au
ministre ^t au cons^l g6nfy^l un exposä de la Situation de Tenseigne-
ment dans le döpartement. •
Les ra^rporte. du conseil acadtoique sont enyoy^ par le rec-
teur au ministre, qui les comnaunique au conseil sup^rieur. .
Chapfre lll.. Des ecolesetdeVinspectian.
Section 1. Des öcoles.
Art. 17. La M reconnätt deux especes d'^eoles primaires ou
secondaires.
1^ Les ^les fond^es ou entretenues par les communes , les
departements, ou TEtat, et qui prennent le üom d^^oles publiques.
2^ Les ecole^ fondäes et entretenues par des particuliers ^u des
associations, et qui ptenneiit le nom d*6coles libres.
Section IL De Tinspection.
Art. 18. Llnspection des Etablissements d'instruction publique
ou libre est exercöe,
10 Par les inspecteurs g^neraux et supErieurs;
2^ Par Jies recteurs et. les in^cteurs d'acadämie;
S^ Par^ les inspecteurs de Tenseignements primaire.
/4^ Par les d^l^gu^s cantonaux, le maire et le eure, le pasteur
ou le d^leguö du consistoire israälite, en ce qui concerne Fenseigne-
ment primaire.
Les ministres des diffärents qAtes n'inspecterout que les Cooles
Frän%ösi8Ches ünterrichtS'Geset» vom 15. März 1850. 121
speciales a leai* culte, ou les ^edes mixtes pour leurs coreligion-
naires seulement. '
Le reoteur pourra, en cas d'jempSchemeht, d^l^er temporaire-
ment llaspectioa ä ua membre du conseil acad^miqüe.
Art. 19. Les jnspecteors d-acad^mie sont choisis par le ministre,
parmi les ancieas inspectears, les professears des facult^, les provi-
sear&et censeors des lyc^s^ les principaux des Colleges, les chefs
d'^tablissements secondaires libres, les professears des classes supd-
rieares dans ces diverses oat^gories d'^tablissementSt les agr^g^s des
facult^ et lycdes et les inspectears des ^oles primaires, sous la
condition eommune ä toas da grade de licenciä, oa de dix ans
d'exercice. .
, Les inspectears g^n^raax et saperiears sont choisis par le
ministre, seit dans les cat^gories ci-dessas indiqa^es, seit parmi les
anciens inspectears g^n^raax oa inspectears saperiears de Vmstraction
primaire, les rectears et inspectears d'acad^mie, oa parmi les membres
de rinstitat.
Le ministre ne fait aacane nomination d'inspectear g^n^ral sans
avoir pris Favis da conseil sap^riear.
Art. 20. L^inspection de Tenseignement primaire est sp^ciale-
ment confi^e ä. deax insjpectaars sapMears.
n y a, en oatre, dans chaqae arrondissement, an inspectear
de Tenseignement primaire choisi par le ministre, apr^s avis da con^
söil acad^miqae.
N^nmoins, sar Tavis da conseil acad^miqae, deax arrondisse-
ments poarront etre r^anis poar Tinspection.
Un r^glem.ent d^terminera le claäsement, le frais de toarn^e,
ravancement et les attribations des inspectears de Tenseignement
primaire.
Art. 21. L'inspection des 6coles pabliqaes s'exerce conformö-
ment aax reglements delib^r^s par le conseil sapäriear.
Celle des ^coles libres porte sar la moralit^, rhygi^ne et la
salabtit^.
Elle ne peat porter sar Tenseignement qae poar vÄrifier s'il
n'est päs ä la morale, ä la constiti^tion et aax lois.
Art. 22. Toat chef d'ötablissement primaire oa secondaire
qui reiasera de se soamettre ä«la sarveillance de TEtat, teile qa'elle
est presorite par Tarticle pr^cMent, sera tradait devant le tribanal
correetionell de Tarrondissement, et condamn^ ä ane amende de cent
firancs ä mille francs.
En cas de r^idive, Tamendb sera de cinq cents fraacs ä trois
122 Französisches Unterrichts-Gesetz vom 15, März IS50,
mille francs. Si le refns de se soumettre ä la sarveillance de FEtat
a donn^ liea k deax condamnations dans Tann^e, la fermeture de
r^tablissement poarra etre ordoim^ par le jagement qai prononcera
la seconde condatunation.
Le proces-Yorbal des inspectenrs constatant le refas da chef
d'^tablissement fera foi josqfi^it inscription de faiut.
Titre IL De i'enseignement primaire.
Ohapitre L Dispositians gSnerales.
Art. 23. L'enseigneiQent primaire comprend : ^
L'instruction morale et religieuse; .
La lecture;
' L'^critüre;
Les ^I^ments de la langue fran9aise;
Ue calcul et le systöme l^gal des poids et mesures.
II peut comprendre, en outre:
L'arithmi^tique appliqii^e anx Operations ptatiques;
Les fl^ments de Thistöire et de la göographie ;
Des notiöns des Sciences physiques et de Thistöire natafeUe,
applicables* aux us^ages de la yie;
• Des instrüctions elöräentaires sur Tagriculture , rihdüstrie et
rhygifene; . '
L'arpentage/le myellement, le dessinlirt^aire;
Le.chant et la gymnastique. .
Art. 24; L^enseignenient primaire est A6nn6 gratoitement ä
tpus les enfants dont les familles sont hors d'^tat de payer.
' Chapi^e II. Des instUuleurs.
Seqtioja.L Deß conditions d'oxercice de la professiod dinstituteur
primaire public ou libre.
Art. 25. Tont Fraii9ais äg^ de vingt et im ans adcomplis
peilt excercer da&s toQte. la France la profession d'mstitateur pri-
maire, 'psbM Qii'lihire, s^ii eist mxmi;d'«n breret de capadltä«
Le brevet de capacit^ peut etre sapl^^ par le certifioat de T^age
dont. liest« pa^^^Tart. 47m par le. diplönie de baeheli^r^par un
certifiest constatant' qja'^a £td admis dans ood ^^ Cooles 9pMales
•de TEtäi/on pa^ le titre d6 minis^re, non interdit ni ieT<^«d, de
Tun des cnltes leeonotts par Ffitat. ...
^ Arti 2ft. Soak ino^bles de teqir ane 6cale publique ou litee,
on d'y §tre employ^s, des individas qni on subi ane condamnation
iiotit cHmef^^m twür ün Mit feontt-aire k la probit^ ou ättx taoeüi*,
Ife itidiVichis ^riv^ px' jtigeta^iit "d* tonJt oü p^rtie' flear; titoife
irientiöhri& en l^art. 42 dli Cdäe^öiml, et 'öeiix ^ni ont Ätd inter-
dits en vertu des art. 30 et 33 de la prösentfe loi. ' ''^ '■
Section IL Desr conditii^ spiSci^s aiax. msJ^itatearg.Ubcfs.
Art 27. Tout instituteur qui veut ouvrir une öcole libre, doit
pr^sdablement dMäVei* son Menüöfii au maire de la eommnne od il
veut s'ötablir, tai döwgner te local, et lui doüner rindication des
lieux oü il a r^sid^ et des professions q,u'it a ^xer^^s pe^d^nt les
dix annöes pröcödentes. . ! '
Cette döclaration doit etre, en outre, adress^e par feipostu-
lant au recteur de Tacad^mie, au procureur de la R^pui)li<iu€i et au
sous-pröfet.
Elle demeurera affichi^e; par les soins du ipaire, ä la pprte de
la mairie pendaut un mois. . > ['
Art. 28. Le rectw» seit d^öce, soit.sur la plaint^^^ pro-
cureur de la ßöpubliq^ue ou du sous-pr^fei.peut former op|)^^^^ ä.
Fouvert^re de Fdcple, dans VinUttt des moeurs publiqües^ dans le
mois qui suit la dMaration ä lui fäite. . . r '•',-,
Cette Opposition est ju^ee dans un bref Mair contra^^OTO^^
ment et sans recours, par le conseil acad^mique.
Si le maire Tofuse ,d'apprj)uverlelpcal,.il est, statiie ä cet
^gard par ce conseil.
A döfaut d'opposition, l'öcple peut etre ouverte Jt Texpiration
du mois, sans auti:e formalitö. \ ,
Art. 29. Quiconque aura ouvett ou dirigeune (Scoliei en coiiträ-
vention aux articles 25„ 26. et ^7, ou ayaut Fexpiration du dölai
fix6 par le dernier paragraphe de Tarticle 28., sera poursuivi devant
le tribunal corröctionnel du lieü du dölit, et condainnö ä une'ameride
de cinquante francs It cinq cents francs.
L'^cole sera fermöe.
Eü ^B de r^cidive, le d^li&qua&t aera eoitdaiiiiiS ' ä>^<im empri-
sonnement de six jours k un mois, et ä ime amehde dev cent. frmcs
k mille francs. . ; * ^i >.:
La mdme peine de six jours ä un^mds id'em{npk|oiliiement"iet
de Cent francs äKmifle fra^s d'amende^eni'proüorieöa*conibre edui
^ii 'danar le cas d'<q)position iormöeä PouvertureL cte son^^Qölö, Tauira
n^anmoins ouverte avant qu'il ait ^tlstaipe aur eette o|ipositiony^^ öu
Uen au m4pris de la d^cision du cofas^ acaiKmiqaie <][ui aurait
«etm^m ^Opposition» * ^ i
124 FranzÖBischea Unterrichta-Gesetz vom 15, März 1850.
Ne seront pas considär^es comme tenant ^cole , les personnes,
qui, dans an but parement charitable, et sans eiercer la profession
d'institiiteurf enseigneroat ä lire et k ^crire aox enfants, avec Tau-
torisaition du d^Mgaä cantonal.
N^anmoins, cette antorisation pourra etre retirde par le con-
seil acad^mique.
Art. 30. Tout institatear libre, sar la plainte da rectear ou
da prooareor de la B^pabliqae, poorra etre traduit, poar cause de
faate grave dans Texercice de ses fonctions, d'incondaite oa d'im-
moralitä« devant le conseil acadämiqu'e da d^purtement, et etre cen-
sar^ suspenda ponr nn temps qai ne pourra exender six mois, ou
interdit de Vexercice de sa profession dans la commane oü il exerce.
Le conaeil äcadämiqae peut meme le frapper d'ane interdiction
absolue. II y aora. lieu ä appel devant le conseil sup^riear de
Finstraction publique«
Cet appel devra etre interjetä dans le d^lai de dix jours , ä
compter de la notification de la d^cision, et ne sera pas suspensif.
Section III. Des instituteurs communaux.
Art. 31, Les instituteurs communaux soiit nomm^s par le con-
seil .manicipal de chaque commune, et choisis seit sur une liste
d'admissibiUte et d'avancement dressäe par le conseil acadämique du
d^partement, soit sur la Präsentation qui est faite par les sup^rieurs
pour les membres des associations religieuses vouäes ä Tenseigne-
ment et autoris^es par la loi reoonnues comme Etablissements d'uti-
litö publique*
Les consistoires jouissent du droit de Präsentation pour. les in-
stituteurs appartenant aux cultes non catholiques,
Si le conseil municipal avait fait un choix non conforme ä la
loi, ou n'en avait fait aucun, il sera pourvu ä la nomination par le
conseil acadämique» un mois aprte la mise en demeure adressEe au
maire par le recteur.
L'institution estr donn^e par le ministre de Tinstruction pU"^
blique.
Art. 32. II est interdit aux instituteurs communaux d'excer-
cer aucune fonction administrative sans Tautorisation du conseil
acadämique.
Toute profession commerciale ou industrielle leur est absolu-
ment interdite.
Art 33. Le recteur peut« suivant le cas, r^primander, su-
spendre, avec öu sans privation totale ou partielle de traitement,
Frantöaisches UnterrichtS'Oeaetz vom 15. März 1B50. 125
pour un temps qui n'eirc^dera pas six mois, ou r^voquer Tinstitu-
teur communal.
L'instituteur • r^voquö est incapable d'excercer la profession
d'instituteur, soit public, soit libre, dans la raeme commune.
Le conseil acadömique peut, apres l'avoir entendu ou düment
appelö frapper l'instituteur communal d'une interdiction absolue, sauf
appel devant le conseil supörreur de Tinstruction publique dans le
d^Iai de dix jours, ä partir de la notification de la döcision. Cet
appel n'est pas suspensif.
En cas d'urgence, le maire peut suspendre provisoirement Tinsti-
tuteur communal, k Charge de rendre compte, dans les deux jours
au recteur.
Art. 34. Le conseil acad^mique d^termine les ^coles publiques
auxquelles, d'aprös le nombre des Kleves, il doit etre attachö un
instituteur adjoint.
Les instituteurs adjoinüs peuvent n'etre ägtSs qne de dix-huit ans
et ne sont pas assujettis aux conditioüs de Tart. 25.
Ils sont nommös et r^vocables par Tinstituteur,. avec l'agrö-
ment du recteur de Tacadömie. Les instituteurs adjoints apparte-
nant aux associations religieuses dont i! est parl6 dans i'article 31.,
sont nommös et peuvent etre r^voquös par les superieurs de ces
associations.
Le conseil municipal fixe le traitement des instituteurs adjoints.
Ce traitement est ä la Charge exclusive de la commune.
Art. 35. Tout d^partement est tenu de pourvoir au recrute-
ment des instituteurs communaux, en entretenant des ^^ves-üiatitre^,
soit dans les Etablissements dHnstruction primaire d^signi^s par le
conseil acadömique, soit aussi dans TEcole normal ötäblie ä cet eflfet
par le döpartement. , '
Les ßcoles normales peuvent 6tre süpprimdes par le conseil
g^ndral du d^partement; elles peuvent l'etre ^galement par le mi-
nistre, en conseil supörieur , sur le räpport du conseil acadömique,
sauf dans les deux cas, le droit acquis aux boursiers en jouissance
de leur bourse.
Le Programme de Tenseignement, les conditions d^entröe et de
sortiei Celles qui sont relatives h la nominatton du personnel, et tout
ce qui conceme les öcoles normales, sera ddterminö par un rögle-
m.ent dölibörE en conseil supörieur.
l2ö[ Fmnzösitcff^ea tJn4^rric^§T^m^s^ mm< tS. Mär» ISSO^
. • ; , Gha^ßm Uli De» icdes Gomnimai^:
Art. 86* Toute commune doit entretenrr nne in plusieurs
^ööliBli primaires. ^ ' • ' '
Le cpnseil acadömique' du äi^partemeüt peut autoriöer '^une
communö ä 'se röunir ä ün5e öü plusieurd. commünes, vöisines. pour
rentretieid d^UiiB öcöle. , ^ • .: . i ,
Tbufe '^cdibiiiunö ä la facültö d'en tretönir uhe öü plusieura icples
entiörement gi^atuites, ä la conditioo d'y subvehir sur ses propres
ressourdös.
Le tonseil acad^mi(][ne peut dispenser üne cornmüiie d'entretenir
und iScole publiquö, ä candition qu^elle pourvoira ä l^eilseignemeht
pritnaire gratuit, dans Une ^cole libre, de tous les ehfants dont les
fatnill'es sont hors d^ötat d'y subvenir: Cette dispense peut toujours
§tre retiröe.
Dans les communes ou les difKrents ciiltes reconnus sont pro-
fess^^ pcibliqnement, des ^cöles ^4par^es serönt Stabiles pour les
enfants appärtenant ä cbacun de ces cultes, sauf ce q.üi est dit ä
Tarticle 15.
= La -otomune' peut, ä^c Päutorisatiön du ' cotiseil abadßmique,
exiger que Vitistikteör eotiamünal döntie, en *tdut ou en partie/ksön
easeignementy les däyeloppements dont H est ^arM ä rartick 23.
^ Art.«37.i Teilte .commune doit fournir k 1 ;iastituteut- uii' local
convenable; tant pehr son habttation que pour la tenue de r^eole,
le mobilier de classe, et un traitement.
: ATit*5i^,ij; A/dater du 1; janvier 1851, le traitement desinsti-
tuteur^ oonunjoiDaäx se eomposera:
V D^un traitement fixe qui ne 'peut etre infiSrieur ädeux cents
francs ;
S^üDU' pro^t.de ia j^ribution seolpre;
3^ D'un suppi^uMfht aocord^ vä tous <3dux dont le traitement,
Joint au .produit de la rötribution scolaire, n'atteinij pas. six cents
francs.' ;^^ '.,„''; ■' , .",,. „,. .< , , ■ . ,.. . ' '/^ .
de öuppliäment sera c^lcule d'apr4s le total de la rötribution
scolaire pendant l^annöe jpr^cÄdente.
4^ift^ 39.,, Une, cai3se de retraites sera subsitituöe, par un regle-
me^nt d^^dmifii^r^tion pu^liquei, aux caisses d^^pargne. des instituteurs,
: AivL 40|. A deiaut de fondationSt dPQS ou legs,i le copteil
miinlcij^ ^^Ubke sur les mojens de pourvoir aux d^penses de
renseignement primaire dans la comniune.
£n cas d'insuffisance des revenus ördinaires, 11 est pourvu ^
PranzöHsches' VnierHcMa-Öeaeti^ vom 15. März 1850, l^^
ces d^penses an moy^ d'tine impositiön speciale ?otde par le conseil
manicipal, öq, k dehnt da vot^ de ce conseil, stabile par an d^cret
du poavoir exöcdtif. Cetie imposition, qni devra etre aatoris^e
chaque ann^e par la Ipi de finances , ne pourra exender trois Cen-
times additionnels an principal des qnatre contribations dir6cte3.
Lorsqne des communes, sojt par elles-mSmes, soit en se r^anis-
sant ä d'aatres commnnes, n'aaront pu snbyenir, de la mani^e qai
vient düstre indiquöe, aux döpenses de Föcole Communale, il y sera
pourva sar les ressonrces ordinaires da d^partement, ou, en cas d'in-
suffisance, au moyen d'upe imposition speciale vot^e par le conseil
giSn^ral, ou, h defaut dn voie de ce conseil, ^tablie par un.d^cret
Gette iniposition, aatoris^e chaque ann^e par )a \o\ de finances^ ne
devra pas excMer deux Centimes additionnels au principal des qnatre
contribations directes.
Si les ressonrces cpmmunales et 4^partementales ne auffisent
pas, le ministre de rinstruction publique accordera une Subvention
sur le credit qui sera port^ i^i^nuellement,. pour renaeignement pri-
maife, au budget de TEtat.
Cliaqae ann^, un r^^pport ai^es^ au projei de budget fera
CQupaitre.remploi des fond^ s4Ioaes ppnr rannte pr^c^dente«
. Art, 4L La r^tributi^n scolaire lest perf ue dans la naeme
fornae qi]i6 les oontribütiona pabliquies directes ; eile lest exenipte des
droits de timbre, et donne (koit aux rndme» remises que les autres
recouvrements. . ; , •
N^anmoins, 9ttr Tavi^t conforme. du conseil g^nSral, rinstituteur
coromunal pourra §tre autoris^ par le conseil acadimique k pevce-
voir lui-notSme la rätribution scolaire.
ChapUre IV. Des dSUgues canhnanx, et les a/utres mäoriUs
preposies ä Venseignenient primaire*
. f
Art. 42. Le conseil acad^mique du d^partement d^signe un
oa plusieurs däl^gu^s r^sidant dans chaque catiton, pour surveiller
les ^coles publiques et libres du canton, et d^termine les ^coles par-
ticnliörement sonmises ä la surveillance de chacun.
Les d^l^gu^s sönt nomm^s pour trois ans ,' ils sont r^^ligibles
et rtfvacables. Chaquö MUga6 correspond, taut avec le conseil aca-
d^mlque, auquel il doit adresser ses rapports, qu'avec les autorit^s
loeales/ pour tont ce qni regarde TEtat et les besoins de ren$eigne-*
ment primaire dans sa circonsoription.
II peut lorsqu'il n^est pas membre du conseil acad^mique,
128 f^raniiösisches Ünterrichts-Oeaetz vom 15. März 18S0,
assister ä ses s^ances, avec voix consultative pour les affaires in-
teressant les öcoles de sa circonscription.
Les dflöguös se rdunissent au moina une fois tous les trois
mois, au.chef-lieu de canton, sous la prösidence de celui d'entre
eux qa'ils designent, pour convenir des avis ä transmettre au conseil
acad^mique.
Art. 43. A Paris, les deleguös nommös pour chaque arron-
dissement par le conseil acadämique se r^unissent au moins une fois
tous les mois, avec le maire, un adjoint , le juge de paix , un eure
de ranondissement et un eccl^siastique , ces deux derniers d^ignäs
par Tarchevgque, pour s'entendre au sujet de la surveillance locale,
et pour convenir des avis ä transmettre au conseil acadömique. Les
ministres des cultes non catholiques reconnüs, s'il y a dans l'arron-
dissement des äcoles suivies par des enfants appartonant ä oes cul-
tes, assistent ä ces r^unions avec voix dälib^rative.
La r^union est pr^d^e par le maire.
Art. 44, Les autoritös löcales pröpos^es ä la surveillance et
ä la direction morale de Fenseignement priraaire sont, pour chaque
öcole, le maire, le curö, le pasteur ou le dflöguö du culte isradlite,
et, dans les communes de deux mille ämes et audessus , un ou plo-
sieurs habitants de la commune däläguös par le conseil academiqne.
Les. ministres des cultes non catholiques reconnus, s'il y_ a dans
Tarrondissement des äcoles suivies par des enfants appartenant ä ces
cultes, assiätent ä ces r^unions.
L'entröe de Töcole leur est toujours ouverte.
Dans les communes oü il existe des öcoles mixtes, un ministre
de chaque culte aura toujours Tentröe de Tecole pour veiller ä
Teducation religieuse des enfants de son culte.
Lorsqu'il y a pour chaque culte des öcoles söparöes, les enfants
d'un culte ne doivent ötre admis dans Töcole d'un autre culte qua
sur la volonte formellement exprimöe ^m les parents.
Art. 45. Le maire dresse chaque annöe, de concert avec les
ministres des diff^rents cultes , la liste des enfants. qui doivent @tre
admis gratuitement dans les öcoles publiques. Cette liste est
approuvöe par le conseil municipal, et döfinitivement arr§töe par le
prüfet.
Art. 46. Chaque annöe le conseil acadömique nomrae une
commission d'examen charg^e de juger publiquement^ et h, des
^poques d^termin^es par le recteur, Faptitude des aspirants au brevet
de capacitö, quel que soit le lieu de leur domicile.
Pramösi8Che8 Unterricht s-GesetK "vom 15. März 1850. l29
Cette commission se cotnpose de sept merobres , et choisit son
President.
Ün iöspecteur d'ärrondisement pouf Tinstruction priraaire, m
ministre du eulte profesä^ «par le cändidat , et dedx membres de
renseigaement poüblic ou libre, en fönt nöcessaireraent partie.
L'examen ne portera quo sur les matieres coraprises dans la
preulifere partie de l'art. 23.
Les candidats qui voudront etre examin^s sur tout ou partie
des autres matieres- sp6cifi?es däns le raeme article, en feront raention
des matiöres speciales sur, les qiielles les candidats auront . räpondu
d'uue maniöre satisfaisante. -
Art. 47. Le conseil acadömique dölivre, sHl y a lieu, des
certificats de stage äux personnes qui justifient avoir enseignö pen-
dant trois ans au moins les matieres coiüprises dans la premifere
partie de Tart. 23., dans les öüoles publiques on libres autorisöes ä
recevoir des stagiaires. . >
Les Kleves maitres sont, pendant la duree de leur stage,
sp6cialement surveillös par les inspecteurs de Tenseignejnent primaire.
Chapitre F. Des ecoUs de ßles: . ,
Art. 48, L'enseignement primaire dans ,les dcoles f de fiUes
comprend, outre les matieres de Tenseignement primaire enonc^es
dans Tart. 23., les, travaux Ji Taiguille.
Art. 49. Les lettres d^obödience tiendront.lieu de brevet de
capacit^ aux infititutrices apparteuant ä des congrqgations religieuses
vou^es h f enseignement et reconuues par TEtat. .
L'examen des institutrices n'aura pas lieu publiquement.
Art. 50. Tout ce qui se rapporte k Texamen des institutrices^
k la surveillance et k Ti^spection des Cooles des fiUes , sera Tobjet
d'un röglenient d61ib6r6 en eon^eil supörieür.
Les autres disppsitions de la präsente loi , relatives aux öcoles
et aux instituteurs, sont applicables aux ecoles des filles et aux insti-
tutrices, k Texception des articles 38, 39, 4Ö et 41.'
Art. 51. Tonte commune de huit cents ämes de population
et au dessus est tenue, si ses propres ressources lui en föurnissent
les moyens, d'avoir au moins une öcole de filles, sauf ce qui est dit
k Tart. 15.
Le conseilacadörnique peut, en outre, obliger leff communes
d'nne population införieure k entretenir, si leurs ressources ordinaires
le leur permettent, une äcole de filles; et, en cas de rötinion de
plusieurs communes pour Tenseignement primaire, il pourra, selon
Archiv rar. Kirchenrecht. XLVIII. 9
130 Französisches Unterricht s^eset% vom 15, März 1860,'
les drconstances, döcider que T^cole de garfons et Töcole de filles
seront dans deux communes difförentes. II prend Favis du conseil
raunicipal.
Art. 52. Aucune 6cole primaire, publique ou libre , ne peut,
Sans Tautorisation du conseil. acad^miqne, recevoir d'enfants des deux
sexes, s'il existe dans la commune une öcole publique ou libre. de
filles.
Chapitre VI. Institutions complementaires,
Section I. Des pensionnats primaires.
Art. 53. Tout fran9ai8 ägö de vingt-cinq ans, ayant au moins
cinq annöes d'exercice comme instituteur, au comme maitre dans un
pensionnat primaire, et remplissant les conditions ^num^r^es en
l'art. 25, peut ouvrir un pensionnat primaire , aprös avoir d^clar^
son Intention au recteur de Vacad^mie et au maire de la commune.
.Toutefois, les instituteurs communaux ne pourront ouvrir de pension-
nat qu'avec Fautorisation du conseil acaddmique, sur Tavis du conseil
municipal.
Le Programme de Fenseignement et le plan du local doivent
etre adress^s au maire et au recteur.
Le conseil acadömique prescira, dans FintörSt de la moralit^
et de la santö des Kleves, toutes les mesures qui seront indiquöes
dans un reglement dölib^rö par le conseil supdrieur.
Les pensionnats primaires sont soumis aux prescriptions des
art. 26, 27, 28, 29 et 30 de la präsente loi , et ä la surveillance
des autoritös qu'elle institue.
Ces dispositions sont applicables aux pensionnats de filles ea
tout ce qui n'est pas contraire aux conditions prescrites par le
chapitre V. de la präsente, loi.
Section II. Des öcoles d'adultes et d'apprentis.
Art. 54. II peut etre. cx66 des ^coles primaires coramunales
pour les adultes au-dessus de dix-huit ans, pour les apprentis au-
dessus de douze ans.
Le conseil acadömique dösigne les instituteurs chargös de
diriger les öcoles communales d'adultes et d'apprentis.
II ne peut gtre refu dans ces öcoles d'öleves des deux sexes.
Art. 55. Les articles 27, 28, 29 et 30 sont applicables
aux instituteurs libres qui veulent ouvrir des e'coles d'adultes ou
d'apprentis. •
Pranzösisches Unterricht sr-Öesetz vom 15. M&rz 1850, l3l
Art 56. II serä ouvert, chaque annöe, au budget du ministre
de rinstruction publique, un credit pour encourager les auteurs de
livres ou de möthodes utiles |i Tinstruction primaire, et ä la fondation
d'institutiotts, telles que:
Les ^coles du diraanche ;
Les öcoles dans les ateliers et les manufactures ;
Les classes dans les bOpitaux;
Les cours publics ouverts conformöment ä Tart. 77.;
Les bibliotheques de livres utiles;
. Et autres institutions dont les Statuts auront 6t6 soumis ä
Texaraen de Tautoritö compötente. '
Section IIL Des salles d'asile.
Art 57. Les salles d'asile sont publiques ou libres.
ün döcre^t du President de la Röpublique, rendu sur Tavis du
conseil supörieur, döterminera tout ce qui se rapporte ä lä surveil-
lance et ä Finspection de ces Etablissements, ainsi qu'aux conditions
d'äge, d'aptitude, de moralitö, des personnes qui seront chargöes de
la direction et du Service dans les salles d'asile publiques.
Les infractions ä ce döcret seront punies des peines stabiles
par les art. 29, 30 et 33 de la presente loi.
Ce d^cret deterrainera dgalement le programme de Tenseigue-
ment et des exercices dans les salles d'asile publiques, et tout ce
qui se rapporte au: traitement des personnes qui y seront chargees
de la direction on du Service.
Art. 58. Les personnes chargöes de la direction des . salles
d'asile publiques seront nommöes par le conseil municipal, sauf
TapprobatioQ du conseil acad^mique.
Art. 59. Les salles d'asile libres peuvent recevoir des aecours
sur les budgets des i^ommunes, des döpartemenls et de TEtat.
Türe III. De rinstruction secondalre.
Chapitre L Des etablissements particuliers d'instrudion secondaire.
Art. 60. Tout Pran9ais äge de viugt-cing ans au moins , et
n'ayant encouru aucune des incapacitös comprises dans l'art. 26. de
la präsente loi, peut former un Etablissement d'instruction secondaire,
sous la condition de faire au recteur de Tacadömie oü il se propose
de s'etablir les döclarations prescrites par Fart. 27 , et , en outre,
de d^poser entre ses raains les piöces suivantes, dont il lui sera
donnö räcöpissE : .
9*
132 Französisches Unterrichts' Gesetz vom 15, März 1850,
1^ ün certificat de stage constatant qu'il a rempli, pendant
ciuq ans au moins, les ionctions de professeur ou de surveillant dans
un Etablissement d'instruction secondaire^ public ou libre ;
2^ Soit le diplorae de bachelier , soit un brevet de capacitö
dölivre par un jury d'exaraen dans la forme döterminee par l'art. 62 ;
3<^ Le plan du local, et Tindication de Tobjet de renseignemeut,
Le recteur ä qui le depöt des pieces aüra ete fait en donnera
avis au prefet du döpartement et au procureur de la Republique de
l'arrondissement dans lequel rötablissement devra ötre fonde.
Le ministre, sur la proposition des conseils acadömiques et
Favis conforme du conseil supörieur , peut accorder des dispenses
de s!age.
Art. 61. Les certificats de stage. sont dölivres parle conseil
acadömique sar Tattestation des cheft des etablissements oüle stage
aura 6t6 accompli.
Toute attestation fausse sera puuie des^ peines port^es en Tart.
160 du Code pEnal.
Art. 62. Tous les ans, le ministre nomme, sur la Präsentation
du conseir acaderaique, un jury Charge d'examiner les aspirants au
brevet de capacitö. Ce jury est composE de sept membres, y com-
pris le recteur qui le pröside.
• Un ministre du culte professö par le candidat et pris dans. le
conseil academique, s'il n'y en a dejä un dans le jury, sera appele
avec voix deliberative. -
Le ministre, sur Tavis du conseil supörieur de Tinstruction
publique, instituera des jurys speciaux pour renseignement pro-
fessionnel.
Les prögrammes.d'examen seront arretös par le conseil supMeur.
Nul ne pourra etre admis ä subif Fexamen de capacitö avant
Tage de vingt-cipq ans.
Art. 63. Aucun • certificat d'ötudes ne sera exigE des aspirants
au diplöme de bachelier ou au brevet de capacito. -
Le candidat peut choisir la faculte ou- le jury academique de-
vant lequel il subira son examen.
ün candidat refusö ne peut se präsenter avant trois mois ' ä
un nouvel examen sous peine de nullit^ du diplöme ou brevet indü-
ment obtenu.
Art. 64. Pendant le mois qui suit le döpöt des pieces requi-
ses par Tarticle 60, le recteur, le prüfet et le procureur de la Re-
publique peuvent se prevoir devant le conseil acadömique, et s'oppo-
Französisches Unterricht s-Gesetz vom 15. März 1850, 133
ser ä Touverture de r^tablissement, dans riüteret des moeurs publique»
ou de la santö des Kleves.
Aprfes ce delai, s'il n'est inlervenu aucune Opposition, Tetablisse-
meut peut etre immödiatement ouvert.
En cas d'opposition, le conseil academique prononce,*la partie
eotendue ou düment appeMe, sauf appel devant le conseil- superieur
de rinstruction publique.
Art. 65.. Est incapable de tenir un etablissement public ou
libre d'instruction secondaire, ou d'y etre" employe', quiconqüe est
atteint de Tune des incapacitös determinees par Tarticle 26. de la
presente loi, ou qui, ayant appartenu ä Fenseignement publiö, ä etö
rövoquö avec interdictiou, conförmement a 1%'rticle 14.
Art. 66. Quiconqüe, sans avoir satisfait aux conditions pres-
crites par la loi, aura ouvert un Etablissement d^nstructiou secon-
daire, sera poursuivi devant le tribunal correctionnel du. lieu du
delit, et condamnö ä une amende de cent francs ä mille francs.'
L'ötablisseinent sera fermö.
En cas de recidive, ou si Tetablisseraent a ete ouvert avant
qu'il ait 6U statue sur Topposition, ou contrairement a la decision
du conseil academique qui Taurait accueillie, le deliquant sera con-
damne a un emprisonnement de quinze jours ä un mois^ et ä une
amende de mille ä trois mille francs.
Les ministres des diflfärents- cultes reconnus peuvent donner
Pinstruction secondaire ä quatre jeunes gens, au. plus, destines aux
Ecoles ecclesiastiques , sans. etre soumis aux prescriptions de la prä-
sente loi, ä la condition d'en faire la declaratioa au recteur.-
Le conseil academique veille h ce que ce nombre ne soit pas
döpassö.
Art. 67. En cas de d^sordre grave dans le regime Interieur
d'un etablissement libre d^nstruction secondaire, le chef de cet e'tab-
lissement peut etre appelä devant le conseil academique , et soumis
ä la reprimande avec ou sans publicitä.
La reprimande ne donne lieu ä aucun recours.
Art. 68. Tout chef d'etablisaement libre d'instruction secon-
daire, toute personne attachäe ä Tenseignement ou a la surveillance
d'une maison d'education , pent , sur la plainte du ministere public
ou du recteur, Stre traduit, pour cause d^nconduite ou d^mmoralite,
devant le conseil academique, et etre interdit de sa profession, ä
temps ou ä toujours, sans präjudice des peines eucourues pour crimes
ou deiits prevus par le Code penal.
134 Französisches, UnterrichiS'Gesetz vom 15, Mär» 1850.
Appel de la decision rendue peat toujours avoir lieo^ dans les
quinze jours de la notification, devant le conseil saperieur.
L'appel ne sera pas saspensif.
Art. 69. Les etablissemeats libres peuveat obtenir des com-
mnnes^ des d^partemeots ou de PECat, an locii.! et une Subvention,
Sans que cette Subvention paisse excöder le dixiöme des d^penses an-
nuelles de Fetablissement.
Les conseils acaderaiques sont appelös ä donner leur avis prear
lable sur l'opportunitö de ces subventions.
Sur la demande des^ communes , les bätiments compris dans
Tattribution gönörale faite ä Tuniversite par le decret du 10. d6-
cembre 1S08, pourront etre affectös ä ces Etablissements par döcret
du pouvoir oxöcutif.
Art. 70. Les ecoles secondaires ecclesiastiques actuellement
existantes sont maintenues, sous la seule condition de rester soumises
ii la surveillance de FEtat.
II ne pourra en etre etabli de nou volles sans TautoFisation du
Gouvernement.
ChapUre II. Des ädblissements publics dHnstruction secondaire.
~ Art. 71. Les etaMissement publics d'instructioji secondaire
sont les lyc^es et les Colleges communäux.
II peut y etre annexä des pensionnats.
Art. 72. Les lycEes sont fondös et entretenus par TEtat, avec
le concours des döpartement et des villes.
Les Colleges communäux sont fondös et entretenus par les
communes.
Ils peuvent etre subventionnEs par TEtät.
Art. 73. Toute ville dont le College communal sera, sur la
demande du conseil raunicipal, 6ng6 en lycöe, devra faire les dö-
penses de construction et d'appropriation requises ä cet effet, fournir
le mobilier et les coUections nöcessaires ä l'enseigneinent , assurer
Tentretien et la r^paration des bätiments
Les villes qui voudront ötablir un pensionnat pres du lycöe
devront fournir le local et le mobilier nöcessaires et fonder pour dix
ans, avec ou sans le concours du d^partement, un nombre de bourses
fixE de grö ä gv6 avec le rainistre. A Pexpiration des dix ans, les
villes et döpartements seront libres de supprimer les bourses, sauf le
droit acquis aux boursiers en jouissänce de leur bourse.
Paus les cas ou TEtat voudrait conserver le pensionnat, le
Franzöaischea Unterrichta" Gesetz vom 15* März 1850, 135
local et le mobilier resteront ä sa disposition et ne feront retour a
la commune que lors de la suppression de cet ötablissement.
Art. 74. Pour etablir un College comtjiunal, toute ville doit
satisfaire aux conditions suivantes: fournir.un local appropri^ ä cet
usage, et en assurer Tentretien; placer et entretenir dans ce local
le mobilier necessaire ä la tenue des cours, et ä celle du pensionat,
si r^tablissement doit recevoir des Kleves internes; garantir pour
cinq ans au moins le traitement fixe du principal et des professeurs,
lequel sera considerö comme döpense obligatoire pour la commune,
en cas d*insuffisance des revenus propres du coUöge, de la rötribu-
tion collegiale payee.par les externes, et des produits "du pensionnat.
Daus ledelai de deux ans, les villes qui ont fondö des Colleges
communaux en dehors de ces conditions, devront y avoir satisfait.
Art. 75. L'objet et Tetendue de Tenseignement dans chaque
College communal seront determinös, en egard aux besoins de la lo-
calitö, par le ministre de Tinstruction publique, en conseil sup^rieur,
sur la proposition du conseil municipal et Favis du conseil acadö-
mique.
Art. 76. Le ministre prononce disciplinairement contre les
membres de Finstruction secondaire publique, suivant la gravitö
des cas:
V La röprimande devant le conseil academique;
2^ La censure devant le conseil äupörieur ;
S^ La mutation poür un emploi införieur; ^
40 La-suspension des fönctions, pour une annöe au plus, avec
ou Sans privatiön totale pu partielle du traitement;
5<l Le retrait d'emploi, apres avoir pris Tavis du tfonseil supö-
rieur öu de la section permanente.
Le ministre peut prononcer les memes peines, ä l'exception de
la mutation pour jin emploi införieur, contre les professeurs de
Tenseignement supdrieur.
La rövocation aura lieu dans les formes prövues par Tart. 14.
Titre IV. Dispositions g^n^rales.
Art. 77. Les dispositions de la präsente loi concernant les
<5cole"s primaires ou secondaires sont applicables aux cours publics
sur les matikes de Tenseignement primaire ou secondaire.
Les conseils academiques peuvent, selon les degrös de Tenseig-:
nement , dispenser ces cours de Tapplication des dispositions qui
pr^cMent, et specialement de Tapplication du dernier paragraphe de
f art. 54.
i
136 Französisches Vnterrichts-Geselz vom IS. März 2S50,
Art. 78. Les etrangers peuvent etre autorisö ä ouvrir ou di-
riger des etablissenients d'instruction primaire ou secondaire, aux
cooditions determinöes par un reglement d^lib^r^ en conseil su-
perieur.
Art. 79. Les insUtuteurs adjoints des ecoles publiques, les
jeunes gens *qui 'se preparent ä renseignement primaire publique dans
les Ecoles designees ä cet eflfet, les membres ou novices des asso-
ciatioüs religieuses, vouees ä renseignement et autoris^es par la loi
ou reconnues comnie Etablissements d'utilitE publique, les Kleves de
Tecole normale superieure, les maitres d'ötude, rögents et professeurs
des colMges et lycees, sont dispenses du Service militaire, s'ils ont,
avant Tepoque fixöe pour le tirage, contracte devant le recteur Pen-
gagement de se vouer , pendant dix ans , ä Tenseignement publique,
et s'ils r^alisent cet engagement.
Art. 80. L'art. 463 du Code pönal pourra etre applique aux
iüits prevus par la präsente loi,. .
Art. 81. Un röglement d'administration publique dfterminera
les dispösitions de la präsente loi, qui sefont applicables h TAlgerie.
Art. 82. Sont abrogöes toutes les dispositions des lois, decrets
ou ordonnances contraires ä la präsente loi.
Dispositions Transitoires.
Art. 83. Les chefs ou directeurs d'6tablissements.d'instruction
secondaire ou primaire libres, maintenant en exercice, continueront
d'exercer leurs professions san^ etre soumis aux prescriptions des
art. 53 et 60.
Ceux qui en ont interrompu Texercice pourront le reprendre
Sans etre soumis ä la condition du stage.
Le temps passö par les professures et les sourveillances dans ces
^blissements leur sera compte pour raccomplissement du stage
prescrit par ledit article.
Art. 84. La präsente loi ne sera executeure qu'ä dater du*
I. septembre 1850.
Les autoritös actuelles continueront d'exercer leurs fonctions
jusqu'ä cette äpoque. •
Nöanmoins^ le conseil superieur pourra etre constituö et il
pourra etre convoque par le ministre avant le 1. septembre 1850;
et, dans ce cas, les art. 1, 2, 3, 4, Tart. 5, ä Texception de Tavant-
dernier paragraphe, les art. 6 et 76 de la' präsente loi, deyiendront
immädiatement appliQables.
La loi du 1 1 . janvier 1850 est prorogöe jusqu'au 1. septembre 1850?
Französisches Schulgesetz vom 28. März 1882. 137
Dans le cas ou le conseil sup^ri^ur aurrait 6t6 coDstita^ avant
cette epoque, Pappel des instituteurs revoquös sera jugö par le mi-
nistre de '1- Instruction publique, en section permanente du conseil
sup^rieur.
Art. 85. Jusqu*ä la Promulgation de la loi sur Tenseignement
supörieür, le conseil superieur de Tinstruction publique et sa section
permanente, seien leur competence respeclive, eicerceront, ä l'ögard
de cet enseignement, les attributions qui appartenaient au conseil de
Tuniversit^, et les nouveaux conseils academiques, les attributions
qui appartenaient aux anciens.
De'lib^re en söance publique, ä Paris, les 19. janvier, 26. fevrier
et 15. mars 1850. ' •
Le President et les secretaires,
(gez.) Bedeau (Le Gön6ral), Arnaud (De TAriege),
Lacare. Peupin^ Chapotj Berard.
La präsente loi sera promulgu^e et scell^e du sceau de TEtat.
Le Präsident de la ßepublique,
(sign.) Louis 'Napoleon Bonaparte,
Le garde de sceaux, ministre de la justice
(sign.) E. Bouher.
2, Loi sur Venseignement oUigatoire d. d. 28. mars 1832.
(Publ. im Journal officiel de 29. Mars 1882.)
Article 1. L'enseignement primaire comprend:
L'instruction morale et civique;
La lecture et Tecriture;
La langue et les eldments de la litterature fran9aise;
La gäographie, particulierement celle de la France ;
L'histoire, particulierement celle de Ja France jusqu'ä, nos jours ;
Quelques notions usuelles de droit et d'äconomie politique;
;Les dlämänts des sciences naturelles physiques et matbäma-
tiques; leurs applications ä Tagricullure, ä J'hygiene, aux arts in-
dustriell, travaux manuels et usage des outils des principaux inetiers ;
,Les äläments du dessin, du modelage et de la müsique ;
La gymnastique; v
Pour les garpons, les exercices militaires;
Pour les fiUes, les travaux ä Taiguille.
L'article 23. de la loi du 15. mars 1850 est abrogö.
Art. 2. Les ecoles primaires publiques vaqueront un jour par
semaine, en outre du dimanche, afin de permettre aux parents de
Französisches Schulgesetz vom 28. März 1882, *
ner, s'ils le dösirent, ä, leurs enfants, Tinstructioii religieu&e,
3 des Mifices scolaires.
aseignement religieux est facultatif dans les öcoles priv^es.
u 3. Sont abrog^es les dispositions des articles 18. et. 44.
du 14. 1) mars 1850, en ce qu'elles donnent aux raioistrt^s
3 Uli droit d'inspection, de surveillance et de direction ^latis
s primaires publiques et privees et dans les salles d'asile,
le paragraphe 2. de Tarticle 31. de la meme loi quidoDne
istoires le droit de Präsentation pour les instituteurs ap-
I aux cultes non cathoKques.
. 4. L'instruction primaire est obligatoire pour les enfants
sexes äg^s de six ans rövolus ä treize ans revolus ; eile
s donnöe • dans les Etablissements d'ihstruction primaire ou
B,.8oit dans les ^coles publiques ou libres, soit dans les
par le pere de famille lui-meme ou par toute personne
i choisie.
rfegleraent determinera les moyens d'assurer rinstruction
aux enfants sourds-muets et aux aveugles.
. 5. Une commission municipale scolaire est institufe dans
ommune, pour surveiller et encourager la fröquentation des
3 se compose du raaire, prösident; d'un des A6Ug\i6s du
, dans les coramunes comprenant plusieurs cantons, d'autant
lös qu'il y a de cantons, designes par Tinspecteur d'aca-
le membres dösignös par le conseil municipal en nombre
plus, au tiers, des membres de ce conseil.
Paris et ä Lyon, il y a une commission pour chaque ar-
lent municipal. Elle est prösidee: ä Paris, par le maire;
par un des adjoints; eile est composöe d'un des dölegues
[ dösignds par Pinspecteur d'acadömie, de membres designes
nseil municipal, au nombre de trois ä sept par- chaque ar-
lent.
mandat des membres de la commission scolaire dösignös
nseil municipal durera jusqu'ä Fölection d'un nouveau con-
cipale.
era toujours renouvelable.
ispecteur primaire fait partie de droit de toutes les cam-
scolaires instituöes dans son ressort.
n dem »Journal officiel« steht hier als Datum der 14. März» ebenso
ir ministeriellen Pariser Ztg. »Le Temps,« vom 30. März 1882. Je-
as im Vorhergegangenen abgedruckte Gesetz vom 15. März gemeint.
(A. d. Eed,)
Franzöaüches Schulgesetz vom 28. März 1882. IS9
Art. 6. II est institue un certificat d'^tudes primaires; il est
däcern^ apres un examen public auquel pourront se pr&enter las
enfants d^s Tage de onze ans.
Ceux qui, ä. partir de cet äge, aurpnt obtenu le certificat d'e-
tades primaires, seront dispenses du temps de scolarit^ obligätoire
qui leur restait ä passer.
Art. 7. Le pere, le tuteur, la personne qui a la garde de
Tenfant, le patrön chez qui l'enfant est place, devra, quinze jours au
moins avant Töpoque d^la rentree des classes, faire öavoir au maire
de la commune s'il entend faire donner ä, Tenfant Tinstruction dans
la famille ou dans une ecole publique ou privöe ; dans ces deux
derniers cas, il indiquera Töcole choisie.
Les familles domiciliöes ä proximitö de deux ou plusieurs öcoles
publiques ont la facultö de faire inscrire leurs enfants ä Pune ou ä
l'autre de ces ecoles, qu'elle soit oii nou sur le territoire de leurs
communes, ä moins quelle ne compte d^jä le nombre maximum d'4-
löves autorisös par les reglements.
En cas de contestation , et sur la demande soit du maire,
soit des parents, le conseil d^parteraental statue en dernier ressort.
Art. 8. Chaque annöe le maire dresse, d'accord avec la com-
mission municipale scolaire, la liste de tous les enfants ägös de six
ä treize ans, et ayise les persbnnes qui ont Charge de ces enfants de
r^poque de la rentree des classes.
En cas de non declaration , quinze jours avant P^poque de la
rentree, de la part des parents et d'autres personnes responsables, il
inscrit d'office l'enfant äPune des öcoles publiquea et en avertit la
personne responsable.
Huit jours avant la . rentröe des classes, il remet aux directeurs
d'öcoles publiques et privöes la liste des eufants qui doiyent suivre
leurs öcoles. ün double de ces listes _est adresse par lui ä Tin-
specteur primaire.
Art. 9. Lorsqu'un enfant quitte Töcole, les parents ou les per-
sonnes responsables dolvent en donner immediatement avis au maire
et indiquer de quelle fapon Tenfant recevra Tinstruction ä Tavenir.
Art. 10. Lorsqu'un enfant manque momentan^ment Tecole, les
parents ou les personnes responsables doivent faire connaitre au di-
recteur ou ä la directrice les motifs de son absence.
Les directeurs et les directrices doivent tenir un registre d'ap-
pel qui conatate, pour chaque classse, rabsence des eleves inscrits.
A la fin de chaque mois, ils adresseront au maire et ä Finspecteur
140 Franzöifischea Schulgesetz vom 28. März 7882.
primaire an extrait de ce registre, avec rindication du uombre des
absences et des motifs invoqo^s.
Les motifs d'absence seront soumis ä la commission scolaire.
Les senls motifs r^put^s legitimes sont les suivants': maladie de
l'eofant, d^c^s d'uD membre de la famille, empechements resultant
de la difficullö accideatelle des Communications. Les autres. eircon-
stances exceptionnellement invoqudes seront egalement appreci^es par
la commission.
Art. 11. Tout directeur d'äcole priv^i qiii ne se sera pas con-
form^ aux prescriptions de Tarticle pr^c4dent, sera, sur le rapport de
la commission scolaire et de Tinspecteur primaire, däferö au conseil
d^partemental.
Le censeil d^partemental pourra prononcer les peines suivantes :
P Tavertissement ; 2^ la censure; S^ la Suspension pour un mois au
plus et, en cas de r^cidive dans Fannie scolaire, pour trois mois
au plus.
Art. 12. Lorsqu^un enfant se sera absent^ de Täcole quatre
fois dans le mois, pendant au moins une demijouruäe, sans justiÄ-
cation admise par la commission municipale scolaire, le pere, le
tuteur ou la personne responsable sera invit^, trois jours au moins
ä l'avance, ä comparaitre dans la salle des actes de la mairie, de-
yant ladite commission , qui lui rappellera le texte de la loi et lui
expliquera son devoir.
En cas de non-comparution, sans justification admise, la com-
mission appliquera la peine ^donc^e dans Tarticle sulvant.
Art. 13. En cas de röcidive dans les douze mois qui suivront
la premiöre infraction, la commission municipale scolaire ordonnera
l'inscription pendant quinze jours ou un mois, ä, la porte de la maitie,
des nom, pr^noms et qualitäs de la personne responsable, avec indi-
cation du fait relev6 contre eile.
La meme peine sera appliquee aux personnes qui n'auront pas
obtempörö aux prescriptions de Tarticle 9.
Art. 14. En cas d'une nouvelle röcidive, la commission scolaire,
ou, a son'd^faut, Tinspecteur primaire, devra adresser une plainte
au juge de paix. L'infraction sera considöröe • comme une contra-
vention et pourra entrainer condamnation aux peines de police, con-
formement aux articles 479, 480 et suivants du Code p^nal.
L'article 463 du meme Code est applicable.
Art. 15. La commission scolaire pourra accorder aux enfants
demeurant cliez leurs parents ou leur tuteur, lorsque ceux ci en
feront la demande motiväe, des dispenses de fr^quentation scolaire
Pranzösisches Schulgesetz t>om Ö8. März 1882* 141
ne pouvant döpasser trois mois par ann6e en dehors des vacances.
Ces dispenses devront, si elles excedent quinze jours,. etre soumises h
Fapprobation de Tinspecteur primaire.
Ces dispositioiis ne sont pas applicables aux enfants qui saivront
leurs parents ou leurs tuteurs , lorsque ces derniers s'abseuteront
temporairemeüt de la commune. Dans ce cas, un avis donnö ver-
balement ou par ecrit au raaire ouä Tinstituteur suffira.
La comraission peut aussi, avec ^rapprobatiou du conseil d6-
partemental, dispenser les enfants empbyös dans Tindustrie, et ar-
rivös ä Tage de Tapprentissage, d'une des deux classesde la journ^e;
la raeme facultö sera accord^e ä tous les enfants employös, hors de
leur famille, dans Tagriculture.
Art. 16. Les enfants qui re9oivent Tinstruction dans la famille
doivent, cbaque annöe, ä partir de la fin de la deuxieme annöe
d'instruction obligatoire , subir un examen qui portera sur les ma-
tieres de Tenseignement correspondant ä leur äge dans. les 6coles
publiques, dans des formes et suivant des programmes qui seront
dötermines par arretös ministöriels rendus en conseil sup^rieur.
Le Jury d'examen sera .composö de: Tinspecteur primaire ou
son dälögue, pr^sident; un döl^gue cantonal; une personne munie
d'un diplöme universitaire ou d'un brevet de capacit^; les juges
seront choisis par Tinspecteur d'academie. Pour^rexamen des fiUes,
la personne brevetöe devra etre une femme.
Si Texamen' de Tenfant est jugö insuffissant et qu'aucune excuse
ne seit admise par le jury,.les parents sont mis en demeure d'en-
voyer leur enfant dans une ^cole publique ou priv^e dans la huitaine
de la.notification et de faire savoir au maire^ quelle ^cole ils ont
choisie.
En cas de non-d^claration, Finscription aura lieu d'office, comme
il est dit ä Particle 8.
Art. 17. La caisse des ^coles institu^ap'ar Tarticle 15 de la
loi du 10. avril 1867 sera stabile dans toutes les communes. Dans
les communes subventionn^es dont le Centime n-excede pas 30 francs,
la caisse aura droit, sur le crödit ouvert pour cet objet au ministere
de rinstruction publique, ä une Subvention au moins egale au montant
des subventions communales.
La räpartition de secours se fera par les soius de la commission
scolaire.
Art. 18. Des arretfe minist^riels, rendus sur la demande des
inspecteurs d'acad^mie et des conseils departementaux, d^termineront
chaque annäe les <;ommunes oü, par suite d'iusuffissance des locaux
' .«T^ •
142 Anordn. der Bischöfe zum franz. ^chulgeaetz vom ^8, März 18S2.
scolaires, les prescriptions des articles 4 et suivants sur Tobligation
ne pourraient etre appliqu^es.
ün rapport annuel, adressö aux Chambres par le ministre de
rinstruction publique, donnera la liste des communes auxquelles le
präsent article aura dte appliquö.
3. ITachdem das vorstehende Gesetz ergangen war, schlug von
den katholischen Pariser Zeitungen der »Univers« vor, ein aus Laien
bestehende^, allgemeines Coraitö zur Organisation des Widerstandes
gegen jenes Gesetz zu bilden, wogegen der »Monde«» bemerkte, die
Initiative und die Action der Laien sei angebracht gewesen, solange
das Gesetz sich im Stadium der Berathung befunden habe. Jetzt
wo die Frage sich nicht mehr aut politischem Gebiete bewege, son-
dern wo es sich darum handele, ob und in wie weit man einem gott-
losen, 'das katholische Gewissen verletzenden Gesetze Widerstand
leisten müsse, sei es Sache des Episcopates, die Initiative zu ergrei-
fen und die Directive zu übernehmen, und Pflicht der Laien, die
Bischöfe zu unterstützen. Die französischen Bischöfe gaben auch
alsbald der eine nach dem andern die nöthige Directive.
4. Der. Bischof Dtiquesnay von Lille versammelte die 1800
Kinder der katholischen Schulen daselbst in einer dortigen Kirche
und erklärte, dass die Eltern unter einer Todsünde verpflichtet seien,
- den Glauben ihrer Kinder zu beschützen und dieselben in katholische
Schulen zu senden.
5. Der Cardinal-Erzbischof Ouibert von Paris hat die Anfrage
der Ordetislehrer und -Lehrerinnen seiner Diöcese, ob ihr Beruf ihnen
das Weiterfungiren in den öffentlichen Schulen nach, dem neuen
Unterrichtsgesetze gestatte , in einem vom 8.' April 1882 datirtem
Schreiben beantwortet, das als eine Instruction für alle katholischen
Lehrer Prankreichs gelten darf. Das Schreiben lautet mit üeber-
gehung der Einleitung wörtlich:
»In dem Momente« -^ sagt der Kirchenfürst — »wo der Re-
ligionsunterricht aufhört , ein Theil der obligatorischen Programme
des Elementarunterrichts zu sein, wo ihm kein Theil bei der Zeit-
vertheilung an die Classen zugekommen ist, wo es Dienern der Be-_
ligion selbst verboten ist, diesen Unterricht in den Schulgebäudeu
zu ertheilen: da begreift man es, dass Ordensmitglieder sich die
Frage vorlegen, ob sie öffentliche Lehrer bleiben dürfen. Wenn die
angeführten Bestimmungen Ihnen in der That jede Betheiligung an
der religiösen Unterweisung Ihrer Schüler unmöglich machen sollten.
Anordn. der Bischöfe »um franz, Schutgeaetz vom $S. März 1882, 143
SO wurden Sie mit Recht daraus folgern, dass für Sie in den Reihen
des officiellen Unterrichts kein Platz mehr ist.
Als Sie die Welt verliessen , die Gelübde ablegten und aus
Ihren! Opfermuthe für die Jugend eine heilige Pflicht machten, so
thaten Sie das, weil die Ausbildung des Glaubens und der Sitten in
dem Herzen der Kinder in Ihren Schulen auch. einen wesentlichen
Theil der Erziehung ausmachte. Sie befanden sich damit im Ein-
klang mit der Vernunft, mit der Natur des Menschen, mit den
Traditionen aller Zeiten, mit den Lehren der Erfahrung in unserer
Zeit und in unserem Lande. Der. Mensch ist Mensch nicht nur durchs
seinen Geist, sondern er ist es ebenfalls und vor Allem durch das
Herz. . Die moralische Bildung ist von allen die noth wendigste und
diese Bildung ist eitel, wenn die Vorschriften und Räthe, die mau
ertheilt, nicht in Gott ihre Autorität und ihre Sanction finden. Die
Moral ohne Gott wird von der Philosophie verurtheilt, denn sie ist
ein besetz ohne Gesetzgeber; sie wird von der Geschichte verurtheilt,
denn man hat sie nie angewendet, ohne dass sich die Banden der
menschlichen Pflichten sofort lockerten und ohne dass die Leiden-
schaften und der Egoismus sofort triumphirten.
Ausserdem genügte der Wunsch der Familien, um Ihnen Ihre
Pflichten vorzuzeichnen. Gerade weil Ihr Habit und Ihre Gelübde
Sie als autorisirte Veftteter des religiösen Unterrichts bezeichneten,
haben so viele christliche Eltern Ihnen den Vorzug gegeben vor
anderen ehrenwerthen und ihrer Achtung ebenfalls würdigen Lehrern.
Indem diese Väter und diese Mütter die Congregationsschule wähl-
ten, haben sie klar den Willen ausgedrückt, die Religion^ solle in
den ihren Kindern ertheilten Unterrichtsstunden den ersten Platz
einnehmen.
Doch ich verma'g nicht zu glauben, dass die Instructionen, zu
denen die in Aef Gesetzgebung eingeführten Aenderungen Veraii-
lassung geben können, Sie in der That in die befremdliche Lage
versetzen, dass Sie als religiöse Lehrer nicht mehr die Religion
lehren könnten. Wenn dieser Unterricht aufgehört hat, obligatorisch
zu sein, so sieht man doch keineswegs, dass er verboten sei. Ihre
Freiheit bleibt also voll bestehen, selbst wenn Sie sich behufs ihrer
Ausübung einige neue Beschwerden auflegen müssten. Wie könnte
sich die Verwaltung des öffentlichen Unterrichts wundern , dass Sie
eine Pflicht erfüllen, welche ausdrücklich in den Statuten Ihrer ver-
schiedenen Genossenschaften ausgedrückt ist, da diese Stataten doch
zu verschiedenen Zeiten die Billigung der Regierung erlangt haben ?
Wie könnte sie etwas Schlechtes darin sehen, dass Sie beim Be-
144 Anordn, der Bischöfe zum franz, Schulgesetz vom ^S. März 188^.
ginn Ihrer täglichen Aufgabe um Licht ?on Oben bitten, dass Sie
an Ihren Wänden die heiligen Insignien anbringen, welche Ihre
Regel Sie verpflichtet auf Ihrer Brust zu tragen,? Ihre Gelübde
legen Ihnen die Pflicht auf, den Religionsunterricht zu ertheilen;
Ihre, Statuten, welche die Verpflichtung erwähnen, sind von der
Obrigkeit approbirt und Sie sollten nicht das Recht haben, diese
Statuten zu beobachten und diese Qelubde zu erfüllen? Darin läge
ein wahrhafter Widerspruch, den naan doch keinem Gesetzgeber zu-
schreiben kann.
Ich bin also der Meinung, dass sie ihre Aemter behalten kön-
nen und müssen.
' Wenn ich mich in meinen Erwartungen täuschen sollte, wenn
eine öflfentliche ünterrichtsbehörde Ihnen das verbieten sollte, was
für Sie eine Standespflicht und Ihr höherer Lebenszweck ist, so
müssten Sie respectvolt ein Recht reclamiren, das mir unbestreitbar
erscheint. Erst in dem F^Ue, wo dieses Recht definitiv misskamnt
würde, müssten Sie ein Amt verlassen, in welchem Sie durch Ihre
Kenntnisse und Ihre Aufopferung, Ihre erprobten Lehrmethoden und
hervorragenden Erfolge sich die Achtung und Dankbarkeit des Landes
erworben haben. ,
Gott möge uns vor diesem Unglück bewahren. Schon am Ende
des vorigen Jahrhunderts hatte man, um mit dem Minister Por-
talis zu reden , »den schamlosen Ausspruch gethan , in der Schule
dürfe von der Religion niemals gesprochen werden.« Zehn Jahre
später rief Frankreich , durch die traurigen Resultate dieses Ver-
suchs ausser Rand und Band, »die Religion zu Gunsten der Ge-
sellschaft zu Hilfe« und verlangte, dass sie als Grundlage der Er-
ziehung diene.« . ->
Thun Sie, meine theueren Brüder und Schwestern, Alles, was
in Ihren Kräften steht, um der Jugend die wesentliche Grundlage
der intellectuellen und moralischen Bildung zu erhalten. Wenn man,
was Gott verhüten möge, Ihnen Ihre Aufgabe in den öffentlichen
Schulen unmöglich machte, so werden Sie dieselbe voll neuen Muthes
in den freien Schulen aufnehmen, welche durch die Opfer der Gläu-
bigen existiren und die beste Hoffnung auf die Regeneration unseres
Vaterlandes sind.
Ich werde binnen Kurzem den Eltern Ihrer Schüler und allen
guten Christen meiner Diöcese Instruction über die Pflichten er-
theilen, welche sie unter den gegenwärtigen Umständen zu erfüllen
haben.«
WHsungen der bischöfe hetr. das franz, Sehniges. i\ ^8. März 1882. 145
Am 2i. April 1882 erschien denn auch der Hirtenbrief des Gar-
dinal'Erzbischofs Guibert von Paris Ober die Pflichten der Eltern
hinsichtlich der Kinder er dehung. In demselben betont der Cardinal
zunächst die grosse Wichtigkeit des religiösen Unterrichtes, welcher
zu allen Zeiten und in allen Ländern als die Grundlage einer guten
Kindererziehung gegolten habe. Ohne Religion gebe es keine Moral,
und ohne Moral fehle es der menschlichen Gesellschaft an jedem
sichern Halt. Eine Moral, die sich nicht auf Gott stutze, sei ein
lockerer Zügel, und nicht im Stande, die Entfesselung der mensch-
lichen Leidenschaften hintanzuhalten. Nachdem der Kirchenfürst so
flie Nothwendigkeit des religiösen Unterrichtes dargethan und darauf
hingewiesen, wie die wohlorganisirten geheimen Gesellschaften, die
ns leider dahin gebracht hätten, die Gesetzgehung ihren Zwecken»
dienstbar zu machen, auf die gänzliche Vernichtung des religiösen
Unterrichtes hinarbeiten*, kommt derselbe auf die heutige Lage der
Schule selbst zu sprechen. Es gebe Schulen, in welchen Religions-
unterricht ertheilt werde, und solche, wo derselbe ausgeschlossen ^ei.
üeberall, wo die Eltern den Unterricht ihrer Kinder nicht selbst
leiten könnten und ihnen die Wahl freistehe, gebiete es die Ge-
wissenspflicht, den christlichen Schulen vor den unchristlichen den
Vorzug zu geben. Das Werk der christlichen Schule sei dag wich-
tigste unserer Zeit, und deren werkthätige Unterstützung das noth-
wendigste, fruchtbringendste und verdienstreichste aller Almosen.
In Fällen, wo den Eltern eine christliche Schule nicht zur Verfügung
■ steht, wird denselben zur Pflicht gemacht, den ihren Kindern er-
theilten Unterricht aufs strengste zu überwachen und jeden Miss-
brauch zur Abstellung gehörigen Orts zur Anzeige zu bringen. Wo
dem kindlichen Glauben aber wirklich Gefahr drohe, bleibe den
Eltern nichts anderes übrig, als ihre Kinder aus einer solchen
Schule zu entfernen mit Hintansetzung jeder Menschenscheu, allen
Interessen und etwaigen Schäden zum Trotz. Dies sei nicht nur der
Eltern Pflicht, sondern auch ihr unbestreitbares Recht. Im Uebrigen
wird den Eltern aufgegeben, bezüglich des Religionsunterrichtes ihrer
Kinder dem zuständigen Seelsorger in jeder Beziehung hülfreich an
die Hand zu geben. Den Lehrern aber werden ihre Pflichten gegen
Oott in Erinnerung gebracht, welche keiner menschlichen Erlaubniss
bedürfen; und demgemäss sollen sie dieselben auch ihre Schüler
lehren, an welchen sie ja gleichsam Elternstelle vertreten. Der
Klerus hingegen wird zur Verdoppelung seines bisherigen Pflicht-
Mters ermahnt. Der Hirtenbrief schliesst mit dem Wunsche,- däss
der liebe Gott die Bemühungen der Katholiken segnen und die
Archiv für Kirchenrecht XL VIII. 10
l4o Weisungen der Bischöfe betr, das franz* Schutges, v. 28. März 188^,
traurigen Folgen einer religionslosen Erziehung Frankreich er-
sparen möge.
6. Ein Hirtenschreiben des Cardinal-Er^bischofs Caverot von
Lyon bemerkt, wie man der Germania 1882 Nr. 216. unter dem
11. Mai aus Paris meldete: »Das religionslose Schulgesetz ist für
uns eine Ueberraschung und darf uns nicht entmuthigen. An Wider-
spruch ist die Kirche gewöhnt und des endlichen Sieges ist sie sicher.
Versammelt die Kinder zum Religionsunterricht, ruft er den Priestern
za, in der Kirche, im Winter in der Schule und bedenkt, dass die
neue Lage euch grössere Pflichten auferlegt. Die Familienväter for-
dert der Kirchenfürst auf, ihre Kinder nur in freie katholische
Schulen zu senden, falls solche in der Gemeinde vorhanden; wenn
nicht, möge man solche gründen durch die reichen Beiträge der
Vermögenden sowie durch kleine, aber regelmässige der Unbemit-
telten. Erlangt der Vater die Gewissheit; dass der Lehrer den
Glauben der Schüler untergrabe, so hat er dieselben aus der SchWe
fern zu halten? dazu berechtigt ihn das Gesetz selbst, welches
strenge Neutralität fordere. Möge auch geschehen, was wolle,
schliesst der Cardinal, der Vater hat seine Kinder so lange aus der
Schule fern zu halten, bis der Verächter der dem Gewissen der
Zöglinge schuldigen Achtung aus dem Schularate entfernt wor-
den ist.« *
7. Aus Paris berichtete unter dem 19. April 1882 die Köln.
Volksztg. 1882 Nr. 109 I. Bl. von den bemerkenswerthen Kund-
gebungen des Erßhischofs i)on Bennes und des Bischofs Freppel von
Angers. Ersterer wendet sich mit einen! Rundschreiben an den
Klerus bezüglich der Errichtung bezw. Vermehrung christlicher
Schulen, zu deren Gunsten eine allgemeine Subscription angeordnet
wird^ Bischof Frfeppel unterweist die Väter und Mütter seiner Diö-
cese über die" ihren Kindern zu gebende' christliche Erziehung. In
herrlichen Worten iührt der Kirchenfürst von Angers aus , wie die
Schule die Ergänzung der Familie, und der Lehrer der Mitarbeiter
an der elterlichen Erziehung ist, und demgemäss christlichen Fa-
milien nur christliche Schulen geziemen. Um keinen Preis und unter
keinem Vorwand sollen die Eltern ihre Kinder einem Lehrer anver-
trauen, welcher sich einen directen oder indirecten Angriff gegen die
Glaubenslehren oder kirchlichen Einrichtungen erlauben würde. In
einem solchen Falle wäre es der Eltern unabweisbare Pflicht, was
immer auch daraus entstehen möge, ihre Kinder aus einer Schule zu
nehmen, wo ihr Glauben Gefahr li^fe, nach dem Grundsatze: man
Weistung^n der BiscHöfe Beir. das franz. Sehniges, v. 28. März 1SS2. 147
muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Die angebliche Neu-
tralität der Schule in. religiösen Dingen bezeichnet der Bischof mit
Recht als eine Unmöglichkeit; denn man könne nur für oJer wider
Gott sein. Es sei Gewissenspflicht der Eltern, der chriätlii^hen
Schule vor der »neutralen« den Vorzug zu geben. Um in dieser
Beziehung den Eltern hülfreich an die H'and zu. gehen,, wivtl thim-
lichste Vermehrung bezw. Ausbreitung der christlichen Schalen in,
Aussicht gestellt, und zu diesem Behufe aus den bedeutendsten Miin-
nern ein besonderer Diöcesan-Schulverein gebildet. Wie der Ciirdinal
Guibert spricht sich auch Msgr. Preppel dafür aus , dass die con-
greganistischen Lehrer ihre gegenwärtige Stellung in den Staats-
schulen vorläufig beibehalten und mit der religiösen Unterrichts-
ertheilung fortfahren sollen, bis dieselbe ihnen zur ünmögUclikeit
gemacht werden würde. Trete dieser Fall ein, dann wurden die
geistlichen Obern die Ersten sein, um den Widerstand als Pflicht
anzurathen. Nicht minder entschieden lautet die diesbezügliche
Kundgebung des hochwürdigsten Oberhirten der Erzdiöcese von ßen-
nes. Eine systematische Opposition gegen die Regierung des Landes,
versichert derselbe eingangs seines Rundschreibens, liege ihm bei
Stellungnahme gegen das neue ünterrichtsgesetz durchaus fern, und
leite ihn bei Vertheidigung des christlichen Unterrichts kein anderes
Motiv als die Pflichterfüllung seines. Oberhirtenamtes und das Be-
wusstsein, die That eines guten Bürgers zu vollziehen. Im üebrigen
wolle er sich auf die Vorführung von Thatsachen beschränken. Da
zeige sich nun, dass nicht nur die katholische, sondern jede positive
Religion aus dem Unterricht verbannt, und dem Geistlichen die
Schule verschlossen sei. Das Bild des Erlösers werde daraus ent-
fernt, von Christus sei darin keine Rede mehr. Wenn man sage, es
ist Sache der Geistlichkeit, den Religionsunterricht in der Kirche zu
ertheilen, so müsse dies als eine lächerliche Ausflucht bezeichnet
werden; denn einestheils lasse man den Schülern, in Folge Ueber-
häufung mit andern Gegenständen, keine Zeit, auf den Katflcliisrniia
sich genügend vorzubereiten, und anderseits wolle mau die Kirche
durch die Religionsertheilung an Perientagen in den Schein einer
»Preudenstörerin« bringen. In Wirklichkeit sei der Religionsunter-
richt durch dessen gesetzliche Verbannung aus der officielten Scljule
so zu sagen unmöglich gemacht, und würden die aus der atheisti-
schen Staatsschule hervorgehenden Geschlechter künftig glaubens-
und gottlos aufwachsen, aller jener sittlichen Kräfte bar, welche nur
die Religion dem Menschen verleiht, um sein Gewissen zu leiten und
seinf Leidenschaften zu beherrschen. Als letzter Hort der GewisKens-
10*
148 Weisungen der Bischöfe hetr* das franz. Sehniges, v. 08. März l8Si.
freiheit und Schutz der Elternrechte bliebe demnach nur noch die
religiöse Schule übrig, zu deren ünterstütznrig und Verbreitung ein
Jeder nach seinen Kräften beisteuern solle; das sei heute im höch-
sten Grade Christen- und Patrioten- Pflicht.
8. Der Cardinal- Er ^hischof von Ronen ^ Bonnechose^ beklagt
in einem Hirtenschreiben vom 17. April 1882 (vgl. Köln. Volksztg.
Nr. 110 I.^ Bl. die unheilvollen Folgen des »den Priester, die Re-
ligion und Gott aus der Schule verbannenden ünterrichtsgesetze?,
welches der Gewissensfreiheit der Familienväter eine tiefe Wunde
schlage« und ertheilt demgemäss allen Betheiligten von den um-
ständen gebotene Rathschläge und Anweisungen. Zunächst wird allen
christlichen Eltern anempfohlen, ihre Kinder nur christlichen Schulen
anzuvertrauen und überall da, wo die Ortsverhältnisse die Gründung
solcher Schulen nicht gestatten, auf den in der »neutralen« Staats-
schule ertheilten Unterricht ein wachsames Auge zu haben und je-
den Verstoss gegen Religion und Glauben gehörigen Ortes zur An-
zeige zu bringen. Fahre der staatliche Lehrer fort, einen Religion
und Glauben verletzenden Unterricht zu ertheilen, dann erheische
der Eltern Gewissenspflicht, ihre Kinder aus einer solchen Schule
fernzuhalten, bis der pflichtvergessene Lehrer ersetzt sei. Den Eltern
wird überdies dringend anempfohlen, dem Ortsgeistlichen zur Er-
theilung des Religionsuntertichtes alle mögliche Unterstützung zu
gewähren und die Kinder zum Besuch der Religionsstunde gewissen-
haft anzuhalten. Aehnligh den Pariser Oberhirten enapfiehlt auch
Msgr. Bonnechose den congreganistischen Lehrern, ihre gegenwärtige
Stellung vorläufig beizubehalten und vor wie. nach ihren religiöson
Obliegenheiten in der Schule nachzukommen.
9, In ähnlicher Weise nahmen fast alle franz. Bischöfe aus-
drückliche Stellang zu der Schulfrage. Dem vom Card. -Erzbischof
von Paris gegebenen Beispiele folgend erörterten die Oberhirten (wie
ein Leitartikel der Köln. Volksztg. 1882 Nr. 114 I. Bl. resumirte)
zwei Fälle: das Verhalten der Eltern in Gemeinden, wo neben der
'Staatsschule eine freie Schule sich befindet, und in solchen, wo nur
eine Staatsschule besteht. Im erstem Falle ist die Entscheidung
nicht schwer. Die Katholiken werden alsdann nicht zögern, ihre
Kinder den Privatschulen anzuvertrauen. Schwieriger gestaltet sich
die Lage, wo den Eltern eine solche Wahl nicht bleibt. Hier nun
machen die Bischöfe auf einen Umstand aufmerksam, der zum Ver-
ständniss der ganzen Lage sehr wichtig ist. Nach dem neuen Unter-
richtsgesetz, so führte (s. o. Nr. 5) der Cardinal-Erzbischof Guibert
Weisungen der Bischöfe heir. das franz. Seimiges, v. 28. März 18S2. 149
aus, hört der Religionsunterricht zwar auf, obligatorisch zu sein,
wird aber nicht direct untersagt. Es hängt daher von den Lehrern
und den SchulcommissioW.ab, ob derselbe noch fernerhin ertheilt
werden soll oder nicht.
Was erstere betrifft, so ist zu beachten, dass augenblicklich
noch ein grosser Theil der Staatsschulen von Ordenslehrern und
Ordenslehrerinnen versehen wird. Im Jahre 1880 zählte man noch
11,445 Schulen mit einem Ordenslehrerpersonal von 24,085. In diesen
Schulen droht der Religion der Kinder offenbar keine Gefahr ; denn
die geistlichen Lehrer werden sich natürlich nicht abhalten lassen,
den Religionsunterricht nach wie vor weiter zu ertheilen, und wird
ihnen dieses von den Bischöfen noch ausdrücklich zur Pflicht ge-
macht. In manchen andern Gemeinden, wo weltliche Lehrer ange-
stellt sind, wird es hauptsächlich von der Zusammensetzung der
Schulcommission abhängen, ob der Religionsunterricht beibehalten
bleibt oder nicht. Mehrere Bischöfe weisen daher ausdrücklich auf
die Wichtigkeit der Wahl dieser Schulcommissionen hin. Sie er-
mahnen alle treuen Katholiken, sich eifrig an diesen Wahlen zu be-
theiligen, und machen es den Geistlichen zur Pflicht, eine etwa auf
sie fallende Wahl zum Vorsitzenden der Commission anzunehmen.
Man darf hoffen, dass namentlich in Landgemeinden, wo vielfach
noch ein religiöser Sinn herrscht, die Zusammensetzung der Com-
missionen eine den Katholiken günstige sein wird. Die radicalen
Blätter sind denn auch ausser sich über diesen »Schachzug« der
Klericalen, und die »Röpublique Fran9aise« fordert die Regierung
auf, mit solchen »reactionairen« Commissionen kurzen Process zu
machen, d. h. also wohl sie einfach aufzulösen. Das wird aber nicht
so glatt gehen, wie das biedere Organ meint ; denn im Gesetz steht
nirgends geschrieben, dass die Gommissionen nur aus kirche^eind-
lichen Mitgliedern bestehen dürfen.
Immerhin aber liegt die Gefahr nahe^ dass die Regierung, wenn
sie die Ausführung des Gesetzes durch Ordenslehrer ui\d katholische
Schulcommissionen gefährdet sieht, zu weitern Mitteln greifen wird.
Es steht zu befürchten, dass sie die Ertheilung des Religionsunter- '
richtes in den Staatsschulen mit Gewalt verhindern wird. Nöthigen-
falls werden die Kammern ja nicht zögern , ein dahingehendes
Amendement zum Schulgesetz anzunehmen. Auch werden bereits
Stimmen laut, welche den vollständigen Ausschluss der Ordensper-
sonen von den Staatsschulen fordern.
Diesen äussersten Fall erörtern die Bischöfe im zweiten Theil
ihrer Hirtenscbreiben. Klar und bestimmt erklären sie, dass die
t50 Weisungen dtt ßiscfiöfe betr. das franz. Sehniges, v. 28. März 1882..
Eltern im Gewissen verpflichtet siftd< ihre Kinder von Schulen feru\ .
7m haitön, in welcben deni Glauben derselben Gefahr drohe. Sie
seien hierzu gebunden < auch wenn sie in Folge dessen zeitliche
^achtheile tretfen sollten. Hier greife das Wort Platz: »Man muss
Gott mehr gehorchen als den Menschen.« Zugleich weisen die Ober-
hirten auf Mittel und Wege hin, wie diesen durch das Strafgesetz
drohenden Schäden zu entgehen sei. Frankreich kennt bekanntlich
keinen Staatsschul-, sondern nur einen ünterrichtszwang. Nichts
bindert demnach die Katholiken, ihre eigenen Schulen zu gründen
und sie von Lehrern leiten zu lassen, welche hinsichtlich einer reli-
giösen Erziehung der Kinder die nöthigen Qarantieen geben. Zur
Gründung solcher Schulen spornen die Bischöfe denn auch in den
eifrigsten Worten an. , Den Bemittelten wird als höchste Christen-
und Patriotenpflicht an's Herz gelegt, nach Kräften zur Gründung
eines Schultonds beizusteuern.
Zur Gründung solcher freien Schulen wird allerdings ein ganz
enormes Capital erforderlich sein. Wir weisen ausdrücklieh hierauf
hin, weil man hier und da die Frage autwerfen hört, warum die
Franzosen nicht ebenso wie die katholischen Belgier sofort überall
den atheistischen Schulen katholische entgegen setzten. Zwischen
beiden Ländern besteht ein gewaltiger Unterschied. Ein Mitarbeiter
der »Germania« stellte in dieser Hinsicht folgenden lehrreichen Ver-
gleich auf:
Die belgischen Katholiken hatten nur 2600 freie Schulen zu
gründen, was bei einer dichten Bevölkerung — es kommen 181 Ein-
wohner auf ein Quadrat-Kilometer und 114 Kinder auf eine Schule
— viel leichter war als in Frankreich, wo. 36,056 Gemeinden mit
Schulen zu versorgen sind, von denen 2973 grössere Stadt* und
33,07^ Landgemeinden sind. Das Territorium Frankreichs ist 18 Mal
grösser als das Belgiens, es zählt aber nur sieben Mal mehr Ein-
wohner. Je dichter die Bevölkerung , desto leichter ist der Unter-
halt einer freien, nur auf freiwilligen Beiträgen basirten Schule.' Es
existirten im Schuljahre 1879/1880 in Frankreich 60,876 öffentliche
*und 1493 freie Schulen mit den Rechten der öflFentlichen. Davon
zählen gegen 9000 zu den Stadt- und 53,000 zu den Landschulen.
Da die grosse Majorität der Schulen katholisch ist, so wären gegen
61,000 freie Schulen noth wendig, um den religionslosen officiellen
Concurrenz zu machen. Nun constatirt die Statistik von 1880
nur die Existenz von 12,888 freien katholischen Schulen; es bliebe
also die Gründung von rund 50,000 neuen Schulen zu verwirk-
lichen.
Der röm. StuM über das franz. Schulgesetz vom 28, Mai 1882, 151
Endlich gibt es 1246 Gemeinden, welche ihrer Armuth wegen
in Nachbargemeinden eingeschult sind, 243 ohne jede Schule und
16,771 gemischte Schulen für Knaben und Mädchen zugleich. Die
gemischten Schulen zählten durchgchnittlicb 40 Schüler, die ge-
trennten Dorfschulen 38. Laut der letzten Zählung vom Jahre 1876
gab es in Prankreich 4,502,894 schul Pflichtige. Kinder (im Alter von
6 bis 13 Jahren). Die Zahl der Schuler bezifferte sich aber 1880
nur auf 3,874,055, wovon 4,217,920 öffentliche und 656,135 freie
Schulen besuchten. Ohne die Zunahme der Bevölkerung zu berück-
sichtigen, ist also die Zahl der in der Familie unterrichteten oder
keine Schule besuchenden Kinder, die jetzt jährlich ein Examen zu
machen haben, auf 628,000 zu veranschlagen. Für sie ist also eine
weitere Anzahl von Schulen zu beschaffen.
Man muss diese Verhältnisse berücksichtigen , wenn man sich
ein richtiges Bild von der Lage der Katholiken Frankreichs machen
will. Ihre Aufgabe ist eine schwierige, aber keine undurchführbare.
10, Aus Paris schrieb man den 14. Mai 1882* der Germania
Nr. 221 : die vom französischen Episcopat in der brennenden Schut-
frage erbetenen Rathschläge des A. Stuhles sind hier jüngst einge-
troffen. Mit der ihm eigenen Erbweisheit ermahnt Rom die Bischöfe,
die religionslosen Schulen nicht von vornherein zu bekämpfen, son-
dern zunächst die Ausführung des neuen Gesetzes abzuwarten und
zu überwachen , wie auch jeden Missbrauch , der sich dabei heraus-
stellt, zu denunciren. Ebenso sollen die Katholiken in die Schül-
commissiohen eintreten, um die schlimmen Folgen des Gesetzes ab-
zuwenden, d^m Gesetze und den officiellen Schulen erst dann ener-
gischen Widerstand leisten, wenn ihre Neutralität verletzt wird.
Natürlich schliessen die Rathschläge die gleichzeitige Gründung
katholischer Schulanstalten nicht aus; diese werden 'im Gegentheile
ernstlich an's Herz gelegt. Jules JPerry thut natürlich sein Mög-
lichstes, um durch starke Heranziehung der Steuerzahler zu offi-
ciellen Schullasten \iie Gründung katholischer Schulen zu erschweren.
Er wird demnächst ein Gesetjs! zur Dotirung der Volhsschtdcassen
einbringen. Die Gassen sollen den Gemeinden Vorschüsse für Schul-
bauten gewähren. Schon 1878 wurden diese Gassen mit 60 und
1881 mit weiteren 50 Millionen dotirt. Das Geld ist bereits alles
verausgabt und Ferry fordert nun für die Gassen weitere 140 Mil-
Honen, Es handelt sich dabei zum Theil um nutzlose Verschleu-
derung öffentlicher Gelder, da auch in solchen Orten neue officielle
Schulen gebaut werden sollen, wo bereits Congregationsschulen be-*
stehen. So wird die Freigeisterei auch den französischen Steuer-
zahlern theuer zu stehen kommen.
152
VIII.
Der Ciriturkampf in Frankreich und eine Erklärung der fran-
zösischen Bischöfe vom 1. Juni 1882.
I. Der Antrag Boyssefs cmf Aufhebung des französischen
Goncordates (Vgl. Archiv Bd. 47..S. 333 Nr. 10) wurde am 29. März
1882 in der zur Vorberathung dieses Antrags eingesetzten Commii>-
sion der französischen Deputirtenkammer verhandelt. Die Coramis-
sion lehnte die Trennung des Staates von der Kirche ab und be-
schloss, Mittel und Wege zu suchen, um auf gesetzlichem Wege die
Verhältnisse zwischen der Kirche und dem Staate zu reformireii.
Der Beschluss enthält einen offenbaren Widerspruch.' Die Cora-
mission will das Concordat, also einen bilateralen Vertrag, bestehen
lassen, aber auch gleichzeitig auf gesetzlichem, also einseitigem Wege
die Verhältnisse zwischen Kirche und Staat ändern.
II. Anfangs AM 1882 debattirte die dritte Commission, welche
die Concordatsfrage zu berathen hat, über die drei ihr vorliegenden
Anträge BerVSy Lavergue^s und Guyho^s^ die sämmtUch die Uin^u-
fügung von Straßestimmungen su den organischen Artikeln bezwecken.
Es wurde beschlossen, einen vergleichenden Bericht über alle drei
Anträge drucken zu lassen und auch die üebersendung des Antrages
Koche, betreffend die Trennung von Kirche und Staat und des An-
trages Lockroy, betreffend die Einziehung der Kirchengebäude zu ver-
langen. ^
III. Die Germania 1882 Nr. 216 meldet aus Paris unter dem
11. Mai 1882: Ein neues Culturkampfgesetz verbietet den Lazareth-
geistlichen, die Kranken an ihre christliche Pflicht zu erinnern. Die
Priester dürfen dem Kranken die Tröstungen der Religion nur dann
bringen, wenn der Kranke ungemahnt darum gebeten hat. Ebenso
dürfen die Aerzte nicht zum Empfange der Sacramente mahnen.
Nun hat aber, wie aus einer Interpellation imTariser Gemeinderath her-
vorgeht, ein freidenkerischer Arzt im Lazareth zu Bicetre die Kranken
zum Beitritt zu einem Vereine aufgefordert, dessen Mitglieder sich
jedes religiöse Bcgräbniss verbitten. Aus demselben Lazareth hat
man unter dem Verwände der Gewissensfreiheitdie Krankenschwestern
beseitigt; jetzt gibt man die Kranken der Tyrannei eines atheisti-
schen Arztes preis.
Gulturkampf in Frankreich (1882), 158
IV. Dasselbe Blatt meldete in Nr. 221 aus Paris 14. Mai
1882 : Ausser der Schule wird nun auch die Eidesformel verweltlicht.
Die Commission hat beschlossen, an Stelle des religiösen Eides ^ein-
fach die Formeln zu setzen: »ich behaupte auf meine Ehre« oder
»ich verspreche auf meine Ehre.« Einen ebenso radicalen Beschluss
hat. die Justizcoramission gefasst. Sie will, dass die Richter aller
Grade absetzbar seien, und fordert die neue Regelung der rich-
terlichen Anstellung in einem später zu erlassenden Gesetze.
V. Die französische Deputirtenkamraer hat in ihrer Sitzung vom
8.* Mai 1882 in erster Lesung mit 334 gegen 124, am 11, Mai mit
327 gegen 129 Stimmen den Gesetzentwurf angenommen, welcher die
Zulässigheit der Ehescheidung ausspricht. Am 8. Februar 1881
wurde der Antrag noch mit 247 gegen 216 Stimnden abgelehnt. Es
ist ein Jude^ Naquet^ welcher der Vorlage zum Triumphe verhelfen
hat. Bei den letzten Wahlen sind viele conservative Deputirten unter-
legen und es haben 23 Republikaner, welche vor einem Jahre
gegen die Ehescheidung stimmten, sich jetzt für dieselbe erklärt.
Der mit grosser Majorität angenommene Gesetzent\vurf enthält auch
die geföhrliche und schmachvolle Bestimmung, dass sich der wegen
begangenen Ehebruchs geschiedene Theil mit dem Complicen ver-
heirathen darf. Am 19. Juni 1882 hat die französische Deputirten-
kammer die Wiedereinführung der Ehescheidung auch in zweiter
Lesung^ angenommen. Jedoch ist es fraglich, ob auch der Senat die
Ehescheidung annimmt.
VI. Am 13. Juni 1882 hat auch die Budget-Commission der
franz. Deputirtenkammer den für die Botschaft beim h, Stuhle aus-
geworfenen Kredit abgelehnt, jedoch am folgenden Tage auf Ver-
langen des Minist. Freycinet wieder aufgenommen. Auch hätte es
sich sehr gefragt, ob der Senat in die Aufhebung der Gesandtschaft
beim h. Vater in einer Zeit willigt, wo er das grösste Interesse hat,
sich über, die Anschauungen Roms zu informireu.
VII. Mehrere hervorragende Kirchenfürsten Fraiikreichs, Card.
Bonnechose, Erzbischof von Ronen, Card. Gmjbcrt, Erzbischof von
Paris, ferner der Erzbischof von Rheims, der Erzbischof von Larissa,
der 'zugleich Coadjutor von Paris ist, sowie die Bischöfe von Meaux,
Chartres, Versailles richteten am 1. Juni 1882 an die Senatoren und
Deputirten . des Landes über die verschiedenen Gesetzentwürfe be-
treffend den katholischen Cultus eine. Reihe von »Bemerkungen.«
Dieser Erklärung schlössen sich alsbald eine grosse Anzahl franzö-
sischer Bischöfe an. So der Cardinal-Erzbischof von Lyon, die
154 Denkschrift franz. Bischöfe vom 1. Juni 1S82.
Bischöfe von St. Jean, St. Brieux, Preguier, Quiniper, St. Die, Or-
leans, Coutances, Seez, Valence, Nimes, Troyes^ Nizza, Toulon u. s. w.
Die Erklärung der Bischöfe lautet:
»Die öffentliche Meinung besitzt Gerechtigkeitsgefühl genug,
um anzuerkennen, 3ass die Bischöfe die Einmischung in die Politik
möglichst vermeiden; »sicherlich aber erwartet man von ihnen nicht,
dass sie gesetzgel)erischen Massregeln gegenüber gleichgiltig bleiben,
welche religiöse Dinge berühren. Zu keiner Zeit ist- das Parlament
mit so vielen Vorlagen, welche sich auf diese wichtigen Interessen
beziehen, beschäftigt gewesen. Mehr als 20 derselben sind seit
einiger Zeit auf dem Tische der Deputirtenkaramer niedergelegt
worden. Das ist eine Thatsache , die ohne Präcedenzfall ist ; seit
. Wiederherstellung des Cultus in Prankreich hat man kaum yon Zeit
zu Zeit und in wenig einschneidenden Dingen einige Abänderungen
an der Gesetzgebung zugelassen, welche die Beziehungen zwischen
Kirche und Staat regeln. Heute wollen die Einen alles abschaffen^
die Anderen Alles umschaffen. Die Katholiken können bei diesem
Unternehmen unmöglich gleichgiltig bleiben und ihre Hirten müssen
sich zum Echo ihrer Befürchtungen machen. In ähnlicher Lage kann
nicht das Reden, sondern das Stillschweigen der Bischöfe in Er-
staunen setzen.
Ans diesem Grunde wenden wir uns auch mit dem Ausdruck
unserer Besorgnisse an die Gesetzgeber selbst; wenn wir an ihre
Weisheit und Billigkeit appelliren, se erweisen wir ihnen dadurch
in besonderer Weise die Rücksicht, welche Gott gegen die bestehen-
den Gewalten zur Pflicht macht.
Die Bemerkungen, welche wir hier machen, sind nur von einigen
Bischöfen unterzeichnet, denen nachbarliche Beziehungen Gelegenheit
zu häufigerem Gedankenaustausch bieten. Wir glaubten nicht, die
Unterschrift aller unserer ehrwürdigen Amtsbruder nachsuchen zu
sollen, denn wir befürchteten, dadurch Anlass zu gehässigen Inter-
pretationen zu bieten, welche die dem Klerus feindliche Presse allen
seinen Schritten gegenüber in Anwendung bringt. Doch zweifeln wir
nicht daran, dass unsere Worte im Sinne aller anderen Bischöfe ge-
sprochen sind.
Die Gesetzvorlagen, die uns beschäftigen, lassen sich in mehrere
Glassen theilen. Es gibt solche, welche die Ausübung des Cultus
und die allgemeinen Beziehungen zwischen Kirche nnd Staat zum
Gegenstande haben; andere beziehen sich auf die kirchliche Disciplin
und den christlichen Unterricht, noch andere endlich betreffen be-
sondere Gegenstände. Unter allen vorgeschlagenen Neuerungen gibt
Denkschrift franz. Bischöfe vom 1. Juni 1882.. 155
<es keine einzige, welche nicht Misstranen oder offene Feindschaft
gegen die Kirche an den Tag legte.
Man darf darüber staunen, dass so verwickelte und — sagen
wir es offen — so den meisten Laien fernliegende Fragen auf ein-
mal die parlamentarische Initiative von so vielen Seiten wachgerufen
haben. Bevor wir die in Rede stehenden Vorlagen im Einzelnen
prüfen , wird es nicht unnütz sein , ah die Principien zu erinnern,
welche in dieser Hinsicht massgebend sind, sowie an die historischen
Vorgänge^ welche Licht darüber verbreiten.
Wenn man Gesetze machen will zur Regelung der Ausübung
des katholischen * Cultus , muss man sich vor Allem klar machen,
was die Kirche ist. Sonst setzt man sich der Gefahr aus, wesent-
liche Theile ihrer Verfassung oder zu ilirem Leben nothwendige Akte
als eben so viele Missbräuche zu verfolgen.
Die Kirche ist ihrem Wesen dach eine geistige Gemeinschaft,
wenngleich sie wegen der Lage ihrer Mitglieder auf " Erden auch
ebenso zeitliche Bedürfnisse und Rechte besitzt. Der Zweck, den sie
verfolgt, ist das ewige Heil aller Menschen. Die Mittel, welche sie
dabei anwendet, sind ihr von Christus, ihrem göttlichen Stifter,
vorgeschrieben worden. Sie kann daran nichts ändern. Ihre Ver-
fassung ist unwandelbar. Ihre Thätigkeit , die sich auf die Seelen
erstreckt, ist durch keine Grenze beschränkt. Sie zählt nur frei-
willige Untergebene.
Das Auftreten einer derartigen , von den menschlichen Ver-
einigungen so verschiedenen Genossenschaft war vor achtzehn Jahr-
hunderten eine grosse Neuheit, welche die Cäsaren überraschte und
beunruhigte. Gewöhnt daran, in sich selber alle Gewalt, die des
Priesterthums mit einbegriffen, zu concentriren, und die Religion des
Volkes ihrer Herrschsucht und Politik dienstbar zu machen, be-
merkten sie nicht ohne Eifersucht und ohne Schrecken, dass in
Folge der Scheidung zwischen der geistlichen und weltlichen Sphäre
die Befreiung der Gewissen vorbereitet werde. Daher die Verfol-
gungen, welche drei Jahrhunderte mit Blut befleckt haben. Durch
den Glauben und die Tugenden derjenigen, deren Blut in Strömen
vergossen wurde, besiegt, begriff das römische Reich endlich, dass
es auf dieser Welt Raum gibt für zwei Gewalten verschiedener Ord-
nung, und dass die Unabhängigkeit der einen, weit entfernt, die
Sicherheit der andern zu bedrohen, ihr vielmehr eine Last abnimmt,
welche diese unfähig ist, zu tragen. Seit Gonstantin hat die Kirche
neben den Staaten gelebt, ohne sie zu absorbiren und ohne selber
auch absorbirt zu werden. Während der Dauer einer so langen
156 Denkachrift franz.. Bischöfe vom, 1. Juni 1882,
Coexistenz hat der Grundsatz der Atdonomie beider Gesellschaften
stets bestanden, er hat sogar eim glänzende Bestätigung in den
Unterhandlungen gefunden, welche in allen Epochen der Geschichte
stattgefunden haben, um die unvermeidlichen Differenzen in den
menschlichen Beziehungen .zu beenden. Im Anfange dieses Jahr-
hunderts hat ein berühmter Akt diese Stellung-der beiden^ Geiwaltea
vollständig klar gemacht. Als der erste Consul den Cultus ia
Frankreich wiederherstellen wollte, war er sich vollständig klar
darüber, dass ein derartiges unternehmen seine Zuständigkeit über-
schritt; desshalb unterhandelte er als Chef des französischen Staates
mit dem Oberhaupte der Kirche, um die Grundlagen jener Wieder-
herstellung festzusetzen.
Eine Gesellschaft, welche ein Oberhaapt, eine eigene Hierarchie
und einen Codex über Glaubenssatzungen, Gesetze, Riten und Insti-
tutionen besitzt, und welche auf das Ersuchen eines weltlichen Sou-
verains mit ihm übereinkommt, diplomatisch gewisse Streitpunkte
zu regeln — eine solche Gesellschaft ist für sich selbstständig und
kann nicht zugeben, dass sie in der bürgerlichen Gesellschaft auf-
gehe, als wäre sie nur ein Ausfluss derselben. Sie hat ihre Rechte,
wie der Staat die seinigen hat, und die gegen sie geschehenen
üebergriffe verletzen die Gerechtigkeit nicht minder wie diejenigen,
welche in ihrem Namen etwa gegen die weltliche, Macht versucht
werden sollen.
Freilich hat diese Gesellschaft zu ihrer Verfügung nicht die
inaterielle Gewalt , um ihre Prärogative zu beschützen , allein die
Gläubigen, aus denen sie besteht, gehören gleichzeitig der bürger-
lichen Gesellschaft an. Als solche haben sie das Recht zu ver-
langen , dass ihr Gewissen geachtet werde , und dieses Recht wird
verletzt durch jede Beschränkung der freien Religionsübung. Ob-
wohl also die geistliche Souverainetät wehrlos ist, so ist sie doch
nicht der Willkür der weltlichen Macht überantwortet, und die von
ihr unterzeichneten Verträge können, nicht nach dem Belieben des
anderen Theils zerrissen werden.
Das Concoi'dat von 1801 ist in der Beziehung bemerkenswerth,
dass die französische Regierung die Initiative dazu ergriffen hat.
Man hört bisweilen, jener dankenswerthe Akt hätte bezweckt, den
Staat gegen die üebergriffe des Klerus zu schützen. Eine derartige
Behauptung beweist eine auffallende ünkeButnisss der Geschichte.
Im Jahre 1801 war der Klerus gar nicht in der Lage, irgend Je-
mand zu nahe zu treten; decimirt durch Hinschlachtungen und De-
portation, seiner Guter beraubt, beunruhigt sogar in seinem Privat-
Denkschrift franz. Bischöfe vom t Juni 1882, 15?
gottesdienste , sobald er den schisraatischen Eid verweigerte, besass
er keine weitere Kraft, als dass er die wahre katholische Tradition
ropräsentirte Angesichts der sogenannten Nationalkirche , welche
glaubenslose Gesetzgeber decretirt hatten, ohne ihr Lebenskraft ein-
flössen zu können. An jene moralische Kraft appellirte der erste
Consul. Erschreckt durch die von der Revolution aufgethürmten
Trümmer und wohl einsehend , dass ein freies Volk mehr als alles
Andere der gläubigen üeberzeugung bedarf, welche die Leidenschäf-
ten im Zügel hält und den socialen Frieden garantirt, fasste er den
Gedanken, dem Katholicismus eine gesetzmässige Existenz zu geben,
die im Einklänge stände mit den neuen Lebensbedingungen der
französischen Gesellschaft. Weil zu diesem Zwecke einige Punkte
der alten Disciplin mjjdificirt werden raussten, begriff er, dass die
Katholiken seinen Vorschlägen nimmer folgen würden, wenn dieselben
seitens ihres geistlichen Oberhauptes nicht sanctionirt werden wür-
den. Alsdann wandte er sich an den Papst, und nach langwierigen
Unterhandlungen, bei denen der Papst manches Opfer bringen musste,
ward endlich die moderne Charte der Beziehungen zwischen Staat
und Kirche in unserem Lande unterzeichnet.
Ein derartiger Akt konnte nur die wesentlichen Grundsätze
feststellen, welche den jieuen Zustand der Dinge zu ordnen .bestimmt
waren. Diese Grundsätze wurden in 17 Artikeln kurz formulirt, die
offenbar noch viel denen zu thun übrig liessen , welche mit ihrer
Anwendung beauftragt werden sollten.
Wir haben an dieser Stelle noch ein anderes sehr starkes Vor-
urtheil zurückzuweisen, das eine gewisse Classe von Politikern be-
heiTscht. Sie stellen nämlich die Behauptung auf, dass die ver-
schiedenen nach Abfasssung des Concordates sich einander folgenden
Regierungen dasselbe fortwährend modificirt hätten, nur um der
Kirche Vortheile und Begünstigungen zuzuwenden, auf welche dieser
Vertrag ihr kein Recht gäbe. Nichts steht mit der Wahrheit in
schrofferem Widerspruch, als diese Behauptnng.
Der erste Akt der weltlichen Macht nach Unterzeichnung des
Concordates war die Promulgation der organischen Artikel^ welche
oin Akt der Beschränkung des Vertrags und in verschiedenen Punk-
ten dem Geiste des letzteren widersprechend waren. Zweifelsohne
sprechen wir dem Gesetzgeber nicht das Recht ,ab , mit Klugheit
Fragen der öffentlichen Ordnung zu lösen, welche die Anwendung
des Concordates betreffen, aber zwei Bedingungen würden ihm durch
die Billigkeit gestellt werden: dass nämlich keine Massregeln ge-
troffen werden, welche den Grundsätzen dor Ueberoinkunft wider-
158 Denkschrift franz. Bischöfe vom i. Jv/ni 18S2\
sprechen und dass die Bestimmungen dieses Vertrages streng äüsge-^
schieden bleiben. Diese zweifache Bedingung ist aber missachtefc
worden. Denn die Gesetze des Jahres X. enthalten mehr als eine
Bestimmung, welche die kirchlichen Constitutionen verletzt, ferner
wurde die Convention, welche die katholische Religion in Frankreich
rehabilitirt und die Gesammtheit jener Gesetze, gegen welche der
Papst und die Bischöfe stets protestirten , mit jener Convention
selbst durcheinandergeworfen und unter einem gemeinsamen Titel
veröffentlicht. ,
Unter dem ersten Kaiserreich dauerte es nicht lange, bis die
Kirche von seinem Haupte verfolgt wurde. Alle Akte der staat-
lichen Gewalt trugen den Charakter der Feindschaft des Souverains
gegen die Kirche und in der Folge ebenso die in der Politik vorge-
nommenen Aenderungen.
Andere Regierungen waren gerechter oder wenigstens fried-
licher, manche derselben zeigten sich in gewissen Punkten sogar
wohlwollend. Aber es ist eine Unwahrheil, zu behaupten, dass -der
Text ^es Concordates jemals gefälscht oder der Sinn desselben
missachtet worden sei, um die Kirche zu begünstigen. Mit der
Zeit neue Bisthümer einzurichten, wenn das Anwachsen der Be-
völkerung, und die Häufung der Geschäfte dies erfordert; die Ge-
hälter des Klerus zu erhöhen, weil die früheren Gehälter nicht mehr
den Bedürfnissen des heutigen Lebens entsprechen und weil solche,
oder noch grössere Gehaltserhöhungen durchaus entsprechend waren ;
den Bischöfen die Benützung ihrer Palais wieder zu gestatten, die
zum Staatseigenthura gemacht worden sind , während doch die Ein-
künfte der Bischöfe unzureichend sind und sie selbst so schwere
Lasten zu tragen haben ; Seminarien zu errichten und zu unterstützen,
die ein wesentliches Erforderniss für den Nachwuchs und ein nothwen-
diges Mittel für die Heranbildung des Klerus sind; den Domherren,
Canonikern und Generalvicaren, mit denen nach den kirchlichen Be-
stimmungen die Bischöfe sich zu umgeben haben, ein bescheidenes
Gehalt zu gewähren ; den aller ihrer Guter beraubten Pfarrkirchen das
gesetzliche Privilegium des feierlichen Begräbnisses zu gewähren, um
ihnen ein Einkommen zu verschaffen und ihnen, vor Allem in den
Städten, die Unterhaltung des Cultus und der Hilfsgeistlichen,^ welche
vom Staate keine Unterstützung erhalten , zu ermöglichen — das
waren jene wohlwollenden Massregeln, aber es waren vollständig ge-
rechte Massregeln, welche zur Fortdauer von friedlichen Verhält-
nissen durchaus erforderlich waren.
Heute behauptet man nun, dass. man dadurch die ^stricte Aus-
Denkschrift franz. Bischöfe vom 7. Jwwi 188^, 150
führung<L des Concordates aufgegeben hat. Aber was versteht man
unter diesem Ausdruck? Will man damit sagen, dass man den
Buchstaben des Vertrages verletzt hat? Man würde in Verlegen-
heit sein, sollte man auch nur einen unten den 17 Artikeln als ver-
letzt nachweisen. Soll das heissen, dass man den Vertrag nicht in
einem gehässigen und eifersüchtigen Sinne ausgeführt hat? Aber
wo hat man denn in dem Coneordat die Verpflichtung gefunden,
dasselbe in der Vfeise auszuführen? Die wahre Billigkeit liegt
nicht immer in der allzu engherzigen Interpretation eines Textes ;
es existirt selbst ein alter Grundsatz, der uns lehrt, dass eine
solche Weise, die Gesetze zu interpretiren, manchmal der Gipfel der
Ungerechtigkeit ist: »Summum jus, summa injuria.« Die Billigkeit
fördert, dass üebereinkommen nicht strict ,. sondern loyal ausgeführt
werden.
Das Coneordat hat ein Princip aufgestellt und eine Thatsache
ins Auge getasst : das Frmcip war die Wiederherstellung der katho-
lischen Kirche ; die Thatsache war die prekäre Lage der Religion in
Prankreich zur Zeit des Vertrages. Das Princip war dauerhaft, es
erstreckte sich auf die künftige EntwicKelung der Eeligion der Na-
tion zu Gunsten des den Gewissen wieder gegebenen Friedens. Die
Thatsache war ihrem Wesen nach vorübergehend. Am Tage nach
einer furchtbaren Krisis hatte sich die Kirche kaum aus ihren
Ruinen erhoben; der Staat, der durch die Revolutionen und den
Krieg verarmt war, musste zu Auswegen seine Zuflucht nehmen, um
das Gleichgewicht in seinenoi Budget herzustellen. Wollte man die
Beziehungen zwischen Kirche und Staat stets nach der elenden und
dürftigen Lage von 1801 einrichten, so würde man das Coneordat
nicht loyal interpretiren, so würde man seinen Grundgedanken ver-
kennen sowie auch den Zweck, den man bei seiner Unterzeichnung
verfolgte.
Wir könnten zahlreiche weitere Beispiele anführen; die ange-
führten genügen. indessen zur Erklärung und Rechtfertigung gewisser
Massnahmen, welche man den früheren Regierungen zum Vorwurf
macht. Es sind das nicht, wie man behauptet hat, zu weit gehende
Concessionen, welche man den Forderungen der Kirche gemacht hat,
es sind das vielmehr Akte der Gerechtigkeit und der guten Ver-
waltung. Wenn das Coneordat die Wiederherstellung der Religion
bezweckt, so konnten die Gesetze, die man unter dem Namen Con-
eordat versteht, nicht den Zweck verfolgen, ihre Ausübung einsu--
engen. Man müsste sich aber bis zu diesem Widerspruche versteigen,
wenn man im Ganzen alle Anordnungen verurtheilen wollte, die
16Ö Denkschrift franz. hischöfe vom 1, Juni 188^.
ira Laufe der Zeit getroffen wurden , um offenbaren Bedürfnissen
abzuhelfen.
■ Diese allgemeinen Erwägungen erleichtern die Prüfung der
Vorschläge, mit denen gegenwärtig das Parlament beschäftigt ist.
Der radicalste von allen ist derjenige, welcher die Abschaffung
des Concordates oder die Trennung von Kirche und Staat zum
Gegenstände hat. . ,
Wir wollen uns darüber kurz fassen. Dieser Vorschlag ver-
kennt eine offenbare Thatsache : nämlich die bedeutungsvolle Stellung,
welche die ehristUche Religion in der französischen Gesellschaft ein-'
nimmt. Wird der Glaube und der Cultus der immensen Majorität
der Nation als eine private Meinung behandelt; wird dem , was in
den Augen des grössten Theiles des Volkes das ganze Leben be-
Rorrscht, Pflichten auferlegt und zur Tagend anspornt, gar keine
Rechnung getragen; werden die Zweifel des Skeptikers und die Ver-
neinungen des Atheisten mit den üeberzeugungen des ganzen Volkes
auf dieselbe Stufe gestellt — so ist das ein wenig überlegtes und
gefahrvolles Unternehmen. Wer sich daran wagen wollte, der
müsste den Beweis erbringen können, dass eine tiefgehende Aende-
rung in dem Sinne und Willen des Landes vorgegangen sei. Diesen
Beweis wird man nicht erbringen, denn Frankreich wird, dessen sind
wir sicher, sich nicht mitten im christlichen Europa als eine Nation
ohne Gott und ohne Cultur hinstellen wollen, noch wird es- von
seinen Vertretern fordern, wieder in den Zustand der Wirren und
des Unbehagens zurückgeführt zu werden, woraus es das Coneordat
befreit hat.
Ferner würde die Ausführung einer ähnlichen Massregel mit
SchwierigJceiien verbunden sein , die leichter zu verheimlichen , als
zu lösen sind. Scliafft man das Coneordat ab, so würde man das
Culturbudget unterdrücken. Doch dieses Budget ist nicht, man
möge sagen was man wolle , eine . reine Preigiebigkeit des Staates
gegen die Kirche. Insoweit es sich auf den katholischen Cultus be-
zieht, ist es eine Indemnität^ deren Charakter feierlich durch die
constituirende Nationalversammlung 12 Jahre vor dem Coneordat
anerkannt worden ist. Wenn man die Indemnität zurückzöge, würde
man dann die Besitzthümer zurückgeben? Wir erkennen offen an,
dass man dies heute nicht mehr könnte. Würde man dann keine
Compensation gewähren? Aber dann würde man die erste Beraubung
wiederholen, die jenes Unheil angerichtet hat, dem das Coneordat
ein Ende machte. Will man ns wagen, dem Lande diesen Vor-
schlag zu machen?
toenkachrift franz. Bischöfe vom 2, Jtmi 188^. 161
Was sollen wir von der neuen Lage sagen, in der sich die
Kirche unter dem Regime der Trennung befinden würde? Sie wäre
also ihrer früheren Hilfsquellen beraubt. Würde man ihr wenig-
stens gestatten, sich frei an die Ergebenheit ihrer Mitglieder zu
wenden , um dem Gultus die erforderlichen Einkünfte zu sichern ?
Die elementarste Billigkeit würde das fordern. Dann aber müsste
man alle unsere Gesetze über das Vereinswesen und das Collectiv"
eigenthum abändern,. Gesetze, welche von dem Misstrauen gegen die
todte Hand eingegeben sind, uns scheint, dass das nicht die Ten-
denz der gegenwärtigen Gesetzgeber ist. Wenn dem so ist, wenn
man die Kirche, nachdem man sie ihrer Güter und der sie theil-
weise entschädigenden Subventionen beraubt hat, hindert, durch frei-
willige Gaben die zu ihrem Leben nothwendige Dotation wiederher-
zustellen, glaubt mauv dann^ dass Millionen also in ihren Gultus-
Interessen und ihren Gewissensrechten verletzte Franzosen diese
schreiende und ganz und gar nicht zu entschuldigende Ungerechtig-
keit ruhig ertragen werden? Wenn man unter dem Vorwand der
religiösen Neutralität in unserem Vaterlande die Agitation ver-
ewigen will, so braucht man rmt diesen Weg einzuschlageu, auf
den einige Menschen hinweisen , die sich die Folgen der von ihnen
vorgeschlagenen Akte nicht klar gemacht haben. So viel über das
Concordat.
Trotz ihres weniger drohenden Aeusseren sind die anderen Oe-
seteprojede nach unserer Meinung nicht minder verderblich. Schein-
bar hält man in denselben den nothwendigen Grundsatz von der Ein-
tracht zwischen Kirche und Staat aufrecht , aber dieser Grundsatz
wird in einer solchen Weise in Anwendung gebracht, dass an die
Stelle der schönen Harmonie zwischen den beiden Mächten die Unter-
drückung und die Vernichtung einer von ihnen gesetzt wird. Statt
sich dann um die Kirche nicht zu kümmern, würde der Staat über
sie so direct gebieten , dass ihre geistliche Selbstständigkeit unter
den Fesseln administrativer Reglements erliegen würde. In den Vor-
schlägen, um die es sich handelt, sind an die Stelle der günstigen
Bestimmungen der gegenwärtigen Gesetzgebung Massregeln gesetzt,
die sich in drei Worten: »Fesselung, Beraubung und Bestrafungt
charakterisiren lassen.
Man fesselt die Freiheit der Kirche, wenn man Vorschriften
wieder in Kraft zu setzen sucht, welche nichts Geringeres bezwecken,
als die Lehre von Häresien in den Seminarien zur Pflicht zu machen;
wenn man das dem Bischöfe zustehende Recht, kirchliche Schulen zu
gründen, verkürzt; wenn der Minister auf die einfache Ansicht des
▲roUv rOr Kirchenrecht. XLVIII. 11
162 Denkschrift franz. Bischöfe vom 1. Jtmi 1882.
Präfecten die Versetzung eines Desservanten oder eines Vicars ver-
langen kann und zwar unter Strafe des Gehaltverlustes ; wenn Pfar-
reien, Succursalen und Vicariate ohne Zustimmung des Bischofs
unterdrückt werden kennen; und namentlich, wenn, der wesentlichen
Eirchendisciplin zum Trotz und ohne Bücksicht auf das Bedürfniss
herangezogen werden. .
Man beratibt die Kirche, wenn man die Gehälter der Canoniker,
die Freistellen der Seminare, das Privilegium der Begräbnissveran-
staltung unterdrückt, denn man benimmt ihr so die Möglichkeit,
den Klerus zu erziehen und den Bedürfnissen der Diöcesanverwaltung
und den Anforderungen des Gultus zu genügen. Man beraubt die
Kirche, wenn man die Gemeinden von fast allen ihren Verpflich-
tungen gegen die Kirchenfabriken entbindet und ihnen das Recht
zuspricht, einen grossen Theil der Kircheneinkünfte zu verwalten und
für sich zu verwenden; wenn die ganze Gesetzgebung von 1809,
welche für so umfangreiche Dienstzweige so weise und billig Vor-
sorge getroffen hat , ohne Grund zum Schaden der religiösen In-
stitute beseitigt wird.
Endlich missbraucht man das Strafrecht ^ das schon bei der
jetzigen Anwendungsweise einei)efremdliche Anomalie ist. Die Armee
und der Richterstand besitzen ihre eigenen Tribunale zur Aburthei-
lung von Vergehen ihrer Mitglieder; die Kirche, welche weiss, dass
ihre Mitglieder auch fehlen können, hatte auch dem Klerus Richter
gegeben. Dieses ebenso natürliche wie schickliche Privilegium >ist
mit dem frühereu Regiment verschwunden. Doch hätte man wenig-
stens meinen sollen, das neue Regiment werde sich damit begnügen,
gegen die Kirchendiener die Vergehen gegen das gemeine Recht zu
verfolgen. Aber es ist anders gekommen : die organischen Gesetze
haben specielle Strafbestimmungen zur Sanction von gemischten
Reglements eingeführt, von denen mehrere mit der Disciplin der
Kirche im Widerspruch stehen. Gerade diese Strafbestimmungen
will man heute an Zahl und Härte erhöhen. In so delicaten Dingen,
wo geistliche und weltliche Rechte an ein^inder grenzen, würde also
der Staat der alleinige Richter über den Missbrauch sein; ihn
würde der Gesetzgeber mit exorbitanten Vollmachten bewaffnen,
um die Diener der Religion mit Geld- und Gefängnissstrafen zu
treffen.
Nicht zufrieden damit, kündigt man~ auch an, dass das in Vor-
bereitung begriffene BecnUirungsgeseia die Befreiung der Priester
vom Militärdienst beseitigen werde.' Wenn die Bestimmung auf die
Kleriker angewendet wird, welche bereits im Besitze der geistlichen
Denkschrift franz. Bischöfe vom 1, Jtmi 1882. 163
Weihen sind, so steht das in directem Widerspruch mit der wesent-
lichsten Disciplin der Kirche, welche ihren Dienern jeder Zeit das
Tragen der Waffen untersagt hat ; wenn diese Bestimmung nur auf
Candidaten des geistlichen Standes Anwendung findet, so macht sie
die Becrutirung des Elbrus fast unmöglich und nimmt, um dem
Staate einige Tausend Soldaten, deren er nicht bedarf, mehr zu
geben ^ der Kirche das Mittel, ihre Priester heranzubilden und sie
auf ihre Mission vorzubereiten. Das ist eine formelle Verletzung des
ersten Artikels des Concordats. Wer wollte. die Behauptung wagen,
dass die Ausübung der katholischen Religion in Frankreich frei sei,
wenn man der Kirche die Mittel nimmt, die Fortdauer unc^ Würde
des Friesterthunas zu sichern?
Eine von solcher Gesinnung eingegebene Reform konnte den
religiösen Unterricht nicht ausser Acht lassen. In der That , das
beste Mittel, den Beschwerden der Christen ein Ende zu machen,
wäre: ihnen ihren Glauben zu nehnaen. Wenn man daran verzwei-
felt, ihn den Erwachsenen zu entreissen, schmeichelt man sich doch
mit der Hoffnung, seine Quelle in den jungen Generationen zu ver-
stopfen. Desshalb soll die Jugend in der ünkenntniss der christ-
lichen Dogmen aufwachsen. Man hat bereits für diesen Zweck ge-
sorgt, indem man den Religionsunterricht in den Programmen aller
öffentlichen Schulen unterdrückte, indem man den Priestern den Zu-
tritt zu diesen Schulen verbot, indem man den Lehrern untersagte,
ihre Schüler im Katechismus zu unterrichten. Jetzt geht man mit
dem Plane um, die Bestimmungen noch zu verschärfen, indem man
der Freiheit d^s Unterrichts neue Beschränkungen auferlegt, die
Forderung academischer Grade verdoppelt, und mehr als jemals die
freien ünterrichtsanstalten der Willkür der Disciplinarräthe preis-
gibt, worin der Klerus nicht mehr vertreten ist. So wird der katho-
lische Glaube, welcher zu allen grossen Dingen, die unserer Oivili-
sation zur Ehre gereichen, den Anstoss gegeben hat, als eine Land-
plage verfolgt. Man lässt ihm keine andere Zufluchtsstätte mehr
als die, welche man ihm nicht rauben kann, nämlich die im Herzen
der treuen Christen.
Die religiösen CongregcUionen bilden eine Hauptkraft der Kirche
in der dreifachen Thätigkeit des Apostolats, des ünterriclits und der
Nächstenliebe. Sie sind bereits getroffen worden im Namen von Ge-
setzen, welche man gegen sie glaubte in Anwendung bringen zu
sollen. Allein die mehr wie zweifelhafte Jurisprudenz, welche mit
soviel Härte angerufen wurde, scheint nicht mehr zu genügen. Man
bringt in Vorschlag eine neue Gesetzgebung, welche in die unver-
11»
164 Denkschrift franz, Bischöfe vom 1. Juni 188^.
letzliche Domäne des Gewissens übergreifen würde, indem man den
Menschen gegenüber Rechenschaft verlangt über innere Akte, die
nur vor Gott vierpflichten , und indem man französische Staats-
bürger ihrer Rechte für verlustig und schwerer Strafen schuldig
erklärt,- weil sie der Uebung der evangelischen Vollkommenheit sieb
hingeben.
Als fürchtete man, bei diesem umfassenden System von ag-
gressiven Gesetzen einige Einzelheiten zu übersehen, versuchte sich
endlich die parlamentarische Initiative an verschiedene Objecten: so
an der religiösen Eidesformel, die aufgehoben werden soll, an der
Kirche des Nationalgelübdes, deren Vollendung verhindert werden
soll, und an den religiösen Emblemen , die von den Orten , wo des
Rechtes gewaltet wird, verschwinden sollen. ViTir erwähnen nur
nebenbei diese vorgerückten Propositionen, deren grundsätzliche Be-
deutung dai-aus hinausgeht, die Gesammtheit der Mittel »zu vervoll-
ständigen , mit deren Hilfe man sich den Einfluss der. christlichen
Ideen in unserem Lande zu vernichten verspricht.
ViTir klagen nur ungern die Intentionen an, und wenn for die-
selben eine andere Erklärung möglich sein sollte, so würden wir
glücklich sein, sie zulassen tu können. Allein wir können nicht da-
hin kommen, zu glauben, dass diese Menge von Projecten keine
Feindseligkeit gegen die Kirche beweise, da wir sehen, dass sie alle
Anordnungen treffen, die geeignet sind, die Religion zu zerstören
oder zu schwächen. ^
Indem wir diese flüchtige Uebersicht der gegen die Religion
des Landes in Vorbereitung befindlichen MassregelYi beschliessen,
können wir uns eines tiefen Gefühles der Traurigkeit nicht erwehren.
Wir fragen uns, wozu die Lehren der Geschichte dienen. Der Ver-
such, dBn man heute unternehmen will, ist in unserem Frankreich
bereits gemacht worden. Vor fast einem Jahrhundert nahm "eine
Philosophenschule, die auf ihre abstracten Theorieen mehr vertraute,
als auf die Lehren* der Erfahrung, die Regierung der Nation in die
Hand. Ein Artikel ihres neuen Programms besagte iie Vernichtung
des Christenthums. Die erhabene Lehre, die reine Moral, der ehr-
würdige Gultus, welcher die barbarischen Sitten gemildert und den
Glanz der modernen Cultur vorbereitet haben, waren zum Ver-^
schwinden verurtheilt. Gewisse Missbräuche der Vergangenheit,
traurige und unvermeidliche Folgen der menschlichen ün Vollkommen-
heit dienten diesem verwegenen Plane als Verwand. Alles wurde
über den Haufen gestürzt und 10 Jahre hindurch waren die Neuerer
obenauf. Das lehrt uns die Geschichte, allein sie fügt auch hinzu,
Denkschrift franz. Bischöfe vom L Juni 18ß2, 165
dass' sie zwar stark, im Zerstören, aber unfähig waren, etwas aufzu-
bauen, und dass sie nur über Trümmer herrschten. Zügellose
Anarchie, die ausgelassenste Sittenlosigkeit, öffentliche untreue, all-
gemeine Erniedrigung der Charaktere und Unwissenheit in allen
dessen des. Volkes. Das war das Bild, welches das seinem Ende
zuneigende Jahrhundert bei seinem Anfange darbot. In ihrer Auf-
lösung musste die Nation die Religion der bedrohten 'Cultur zu
Hilfe rufen.
Heute will man dieselbe Erfahrung noch einmal durchmachen.
Worauf baut man die Hoffnung, dass dies zu besseren Resultaten
führen werde? Die menschliche Natur hat ihre bösen Neigungen
nicht verloren und man hat (nichts Neues gefunden , womit man~ an
Stelle der erhabenen Uebe]:zeugung des Glaubens die Leidenschaften
beherrschen könnte.
Wir sprechen hier nicht als eigensinnige Censoren, sondern als
wahre Freunde unserer Zeit und^ unseres Landes. Möchte doch der
Herr unser geliebtes Vaterland stets glücklich machen und segnen!
Allein, möchte sein Schutz ihm auch die Schande und das Unglück
der Zerstörungen sparen, die man vorbereitet! Wenn jemals ähn-
liche Gefahren, die beinahe sein Glück vernichteten, dasselbe noch-
mals bedrohen sollten^ so würde man mit Schrecken gewahr werden,
welche Leere durch das Schwinden des Glaubens und der christ-
lichen Sitten- unter uns entstehen müsste.
Hat man denn nicht gesehen , dass bei unserem letzten Un-
glück, während der Trübseligkeiten der Invasion, ebenso wie in an-
deren Epochen bei schweren Plagen, die das Land heimgesucht, ge-
rade die Religion der Nächstenliebe inspirirte, welche Trost und
Kettung spendet? Hatte nicht gerade an ihre Vertreter die Be-
völkerung von selbst sich gewendet, um für die Verwundeten Hilfe,
für die Kranken Beistand, für die Waisen die Wohlthat der Adop-
tion , für Personen und Städte selbst Schutz gegen die Strenge des
Feindes zu erreichen? Wenn das Land heute das in den Tagen der
Trauer bewiesene Vertrauen uns entziehen will, so wünschen wir
unseren Gegnern genügenden Eifer und Entsagung, um unsere Hin-
gebung vergessen zu machen.
Wir resumiren kurz die dargelegten Gesichtspunkte:
Die einfache Aufhebung des Goncordates ohne Zustimmung des
Oberhauptes der Kirche würde ein Willkür- Akt sein, der dem
Völkerrecht, der Billigkeit, den Interessen und den Wünschen des .
Landes widerstreitet, unklug im höchsten Grade und begleitet von
verderblichen Consequenzen, deren Tragweite sich nicht ermessen lässt.
166 Denkschrift franz. Bischöfe vom 1. Jtmi 1882,
Die Verpflichtung der Kleriker zum Militärdienst würde die
Quelle der Ergänzung des Klerus verstopfen und in kurzer Zeit die
Pfarreien hirtenlos machen.
Die anderen Projecte sind alle ein mehr oder minder directer
Angriff auf die Autonomie der Kirche, ihre Zucht, ihr Ansehen/
deren sie zur Erfüllung ihrer Mission bedarf. Die Annahme dieser
Anträge würde den katholischen Gultus umwandeln in einen Zweig
der Civilverwaltung uiid würde uns der Wiederherstellung der be-
rüchtigten »constitutionellen Kirchec entgegenfahren.
Die Gesammtheit dieser gesetzgeberischen Massnahmen geht
darauf hinaus, aus Frankreich eine gottlose Nation zu machen. Die
Frage erscheint nicht überflüssig, ob dies der rechte Weg ist, um
Frankreich die Achtung und Sympathie Europas zu sichern ; ob dies
das rechte Mittel ist, um den Einfluss und das Prestige Frankreichs
aufrecht zu erhalten und in jenen fernen Gegenden, wo der Respect
der Bevölkerung niemals unterschieden h^t zwischen dem christlichen
und dem französischen Namen.
Wir beschwören die Gesetzgeber, das in Erwägung zu ziehen.
Indem wir diese Bitte aussprechen, welche die Vaterlandsliebe uns
einflösst, fürchten wir nicht den Vorwurf, dass wir von Vorurtheilen
der Partei • geleitet würden. Wir^ denken nicht daran, die heilige
Sachie, der wir dienen, mit den Angelegenheiten zu vermischen,
deren wechselnde Schicksale auf dem Schauplaitze dieser Welt sich
abspielen. Wir haben vom h. Augustin gelernt, dass die Kirche,
deren stete Sorge das Heil der Seelen ist, mit 'den verschiedenen
Regierungen in Frieden leben kann und muss, wenn dieselben die
menschlichen Dinge mit Gerechtigkeit und in Ehren verwalten, c
(St. Augustinus »de doctrina christiana.«) Die wahren Feinde einer
Regierung sind nicht diejenigen , welche von ihr fordern , dass sie
sich Achtung verschaffe, indem sie gerecht und ehrenhaft bleibe,
sondern Diejenigen, welche ihr rathen, sich zu entehren, indem sie
die Willkürmassregeln in den Dienst der antireligiösen Leiden-
schaften stellt.
Indem wir uns mit diesen Worten an Sie wenden, sind, wir
überzeugt, im Interesse des öffentlichen Friedens zu arbeiten. Es
liegt auf der Hand, dass dieser Friede bedroht ist von dem Kriege,
welchen man dem christlichen Glauben erklärt. Nichts ist so hart-
näckig, als ^ der Widerstand, welchen der Glaube anregt und das
Gewissen unterstützt. Wenn man den Gonflict, der jetzt auszu-
brechen droht, nicht im Keime erstickt, dann wird das Land, in
zwei feindliche Heereslager gethei^t, auf lange Zeit in Verwirrung
Denkschrift franz. Bischöfe vom L Juni 1882. 167
gestürzt und die gegenwärtige Generation wird nicht das Ende
unserer Zwistigkeiten sehen.
Es ist die Pflicht der Repräsentanten des Landes, die Unruhe
zu beschwichtigen, Indem sie die Ursachen der gefahrlichen Agitation
entfernen, welche .sich geltend zu machen beginnt.
Die Gesetze, welche bisher in Frankreich die Organisation des
religiösen Cultus und seine Beziehungen zum Staate geregelt haben,
mögen immerhin nicht in jeder Hinsicht vollkommen sein. Wenig-
stens haben sie dem Lande während nahezu eines Jahrhunderts die
unschätzbare Wohlthat des Friedens gesichert Wenn diese Bestim-
mungen irgend einer Abänderung bedürfen sollten , dann würde es
nach unserer Ansicht eine Forderung der Weisheit sein , dass man
die Initiative dazu der Regierung überlasse, welche sich in Einver-
nehmen setzen könnte mit den'' Bischöfen und erforderlichen Falles
mit dem Oberhaupte der Kirche. Es geziemt sich nicht, unter dem
Drucke der Parteibestrebungen und unter dem Einfluss politischer
Bewegungen solche Aenderungen zu treffen. Lasse man zuerst die
erregten Leidenschaften sich beruhigen! Möge man in- der Erwar-
tung ruhigerer Tage das besteheöde Recht und die von der Zeit ge-
heiligten Einrichtungen» respectireu ! Das ist der Rath oder vielmehr
die Bijtte, welche unsere Vaterlandsliebe sich verpflichtet fühlt, an
Euren Patriotismus zu richten.
Genehmigen Sie etp.
168
IX.
Ein RUdesheimer Glockenprocess und der Rheinbrohler Glocken-
stpelt,
betr. die Forderung des hathöl. Grdbgeläides für NichtkcUholiken,
L Vor drei Jahren, am 7. Januar 1879, starb zu Rädesheim
eine Frau, die vor Jahren von der katholischen Kirche zur Secte der
Bongeaner übergetreten war.
Die Angehörigen ersnchteh beim katholischen Pfarramte um
das Begräbnissgeläute. Dieses Ersuchen wurde abschlägig bescbieden
unter besonderem Hinweis auf ein früher einmal erschlichenes und
gewaltmässig herbeigeführtes Qrabgeläute. Die Zurückgewiesenen
verwandelten nunmehr ihr Ersuchen in eine Forderung und gingen
den Bürgermeister S. um die Verschaffung des Geläutes an. Dieser
betragte den Gemeinderath um sein Verhalten. Die liberale Ma-
jorität desselben erklärte, die Civilgemeinde habe die Pflicht der
Beschaffung und Unterhaltung von Thurm und Glocken, ergo habe
sie auch das Becht der freien Benutzung und verlangte w)m Bürger-
meister die Anwendung von QewaU, Vergeblich protestirte die Ver-
tretung der Kirchengemeindo gegen eine solche Schlussfolgerung und
beschränkte das Mitbenutzungsrecht auf die üblichen eivüen und
poli^eiUchen Zwecke. Jener Beschluss wurde in die That durchgesetzt,
die Eirchenthüre mittelst Sperr Werkzeuge geöffnet und das Geläute
zur Beerdigung bewirkt. — Der katholische Kirchenvorstand erhob
eine Klage wegen Ämtsmissbrauch des Bürgermeisters und Besüg'
Störung bei der kgl. Staatsanwaltschaft, wurde aber von dieser Seite
abgewiesen, weil das kgl. Amt die Erklärung des Gemeinderaths da-
hin abgab, es stehe der Civilgemeinde ein Benutzungsrecht zu. Die
Klage warde darauf beim Kreisgerichte angebracht; dieses jedoch
fasste das Delictum als ein öffentliches Vergehen auf, das von der
Staatsanwaltschaft zu verfolgen sei. In Folge dieser Incompetenz-
erklärung war man an die Oberstaatsauwaltsohaft gewiesen, die je-
doch das ürtheil des ünterstaatsanwalts billigte und auf den Civil-
processweg verwies. Es wurde Berufung beim AppeUgerichte zu
Wiesbaden eingelegt, dieselbe aber durch die Erklärung beseitigt,
dass nur Nichtigkeitsbeschwerde zulässig sei. Gegen diese Ent-
scheidung des k. Appellgerichts wurde seitens der Anwaltschaft der
OherU'Qer. Frankf. a. M. 1882: Rüdeah. hath, Grahgel.f.MchikaihoL 169
Eirchengemeinde beim k. 06erfrt6titia2e aod gegen den Erlass des
Oberstaatsanwalts bei dem Justizminisler Beschwerde geführt.
Die erwünschte Bemednr wnrde vom k. Obertribanale« Senat
für Strafsachen, Abtheiinng I. nach Anhörung des Antrags des k.
Generalstaatsanwaltes dahin verschafft, dass beschlossen wurde, es
sei der Beschlnss der Beriifskammer des k. Appellationsgerichts za
' Wiesbaden zu vernichten und auf die Berufung des Privatklägers
gegen das Erkenntniss der Strafkammer anderweit zu befinden, weil
die Hauptverhandlung/ ohne zu einer Beweisaufnahme gelangt zu
sein , abgebrochen und auf einseitige Behauptung hin die sachliche
Zuständigkeit der Strafkammer verneint worden sei. Auch das an-
gerufene Beichsgericht zu Leipzig entschied auf die Nichtigkeitsbe-
schwerde wider den Beschlnss des Appellationsgerichts, dass derselbe
zu vernichten, die Entscheidung des Ereisgerichts aufzuheben und
die Sache an die I. Instanz, das königliche Landgericht zu Wies-
baden zur Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen sei.
Das Urtheil des königlichen Landgerichts erfolgte am 25. Fe-
bruar 1881 und lautet: »Die beklagte Givilgemeinde Budesheim
wird verurtheilt, sich jeder ferneren Störung der klaigenden Eirchen«-
gemeinde im Besitze der Eirche, insbesondere des Thurmes und der
Glocken, bei Vermeidung namhafter und steigender Geldstrafen zu
enthalten, auch der Elägerin den durch die Störung entstandenen
Schaden zu ersetzen.€ Das Urtheil stutzte sich darauf, dass die
Kirchengemeinde seither in dem unbestrittenen Besitze der Glocken,
der Eirche und des Thurmes gewesen sei, und dass sie zur frag-
lichen Zeit allein die physische Herrschaft über die fraglichen Ob*-
jecte auszuüben gehabt habe.
Gegen das Urtheil des Landgerichts legte die Vertretung der
Civilgemeinde Büdesheim Berufung ein beim Oberlandesgerichte zu
Frankfurt a. M. Der Civilsenat des Oberlandesgerichts erliess einen
Beweisbeschluss aber die zwei Punkte: 1) ob die beklagte Civilge-
meinde am 7. Januar 1829 und vor diesem Zeitpunkte im Milbe-
sitee der katholischen Eirche zu Büdesheim und insbesondere des
.Thurmes und der Glocken sich befunden habe, und 2) ob sie sich
im Besitze des Bechtes befunden habe, die im Thurme befindlichen
Glocken nach QuBbeßnden der Gemeindebehörde läuten zu lassen.
Den Beweis für die Sätze konnte die Civilgemeinde nicht erbringen
nnd erkannte der Civilsenat daher am 9. llärz 1882, dass derselben
das Recht, zu Begräbnissen zu läuten, nicht zustehe und dass die-
selbe sich desshalb des Läatens bei Beerdigungen ohne Zustimmung
des Eirchen Vorstandes bei Meidung einer Strafe von 100 Hark f^r
170 Rheinbrohler Grabgeläuteaireit (1882), ^
jeden Fall des Zuwiderhandelns zu enthalten habe, dass dagegen der
Civilgemeinde Rüdesheim das Recht, bei Feuersgefahr, bei der TFein-
lese, bei patriotischen Festen u. dgl. ohne vorherige Zustimmung des
Eirchenvorstandes zu läuten, zustehe.
Dieses ürtheiL ist nunmehr rechtskräftig und daher für die Zu-
kunft massgebend. Zugleich kann es als Norm dienen für andere
Orte, wie z. B. ßheinbrohl.
IL Am Donnerstag den 16. !f ebruar 1882 starb in dem rhein-
preussischen Flecken Bheinbrohl, auf der rechten Rheinseite, welches
von ungefähr 1500 Katholiken, 30 Protestanten und 60 Juden be-
wohnt ist, ein nach der Confession seiner katholischen-Mutter ge-
tauftes Kind eines dortigen protestantischen Fabrikarbeiters. Dieser
wünschte sein Kind protestantisch beerdigen zu lassen, verlangte da-
her weder von dem dortigen katholischen , Kaplan die Beerdigung,
noch machte er diesem von dem Sterbefalle eine Mittheilung (die
Stelle eines katholischen Pfarrers ist nämlich in Folge des Cultur-
kampfes verwaist), sondern er Hess den protestantischen Pfarrer von
Linz am Rhein kommen, um die Beerdigung ani Sonntag Nachmit-
tag vorzunehmen.
Am Sonntag W. Febr. gegen vier Uhr erschien, nach einem Be-
richte der Germania 1882 Nr. 92, bei dem kathol. Kaplan der Orts-
poU^eidiener mit einem an den Ortsgendarmen gerichteten Schriftlichen
Befehl des Bürgermeisters von Hönningen, Conrads^ zu der Be-
erdigung des Kindes »nach ministerieller Verfügung« (das Datum
der Verfügung war nicht angegeben) *) das ortsübliche Geläute zu be-
werkstelligen, event. Gewalt anzuwenden *). Um sich Unannehmlich-
keiten zu ersparen, bat er den Kaplan, ihm die Schlüssel zur Kirche
zu verabfolgen, die dieser verweigerte, schon um zu verhüten, dass
aus vorliegendem Falle späterhin Mitbenutzurigs- oder gar Miteigen-
thumsrechte an den katholischen Kirchenglocken seitens der Pro^
1) Die Germaiua ^r. 94 versicherte in einer Oorr. ans Neuwied nochmals,
dass die s^ngebliche ministerielle Verfügang nicht mit Datum versehen ge-
wesen sei.
2) Nicht in Betracht kommt hier der blos für da^ linke Rheinufer
geltende Glockenparägrah,^ welcher lautet : »Den bürgerlichen Gemeindebehörden
steht die Benutzung der Eirchenglocken bei feierlichen oder festlichen Gelegen-
heiten, bei Unglücksfällen oder ähnlichen Veranlassungen zu,, in g],eichem die
Fortbenatzung der in den kirchlichen Gebäuden befindlichen, zu feuerpolizei-
lichen Zweken dienenden Locale. Zur Sicherung und Regelung dieser Befug-
nisse trifft der Oberpräsident die' erforderlichen Anordnungen und setzt die-
jenigen feierlichen und festlichen Gelegenheiten nicht kirchlichen Charakters
fest, bei weldiien die Eirehenglöcken zu benutzen sind.
Rheinbrohler Grabgeläutestreit (1882). 171
testanten gefolgert würden. Daraufhin unterblieb die Beerdigung.
Folgenden Tages erschien der Burgermeister mit dem Polizeidiener,
als die Beerdigung vorgenommen werden sollte, an der Kirche, die
er wieder verschlosseii fand, und schickte den Polizeidiener den
Schlüssel zu holen. Dieser kam mit einem Schlosser zurück, der
auf Befragen erklärte, er könne die Thür nicht öffnen; darauf ver-
liess der Bürgermeister den Eirchplatz. Es hatte sich eine Schaar
Neugieriger, meistens Kinder und Weiber, eingefunden, von welch
letzteren, die meistens auf dem Wege nach den Weinbergen und
Feldern waren, denn auch Eine mit einer Sichel versehen war, die
sie auf dem Felde gebrauchen wollte. Im Orte selbst war keinerlei
Aufruhr.- Die Beerdigung fand wiederum nicht statt, der pro-
testantische Pfarrer kehrte darauf abermals nach Linz zurück. Am
Dienstag in der Mittagsstunde hielt der Schnellzug in Bheinbrohl,
wo nicht einmal eine Station sich befindet, .der protestantische Land-
rath V. Bunkel stieg in Begleitung des Bürgermeisters aus, begab
sich zu dem Ortsschultheiss, der zugleich Präsident des Kirchenvor-
standes ist und verlangte unter Drohung, er werde Militär kommen
lassen, der Schultheiss solle bewirken, dass das Geläute stattfinde.
Auf dessen Weigerung Hess er den Kirchenvorstandy die Oemeinde-
vertretmg und' den Oemeinderath zusammenkommen in einem Wirths-
hause, wo er seine Forderungen und Drohungen wiederholte. Alle
drei Gorporettionen waren einig und erklärten einmüthig^ das Qeläute
nicht freiwillig zu bewerkstelligen, der OewdU aber sich nicht wider-
setzen m woUen. Der Landrath möge die Thüre mit Gewalt öffnen
lassen, der Gewalt woUten sie weichen. Auf seine Bemerkungen,
sie sollten jetzt das Geläute hergeben, sie könnten ja höhern Orts
ihr Recht suchen, wurde ihm erwidert, sie wahrten die Rechte der
katholischen Gemeinde, wenn Andere (die Protestanten) sich in ihrem
Rechte beeinträchtigt glaubten, so könnten diese dasselbe auf ge-
richtlichem Wege suchen. Auf die Drohung mit Requisition einer
starken Tm^ipe wurde erklärt, Militär sei nicht noth wendig, man
wolle nicht den geringsten Widerstand gegen die Anwendung von
Gewalt leisten. Der Landrath ging fort zur benachbarten Eisen-
bahnstation, wobei ihm auch 4 Arbeiter begegneten, die er von
Neuwied mitgebracht hatte, um event. die Kirchenthüre gewaltsam
zu öffnen , und die nicht in Rheinbrohl ausgestiegen , sondern bis
Hönningen weitergefahren waren. In Rheinbrohl war alles ruhig;
die Beerdigung unterblieb zum dritten Male. Des Abends schon
citirte der Landrath die gesammte Gendarmerie der Umgegend in
der Stärke von 7 Mann telegraphisch herbei. Am Mittwoch Morgen
172 RkeinbrohUr Grabgeläutestreit (1882).
gegen 9 ühr hielt wiederum der Zag aalSTallender Weise ia Bheia-
brohly and eine Compagnie des 68. Infanterieregiments stieg aus mit
dem Landrath und seinen »Pioniren,€ wie man die mit Brecheisen
und Aexsten bewaffneten »Arbeiter« zu nennen beliebte. Zwei- be-
rittene Gendarmen an der Spitze, dann fünf Fassgendarmen mit ge-
fälltem Bajonnet, darauf der Landrath mit seinen »Pioniren,« dann
das Militär mit Trommelschlag ruckten auf die Kirche los. An der
Gartentiiäre des Pfarrhauses stand der Kaplan, um zu protestiren.
Der Landrath rief ihm zu i »Gehen Sie hinein, Herr Pfarrer, hier
wird ein Akt der staatlichen Gewiilt ausgeführt,« worauf der Kaplan
ins Haus zuräckging. Es ruckten sodann die Gendarmen, der Land-
rath und die Soldaten auf die Kirchenthüre an, wo sich der Kirchen-
vorstand und die Gemeindevertretung versammelt hatte, um noch
einmal zu protestiren. Die Gendarmen zogen die Männer an den
Armen rechts und links von der Thüre weg, wobei nicht der ge-
ringste Widerstand geleistet wurde. Der Landrath liess 2 Mitglieder
jener Corporationen verhaften und fesseln, dann wurden die Kirch-
thure und die zu den Glocken führenden Thurmthüren mit Brech-
eisen und Aexten von den »Pionirenc des Landrath erbrochen und.
fast eine ganze Stunde mit allen G}ocken geläutet. Unterdessen
ging ein Zug der Compagnie nach dem Kirchhof ab, wo der zum
vierten Mal- herbeigeeilte protestantische Pfarrer die Beerdigung der
bereits sechs Tage liegenden Kindesleiche vornahm. Als die Schläge
wider die Kirchthüre erfolgten, verliess die im weiten Umkreis um
die Kirche stehende Menge schluchzend und wehklagend den Platz
und ging ins Dorf zurück ; es soll ein herzzerreissender Anblick ge-
wesen sein. Es wurde noch ein Mann, der in anscheinend betrunkenem
Zustande seinen Gefühlen in Aeusserungen Luft machte i. verhaftet
und in Schurzfell und Holzschuheu gefesselt nach Neuwied gebracht.
Ein anderer Einwohner wurde verhaftet, weil er an der Wohnung des
Vaters des Kindes dem Eindruck, den der Geruch der bereits 6 Tage
liegenden Leiche auf seine Nase machte , Ausdruck gab. Im Dorfe
blieb Alles ruhig. Was von einer aufgehetzten und fanatisirten, gar
bewaffneten Menge geschrieben wird, gehört Altes ins Gebiet bös-
wilftger Erfindung, und wenn die »Neu wieder Ztg.« sagt, dia Ver-
hafteten würden sich wegen Aufreizung und Aufruhr zu verantworten
haben, so sind wir der Ansicht, dass weder ein Aufruhr noch die ge-
ringste Aufreizung von Seiten der Bürger zu constatiren ist. Die
Soldaten sind nach anderthalbtägigem Aufenthalt denn auch wieder
in ihre Garnison Ehreubreitstein zurückgekehrt. Was die rechtliche
Seite der Angelegenheit angeht, so können die Glocken der katho-
tiheinbrohler Örahgeläutestreit (1882)* iW
lischen Kirche in Rheinbrohl oder eine derselben allerdings auch zu
Qemeindezwecken gebraucht, aber ein protestantisch gottesdienst-
licher Zweck kann doch nicht als Qemeindezweck bezeichnet werden ;
sonst hätten auch die Juden , die auch Gemeindeumlagen bezahlen,
das Recht , die Glocken bei ihren Beerdigungen läuten zu lassen.
Die Kirche in Rheinbrohl war erbaut- und die Glocken darin, ehe
ein einziger Protestant dort war. Erst vor etwa zehn Jahren, als
eine Fabrik in den Ort kam, siedelten sich (wie wir einem weiteren
Berichte der Germania Nr. 90 entnehmen) dort auch Protestanten
an. Die schöne katholische Kirche wurde zur Zeit, als noch samrat-
liche Einwohner katholisch waren, um den Preis von 38,000 Thaler
gebaut. Von der Bauschuld restirten zur Zeit des Zuzuges der Pro-
testanten noch etwa 8000 Thaler, welche nun, wie bisher, ebenfalls
von der politischen Gemeinde aufgebracht wurden. Ein Recht ier
protestantischen Einwohner, welche inzwischen auf 9 bis 10 Familien
angewachsen sind, und zur evangelischen Gemeinde Linz gehören,
auf Mitbenutzung der Kirche ist indessen aus diesem Umstände
weder jemals beansprucht noch zugestanden worden. Es sind seit-
. her auch schon mehrere Protestanten beerdigt worden , ohne dass
das Geläute beansprucht worden wäre. Nur vor etwa einem Jahre
wurde das Geläute bei der Beerdigung des vom katholischen Glauben
zum Protestantismus abgefallenen Fabriksbesitzers dadurch erschlichen,
dass man, während der Kaplan in der Kirche eine Versammlung eines
religiösen Vereines hielt, und in Folge dessen die Kirche geöffnet war, den
Glockenthurm erstieg. Damals stand der Kirchenvorstand von der Be-
schreitung des Rechtsweges ab, weil der Bürgermeister erklärte, dafür
zu sorgen, dass künftig derartiges nicht mehr vorkomme. Es hatten
seitdem mehrfache protestantische Beerdigungen, aber stets ohne Ge-
läute stattgefunden. Indessen, selbst wenn ein Mitbenutzungsrecht
der Kirche oder Glocken seitens der Protestanten bestände, so hätte
dasselbe nicht im Verwaltungswege^ sondern nur im Rechtswege er-
zwungen werden dürfen. Stark ist es aber, dass man eine Streit-
macht von 150 Soldaten autbot, um das zu erzwingen, was auch mit
Hilfe weniger Gendarmen hätte erreicht werden können, da es doch
den Leuten um nichts weniger zu thun war, als ihren Willen, ihr
Recht nur vor der Gewalt weichen zu lassen, zur Erhaltung ihres
Eigenthumsrechtes zu demonstriren. Was übrigens dem menschlichen
Gefühl mehr entsprochen haben würde, dass man dem Kinde recht-
' zeitig die Grabesruhe gegönnt hätte, oder dass man die Leiche acht
Tage über der Erde liess, damit bei der Beerdigung das Geläute
nicht fehle, mag dahin gestellt bleiben. Nach der Meldung der
174 Rheihbrohter Grabgetäuieaireit (18S2).
Germania wollte die Gemeinde die civilrechtliche Spolienklage ein-
leiten und eventuell je nach dem genauen Ausgang der Untersuchung,
auch die strafrechtliche Beurtheilung der. Sache aus den §§. 339,
341 und 342 anregen. Sollte über eine solche Processverhandlung
uns ein Näheres bekannt werden, so werden wir darüber später be-
richten. Die nach Rheinbrohl gesandte Corapa^nie Soldaten kehrte
am 24. Februar in ihre Garnison nach Coblenz zurück. Auf die. Ab-
sicht der Regierung, die Truppen auf unbestimmte Zeit in Rhein-
brohl einzuquartiren, ging der Oberst nicht ein.
2. Der Rheinbrohler Vorfall bildete auch zweimal den Gegen-
stand von Verhandlungen im* Landtage. Zuerst in der 22. Sitzung des
Abgeordnetenhauses .vom 28. Febr. 1882. "Da bemerkte Abg. Bachm
bei dem Capitel Landgendarmerie ^ dass er Beschwerde darüber
führen wolle, dass in einem concreten Falle die Landgendarmerie
nicht, bezw. nicht cmsschliesslich zur Verwendung gekommen ist,
dass man vielmehr ohne jede Noth militärische Hilfe reqüirirt hat.
»Zu meinen Ausführungen geben mir einige sehr bemerkenswerthe
Aeusserungen des Herrn Ministers des Innern in der Sitzung vom
vorigen. Samstag Anlass, Aeusserungen"; die im Hause mit verdientem
Beifalle begleitet worden sind. Der Herr Minister bemerkte: »Die
Bequirirufig militärischer Kräfte.^zur Unterdrückung von, Volksauf-
läufen ist eine sehr zweischneidige W«/fe^ und ich glaube, man
darf mw in dem cdlerletzien und äussersten Nothfalle darauf re-
curiren. Ich bin der Meinung, dass wir alle Ursache haben, uns
ganz ausserordentlich auf diesem Gebiete in Acht zu nehmen.« Auch
ich habe zu denen gehöii; , welche diesen höchst besonnenen Aeus-
serungen des Herrn Ministers Beifall spendeten. Bei meinen Freunden
mussten sich allerdings bei dieser Gelegenheit recht eigenthümliche
Erinnerungen einstellen an einen sehr memorablen Fall, der auch
dieses hohe Haus wiederholt beschäftigt hat, und in welchem ganz
und gar nicht nach jenen trefflichen Grundsätzen verfahren worden
ist. Bei den sogenannten Judencravallen in Westpreussen und Pom-
mern handelte es sich doch um sehr ernste Excesse gegen Personen
und Eigenthum. Es haben: auch in Folge dessen Verurtheilungen
einer Reihe von Personen zu schweren Gefangnissstrafen stattge-
funden ; trotzdem hat man dort die Requisition von Militär nicht für
nothwendig erachtet. Wie anders hat man bei uns in der Rhein-
provinz verfahren ! In dem rheinischen Falle, den Sie ja Alle ken-
nen, lag nichts von thatsächli'chen Excessen vor, ganz und gar nichts.
Das Resultat der langen kostspieligen Untersuchung war die Frei-
sprechung aller Angeklagten ; den Staat mag diese Affaire wohl
Rheinbrohler Grabgeläütestreit (1882), 175
100,000 M. gekostet haben. (Hört! Hört!) Ich will aber darauf
nicht weiter zurückgreifen, sondern den Herrn Minister auf einen
Vorgang aufmerksam machen, der eben jetzt die rheinische Presse
lebhaft beschäftigt und wo meines Erachtens nach den Grundsätzen,
welche der Herr Minister vertreten hat, in keiner Weise gehandelt
worden ist. Der Vorfall spielte in dem im Kreise Neuwied ge-
legenen Dorfe Rheinbrohl. In der Presse ist darüber viel gelogen
worden. Sie erinnern sich, dass auch in der Marpinger Angelegen-
heit viel von Aufruhr, Empörung, Exce'teen u. s. w. die Rede war,
als man jedoch die Sache näher besah, schwanden alW diese Phan-
tasiegebilde. Der Thatbestand der Vorkommnisse in dem rheinischen
Orte •Rheinbrohl ist, soweit er hier in Betracht kommt, folgender:
Der Bürgermeister von Hönningen verlangte bei dem Begräbniss eines
zweijährigen Kindes das Glockengeläute, obwohl es in der. dortigen
Gegend nicht üblich ist, hei dem Begräbniss eines Kindes zu läuten.
Der Bürgermeister verlangte das Geläute' gegen ^den Einspruch' des
katholischen Örtsgeistlichen, des Kirchen Vorstandes, der kirchlichen
Gemeindevertretung, ja auch gegen den Einspruch des Qemeinde-
raths, welcher in Uebereinstimmung mit der kirchlichen Vertretung
erklärte, dass die Gemeinde in solchem Falle keinerlei Recht auf die
Glocken der Kirchs habe (Sehr richtig ! im Gentrum), dass seit 600
Jahren die Kirchengemeinde in ungestörtem Besitz gewesen sei.
Der Kirchenvorstand, bezw. der Geistliche, hielt. diesen Einspruch
aufrecht auch gegenüber der Intervention des Landraths von Neu-
wied, des in der Rheinprovinz sehr bekannten Herrn v. Runkel, der
eine reiche culturkämpferische Vergangenheit hinter sich hat. (Hei-
terkeit.) Die Absicht der kirchlichen Organe war lediglich der,
sich im Besitz mi erhalten. Darum leisteten sie der Aufforderung
des Bürgermeisters, zu läuten, passiven Widerstand, indem sie die
Herausgabe der Schlüssel verweigerten und dem Bürgermeister den
Eintritt in den Kirchthurm nicht gestatteten. Denselben, lediglich
passiven Widerstand setztpn sie auch dem Landrath von Neuwied
entgegen. Der Landrath hat nun nicht den Versuch gemacht unter
Zuhilfenahme der Landgendarmerie, mit der wir uns bei demX^apitel
beschäftigen, das zu thun, was er für nöthig hielt, was aber meines
Erachtens gar nicht nöthig war, nämlich via facti das Geläute aus-
zuführen. Ich lasse dahingestellt, ob der Kirchenvorstand und die
kirchliche Gemeindevertretung auch ihrerseits nicht in anderer Weise
ihr behauptetes Recht zur Genüge hätte wahren können, üeber-
haupt will ich in die Rechtsmaterie nicht tiefer eindringen. Was
thut nun aber der Landrath ? In den Zeitungen war zu lesen , er
1?6 tOustMrotäer Graigetäuteaireit <lSSi).
habe bei semer Anwesenheit in Bheinbrohl gefunden, dass die Mei^e
in der Nähe der Kirobe eine drohende Haltung angenommen habe.
Nirgendwo aber werden Sie gelesen haben, dass irgend welche Thät-
lidikeiten Torgekommen seien. Es mag hier und da ^eine unpassende
Aensserung gefallen sein, das will ieh ja zngeben — , es war ausser«
dem während der Fastnacbtstage, wo die rheinische Bev{äkemng,
wie Sie wissen, etwas mehr angeregt ist, wie sonst. Der Landrath
glaubte also, die Bevölkerung habe eine drohende Haltung einge-
nommen. Ich kann mir diesen Glauben nur durch das biyse (je-
wissen des betreffenden Herrn Landraths erklären (H5rt! Hört!),
mit Bficksicht auf seine rmche culturkämp&rische Vergangidnheit; er
mochte sich wohl eine g^ugende Autorität gegenfiber der Bevöl-
kerung nicht zutrauen, um via facti durchzusetzen, was durchzu-
setzen er für nöthig hielt. Der Landrath hätte dbrigeas sehr wohl
die Sache auf dem Wege Rechtens ausmachen können, und hatte
nicht nöthig, mit thatsächlicher Gewalt viurzugehen. Die Behörde
konnte hier nicht als Polufei auftreten, denn es hand^te sich um
privates kirchliches Begräbniss. Der Gkxdcenparagraph , der uns
hier so lange beschäftigt hat, gilt, auf der rechten Bheinseite nicht
Aber ich bemerke zur Coloratur, dass selbst nach diesen viel be-
kämpften Paragraphen der B&rgerm^ter ub^ das Geläute jeden*
falls nicht hätte verfiogen können. Denn es heisst im §.4. des be-
treffenden Gesetzes:
Den bärgerlichen Gemeindebehörden steht die Benutzung der
Eirchenglocken bei feierlichen oder festlichen Gelegenheiten,
wie bei Unglücksfällen oder ähnlichen Veranlassungen zu.
Das nebenher. Der Landrath im Gefühl des Maogels seiner Auto-
rität — nur so kann ich es mir zurcichUegen — wandte sich direct
nach Ooblenz um Militär, und es wird in den Blättern behauptet,
dass er zwei Mal einen abschlägigen ^Bescheid vom Oberpräsidium
erhalten habe. Aber der Herr wird die Verhältnisse als äusserst
bedrohliche und bedenkliehe bezeichnet haben, und da ist denn ein
Piquet Landgendarmerie sowie eine Gompagnie Militär per Extrazug
in Bheinbrohl eingetroffen, Arbeiter mit Aexten und Brecheisen be-
waffnet, haben den Eirchtburm erbrochen und eine ganze Stunde
mit allen Glocken geläutet bei dem Begräbniss eines zweijährigen
Kindes. (Heiterkeit.) Ich will, wie gesagt, nicht weiter in die Ma-
terie eindringen, möchte aber wünschen, dass der Herr Minister der
Sache , die ja noch nicht nach allen Achtungen hin aufgeklärt ist,
mit Energie näher tr^te^ um sieb zu überzeugen, ob auch in diesem
Falle insbesondere des Herrn Landrathes nach den sehr weisen Grund-
Rheinbrohler Grabgetäutestreit (188^). ♦ 177
Sätzen verfahren worden sei, welche der Herr Minister Wer am
Samstag vertrat., und dass, wenn sich das Gegentheil herausstellt,
wie ich nicht zweifle, dem heissblütigen Beamten der kalte Wasser-
strahl applicirt werde, auf den er meines Erachtens einen wohlbe-
gründeten Anspruch hat. (Bravo.)
Minister des Innern v. Putthamer entgegnete: Ich werde den
erwähnten Fall nicht mit der Schärfe, die der Herr Vorredner zeigte,
darstellen. Vorher aber erkläre ich , dass ich an den Orundsätzen,
denen ich über die Anwendung des Militärs bei Störung der öffent-
lichen Ordnung Ausdruck gab, durchaus nichts* geändert habe. Bis
jetzt sind inir aber den erwähnten Fall nur die Berichte der Be*
hörden zugegangen, ohne jedwedes Aktenmaterial, und nach diesen
Berichten referire ich. Es ist richtig, dass in dem kleinen Orte
Bheinbrohl der Gemeinderath dem Bürgermeister es verweigerte, das
Glockengeläute herzugeben zum Begräbniss eitfes der confessionellen
Minderheit angehörigen zweijährigen verstorbenen Kindes. Es ist
auch richtig, was der Herr Vorredner anzuführen vergass, dass die
Kirche und, wie ich annehme, auch das Geläute, um das es sich
handelt , auf Kosten der politischen Gemeinde erbaut ist , und in
Folge dessen die Givilgewalt den Gebrauch der Glocken auch in
früheren Fällen schon zu anderen als unmittelbar kirchlichen Zwecken
i^anspruchte. Nun hat der Bürgermeister nicht aus eigener Initia*
tive, sondern auf Verlangen der betreffenden Eltern -verlangt, dass
das Begräbniss des Kindes mit Glockengeläut stattfinde, wie es in
der Gegend Sitte ist. (Nein! im Gentrum.) Der Geistliche, der
Kirchenrath und, glaube ich, auch der Gemeindevorstand widersetzte
sich dem, und der Bürgermeister glaubte, Weil er ein unzweifelhaftes
Recht als vorliegend annahm, den Gebrauch der Glocken im ad-
ministrativen Wege erzwingen zu müssen. In Folge dessen nahm
ein grosser Theil der Bevölkerung eine sehr drohende Haltung an
dem Bürgermeister und auch dem Landrath gegenüber. Das ging
so weit, dass der Kirchthurm, dessen Thür unten verschlossen war,
besetzt und die Beamten für den Fall des~ Eintritts mit Thätlich-
keiten bedroht waren. Der Bürgermeister und Landrath fragten sich
nun , ob es mit den disponiblen 4 oder 6 Landgendarmen möglich
sein würde, den thatsächlichen Widerstand der Bevölkerung zu
brechen, und der Landrath kam, nickt getrieben durch sein böses
Gewissen, sondern im Bewusstsein der auf ihm liegenden Verant-
wortung zu der Ueberzeugung , dass dies nur ohne eine grössere
fixecutivkraft, als ihm zur Verfügung stand, möglich sein würde.
Tn Folge dessen requirirte er^ Militär, die vorgesetzten Behörden
Archiv für Kirchenreoht. XLVm. X2
11 8 RhHnbrohler Orahgeläuiesfreit (188^).
gaben die Nothwendigkeit dieser Requisition zu uud man schickte
eine Corapagnie Soldaten auf der Eisenbahn in 4en Ort. Es ist
glücklicher Weise ohne irgend welche Thätlichkeit gelungen, die
Unruhen zu unterdrücken; die Militärmacht hielt sich übrigens in-
sofern im Hintergrunde, als die Gendarmerie im Vordergrunde sich
befand und. das Militär in einer gewissen EntfeirnuDg folgte. Man
öffnete den Thurm und das Geläut fand statt Ich kann zu meiner
grossen Freude wiederholen, dass kein Gebrauch der Waffe nöthig
war, und es blieb nur übrig, zu erwägen, ob das Militär zur Vor-
sicht noch etwa 48 Stunden in dem Ort stationirt bleiben solle; das
hielten die oberen Behörden nicht für nöthig, das Militär kehrte in
seine Garnison zurück, und in diesem Augenblick sind, weil Gefahr
nicht mehr im Verzuge ist, nur die Gendarmen der benachbarten
Kreise, 26 an der Zahl, unter einem Oberwachtmeister zum Schutz
der Behörden in Eheinbrohl concentrirt. Ich wiederhole also , dass
ich an meinen Grundsätzen betr. ßequiriren von Militär festhalte,
dass aber in diesem Falle den Behörden kein Vorwurf daraus ge-
macht werden kann, dass sie dieser drohenden Haltung der Be-
völkerung gegenüber das Militär requirirten, wobei es ja nicht zu
entscheiden" ist, wieviel die Anwesenheit des Militärs dazu beitrug,
dass eben jede Thätlichkeit vermieden wurde. Es ist aber vor allen
Dingen kein Anzeichen dafür da, dass der Landrath unbesonnen oder
über das Mass seiner Befugnisse hinaus sich an die höheren Behör-
den wandte, und ich bitte Sie, vor dem Vorliegen der Akten diesen
Fall nicht aburtheilen zu wollen.
Abg. V. Eynem fragt die Eeichsregierung , ob ihr Nachricht
darüber zugekommen, dass der Bischof Korum, zu dessen Diöcese
Rheinbrohl^gehöre, und der sich hauptsächlich als Friedensfürst ein-
geführt habe, seinerseits zur Beschwichtigung der dortigen Ge-
raüther etwas beigetragen habe. (Heiterkeit.) Ein einziges Wort
des Bischofs Korum bringe es sogleich fertig, dass das Gendarmerie-
Commando abmarschiren könne, dass die Ruhe und der religiöse
Friede wieder hergestellt werde. Werde dieses Wort nicht ge-
sprochen, dann werde natürlich die staatliche Autorität dort schon
die Sicherheit der protestantischen Bevölkerung herbeifuhren. Er-
halte ^r keine Antwort vom Ministertisch , dann sei keine Antwort
auch eine Antwort., (Heiterkeit.)
Minister v. Puttkamer erwidert-, dass in diesem Falle keine
Antwort eben keine Antwort sei. (Heiterkeit.)
Abg. Dr. Lieber findet zwischen der heutigen Erklärung des
Ministers und der vom letzten Sonnabend einen grossen unterschied.
Hheinbrohler Grahgeläuieatreit (1882). itO
Den schweren hinterpommersc^en Jadencravallen gegenüber habe er
militärische Requisition nicht far noth wendig gehalten, während er
sie in dem viel harmloseren Rheinbrohler Falle billige. Wesshalb
habe der Minister aus dem Bericht dQ3 Landrathes nichts vorge-
lesen? Es würde sich dann ergeben haben, dass kein Excßsl^ vor-
liegt. Der Landrath leide entweder an übertriebener Empfindlich-
keit, um nicht zu sagen Feigheit, oder er habe ein böses Gewissen.
(Heiterkeit links.) Wohl mit Vorbedacht habe der Minister von
einer confessionellen Minorität gesprochen. Man merke die Absicht
und werde verstimmt. Es handele sich hierbei um keine confes-
sionelle, sondern lediglich um eine Rechtsfrage. Das Hervorheben,
der confessionellen Frage bringe blos Verwirrung und Verdunkelung
in den Thatbestand. Unmöglich könne der Minister auf Grund eines
einseitigen Berichts das Verfahren der Behörden correct finden. Man
wisse ja aus dem Culturkampfe, was auf die Berichte der unteren
Behörden zrf geben sei. Hier müsse der Minister sehr vorsichtig
verfahren. Redner bestreitet, dass sich im Innern des Eirchthurms
eine drohende Menge befunden, und dass die vor der Kirche befind-
lichen Personen eine drohende Haltung zur Schau getragen hätten.
Nur die Mitglieder des Kirchenvorstandes und der Kirchengemeinde
hätten sich eingefunden, um zu protestiren. Die politische Gemeinde
sei im vorliegenden Falle mit der Kirchengemeinde Hand in Hand
gegangen , und der »Glockenparagraphc bestimme über das private
Läuten der Glocken gar nichts. Ein solcher Privatfall liege hier
aber vor. Der Redner fordert den Minister auf, den Fall genau zu
untersuchen, damit nicht durch einen heissblütigen Landrath die
feierlichen Versicherungen der Regierung in den Augen des katho- .
lischen Volkes illusorisch gemacht würden. Gegenüber dem Abg.
V. Eynern bemerkte Redner, dass Bischof Komm sicher beschwich-
tigend aufgetreten wäre, wenn es etwas zu beschwichtigen gegeben
hätte. (Bravo im Centrum.)
3. In der 33. Sitzung des Landtags vom 13. März 1882 spielte
der culturkämpferische Abgeordnete v. Eynern wieder auf die Rhein-
brohler Vorgänge an und zwar in einer ganz entstellenden Weise.
Der Trierer Bischof Komm habe' dort nicht zum Frieden gewirkt
und noch jetzt müssten die Protestanten durch Gendarmerie geschützt
werden. Abg. Dr. Windthor st beleuchtete in dieser und anderen Be-
ziehungen die Unrichtigkeit der Behauptungen Ejnern's. Dieser repli-
cirte, wurde dagegenwiederum von Mitgliedern des €entrutns zurückge-
wiesen, und so namentlich bezüglich der Rheinbrohler Vorgänge vom
Abg. Fuchs in der 34. Sitzung des Abg.-Hauses vom 14. März 1882.
12*
18Ö Rheinhrohler Grabgetäutesireit (1882).
4. In der 43. Sitzung deö Abgeordnetenhauses vom 28. März
1882 bemerkte der Abg. Bachern: Mit einigem Widerstreben komme
ich auf eine Angelegenheit zurück, welche bereits zwej Mal hier im
Hause berührt worden ist und das letzte Mal zu einem wenig er-
quicklichen Zwischenfall Anlass gegeben hat. Ich habe meinerseits
nicht die Absicht, einen solchen herbeizuführen, sondern möchte nur
in aller Kürze diejenigen beiden Punkte nochmals herausheben, auf
welche es meines Erachtens bei der Beurtheilung der Sache — es
ist die Rheinbrohler GlockenafFaire — allein ankommt. Als ich die
Angelegenheit am 28. Februar zum ersten Mal erwäJjnte, geschah
dies lediglich in der Absicht, den Herrn Minister zu ersuchen, die
vortreflftichen Gt^inclsätze, die er einige Tage vorher gelegentlich der
Erwähnung der Excesse in Westpreussen- und Pommern bezüglich
der Bedenklichkeit vorzeitiger Requirirung militärischer Kräfte hier
im Hause entwickelt hatte, doch auch in Rheinbrohl zur Anwelidung
zu bringen. In Rheinbrohl hatte bekanntlich der Ortsgeistliche, der
Kirchenvbrstand und die kirchliche Gemeindevertretung dem Bürger-
meister das von ihm zu einem kirchlichen Begräbniss verlangte Ge-
läute verweigert, und daraufhin der Bürgermeister unter Zuhilfe-
nahme von Gendarmerie und Militär das Geläute erzwungen. Der
Herr Minister hat es sich in der Antwort auf meine Anfrage nicht
versagt, zu bemerken, es sei das Geläute für die confessionelle Min-
derheit verlangt worden. Ich muss sagen : . es war nicht schön , in
solcher Weise ein Moment hereinzuziehen, welches mit der Sache
nichts zu thun hat, und wozu ich raeinestheils gar keine Veran-
lassung gegeben hatte. Es ist ganz gleichgiltig, ob das Kind, um
dessen Beerdigung es sich handelte, katholisch, evangelisch, jüdisch
oder welchen Bekenntnisses sonst war. Die Frage lag einfach so:
War der Bürgermeister berechtigt, als Vertreter der Civilgewalt, das
Geläute der katholischen Kirche für ein hirchliches Begräbniss in
Anspruch zu nehmen? Und diese Frage ist unbedingt zu verneinen.
Als die Sache zum* ersten Male hier im Hause zur Sprache kam,
liess sich ja die Rechtslage noch nicht vollständig übersehen. Den
Herrn Minister trifft daher auch kein Vorwurf, dass er dieselbe,
meines Erachtens , falsch aufiasste. Ich hatte damals wenigstens
schon den richtigen Instinct, indem ich bemerkte, es komme darauf
an, ob der Bürgermeister berechtigt gewesen, als Vertreter der bür-
geriichen Gemeinde die Glocken für ein kirchliches Begräbniss in
Anspruch zu nehmen. Das ist das Punctum saliens. Wir brauchen
daher auch nicht zu untersuchen, ob die bürgerliche Gemeinde
Rheinbrohl irgend" welche Mitbenutzungsrechte zu hürgerlichefi
Rheinbrokler GrahgeläuteHreit (1882). 181
Zwecken an den Kirchenglocken in Rheinbrohl hatte, ob solche Mit-
benutzungsrechte für sie etwa aus der Erbauung des Thurmes oder
aus einer Beitragspflicht zur Unterhaltung der Kirche hervorgingen.
Möge man selbst diese Frage, die von der Gemeinde und den Eirchen-
behörden verneint wird^ bejahen, dann bleibt doch ganz unabhängig
davon die Frage, auf die es allein ankommt, ob der Bfi?germeister
zu einem hirchlichen Zwecke das Geläute verlangen konnte. Nun
ist bei der früheren Verhandlung bereits auf ein ßescript der könig-
lichen Regierung zu Köln vom 15. Mai 1850 Bezug genommen wor-
den, welches diese Frage rundweg in einem ganz gleichen Falle ver-
neint. Inzwischen bin ich aber jetzt auch in der Lage, auf ein
entsprechendes gerichtliches Erkenntniss in einem ganz analogen
Falle mich berufen zu können. Sie werden dasselbe, voraussichtlich
in den Zeitungen bereits gelesen haben. In der Gemeinde Rüdesheim
hatte der Bürgermeister das kirchliche Geläute beansprucht für das
Begräbüiss eines Deutsch-Katholiken, eines Rongeaners ; es war ihm
von der katholischen Kirchengemeinde selbstverständlich verweigert
worden, er hatte dasselbe darauf gleichfalls durch 'Erbrechen der
Kirchenthüre erzwungen, war dabei allerdings nicht so weit gegangen,
wie der Landrath von Neuwied, dass er zu diesem Akte Militär re-
quirirte. Die Civilgemeinde Rfidesheim behauptete ein weitgehendes
Mitbenutzungsrecht an den Glocken, und brachte in dieser Beziehung
viel stärkere Beweismomente vor, als man sie in dem Rheinbrohler
Falle auch nur erbietet. Das Oberlandesgericht zu Frankfurt a. M.
hat nun dieser Tage auf die Besitzstörungsklage der Kirchenge-
meinde dahin entschieden, dass allerdings ein Recht der Mitbe-
nutzung der Civilgemeinde zustehe, aber nur für bürgerliche Ange-
legenheiten, nicht aber für ein Begräbniss. (Sehr richtig! im Centrum.)
Dieser Grundsatz ist meines Erachtens so unzweifelhaft richtig, dass
eine entgegengesetzte Anschauung kaum möglich erscheint. Das
Geläute bei einem hirchlichen Segräbniss ist eben eine Gultushand-
lung, (Sehr richtig ! im Centrum.) "Wo , soll es nun hinkommen,
wenn ein Vertreter der bürgerlichen Gemeinde in der Lage wäre,
diese Cultushandlung zu erzwingen zu Gunsten eines Angehörigen
einer andern Confession? Denken Sie sich nur, dass das Geläute
einer evangelischen Kirche etwa beansprucht würde bei dem Be-
gräbniss eines Deutschkatholiken oder eines Israeliten. Dass das
mit der ganzen Natur des kirchlichen Geläutes nicht vereinbar
ist, liegt doch auf der Hand. Unter diesem ganz einfachen Gesichts-
punkt betrachtet, war die Forderung des Bürgermeisters von Hön-
ningen eine durchaus unberechtigte. Es wurde also das Militär zur
182 RheinbroMer Qrabgeläuteatreit (1882%
Verwirklichong eines Dnreehts in Bewegung gesetzt. Der Bärger-
meister hatte auch selbst das Gefühl der Widerrechtlichkeit seines.
Anftretens; denn er hat versucht, sich durch den Gemeinderath zu
decken; der Oemeinderath hat ihm indess diese. Deckung nicht ge-
währt Auch der Landrath von Neuwied hatte das Gefühl der
Widerrechtlichkeit seiner Handlungsweise. Er hat in der gemein-
schaftlichen Sitzung des Eirchenvorstandes, der kirchlichen Gemeinde-
vertretung und des Geraeinderaths, nachdem ihm auseinandergesetzt
war, dass die katholische Gemeinde lediglich ihren Besitzstand wahren
wolle, nach einer mir vorliegenden schriftlichen Darlegung der ganzen
Affaire erklärt: T^Heute geht Gewalt vor Recht U (Hört! Hört!)
Und zur Durchführung eines derartigen unrechtes wendet man Ge-
walt an. Wie verträgt sich das mit den einfachsten Forderungen
des Rechtsstaates. Wenn die Rechtsfrage auch nur zweifelhaft ge-
wesen wäre — was sie nicht ist — dann hätte sich der Bürger-
meister damit begnügen müssen, die Sache auf dem Wege Rechtens
zum Austrag zu bringen. Das ist der eine Gesichtspunkt. Nun
kommt die zweite Frage : War es , um das bezeichnete Unrecht
durchzufahren, nothwendig^ Militär zu requiriren? Diese Frage muss
ebenso verneint werden. Es ist^ wie jetzt feststeht, nicht nur keiner-
lei Widersetzlichkeit erfolgt, nicht nur keinerlei Drohung ausge-
sprochen worden, obwohl auch das nicht genügen würde, sondern es
haben die geordneten Vertreter der Kirchengemeinde und der Civil-
gemeinde dem Landrath ausdrücklich erklärt, dass es ihnen nur
darauf ankomme, ihren Besitzstand zu wahren; sie würden der Ge-
walt sich nicht widersetzen, der Landrath möge die Thür mit Ge-
walt öffnen lassen , der Gewalt wollten sie weicheq , auch einstehen
dafür ^ dass keinerlei Excesse vorkämen. Es war daher nicht die
geringste ernstliche Veranlassung bei ruhiger obj^tiver Erwägung
der Sachlage für den Landrath vorhanden, zu der äussersten Mass-
regel der Requirirung von Militär zu schreiten. Wie ich schon
früher gesagt habe, liegt es unter solchen Umständen nahe, scharfe
Ausdrücke zur Charakterisirung des Verhaltens der Behörden gegen-
über der Gemeinde Rheinbrohl zu gebrauchen. Ich will aber heute
darauf verzichten ; es kommt mir auf einen praktischen Zweck an.
Es soll nämlich jetzt die Gemeinde Rheinbrohl auch noch die Kosten
für den Unverstand und den Uebereifer (so will ich einmal sagen)
der Behörden bezahlen. (Hört! Hört! im Gentrum.) Man hat das
Militär kommen lassen, am andern Tag ist ^s bereits wieder abge-
rückt, nachdem die Leute von den Rheinbrohlern so gut verpflegt
worden waren, dass sie eine Danksagung in die Zeitung einrücken
RhHnbrohter Grabgeläutestreit (1882), 183
lassen wollten. (Hört! Hört! im Centram.) Es haben dann eine
Zeit lang zahlreiche Gendarmen dort gelegen , die auch auf Kosten
der Gemeinde sehr gut gelebt haben. Die Verhafteten, die auch
mit ganz ünnöthiger Härte behandelt wurden, sind in Freiheit ge-
setzt worden, und nun macht man der Gemeinde eine Kostenrech-
nung von 3000 M. Das ist nun der Punkt, der mich veranlasst
hat, die Sache noch einmal zur Sprache zu bringen. Ich möchte
den Herrn Minister ersuchen, dass, wenn die Angelegenheit demnächst
an ihn herantritt, er die Kostenfrage unter den beiden Gesichts-
'punkten , die ich heute betont habe , einer sorgfältigen Erwägung
unterziehen möge und nicht lediglich die Berichte, die von den be-
theiligten und auch compromittirten Behörden ausgehen, allein zur
Grundlage seiner Entscheidung und Beurtheilung der Sache tnacht.
Es liegt hier wirklich ein Fall vor^ in wdchem es gilt, der confes*
sioneUen Minderheit im Lande zu zeigen, dass auch ihr gegenüber
nicht Gewalt vor Recht geht (Bravo im Centrum.)
Minister v. PtMamer will sich, wie der Vorredner, nur auf
die Frage der Legalität der Kheinbrohler Affaire beschränken und
die Frage der Opportunität bei Seite lassen, da sich so die Discus-
sion Aber diese immerhin delicate Angelegenheit am sachlichsten
werde fähren lassen. Der Hauptfrage des Vorredners : War der be-
treffende Bürgermeister berechtigt, das Glockengeläut von der 'bür-
gerlichen Gemeinde zu fordern, und im Weigerungsfall der Forderung
durch Polizeigewält Nachdruck zu geben, — stelle er die andere
Frage gegenüber: War die Gemeinde, nachdem ihr von der geord-
neten Obrigkeit das Verlangen der Zulassung des Glockengeläuts
gestellt war , berechtigt , diese Forderung abzulehnen (Gewiss ! • im
Centrum) und nicht nur einen passiven Widerstand zu leisten, son-
dern nachträglich auch einen Auftritt zu provociren? Er glaube,
dass kein Grundsatz des Staatsrechts verletzt werde, wenn die bür-
gerliche Obrigkeit ihren Anordnungen durch Gewalt Nachdruck, gebe.
Mit Unrecht habe sich der Vorredner aum Beweis der Illegalität
des Vorgehens der Obrigkeit auf ein Erkenntniss des Frankfurter
Oberlandesgerichts in einem anderen Falle • berufen^ denn der Khein-
brohler Fall müsse für sich allein beurtheilt werden. In dem letz-
teren Falle liege die Sache so, dass das betreffende Kirchengebäude
mit dazu gehörigem Glockenthurm der bürgerlichen Gemeinde ge-
höre und auf deren Kosten erbaut sei, und dasb der Usus dafür
spreche, dass bei Begräbnissen -der confessionellen Minderheit die
Kirchenglocken hergegeben worden seien. Allerdings sei dies bis
jetzt nur in einem Falle geschehen, aber es sei eben bisher nur ein
184 RheinbroMer QrabgeläuteaireU (1882).
Mitglied der jeonfdS8ioneU«n Minderheit geBtorben. Der Bürgermeister
sei somit nicht über seine Competenz hinausgegangen. In den ihm
vorliegenden Akten suche er vergeblich nach dem vom Vorredner
citirten Aosdruek eines Beamten, wonach es sieh nidit um eine
Rechtsfrage, sondern um die Gewalt gehandelt habe. So lange
dieser ai^eblicbe Ausspruch niehtv nachgewiesen sei, halte &[ den-
selben för nicht gefallen. Eventuell wurde er denselben aufs Schärfiste
gerügt haben. Mit Unrecht habe mh der Vorredner ferner darüber
besehwert, dass die Gemeinde Bheinbrohi zu den Kosten herange-
zogen werde. Zunächst habe die Gemeinde selbst die Kosten durch
eine Anleihe decken wollen; erst in der vierten Sitzung des Gemeinde-
rath» habe man die Zahlung der Kosten zu verweigern beschlossen.
Aber abgeseh^ davon, so handele es sich einfach um einen orts*
polizeilieben Akt bei drohendem Tumult und Auflattt,-zu dessen
DnterdrückuQg die vorhandenen polizeilichen Kräfte nicht ausrich-
ten, sondern milit&rische Hilfe requirirt werden musste. Solehe
Kpst^ seien aber nach dem Gesetze von 1850 von der Gemeinde zu
tragen, i^umal ein grosser Tbeil der Einwohner den Tumult provocirt
habe.; Von der Tragung der entstandenen Kosten sei also die Ge-
meinde nicht 2u entbinde, &c verspreche aber^ bei d^ Prüfung dar
Liquidationen die äusserste Sorgfalt walten zu lassen und alle un-
nOthigen Anforder^iiflgen zu streichen. Die Bequisition des Militärs
verursache flbrigeiis nuar Vs dw Kosten; die Hauptkosten seien durch
die Jinquattinmg^ der .Gendarmeriecommandos entstanden. Er be^
dauere den Votfall ebenso sehr, wie der Abg. Bachern, aber er könne sich
der jui^st£9ioben Oonsequenzen der Sache nicht entziehen und wolle
nur wiedeAolen, dass er in der Frage das äusserste Wohlwollen und
die äusserte M^icbsicht werde walten lassen. (Beifall rechts und
links,)
HL üeber eine nem Erswingmg des Ghckmgeläutes bei
einem protestantischen Begrübnisse meldete die Germania 1882
Nr. 203 nach der »Bb;- und Wied.^Ztg.« aus Bheinbrohi 4. Mai
1882 r Am letzten Sonntag (30. April) starb zu Bheinbrohi in Folge
Starrkrampfes ein protestantischer junger Mann im Alter von 27
Jahren i der vor 3--4 Jahren aus der Gegend von Holzappel im
Nassaiaieoben nach Bh^nbrohl eingewandert und mit der soge-
nannten falktiden^^Krankheit behaftet war. Er hiess Wilhelm Leber,
hatte als Junggeselle in seinem eigenen Hause gewohnt und seinem
Vater, elftem Fuhrunternehmer, bei dessen Arbeit bki weilen auG^^
holfett. Sein Ableben rief natfirlich bei der ganzen Einwohnerschaft
Rheinbrohler Gräbgeläuteatreit (1882). 186
die Frage hervor: Wird man das Geläute abermals erzwingen?
Dass man dasselbe bcjaheüden Falls abermals verweigern vrarde,
schien Jedermann selbstverständlich zu sein. Auch batte man sieh
an zustehender Seite abermals dahin geeinigt, den erstmaligen Pro*'
test für alle Fälle au&echt zu erhalten. . Die Beerdigung sollte
Mittwoch den 3. Mai Nachmittags stattfinden, wurde jedoch auf Grund
ärztlichen Gutachtens auf Morgens den 4. Mai 10 übt verschoben, weil
der Tod in Folge Starrkrampfes eingetreten war, und somit die
Annahme des Scheintodes nicht' unbegründet sein mochte. Hatte
die zweifelvolle Neugierde der Einwohnerschaft , wie die Beerdigung
von Statten gehen möchte, während der letzten 3 Tage ihrer Höhe-
punkt erreicht, so gelangte man schon gestern Abend , als mehrere
auswärtige Gendarmen eintrafen, zu der etwas bestimmteren Ver-
muthung dessen , was auch * wirklich nicht ausbleiben sollte. Die
Bheinbrohler Bürger hatten nichts Eifrigeres zu thun, als sich
gegenseitig zur grössten Buhe aufzufordern, und ist denn auch ihr
Verhalten bis zu dieser Stunde ein durchaus lobenswerthes , ja
musterhaftes gewesen. Ans dem von Neuwied abgelassenen, kurz
nach 9 ühr in Hönningen angelangten Eisenbahnzuge stiegen aus
Herr Landrath v. Bunkel, ein Aufseher und sechs mit Brecheisen,'
Brechstangen und einem Seile ausgerüstete Arbeiter. Von Bürger-
meister Conrad aus Hönningen in Empfang genommen, begaben sich
die Genannten sofort auf den Weg nach dem, etwa eine Viertel-
stunde von da entfernten Bheinbrohl In der Nähe dieses Ortes
gesellte sich zu ihnen der Ortsvorsteher von Bheinbrohl, den man
von der Ankunft schriftlich benachrichtigt hatte. Die Aufforderung,
den Eirchenschlüssel zu überreichen, erwiderte Aet Oitsvorsteher
dahin, dass er denselben weder an seinem bestimmten Platze noch
sonstwo in seinem Hause habe vorfinden können; er müsse verlegt
worden sein. Nun begaben sich Landrath und Bürgermeister einer-
seits und die sechs Arbeiter unter Führung ihres Aufsehers anderer-
sieits auf verschiedenen Wegen zur katholischen Kirche , während
der Ortsvorsteher sich entfernte, angeblich nm für Aufr<3Chterhaltung
der Ordnung innerhalb des Ortes Sorge zu tragen. Vor der Kirchen-
thüre angelangt — es war ^4 vor zehn ühr und ausser den Ge-
nannten Niemand ringsumhei* zu sehen — sagte der Landrath zum
Polizeidiener Giemen : »Gehen Sie zum Herrn Kaplan und sagen Sie
ihm, er möge die Schlüssel hergeben, sonst Würde die Thüre er-
brochen werden.€ Der Polizeidiener ging -— und richtete seinen
Auftrag aus. Die Herausgabe der Schlüssel zu besagtem' Zwecke
wurde verweigert. Nun ging's an's Werk. Die Arbeiter sprengteq
186 Rheinbrohler Grabgeläutestreit (1882).
die Kirohthfire gewaltsam auf und erbrachen noch weitere zwei
Thürea. Auch während dieses und der späteren Vorgänge liess sich
sonst Niemand sehen. Man läutete mit sämmtlichen Glocken unge-
fähr eine halbe Stunde lang, was bei derartigen Anlässen nicht orts-
üblich ist. LandrcUh und Bürgermeister schritten^ ohne das Haupt
zu entblössen, durch die Kirche. Einige Oendarmen, welche die
Kirche zu betreten hatten, trhaten dies mit entbidsstera Haupte.
Auch der Herr Bürgermeister entblösste sein Haupt , als er später
nochmals und zwar allein die heiligen Bäume betrat. Im Ganzen
waren zehn Fussgendarmen und Polizisten, sowie zwei berittene
Gendarmen anwesend. Die Kirche war schon seit gestern Abend
und die Nacht hindurch von ihnen bewacht worden.
Der Kirchenvorstand war in einem Privathause versammelt,
der Landrath schien seiner nicht bedurft zu haben.
IV. Nachtrag. Nach einer Meldung der Köln. Volksztg. Nr 164
IL Bl. aus Rheinbrohl vom 15. Juni 1882, soll die Gemeinde durch
ministerielle Verfügung zur vorläufigen Zahlung der bei der oben
(Nr* III.) besprochenen Glockenaflfaire entstandenen Kosten verpflichtet
worden sein.
V. In der Sitzung der Strafkammer zu Neuwied am 14. Juni
1882 wurden die Rheinbrohler Burger Georg Glas, Daniel Waldorf
uud Anton Marzi, die beiden ersteren zu einer Gefängnissstrafe von
zwei Wochen und der letztere zu einer solchen von einer Woche und
alle drei zur Tragung dftr Geriehtskosten verurtheilt und zwar auf
Grund der Behauptung des Landraths von Kunkel, des Bürgermeisters
Conrad und von sieben Gendarmen, wornach sie sich bei der Affaire
vom 22. Febr. ihrer Verhaftung activ wiedersetzt hätten — trotzdem
19 Schutzzeugen mit seltener Einmüthigkeit und Bestimmtheit jeden
Widerstand in Abrede stellten, obschon dem ersten sofort Anklage
auf Meineid in sichere Aussicht gestellt war. (Vgl. den ausführ-
lichen der Deutsch. Reich'sztg. entnommenen Bericht in der Germania
1882 Nr. 270, 272.)
187
X.
Ein nicht sanctionirter Bescliluss des deutsclien Reiclistags
auf Aufliebung des Gesetzes vom 4. Nlai 1874, betr. die Ver-
hinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern und das
preussische Icirohenpolitisohe Gesetz vom 31. Nlai 1882.
1. Der deutsche Reichstag verhandelte in seiner 22. und 23.
Sitzung vom 11. und 12.. Januar 1882 über folgenden vom Abg.
Dr. Windthorst eingebrachten Gesetzentwurf, betr. die Aufhebung
des Gesetzes über die Verhinderung der unbefugten Ausübung von
Kirchenämtern vom 4. Mai 1874 :
»§. 1. Das Gesetz, betr. die Verhinderung der unbefugten
Ausübung von Kirchenämtern- vom 4. Mai 1874 (K.-G.-Bl. S. 43)
wird aufgehoben.
§. 2. Die auf Grund dieses Gesetzes ergangenen Verfugungen
von Landespolizeibehörden verlieren ihre Giltigkeit.
§. 3. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem Tage seiner
Verkündigung in Kraft, c
Aus der Rede, mit welcher Windthorst seinen Antrag be-
gründete, geben wir einige Hauptstellen wieder: .
»Unsere Wähler — . sagte Windthorst,— wissen sehr gut, dass
der kirchenpolitische Streit sich nicht allein auf das eigentliche Ge-
biet desselben beschränkt, dass vielmehr die kirchliche Frage alle
Fragen beherrscht; sie wissen sehr gut, dass das deutsche Reich
nicht eher gedeihen kann, bis dieser heillose Bruderzwist endlich
beseitigt ist und der Kirche die Freiheit gegeben wird, welche sie
bedarf. Und wenn es Parteien im Lande gibt, welche glauben, dass
es dem Reiche nützt, wenn sie diesen Kampf führen, dann sind dies
Männer, von denen ich annehmen muss, dass sie die deutsche Ge-
schichte niemals kennen gelernt haben. Ich glaube der Consolidirung
des Reiches am besten zu dienen, wenn ich dafür eintrete, dass in
demselben überall das Recht, und zwar das ßecht ^Wer zur Geltung
kommt und die kirchliche Freiheit gesichert ist Etwas anderes als
die kirchliche Freiheit erstreben wir absolut nicht. Und weil wir *
sie erstreben gleichmässig für alle Confessionen ohne Ausnahme, so
habe ich geglaubt, dass ein solches Beginnen von allen Seiten die
vollste Unterstützung finden müsse* Es gibt aber leider Parteien
188 Windthorst's Antr. auf Aufh. des Ges. vom 4. Mai 1874,
und Männer, welche ohne den Culturkampf nicht leben zu könaen
glauben. An diese wende ich mich nicht, sondern an die Männer
wahrer Freiheit und frage sie, ob es ihren freiheitlichen Auffassungen
entspricht, wenn der Mensch in den wichtigsten Dingen der Polizei-
.gewalt uurettbar überliefert wird und wenn die Verhältnisse so ge-
ordnet md, dass ein Theil der Unterthanen den religiösen Pflichten
nicht Q^-chkemmen kann.«
Im weiteren Verlaufe seiner Kede schilderte Windthorst den
polizeilichen Charakter des Gesetzes vom 4. Mai 1874:
»Wegen Verrichtung von Amtshandlungen werden Geistliche
aus dem. Lande gejagt, und nicht etwa durch Richterspruch, sondern
lediglich durch das Belieben der Landespolizeibehörden. Es ist frei-
lich gesagt worden, dass man sich gegen eine solche Verfügung an
die Q^riclite wenden kann , aber meine Herren , dafür besteht der
preussische Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten, und den an-
zuerkennen, ist jedem Katholiken absolut unmöglich; und dennoch
hat man die Geistlichen an diesen Gerichtshof verwiesen, d. h., ihnen
einen Ausweg gezeigt, den sie unter keinen Unaständen einschlagen
können. Aber nicht nur diejenigen Geistlichen, die eine Amtshand-
lung vorgenommen, sondern auch die, welche sonst in Conflict mit
den Maigesetzen gekommen sind, können eventuell ausgewiesen wer-
den, und bei den besonders raffinirten Bestimmungen der Maigesetze
ist es in der Tbat kaum möglich, dass nicht jeder Geistliche alle
Tage ausgewiesen oder internirt werden kann. Also, meine Herren,
Internirung^ Beichsacht, durch landespolizeiliche Verfügungen ver-
hängt, das sind die juristischen Lehren, die wir noch immer von
Gelehrten hören und die sehr milde, sein sollen, damit nicht andere
Strafen verhängt werden . . . Selbst das Socialistengesetz, von dem
Sie wissen, dass ich es niemals gebilligt habe, geht soweit nicht ; es
garantirt doch eine Beschwerdeinstanz. Die Beichsregiernng hat
geglaubt, gegen die katholische Kirche ist alles erlaubt, so scheint
es . < . Ich will Ihnen indessen doch einige Zahlen sagen, von denen
ich bemerken muss, dass sie mir von Privatleuten zugekommen sind
und desshalb lange nicht den Glauben in Anspruch nehmen können,
wie amtliche. Ich mache darauf aufmerksam , dass in der Diöcese
Trier 50 Ausweisungen, und darunter 9 Expatriirungen stattgefunden
haben; in der Erzdiöcese Posen-Gnesen sind 46 Ausweisungen und
' 2 Internirungen vorgekommen, jedoch ist diese Zahl nicht genügend.
Aehnlich verhält es steh in allen anderen Diöcesen. Es steht fest,
dass noch jetzt unter diesem Gesetz eine grosse Anzahl von Män-
nern leidet. Man ist bei den Ausweisungen mit der allergrössten
Windthor st* 8 Antr. auf Aufh. des Ges. vom 4, Mai 1874. 189
Rücksichtslosigkeit vorgegangen , und man hat keinen Anstand ge-
noniraen, Geistliche unter Gtendarmeriebegleitung hinauszubringen^c
Zum Schlüsse bemerkte Windthorst: »Man verlangt von uns
zu jeder Zeit schwere Opfer, und wir bringen sie gern und ohne
Murren; aber wir erwarten, dass wir 'dann auch die volle Freiheit
der Kirche bekommen. Die Differenzen, die zwischen uns bestehen,
sollen auf wissenschaftlichem Gebiete ausgetragen werden. Ich ver-
lange gar nichts, als dass auf die Geistlichen das gemeine Recht
angewandt wird. Vor dem Gesetze sollen wir alle gleich sein,
wenigstens wird uns das alle Tage gepredigt, besonders von den
liberalen Herren. Ich spreche jedem, der dieses Gesetz vertheidigt,
das Prädicat eines Liberalen absolut ab. Nehmen Sie also die Vor-
lage an, damit die Gesinnung des Friedens mehr und mehr in die
Gemüther zurückkehrt und endlich die Stunde nahen kann, wo wir
uns ganz die Hände reichen und uns gemeinschaftlich freuen des
blühenden deutschen Vaterlandes.«
Bei den Verhandlungen über den Antrag Windthorst's im
deutschen Reichstage fand das unglückliche Gesetz vom 4* MSii 1874
auf keiner Seite eine grundsätzliche Verthieidigung ; alle Redner er-
kannten seine Härte und ünhaltbarkeit an. Die Aufbebung des
Aus Weisungsgesetzes wurde am 12. Januar 1862 vom Reichstage mit
223 gegen 115 Stimmen angenommen, ebenso bei der dritten Be-
rathung am 18. Januar 1882. Der »Bundesrath« überwies den vom
Reichstage angenommenen Antrag in seiner Sitzung vom 23. Januar
1882 an seinen Ausschuss für Justizwesen. Ob der Bundesrath sich
seitdetn mit der Sache beschäftigt hat, haben wir nicht iu Erfahrung
bringen können; jedoch glauben wir nicht, dass es bereits ge-
schehen ist. Der Bundesrath beschliesst langsam und nach Weisungen.
II. Nach Rom wurde im Frühjahre 1882 wieder ein preussi-
scher Gesandter, Herr v. Schlözer, zum päpstlichen Stuhle gesaudt.
Die preuss. Regierung hielt ebenso wie in den zwei Jahre vorher in
Wien mit dem damaligen Wiener Nuntius Jacobini geführten und näit
demselben, nunmehrigen Cardinal-Staatssecretär Jacobini, erneuerten
Verhandlungen an den Principien der Maigesetze fest, und suchte bald
diesen bald jenen Weg, immer an allen Voraussetzungen festhaltend,
um kirchlicherseits eine in den meisten Beziehungen kirchlich ge-
radezu unmögliche Anerkennung der Maigesetze zu erlangen. Dem
entsprechend wollte man dann preussischerseits höchstens von Fall
zu Fall dieses und jenes besonders vereinbaren, namentlich wieder
möglichst viele geistliche Stellen besetzt sehen, um dann v6n Neuem
lÖO Preu88, Ges» v. 31. Mai 1882: Abätid, der kirchenpoliU Qeaetze.
zu versuchen, ob sich nicht von diesen Geistlichen schliesslich die
Unterwerfung unter die Grundsätze der Maigesetzgebnng ersuvingen
in. Nur einen schwachen Anfang zu einem kirchlich- politi-
schen Friedensstande bildet das von der Regierung eingebrachte, in
seiner schliesslichen Gestalt von dem katholischen Gentrum mit den
-kirchlich-protestantischen Gonservativen des preuss. Landtags verein-
barte, am 5. Mai nach einigen Aenderungen, die es im Herrenhause
nochmals erfahren hatte, vom Abgeordnetenhause in der endgiltigen
Fassung angenommene, erst am 31. Mai sanctionirte und am S.Juni
1882 in Nr. 22 der Gesetzsammlung publicirte
Gesetz^ hetr, Abänderung der hirchenpolUischen Geseiee.
>W\x Wühdm von Gottes Gnaden König von Preussen etc.
verordnen unter Zustimmung beider Häuser des Landtages der Mo-
narchie, was folgt :€
»Art. 1. Die Art. 2, 3, 4 im Gesetz vom 14. Juli 1880 treten
mit der Verkündigung des gegenwärtigen Gesetzes auf die Zeit bis
zum 1. April 1884 wieder in Kraft.« [Entspricht dem Artikel 1.
der Regierungsvorlage, nur sind die durch Sperrdruck hervorgehobenen
Worte eingeschaltet. Die am 31. December 1881 ausser Wirksana-
keit getretenen, jetzt wieder aufgenommenen Artikel des Juligesetzes
lauten: Art. 2. In einem katholischen Bisthum; dessen Stuhl er-
ledigt, oder gegen dessen Bischof durch gerichtliches Urlheil auf
Unfähigkeit zur Bekleidung des Amtes erkannt worden ist, kann die
Ausübung bischöflicher Rechte und Verrichtungen in Gemässheit des
§. 1. im Gesetz vom 20. Mai 1874 demjenigen, welcher den ihm
ertheilten kirchlichen Auftrag darthut, auch ohne die im §. 2. vor-
geschriebene eidliche Verpflichtung durch Besehluss des Staatsmini-
steriums gestattet werden. In gleicher Weise kann von dem Nach-
weis der nach §. 2. erforderlichen persönlichen Eigenschaften, mit
Ausnahme des Erfordernisses der deutschen Staatsangehörigkeit,
dispensirt werden. Art. 3. Die Einleitung einer commissarischen
Vermögensverwaltung in den Fällen des Art. 2. dieses Gesetzes findet
nur mit Ermächtigung des Staatsministeriums statt. Dasselbe ist
auch ermächtigt, eine eingeleitete commissarische Vermögensverwal-
tung wieder aufzuheben. Art. 4. Die Wiederaufnahme eingestellter
Staatsleistungen kann, abgesehen von dem Fall des §. 2. des Gesetzes
vom 22. April 1875, für den Umfang eines Sprengeis durch Besehluss
des Staatsministeriums angeordnet werden. Der Schlusssatz des §. 6.
desselben Gesetzes findet sinngemässe Anwendung.«]
Preuss, Ges. v. 57. Mai 1882.: Ahänd. der kirchenpolit Gesetze, 191
»Art. 2. Hat der König einen Bischof, gegen welchen auf
Grund der §§. 24 ff. des Ges. vom 12. Mai 1873 durch gericht-
liches ürtheil auf Entlassung aus seinem Amte erkannt ist, be-
gnadigt, so gilt derselbe wieder als staatlich anerkannter Bischof
seiner, Diöcese. In sonstigen Fällen ». in welchen auf Grund der
§§. 24 ff. d«8 Gesetzes vom 12. Mai 1873 oder de» §,12. des Ge-
setzes vom 22. April 1875 auf Entlassung aus dem Amte erkannt
ist, werden, die Folgen der ergangenen Erkenntnisse auf die Unfähig-
keit zur Bekleidung des Amtes und die im Art. 1. Abs. 2 und 3
des Gesetzes vom 14. Juli 1880 aufgeführten Folgen beschränkt, in-
sofern nicht inzwischen eine Wiederbesetzung der Stelle erfolgt ist.«
»Art. 3^. Von Ablegung der im §. 4. de^ Gesetzes vom 11. Mai
1873 vorgeschriebenen wissenschaftlichen Staatsprüfung .sind die-
jenigen Candidaten befreit, welche durch Vorlegung von Zeugnissen
den Nachweis führen, dass sie die Entla^sungsprüfung auf einem
deutschen Gymnasium abgelegt, sowie ein dreijähriges theologisches
Studium auf einer deutschen Universität oder auf ^nera in Preussen
bestehenden kirchlichen Seminar, hinsichtlich dessen die gesetzli<5hen
Voraussetzungen für den Ersatz des Üniversitäts-Studiums durch das
Studium auf diesem Seminar erfüllt sind, zurückgelegt^ und während
dieses Studiums Vorlesungen aus dem Gebiete der Philosophie, Ge-
schichte und deutschen Literatur mit Fleiss gehört haben; Der
Minister der geistlichen u. s. w. AngeJegenhieiten ist ermächtigt,
auch im Uebrigen voa den Erfordernissen des §. 4 , sowie^ von dem
Erforderniss des .§. 11. des Gesetzes vom . 11. Mai 1873 zu dis-
pensiren, auch ausländische^ Geistlichen die .Vornq^hnje von geist-
lichen Amtshandlungen oder die Ausübung eines der iü[i §, 10. er-
wähnten Aemter zu gestatten. Die Grundsätze, naph welchen dies
zu geschehen hat, sind vom Staatsministerium mit königlicher. Ge-
nehmigung festzustellen.«
»Art. 4. Die AusübuQg der in den §§, 13 ff; des Gesetzes
vom 20. Mai 1874 und in den Art. 4 ff. des Gesetzes vom 21. Mai
1874 den. Präsentationsberechtigten und der Gemeinde beigelegten
Befugniss zur Wiederbesetzung eines erledigten geistlichen . Amtes
und zur Einrichtung einer Stellvertretung in demselben findet ferner
nicht statt.« So der Wortlaut des neuen Gesetzes.
Die Aenderungen^ welche durch das Herrenhaus an den frühem
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses hervorgerufen wurden, sind un-
bedeutend. Das Abgeordnetenhaus hatte in Art. 1. die Verlängerung
der Art. 2, 3 und 4 des Juligesetzes von 1880 nur bis zum 1. April
1883 (jetzt 1884) ausgesprochen und in Art. 3. die Fassung ge-
192 Preusa. Ges. v. 3h Mai 188^: Ahänd. der kirchenpolit. Öeaet^,
wäblt: »auf einem . . . Seminar, welches nach dem Gesetze die
Universität zu ersetzen geeignet ist,c während jetzt der Satz lautet :
»Seminar, hinsichtlich dessen die gesetzlichen Voraussetzungen für
den Ersatz des Üniversitäts-Studiums durch das Studium auf diesem
Seminar erfüllt sind.«' Es war vorauszusehen, dass das Abgeord-
netenhaus .sich die von dem Herrenhause beliebten Aenderungen ge-
fallen lassen würde. Der kleine Unterschied in Art 3. ist lediglich
formaler Natur, und die Verlängerun|r der Gültigkeitsdauer des
Art. 1. konnte für das Centrum gewiss kein Grund sein, das Ergeb-
niss der mit den Gonservativen geschlossenen Vereinbarung zu ge-
fährden. Der verhältnissmässig noch sehr geringe Fortschritt zum
Besseren, welchen das Gesetz enthält, ist 1., dass der ^Bischofs-
Paragraph {liTt. 2) endlich durchgebracht ist, so dass wenigstens
die noch lebenden Bischöfe, welche s. Z. vom Gerichtshof für kirch-
liche Angelegenheiten »abgesetzt« wurden, wieder zur Leitung ihrer
Diöcesen zugelassen werden Jcönnen. 2. Das Cultur-Examm ist
beseitigt (Art. 3). 3. Neue T^Staatspfancer^ können ;iicht mehr
eingesetzt werden (Art. 4).
Mit der Beseitigung des »Gultur-Examens« ist das eine Haupt-
hinderniss für Besetzung der verwaisten Seelsorgerstellen beseitigt;
aber sein Wegfall bleibt praktisch werthlos, so lange nicht die »^n-
zeigepflichU durch eine Vereinbarung zwischen dem h. Stuhle und
der Regierung hinweggeräumt ist. Dass die Regierung schon in der
allernächsten Zeit die auf die Anzeigepflicht bezüglichen Bestim-
mungen der kirchenpolitischeu Vorlage (§. 4 und 5. des Enttourfs
des Ges. vom 31. Mai, wie er von der Regierung eingebracht war),
welche das Abgeordnetenhaus gestrichen hatte, als besonderes Gesetz
wieder einbringen* wolle, wurde von der officiösen Prov.rCorrespondenz
entschieden in Abrede gestellt Für den gestrichenen Art 4 und 5.
des Reg.-Entw. des Gesetzes war eine Neuregelung der An^eigepflicht
insofern vorgesehen , als der Einspruch künftig auf bürgerliche und
staatsbürgerliche Gründe beschränkt sein, jedoch auch noch die staat-
lichen Vorschriften über die Vorbildung der Geistlichen unter dem
Einspruchsrecht begriffen waren ; ferner sollte statt an den sg. Kirchen-
gerichtshof die Appellation an den Cultusminister ergehen, welcher
endgültig entscheiden sollte. Der Art. 5. der Vorlage enthielt end-
lich eine »discretionäre,« d. h. der Regierung überlassene Erleichterung
der Anstellimg von Hülfsgeistlichen. (Den Wortlaut des Reg.-Entw.
des Ges. s. weiter unten Nr. IV.)
Dass die Sanction des Gesetzes vom 31. Mai 1882 nicht so
rasch erfolgt war, wie die der Maigesetze der früheren Jahre, suchte die
Preuss. Ges. v. Bl. Mai 1882: Ahänd. der kirchePpotif. Geseti&e. 193
Frov.-Corr. dadurch zn erklären, »dass in dem geregelten Gange der
kaiserlichen Arbeiten jeder Theil nach der Ordnung seine Stelle er-
halte , welche nur aus Gründen von besonäerem Gewicht vertauscht
werden könne. < Man hatte nämlich in verschiedenen Blättern die
Vermuthung ausgesprochen, dass Fürst Bismarck mit der Veröffent-
lichung des neuen Eir<^hengesetzes gezögert habe, um dadurch einen
Druck auf Rom auszuüben, der ihm zu Zugeständnissen hinsichtlich
der »Anzeigepffiichtc verhelfen sollte. Die Frage der »Anzeigepflichtc
bildete nämlich, wie die vom Abg. Majunke herausgegebene Corresp. •
vom 9, Juni 1882 (vgl. Köln. Volksztg. Nr. 158 II. El.) bemerkte,
den Haupt- und Angelpunkt in allen Yerhandludgen und Erörterungen,
welche seit den Wiener »Besprechungenc zwischen unserer Regierung
und dem h. Stuhle stattgehabt haben. An dieser Frage scheiterten
alle vorigjährigen Verhandlungen des Herrn v. Schlözer, obgleich der-
selbe in dieser Angelegenheit zwei Mal von Rom nach Berlin , resp.
Varzin zurückgefahren kam; es ist endlich ein offenes Geheimniss,
dass es seitens unserer Regierung nicht an Bemühungen gefehlt hat,
uro in dieser Beziehung mit den pveussischen Bischöfen resp. Gapi-
tels-Vicaren ein Separat- Abkommen zu treffen — was Wunder da-
her, wenn Fürst Bismarck die Concessionen, zu denen er durch Ver-
öffentlichung ded neuen kirchenpolitischen Gesetzes genöthigt wird:
Abscbaffimg des Cultur-Examens und der Staatspfarrer) dazu benutzt
hätte, um wenigstens den Versuch zu machen, Gegenconcessionen zu
erlangen — ein Versuch, der natürlich scheitern musste, da Rom in
seinen »Concesfidonenc schon längst an die Grenze des Möglichen ge-
gangen war.
IV. Der am 16. Januar 1B82 dem Abgeordnetenhause vom
Cultu9minster vorgelegte ^i^Enttmrf eines Gesetzes betr. Abänderungen
der kirchenpolitischen Gesetze« und die Motivirung desselben lautete
wie folgt: .
Art. 1. Die Art. 2, 3 und 4 im Gesetz vom 15. Juli 1880
(Gesetz-Sammlung S. 285) ti^eten mit der Verkündung des gegen-
wärtigen Gesetzes wieder in Kraft.
Art. 2. Einem Bischof, welcher auf Grund der §§. 24 ff. im
Geset? vom* 12. Mai 1873 (Gesetz-Sammlung S. 198) durch gericht-
liches [Jrtheil aus seinem Amte entlassen worden ist, kann von dem
Könige die staatliche Anerkennung als Bischof seiner früheren Diö-
cese wieder «rtheilt werden.
Art. 3. Das Staatsministerium ist ermächtigt, mit königlicher
Oenehmigung die Grundsätze festzustellen, nach welchen der Mi-
Arohiv für Kirchenreoht. XLVUI. '13
1Ö4 Preuss. Ges. v. 31, Mai 28Sl: Abänd. der Urchenpklit Geaefzi.
iiister der geistlichen Angelegenheiton von den Erfordernissen der
§§. 4 und 11. im Gesetz vom 11. Mai 1873 (Gesetz-Sammlung Seite
191) dispensiren, auch ausländischen Öeistlichen die Vornahme von
geistlichen Aintshandluugen oder die A.usübung eines der im §: 10.
erwähnten Aemter gestatten kann.
Art. 4. An die Stelle des §. 16. im Gesetz vom 11. Mai 1873
tritt nachfolgende Bestimmung:
Der Einspruch findet statt, wenn dafür erachtet wird, dass
der Anzustellende aus einem Grunde, welcher dem bürgerlichen
oder staatsbürgerlichen Gebiete angehört, für die Stelle nicht
geeignet sei, insbesondere wenn seine Vorbildung den Vor-
schriften dieses Gesetzes nicht entspricht.
Die Gründe für den Einspruch sind anzugeben.
Gegen die Einspruchserklärung kann innerhalb dreissig Tagen
bei dem Minister der geistlichen Angelegenheiten Beschwerde
erhoben werden, bei dessen Entscheidung es bewendet.
Art. 5. Das Staatsministerium ist ermächtigt,. für bestimmte
Bezirke widerruflich zu gestatte», dass Geistliche, welche im üebri-
gen die gesetzlichen Erfordernisse für die Ausübung geistlicher
Amtshandlungen erfüllen oder von denselben dispensirt sind, zur
Hilfeleistung im geistlichen Amt ohne die nach §.15. des Gesetzes
vom 11. Mai 1873 erforderliche Benennung verwendet werden.
Die dem Entwürfe * beigegebene Begründung lautet:
Der gegenwärtige Gesetzentwurf beruht auf d^selben Gesichts-
punkten, aus welchen die Vorlage vom 19. Mai 1880 über Ab-
änderungen der kirchenpolitischen Gesetze hervorgegangen ist. Durch
den Entwurf wünscht die königliche Staatsregierung von Neuem zu
bethätigen, dass sie entschlossen ist, auf dem Wege einer friedlichen
Entwickelung der Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche,
wie er durch das Gesetz vom 14. Juli 1880 angebahnt ist, fortzu-
schreiten. Auch jetzt wünscht sie in der Sorge für das Wohlergehen
der katholischen Preussen denselben weitere Erleichterungen, die
nach den bestehenden Gesetzen möglich sind, gewährt und diese
Möglichkeit erweitert zu sehen, soweit dies geschehen kann, ohne
das Wohlergehen der gesammten Staatsangehörigen, die Sicherheit
des Staats und die Unabhängigkeit seiner Gesetzgebung zu gefährden.
Bei der Durchführung dieses Gedankens tritt diejenige Frage
in den Vordergrund, welche auf diesem Gebiete als die brennendste
bezeichnet werden darf , nämlich die Wiederherstellung der cura
aniraarum im weitesten Sinne. Die Wiederherstellung erfolgt auf
doppeltem Wege:
Preuss. Ges. v, äL Mai 288^: Ahänd. der ktrchenpotit. Gesetze, lÖo
I. darch Wiedereiofübrang einer regelmässigen Diöcesanver-
waltung
II. durch Wiederbesetzung der mit der Seelsorge betrauten
Eirchenämter, insbesondere der Pfarrstellen.
Die Lösung dieser Frage zu fördern , ist die hauptsächlichste
Aufgabe des Gesetzentwurfs. Die letztere wird sich jedoch nach der
jetzigen Lage der Verhältnisse im Wesentlichen auf die Ertheilung
discretionärer Befugnisefe für die Staatsregiernng um so mehr zu be-
schränken haben , als die Bücksicht auf die Lahdestheile mit polni-
scher Bevölkerung es nothwendig macht, dass der Begierung die
nach der Vörschiedenheit der politischen Lage erforderliche Freiheit
der Bewegung fär die Abwehr gesichert bleibt. Die königliche
Staatsregierung trägt um so weniger Bedenken, auf der mit der
Gesetzgebung vom Jahre 1880 betretenen Bahn vorwärts zu schreiten,
als die seit Erlass des Gesetzes vom 14. Juli 1880 und an der Hand
desselben gemachten Erfahrungen lehren, dass schon die Staats-
regierung seither gewährten Befugnisse es ermöglicht haben, in der
Regelung der Verhältnisse auf dem in Bede stehenden Gebiete er-
sichtliche Fortschritte zu machen.
Die Lösung wird im Einzelnen dadurch anzustreben sein, dass
zunächst, wie ^
Artikel 1. der Vorlage vorschlägt, die mit dem 1. Januar 1882
ausser Wirksamkeit getretenen Artikel 2, 3 und 4 des Gesetzes
vom 14. Juli 1880 wieder in Kraft gesetzt werden. Diese Artikel
lantien :
Art. 2. In einend katholischen Bisthum , dessen Stuhl er-
ledigt, oder gegen dessen Bischof durch gerichtliches ürtheil
auf Unfähigkeit zur Bekleidung des Amts erkannt worden ist,
kann die Ausübung bischöflicher Rechte und Verrichtungen in
Gemässheit des §? 1. im Gesetz vom 20. Mai 1874 demjenigen,
welcher den ihm ertheilten kirchlichen Auftrag darthut, auch
ohne die im §. 2. vorgeschriebene eidliche Verpflichtung durch
Beschluss des Staatsministeriums gestattet werden.
In gleicher Weise kann von dem Nachweise der nach §. 2.
erforderlichen persönlichen Eigenscl\afken mit Ausnahme des Er-
fordernisses der deutschen Staatsangehörigkeit, dispensirt werden. .
. Art. 3. Die Einleitung einer comraissarischen Vermögens-
yerwaltung in den Fällen des Artikels 2. dieses Gesetzes findet
nur mit Ermächtigung des Staatsministeriums statt. Dasselbe
ist auch ermächtigt, eine eingeleitete commissarische Vermögens-
verwaltung wieder aufzuheben.
13'*
1Ö6 Preuss. Ges. v. 31, Mai 188i: Abänd. der kirckenpoUL Gesetze.^
Art. 4. Die Wiederaufnahme eingestellter Staatsleistungen
kann, abgesehen von dem Falle des §. 2. des Gesetzes vom
22. April 1875 , für den Umfang eines Sprengeis durch Be-
schluss des Staatsministeriums angeordnet werden.
Der Scblusssatz des §. 6. desselben Gesetzes findet sinnge-
mässe Anwendung. • ~
Die vorstehenden Artikel waren nach der Vorlage vom 19. Mai
1880 dazu bestimmt, das Bedürfniss zu befriedigen, welches für eine
freiere Handhabung des Gesetzes vom 20. Mai 1874 über die Ver-
waltung erledigter katholischer Bisthümer, sowie des Gesetzes vom
22. April 1875, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staats-
mitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen,
während der letzten Jahre merklich geworden ist und mit dem
Wachsen gegenseitiger Verständigung voraussichtlich mehr und mehr
hervortreten wird. Es handelt sich hierbei darum, die Schärfe der
gesetzlichen Vorschriften durch die Möglichkeit ihrer Nichtanwendung
oder beschränkter Anwendung zu mildern, ohne das Gesetz selbst
ausser Kraft setzen zu müssen. Insbesondere erscheint die Wieder-
herstellung des Artikels 2, welcher das Staatsministerium ermächtigt,
nach Lage des concreten Falles die Ausübung bischöflicher Rechte
und Verrichtungen auch ohne ei^e vorangegangene eidliche Ver-
pflichtung des Bisthumsverwesers zu gestatten, werthvoU. Es genügt,
darauf hinzuweisen, dass, wenn es gelungen ist,, durch Einsetzung
von.Gapitularvicaren.die Wiederkehr geordneter Verhältnisse in den
Diöcesen Osnabrück, Paderborn und Breslau anzubahnen, dies vor-
nehmlich der Existenz und der Anwendung des Artikels 2. zu ver-.
danken bleibt. Auch die Artikel .3 und 4. verdienen erhalten zu
werden, da die durch dieselben der Staatsregierung gewährten Be-
fugnisse die Möglichkeit gewähren, nach Lage des einzelnen Falles
Erleichterungen zu gewähren, wie dies noch neuerdings durch Wie-
deraufnahme der Staatsleistungen für den preussischen Antbeil der
Erzdiöcese Prag geschehen ist.
Artikel 2. Nachdem es mit Hilfe der der Begierung mittels
Gesetzes vom 14. Juli 1880 gewährten Pacultäten möglich geworden
ist, in denjenigen Bisthümem, deren Stühle auch , kirchlich als er-
ledigt galten, eine geordnete Diöcesanverwaltung wieder herzustellen,
gewinnt die Frage der Wiedereinrichtung einer regelmässigen ober-
hirtlichen Leitung auch für diejenigen Sprengel, deren frühere Bischöfe
durch gerichtliches ürtheil aus dem Amte entlassen sind, in hervor-
ragender Weise an Bedeutung.
Schon bei Vorlage der kirchenpolitischen Novelle im Jahre 1880
Preuas. Ges. v. 31. Mai 1S82: Abänd, der kirchenpuUf. Gesetze. 197
musste die königliche Regierung es als ihre Ueberzengung aas-
sprechen, dass eine Begelung dieser besonders schwierigen Frage
Wesentlich würde gefördert werden, wenn sich durch das Gesetz die
Möglichkeit schaffen liesse, einem oder dem anderen jener^ aus dem
Amte entlassenen Bischöfe die staatliche Anerkennung als Bischof
seiner früheren Diöcese wieder zu ertheilen. Die inzwischen gewon-
nenen Eindrücke haben die Regierung in dieser ueberzengung nur
bestärken können. Die bezugliche Bestimmung der kirchenpolitischen
Vorlage von 1880 hat desshalb in dem Art. 2. des gegenwärtigen
Entwurfes von Neuem Aufnahme gefunden.
Artikel 3. Um die Wiedereinführung einer pfarramtlichen Seel-
sorge, bezw. die Heranbildung der Kleriker zu erleichtern, bieten
sich folgende Mittel dar :
a) die Dispensation der Geistlichen von den Bedingungen der
Vorbildung,
b) die Dispensation der Lehrer an den kirchlichen Unterrichts-
anstalten von den Bedingungen der Vorbildung,
beides zusammengefasst im Artikel 3. des Entwurfs, welcher der Be-
stimmung unter Nr. 1 des Artikels 1. der Vorlage vom 19. Mai 1880
entspricht. Die Wiederaufnahme dieser Bestimmung rechtfertigt sich
durch die Erwägung, dass die fragliche Dispensationsbefugniss ein
wesentliches Mittel ist, uni die zur Zeit vorhandenen Lücken in dem
Bestände der mit, der Seelsorge betrauten Geistlichen auszufüllen
und dadurch einem anerkannt dringenden Bedürfnisse der katho-
lischen Bevölkerung thunlichst zu begegnen.
Artikel 4 und 5. /haben gleichfalls den Zweck, die Wiederher-
stellung der Seelsorge zu fördern.
Zu diesem Behuf schlägt zunächst Artikel 4, die Umgestaltung
des §. 16. des Gesetzes vom 11. Mai 1873 vor, welcher lautet:
Der Einspruch ist zulässig:
1. wenn dem Anzustellenden die gesetzlichen Erfordernisse zur
Bekleidung des geistlichen Amtes fehlen;
2. wenn der Anzustellende wegen eines Verbrechens oder Ver-
gehens, welches das deutsche Strafgesetzbuch mit Zuchthaus
oder mit dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte oder
dem Verluste der 'öffentlichen Aemter bedroht, verurtheilt
ist oder sich in Untersuchung befindet;
3. wenn gegen den Anzustellenden Tbatsachen vorliegen, welche
die Annahme rechtfertigen, dass derselbe den Staatsgesetzen,
oder den innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit erlassenen
198 Preu88. Qea. v. BL Mai 1882: Abänd, der kirchenpolU. Gesetze.
Anordnungen der Obrigkeit entgegenwirken oder den öffent-
lichen Frieden stören werde.
Die Thatsachen^ welche den Einspruch begründen; sind
anzugeben.
Qegen die Einspruchserklärung kann innerhalb 20 Tagen
bei dem Königlichen Gerichtshöfe für die kirchlichen Ange-
legenheiten und, so lange dessen Einsetzung nicht erfolgt
ist, bei dem Minister der geistlichen Angelegenheiten Be-
rufung eingelegt werden.
Die Entscheidung ist endgiltig.
Der Gesetzentwurf beabsichtigt in diesem Punkte zu der Re-
gierungsvorlage vom Jahre 1873 zurückzukehren, welche den be-
währten Bestimmungen in anderen Deutschen Staaten sich anschliesst
und insonderheit die Entscheidung über den Einspruch lediglich in
die Hand verantwortlicher Verwaltungsinstanzen legte. Diesen ge-
setzgeberischen bedanken gegenwärtig wieder aufzunehmen, erscheint
um so mehr angezeigt, als die über den Einspruch entscheidende
Behörde nicht nur an die thatsächliche Lage des Einzelfalles ge-
bunden sein darf, sondern bei ihren Entschliessungen eine freiere Be-
urtheiluDg nach Zeit und Ort, unter gleichmässiger Berücksichtigung
der staatlichen Interessen überhaupt, eintreten zu lassen hat.
Ist Artikel 4. dazu bestimmt, das Verfahren in Beziehung auf
die Pflight der geistlichen Oberen zur Benennung der anzustellenden
Geistlichen auf einer richtigeren Grundlage zu ordnen, so hat Art. -5.
den Zweck , in Beziehung auf den Umfang dieser Pflicht die Mög-
lichkeit von Erleichterungen zu schaffen, die ohne GeßLhrdung wesent-
licher Hechte des Staates gewährt werden können. Denn einerseits
wird der Grundsatz der Benennungspflicht bei allen festen Anstel-
lungen, sowie bei der Einrichtung von Vertretungen in erledigten
Aemtern festgehalten und damit ein Bechtszustand geschaffen, wie
er vordem in Preussen bestand und noch gegenwärtig in den meisten
deutschen Staaten sich in allseitig anerkannter Uebung befindet.
Wenn andererseits der Entwurf die Befreiung von der Benennungs-
pflicht hinsichtlich der Hilfsgeistlichen der Ermächtigung der Re-
gierung für bestimmte Bezirke vorbehält, so nöthigt dazu insbeson-
dere die Bücksicht, dass der Staat zur Sicherung seiner eigenen
Interessen sich die Möglichkeit vorbehalten mnss, nach Lage
der Umstände das obersthoheitliche Aufsichtsre'cht bezüglich
der Bestellung von Geistlichen in vollem Umfange zur Geltung zu
briügen. — Soweit der Ges.-Entwurf und seine »Motive.c
Wir fügen zur Vervollständigung des Materials noch die §§. 4
Preusa. Ges, v, 31. Mai 1882: Abänd. der kirchevpnlit, Gesetze. 199
und 11. des Gesetzes vom 11. Mai 1873 an, welche Art. 3. in dis-
cretionäre Vollmachten verwandelt:
§. 4. Zur Bekleidung eines geistlichen Amtes ist die Ab-
legung der Entlassungsprüfung auf einem deutschen Gymnasium, die
Zurücklegung ^ines dreijährigen theologischen - Studiums auf einer
deutschen Staatsuniversität, sowie die Ablegung einer wissenschaft-
lichen Staatsprüfung erforderlich.
§. 11. Zur Anstellung an einem Knabenseminare oder Knaben-
convicte ist die Befähigung zur entsprechenden Anstellung an einem
Preussischen Gymnasium, zur Anstellung an einer für die theolo-
gische wissenschaftliche Vorbildung bestimmten Anstalt die Befähi-
gung erforderlich , an einer deutschen Staatsuniversität in der Dis-
ciplin zu lehren, für welche die Anstellung erfolgt.
Kleriker und Predigtamtscandidaten müssen die für Geistliche
vorgeschriebene Vorbildung besitzen.
Dieselbe genügt zur Anstellung an den zur theologisch-prakti-
schen Vorbildung bestimmten Anstalten.
Die für »ausländische Geistlichec vorbehaltene Dispense bezieht
sich BrUf den §. 1. desselben Gesetzes, wonach ein geistliches Amt
nur einem »Deutschen ,< der die gesetzmässige Vorbildung hat und
dem' Einspruch der Regierung entgangen ist, Überträgen werden darf.
§. 10. erwähnt die Aemter »als Lehrer oder zur Wahrnehmung der
Disciplinc an »allen kirchlichen Anstalten, welche der Vorbildung
der Geistlichen dienen (Knabenseminare, Klericalseminare, Prediger-
und Priesterseminare, Convicte etc.)€
V. Das Gesetz vom 31. Mai 1882 und der Regier.-Entw. des-
selben führen noch lange keinen Friedensstand herbei. So manche
Bestimmungen der früheren Muigesetze, deren Bedenklichkeit früher
vom Begierungstische selbst zugestanden war, sind unverändert be-
lassen. Vor Allem ist noch immer stehen geblieben der »exorbitantec
StaaispericMshof für kirchliche Angelegenheiten , der Bischöfe und
Geistliche »absetzte und kirchlich abgesetzte wieder »einsetzt.c Es
besteht noch die Staatsaufsicht über. die Mrchliehen Lehranstalten^
auch über die Priesterseminare: in Unterricht, Lehrbücher, ja sogar
Gebete und gottesdienstliche Handlungen soll der Staat ändernd ein-
greifen dürfen. Noch immer kann ein Geistlicher wegen in der
Beichte verweigerter AbsottUion vor die Staatsgerichte gezogen wer-
den u. s. w. Und wann und wie werden die durch die früheren
3Iaigesetze der Kirche, dem Klerus und dem Volke zugefugten ma-
teriellen Schäden wieder gut gemacht werden?
VI. Nachschrift. Der Bundesrath beschloss endlich am 5. Juli
1882, zu der vom Beichstag beschlossenen Aufhebung des Ges. vom
4. Mai 1874 (s. o. S. 187 ff.) die verfassungsmässige Zt4stimmung
nicht m gewähren.
200
XI.
Das serbische Taxengesetz vom 3. April 1881.
(Vergl. Archiv, Bd. 47. S. 97—108.)
Dieser »Zakon o taksamac nmfasst in einem in der Belgrader
Staatsdruckerei 1881 erschienenen Abdrucke 31 SS. 8.
Der I. Theil enthält »allgemeine Bestimmungen über Taxen.€
In deutscher Uebersetzung lautet §. 1 : »Für Amtshandlungen der
Gerichts- , Administrativ- und der sonstigen Landesbehörden ^ ^ inso-
fern sie aus Anlass und über Bedürfniss von Privatpersonen erfolgen,
sollen an die Staatskassen Taxen gezahlt werden , wie dieselben im
Tarife des vierten Theiles dieses Gesetzes bestimmt sind.«
Der §. 3. zählt die Fälle auf, in welchen eine Befreiung von
der Taxenzahlung eintritt. Diese Befreiung erfolgt nach lU. c. »bei
Gesuchen, Klagen, und sonstigen Eingaben solcher Personen, welche
von dem zuständigen Gemeindegerichte ein Zeugniss beibringen, dass
*sie unvermögend sind die Taxen zu bezahlen. Die Zeugnisse selbst
sind taxfrei.« Taxfrei sind auch nach Ut. e. »schriftli^e Testaments«
v^rffignngen zu wohlthätigen Zwecken.«
Der III. Theil des Gesetzes enthält »Uebergangsbestimmungen.«
Der Art. 37. bestimmt: »Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Juni 1881
in Wirksamkeit.
Theil IV. enthält den Taxentarif und zwar A. allgemeine
Taxen ; B. Taxen nach den einzelnen Abtheilungen. Uüter der Rubrik
T^AUheüung des Ministeriums für CfMus- und hircMiche Angelegen^
heilen^ werden in dem Art 61—76. die Taxen aufgeaähU^ welche
von den GeisÜichen^ Consistorien und Prälaten (Archijereji) erhoben
werden. Diese (p, 21. des Taxengesetzes festgesetzten) Taxen sind
folgende :
61. In jedem Eheprocesse bei den geistlichen Eparchial- frcs. q,
Gerichtshöfen ..,.....'.....• 20 —
62. Im Falle des Appells gegen das Urtheil des Eparchial-
gerichts I. Instanz 10 —
1) Es liegt uns auch eine officielle »Sammlnng der Gesetze, V^ordnnngen
and sonstigen Verfügangen des Ministeriams für Coltas nnd kirchliche Ange-
legenheiten« f&r das Ednigr. Serbien vor, welche 1880 erschien (144 SS. 8.)
Wir werden demnächst das Wichtigere daraus in wörtlicher, deutscher Ueber-
setzung und minder Wichtiges im Auszuge in unsereni Arthiv mittheilen.
Serbisches Taxengesetz vom 3, April 18SL 201
fircs. c.
63. Bei Gesuchen der Fremden um Ehebewilligungen . 20 —
64. Bei Dispensen vom Aufgebote eutriehtet derjenige,
der keine volle Steuer zahlt, keine Taxen ; derjenige,
der die volle Steuer zahlt 20 —
und derjenige, der darüber zahlt 15 —
65. Für die Ehebewillignng nach erhaltenem bischöfliclien
Segen ........'.. 100 —
66. Für Auszüge aus den kirchlichen Begistern über Ge-
burten, Ehen und Todesfälle — 50
67. Für die Bestattungs-Ürkunde (Singjelia) bei der
prresterlichen Einweihung 20 —
68. Für den Erzpriester . . . . • . 50 —
69. Für die Würde eines Ordensgeistlichen (Monachen) 100 —
70. Für den Hieromonachen . , 150 —
71. Für den Diakon (Singjel.) 160 —
72. Für den Protodiakon (Protosingjel) 200 —
73. Für den Klostervorsteher 300 —
74. Für den Archimandriten 400 —
75. Für die Bischofswürde ........... 2000 —
76. Für die Erzbischofswürde 4000 —
Sehr umständlich ist die Unter fertigung des Taxengesetzes (p. 31.
des jcit. Druckes). Nach der Unterschrift des Königs M. M. Ohrenoviö^
folgt darunter zur Linken: »Gesehen, das . Staatssiegel beigedröckt
der Hüter des Staatssiegels Präsident des Ministerraths und Justiz-
minister M. 8. Firodanac.^ Sodann folgen darunter zur Rechten mit
Wiederholungen die. Namen der Minister und zwar heisst es da:
Präsident des Ministerraths und Justizminister M. 8. Piroöanac;
Kriegsminister, Ehrenadjutant Sr. Hochwol. General M. Leschjnan;
Minister für Cultus- und kirchliche Angelegenheiten 8t. NovakoM^^;
Minister der äusseren Angelegenheiten Ced. Mijatovic^); Minister
des Innern M. Onr alanin; Bautenminister J. P. Gudovii; Leiter
des Finanzministeriums Ced. Mijatovi6.
Die Art. 61—76. des Taxengesetzes haben, zu dem Conflicte
zwischen dem Metropoliten Michaelo und dem CultuSminister resp.
der Regierung geführt, dessen Akten und Verlauf wir bereits im
Archiv Bd. 47. S. 97 flF. mittheilten. Der Metropolit widersetzte
1) Ehem. Prof. der serb. Sprache und Literatur, bekannt als Literar-
historikeir. ,
2) Bekannt als Bomanschriftsteller.
202 Serbisches Taxengesetz vom 3. April 1882.
sich jenen Bestimmungen des Gesetzes, welche, er als den kirch-
lichen Canonen zuwiderlaufend und simonistisch erklärte. Aber es
mischten sich auch politische Motive in den Streit hinein. Der
Metropolit wurde durch die Regierung von der Verwaltung der-
Kirche entfernt. Ein durch seine Intelligenz und Stellung mit den
Verhältnissen in Serbien sehr vertrauter Freund schreibt uns von
dort : »Nach meiner tiefsten Ueberzeugung ist der ganze Conflict
muthwillig hervorgerufen worden und hat einen unhaltbaren Zu-
stand in der Kirche geschaffen, der mit der Zerstörung der kirch-
lichen Organisation oder mit der Demäthigung der Staatsgewalt
enden kann.c
203
XII.
Von der neuen Auflage des Freiburger KirohenlexikonsO
liegt bereits der aus 11 Heften bestehende Band 1. (VIII. und
2110 Sp. gr. 8.) und vom Band 2. liegen bereits zwei weitere Hefte
(Spalte 1—384) vor. Die erste aus 12 Bdn. und einem Register-
bande bestehende, von den Profif. Weteer und Weite redigirte Auf-
lage erschien 1847—1854. Es folgte bald darauf protestantischer-
seits Prof. Dr. Herzoges Real-Encyklopädie für protest. Theologie
und Kirche in 21. Bdn. und einem Registerbande, Stuttgart und Ham-
burg 1854—1868. Welche Art von Erdichtungen und welche Art
von protestantischer Polemik man in dieser protestantischen Real-
Encyklopädie gegen die katholische Kirche vorbrachte und wie man
dabei aber zugleich zahlreiche Artikel aus dem Preiburger Kirchen-
lexikon mit den zufälligen Druckfehlern, nur mit Weglassung pro-
testantischerseits unbequemer Daten und Ausführungen mehr oder
weniger wörtlich abschrieb, — darüber vgl. man das (zugleich des
protestantischen Geheimen Kirchenrathes Professors Dr. Karl Hase
»Protestantische Polemik gegen die katholische KircTie«) trefflich
beleuchtende Cap. 17. (S. 148—168) der lesenswerthen, gelehrt und
gewlindt geschriebenen Schrift * Protestantische Polemik gegen die
kathol. Kirche, Populäre Skizzen und Studien von Heinrich von der
C?awa, « (Preiburg i. Br., Herder'sche Verlagshandlung 1874, VIII
u. 168 SS. 8).
Von der protest. Real-Encyklopädie wurde 1878 (Leipzig 1878,
J. C. Hinrichs) eine 2. verbesserte und vermehrte Auflage von den
Professoren Herzog und Plitt begonnen und liegen bereits 4 Bände
davon vor. Eine neue Auflage des Fteiburger Kirchenlexikons wurde
bereits seit zwanzig Jahren geplant. Die ersten Vorarbeiten und
einen Nomenciator dafür besorgte Dr. Weiss und nach dessen Jlin-
tritt in den Predigerorden übernahm der als Kirchenhistoriker und
Canonist und durch die vielseitigsten Kenntnisse auf theologischem Ge-
1) Der vollständige Titel ist: Wetzer und Weite' 8 Kirchenlexikon oder
Encyclöpädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften. Zweite
Aaflage in nener Bearbeitung, unter Mitwirkung vieler katholischen Gelehrten
begonnen von Joseph Cardinal HergenrötheVt fortgesetzt von Dr. Franz
Kaulen, Prof. der Theologie zu Bonn. Mit Approbation des Hochwürd. Capitels-
Vicariats von Freiburg. Freiburg im Breisgau 1380 ff. Herder*sche Verlags*
handlung. (Der Bd. ist auf 10—12 Hefte a 1 Mk. berechnet.)
204 Hergenröther-Kaulen Kirchenlexifton 2. Aufl.
biete hervorragende Würzburger Professor Dr. Jos. Hergenrother die
Redaction. Nachdem dieser bereits Vieles weiter vorbereitet und ge-
fördert hatte, musste er in Folge seiner Erhebung zum Cardinal
schon vor Beginn des Druckes die Redaction niederlegen und auf
seine Veranlassung übernahm dieselbe dann der als gediegener theo-
logischer Schriftsteller bekannte Bonner Prof. Dr. Franz Kaulen,
dem als Gehilfe Herr Dr. theol. Streber zur Seite steht und ausser-
dem ein Mitarbeiterkreis von mehr als drittehalbhundert älteren und
jüngeren, grösstentheils bereits bekannteren Schriftstellern aus den
theologischen und verwandten Fächern.
Die erste Auflage des Freiburger Eirchenlexikons enthielt im
ersten Bande auf 952 Seiten etwas kleineren Formates in etwas
grösserem Drucke in ganzen Zeilen mit durchlaufender Schrift die
Artikel: Aaron — Bibelübersetzung. In der neuen Auflage ist jede
Seite in zwei Spalten eingetheilt, etwas kleinerer, aber doch gut
leserlicher Druck gewählt und auf 2110 Spalten in etwas grösserem
Formate sind im Bd. 1. jetzt die Artikel Aachen-Basemath ent-
halten. (Die bereits vorliegenden Hefte 12 und 13. vom Bd. 2. um?
fassen auf 384 Spalten die Artikel Basilianer bis Benno H.). Obschon
manche minder wichtige Namen und Bezeichnungen nicht mehr durch
einen besonderen Artikel vertreten sind, enthält doch bereits Bd. 1.
der 1. Auflage an 400 ganz neue Artikel. Die schon in der 1. Aufl.
enthaltenen sind durchweg entweder von ihrem ursprünglichen Ver-
fasser oder von einem neuen Bearbeiter ergänzt und verbessert oder
durch eine ganz neue Bearbeitung ersetzt worden. Wenn schon die
erste Auflage als ein gediegenes Werk, aus welchem man sich rasch
über alle Zweige der theologischen Wissenschaft Belehrung verschaffen
konnte, verdiente Anerkennung in den weitesten Kreisen gefunden
hat, so verdient nach dem Vorliegenden zu schliessen diese zweite
Auflage eine noch weit grössere Anerkennung. An längeren und
kürzeren kirchenrechtlichen oder zugleich für das Kirchenrecbt wich-
tigere Artikel finden wir im Bd. 1. 163 und weitere 14 im Hett 12
und 13. In diesen canonistischen Artikeln sind als Mitarbeiter ver-
treten: Alberdingk-Thijm , Bach, Bauer, fBörlage, Braun, Braun-
müller, Brischar, Brück, fBuss, Diendorfer, f Ebert, Fehr, f Flosa,
f Fritz, Funk, Gerlach, Grammer, Grisar, f Häusle, Hefele, Cardinal
Hergenrother, Phil. Hergenrother, Heuser, Höfler, fHolzwarth,
Hundhausen, Jeiler, Jungmann Kaulen, Kober, Korap, König, Kössing,-
Kreutzwald, f Küpper, Laurin, fie Lorenzi, f^rhr. Moy, Müller,
Neher, Pastor,, f Permaneder, Probst, Renninger, Beumont, Scheeben,
Scherer, f Schlösser, Aloys und Otto Schmid, Schneemann, Schwane,
Seidl, Simar, Spillmann, Stahl, Stein, Streber, fThalhofer, Thiel,
Vering, de Waal, fWandinger, Weber, Weiss, f Wetzer, Wildt,
Will, Wittmann, Woker; ausserdem ein Anonymus T. mit dem Art.
Evangel. Allianz und der f Prot. H(ildenbrand) mit dem Art. Basiliken.
Wir w<dlen in den folgenden Heften des Archivs die canonistischen
Artikel des Kirchenlexikons im Vergleich mit denen der Herzog'schen
Encykl. näher besprechen.
205
Xill.
Literatur.
i. Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutsch-
land von Dr. Patd MnschiuSf ord, Prof. der Reckte an der
ünivers. Berlin, Bd. 3. IL Hälfte, Berlin^ J, Outtentag
(D. CoUin), 1882. S. 325—668. Lex, 8.
Auch diese von den allgemeinen und Pärtikular-Synoden han-
delnde Fortsetzung (s. über die früheren Theile Archiv Bd. 23, S.
182, Bd. 24. S. 14L, Bd. 27 S. 180, Bd. 41. S. 192, Bd. 45, S.
350 f.) gibt Zengniss von grosser Bolesenheit und gelehrtem Ein-
gehen in Einzelheiten. Dass der Verfasser nicht Katholik ist, tritt
auch in dieser Abtheilnng entschieden zu Tage. Am Interessantesten
ist jedenfalls die gründliche Aburtheilung der sg. altkatholischen
Bestrebungen und Behauptungen sowohl in der geschichtlichen Er-
örterung über die aÜg. Concilien (§. 169 f.) , als auch insbesondere
bei der Betrachtung des Vatic. Concils (§. 172 Nr. VIII. und §. 179).
Hinschius unterwirft die von »altkatholischerc Seite, namentlich von
Döllinger und Schulte vorgebrachten Gründe, weshalb die Beschlüsse
des Vatic. Concils ungültig sein sollten; einer vernichtenden Kritik.
Er untersucht namentlich, ob das Concil, wie die »Altkatholiken«
behaupteten^ ein unfreies gewesen sei, und trotzdem er den factischen
•Angaben jener Glauben schenkt, findet er dennoch, dass von einem
»rechtlich relevanten Zwange« nicht die Rede sein könne. Während
Döllinger und Schulte behaupteten, dass die auf dem Concil versam-
melten Bischöfe den Glauben im Wege . des Zeugnisses und zwar
eines eimtimmig^ nicht durch blossen Mehrheitsbeschluss bekundeten
Zeugnisses festzustellen hätten, führt Hinschius dagegen aus, dass
die Functionen der Bischöfe auf den älteren Concilien darin bestanden
haben, »dass sie eine urtheüende Thätigkeit darüber geübt haben, waa
entsprechend der christlichen Lehre zum Dogma erhoben werden
könne und dürfe und dabei auch neue Dogmen als Consequenzen der
bisher geglaubten und gelehrten Sätze festgestellt haben.« Hinschius
gelangt nach einer längeren Ausführung zu dem Besultate: »Die
Lehre, dass auf den allgemeinen Concilien in Glaubenssachen Ma-
joritäts-Entscheidungen ausgeschlossen seien, und in solchen Ein-
stimmigkeit erfordert werde^ erscheint, auf ihr historisches Fundament
geprüft, unhaltb^ir. Ebenso wenig aber lässt sie sich vom Stand-
punkte der kath. Kirche innerlich und ans der Natur der Sache'be-
gründen. Auch der Versuch Prof. Dr. v* Schulte's, aus einer Anzahl
206 idteratur: UinachiuSj kirchenrecht IL ^.
angeblicher Mängel der auf dem Concil befolgten Geschäftsordnung
die Nichtigkeit der Glaubensdecrete herzuleiten, wird von Hinschius
gründlich widerlegt. »Thatsächlich ist,« so sagt H., »auch die Mög-
lichkeit einer ausreichenden Discussiou in Betreff des Schemas der
constitutio de fide catholica und der constit. prima de ecclesia Christi
gewährt worden und die Majorität hat insbesondere bei der Ver-
handlung über das letztere ihre Macht durch unzeitige Durchsetzung
des Schlusses der Debatte nicht roissbraucht. Trotz aller beengen-
den Vorschriften ... hat die Geschäftsordnung eine eingehende Ver-
handlung der Vorlagen nicht ausgeschlossen, und der Fundamental-
satz, dass den Mitgliedern Zeit zur Prüfung solcher gegeben, sowie
eine ausweichende Debatte zugestanden werden müsse, erscheint nicht
verletzt . . . Abgesehen von allen diesen Erwägungen kommt aber
noch in Betracht, dass die Majorität gegen die Bestimmungen der
Geschäftsordnung keine Einwendung erhoben, und dass die Minorität
zwar sowohl gegen die erste als gegen die zweite protestirt, sich in-
dessen thatsäcfalich gefügt und an den Verhandlungen Theil genom-
men hat. Unter diesen Umständen hat also die Geschäftsordnung
eine allseitige thatsächlicbe Anerkennung gefunden . . .« Auch be-
merkt H., die Geschäftsordnung habe keinen der Bischöfe gehindert,
falls er die Vorlagen nicht genügend vorbereitet und sich selbst nicht
für hinreichend informirt hielt, dieselben aus diesen Gründen durcfi
ein »Non placet« abzulehnen. H. erkennt auch an, dass das Unfehl-
barkeitsdogma nur eine Consequenz der bisher schon von der Kirche
hinsichtlich des Primats anerkannten Grundsätze äei. Er erklärt:
»Mit demselben Rechte, mit welchem die katholische Kirche aus
Matthäus XVI. 18 ff., Joh..XXI. 15—17. den Primat des Papstes
herleitet, kann sie aus diesen Stellen und aus Luk. XZII. 31 ff. auch
die UnfeMbarkeü folgern. c
3. De impedimentis matrimonium dirimentihus ac de processu ju'
diciali in eausis mcUrimonialibm notiones et disceptationes ca-
nonicae ad usum praesertim ecclesiasticorum judicum et pa-
rochorum tum öccidentalis tum orientalis eccUsiae cum appendice
documerUorum studio Josephi Mansella^ jur. utr. doct. s. G. de
Propaganda fide pro rituum o$'ient. negotiis officialis. apost cane,
sub'Summistae. Bomae. Ex typographia polyglote 1881. IX
et 445 p.
3. Compendium des kath. Eherechtes von J. M, /S., ehern, Frof, de&
Kirchenr. Marburg^ Verl. des fürstb. Seminars^, 1882. 150 88.
Mansella's Schrift ist im Verhältniss zu den lateinischen Schriften
von Bangen (Archiv Bd. 4. S. 286, 467; Bd. 5. S. 77 ;^ Bd. 6. S. 484)
ManseUot de imped. mair,; J. itf. 5. Comp, des kherechtesu 207
und Feiß (Archiv Bd. 33. S. 383), ebenso wie im Verhältniss zu den
grösstentheils oder ganz deutsch geschriebenen Ehereehten von Knopp,
Kutschker^ Schulte und Weber sehr dürftig, enthält in der Haupt-
sache nichts Neues oder besser Dargestelltes, als es bereits in älteren
Schriften zu finden ist. Die gelegentliche Berücksichtigung des
Eherechtes der unirten Orientalen ist auch nur eine sehr dürftige,
blos auf Papp. SeilagyVs Enchiridion juris ecci. orienta cathol.
und die Maronitische Provincialsynode von 1736 gestützte. Bezüg-
lich der Orte, wo das Tridentiuische Eheschliessungsdecret als sol-
ches publicirt ist« wiederholt Mansella die ganz ungenügende Ueber-
sicht aus Perrone De Matrimonio lib. 2. Einen grossen Raum nehmen
vier Begutachtungen von Ehenichtigkeitsprocessen ein , über welche
der Verfasser in früheren Jahren als Advocät bei der Congr. Conc.
seine Meinung mit abgegeben hatte, sehr breit gehaltene Gutachten,
welche iii keiner Weise irgend welche neue Gesichtspunkte über die
betreiSende Materie eröffnen. Das ganze Werk ist weder theoretisch,
noch praktisch von itgend welcher Bedeutung.
Durch eine einfache verständliche Darstellung zeichnet sich das
Compendium des kath. Eherechtes aus, welches der ehern: Prof. des
Eirchenr. im Priesterseminar zu Marburg herausgegeben hat. Es
ist .das CoUegienheft des uns dem Namen nach nicht bekannten
emeritirten Verfassers , d^r auf dem Titelblatte seinen Namen nlir
mit dem Anfangsbuchstabeü bezeichnet und nun aut mehrfach
geäusserten Wunsch sein CoUegienheft dem Druck übergeben hat,
damit es Studirenden und Seelsorgern zu einiger Orientirung diene.
Im Wesentlichen an der Hand der Anweisung aber mit Rücksicht
auf das österr. .bürgerliche Recht ist darin Eherecht und Eheprocess
abgehandelt.
4. De matrimoniis miodis, Scripsit Augustinus de Roskoväny,
episc. Nitriensis. Tom. VII. Monumenta et literaturam usque
a. 1881 item repertorium in VIL tomos complectens. Nitriae
1882. Typis Ed. SchempecJc & 8t. Huszär. XVIII ei 700p.
5. Matrimonium in ecdesia catholica potestati eeclesi(isticae suitjec-
tum. Cum amplissima collectione monumentorum et literatura.
Auetore Augustino de Boshoväny^ epist. Nitriensi. Tom. IV.
Monumenta et literaturam u. a. 1881 item repertorium com-
plectens. Nitriae 1882. Typis Ed. Schempek & St. Huszdr.
XX et 738.p. •
Excell. Bischof. Roskov&ny gibt im Bd. 7. seines reichhaltigen
Sammelwerkes De matrimoniis mixtis 103 Aktenstücke und die Mit-
theilung von 216 literarischen Werken und zwar theils Nachträge
20d Literatur: tloskoväny, t)e malr. mixtis; Matr, in ecdes. cathot.
aus dem 17.— 19. Jahrb. zu den früheren Bänden, theils im An-
schlags an den Band 6, welcher mit dem J. 1875 abschloss, Akten
und Schriften aus den J. 1876—1881. Alle Länder der Welt sind
hier wieder vertreten und auch manche nur in engeren Kreisen be-
kannte Aktenstacke werden da mitgetheilt, so namentlich auch die
(neuestens allerdings auch im Archiv Bd. 47. S. 464 mitgetheilten)
ungarischen Aktenstücke über die gemischten Ehen. S. 376 — 700
ist ein ausführliches Inhaltsverzeichniss über alle sieben Bände ge-
geben.
Der Bd. 4. der Monumenta über das »Matrimonium in ecclesia
cathol. potestati ecclesiasticae subjectum« enthält 21 Aktenstücke
aus den J. 160*4.— 1875 als Nachträge zu den früheren Bänden und
41 aus der Zeit v. J. 1875-*1881 ; ausserdem Nachträge zu der den
früheren Bänden enthaltenen Literatur aus dem 18. und 19. Jahrb.
bis 1875 und die Literatur von 1876 — 1881. Beiläufig bemerkt, er-
wähnt Bisehof Boskoväuy (p. 542), dass er mit Verwunderung in
Dr. GrünwaU's Eheschliessuug (vgl. Archiv Bd. 47. S. 342 ff.) sich
auch als »geistreichen Bearbeiter^ des protest. Eherechts erwähnt
finde und dass demnach die blos über das kathol. Eherecht handeln-
den Werke Boskoväny 's dem Herrn Dr. Grünwald gänzlich unbe-
kannt seien. S. 544^-738 des 4. Bd. de matrimonio bildet ein ein-
gehendes Sach-Register zu allen bisherigen vier -Bänden. Es wird
kaum Jemand, der sich zur Aufgabe macht, alle Aktenstücke und
Literatur über das Eherecht zu sammeln, nicht doch das eine oder
andere oder auch eine grössere Zahl von Aktenstücken und literari-
schen Nach Weisungen bei Boskoväny finden, die ihm sonst wohl^anz
unbekannt geblieben sein würden.
6. Kirchengeschichtliches in chronologischer Reihenfolge von der
Zeit des Vaticanischen Goncüs bis auf unsere Tage, Mit Be-
rücksicktigting der hirchenpolitischen Wirren. ZusamfnengestelU
von Dr, Herrn, Rolfus. Fortges. von Conrad Sickinger, Dritter
Band. Erste Lief, Das Jahr 1Q75. Maine, Kupferberg, 1882.
VII t«. 256 SS.
In raschiBr Folge (vgl. Archiv Bd. 47. S. 349 f.) erhalten wir
hier die das Jahr 1875 in chronologischer Folge in seinen kirchlich-
politischen Ereignissen darstellende erste Lieferung des dritten Bandes
der reichhaltigen Sammlung. Es sind in dieser Lieferung auch nicht
weniger als 33 Aktenstücke vollständig abgedruckt, von denen die
weitaus meisten wieder den preussischen Culturkampf betreffen. Je-
doch sind in dem Werke auch ferner nicht blos die Vorgänge in ganz
Deutschland und Oesterreich, sondern die des ganzen Erdkreises na-
bchsenhfAn, Tnquis.-Process wid, die Waldenaer in Freib, ». d, Schw. 209
menflich die von Italien, Frankreich und Russland zusammengestellt,
meistens nach den Berichten der Germania. Vering.
7. Aus dem schweizerischen, Volksleben des 15, Jahrhunderts. Der
Inquisüionsprocess wider die WaMenser zu Freiburg i, U. im
Jahre 1430 nach den Akten dargestellt von Gottl. JFViedr.
Ochsenbein, gew. ref. Pfarrer zu Freiburg. Bern, Verlag
Dalp'sche Buchhandlung, 1881. 8. 410.
Das Material der Inquisition, welches bisher zumeist aus Spanien
entlehnt wurde, ist für die zahlreichen protestantischen Geschichts-
forscher der Gegenwart nicht mehr zureichend ; desshalb müssen
abermals die alten Eatharer- und Waldenserprocesse aus dem Staube
vergessener Archive heraufbeschworen werden, um doch ebenfalls ihr
Schärflein zu dem von der Tagesordnung noch nicht abgesetzten
Culturkampfe beizutragen. Nachdem der Verfasser in der »Vorbe-
merkung« so wie in der etwas misslungenen Allegorie vom »ge-
frornen Wasser« der religiösen Systeme (S. 3.) seinen exclusiv pro-
testantischen Standpunkt ganz unzweifelhaft gekennzeichnet, glaubt
derselbe zur Orientirung für den weiteren Leserkreis einen Ueber-
blick des Sektenwesens im Mittelalter vorausschicken zu müssen,
wobei insbesondere die Eatharer, Waldenser und Albigenser berück-
sichtiget werden ; auf die Verbindung der Waldenser mit den böhmi-
schen Brüdern (die hier irrthümlich mit den Hussiten identifizirt
worden) ist ein allzu grosses Gewicht gelegt, wie es der Geschichte
keineswegs entspricht. Hierauf folgen die Akten der 3 zu Freiburg
stattgehabten Processe gegen die Waldenser, nämlich aus dem Jahre
1399, 1429 und 1430, wovon der letzte am ausführlichsten geschil-
dert wird. Die ProtocoUe erscheinen hier in deutscher Uebersetzung
("die Originale sind lateinisch, ein kleiner Theil im freiburgischen
Patois geschrieben) und zwar nur zum Theile wörtlich, sonst blos
im Auszuge, begleitet von Einstreuungen des Verfassers obiger Schrift.
Das Resultat des dreifachen Processes ist keineswegs darnach ange-
than, die blutdürstigen Erwartungen mancher Gegner der katholi-
schen Kirche zu befriedigen. Denn es endet der erste Process mit
Freisprechung des Angeklagten (S. 124); im zweiten Processe wur-
den einige Geldbussen auferlegt und sollen zwei Menschen zum
Feuertode veturtheilt worden sein (S. 170). Der dritte Process end-
lich, welchen der Verfasser theatermässig in 3 Akten zur Darstel-
lung bringt und demselben mit wahrem Huronen-Huraor einige
»Galatage« einschaltet, endigt mit der Verurtheilung einiger Ange-
klagten zum Kerker, Güterconfiscation und öffentlichen Busswerken
(S. 238 — 298). Der dogmatische Kern der Arbeit liegt darin, dass
Archiv für Kirchemrecht XLVin. 14
210 tdteratur: Journal du Presbytkre.
der Verfasser die Waldenser zu Vorläufern der Reformation stempelt
(S. 382 ff.). Für den Geschichtsforscher dürfte unser Buch kaum
irgend welche nennenswerthen Resultate und Entdeckungen von bis-'
her unbekannten Thatsachen aufweisen. Dass der Verfasser nicht
blos im Allgemeinen die bekannten Fusstritte der katholischen Kirche
zu versetzen pflegt, sondern von der Inquisition durch ein nicht mehr
ungewöhnliches Saltomortale sogar auf die Infallibilität überspringt,
gehört lieutigen Tages so. sehr zur Mode und zum Charakter eines
protestantischen Geschichtschreibers, dass wir uns .nur hätten ver-
wundern müssen, wenn der reformirte H. Pfarrer es über sich ge-
bracht hätte, in diese schon recht breit ausgetretenen Fusstapfen
sovieler Vorgänger nicht hineinzutreten.
Prag. Prof. Dr. Borovy.
8. Journal du Preshytere, Paris 1882. (2, Passage des Petits^
Peres,) VL Anee.
Die im Archiv Bd. 47. S. 476 als wiedererstanden angekündigte
Correspondence de Rome ist bereits Mitte Mai wieder eingegangen
und es wird den Abonnenten dafür als Ersatz das ganz gleichartige,
im 6. Jahre erscheinende Sonntagsblatt: »Journal du Presbytere«
dargeboten. (Preis 10 Frcs. jährlich, wozu in Oesterreich ein 2kr.
Stempel für jede Nr. hinzukommt.) An der Spitze dieses Spnntags-
blattes stehen in chronologischer Folge die neuesten Erlasse des
Papstes und der päpstlichen Behörden in französischer üebersetzung,
selten wie z. B. der päpstliche Erlass über die Reform des Basilianer-
ordens in Qalizien in der Nr. vom 21. Mai 1882 geschah, im la-
teinischen Originaltext und zugleich in französischer üebersetzung.
Den übrigen Inhalt des Journ. du Presb. bilden eine kirchenpolitische
Wochenübersicht, die Mittheilung wichtiger Kundgebungen des franz.
Episcopats und überhaupt kircliliche und kirchenpolitische Nach-
richten und Correspondenzen.
Vering.
211
XIV.
Kleine Mittheilungen.
1, Die Umwandlung der episcopi in partibus infidelium in Titular-
hischöfe. Das päpstliche Jahrbuch »La Gerarchia catholicac für 1882 fahrt,
wie wir der Köln. Volksztg. 1882 Nr. 90 III. Bl. Corr. aus Born vom 26. März
entnehmen, keine Bischofssitze in partibus itifidelium mehr auf. Bisher
wurde bekanntlich diese Bezeichnung den Namen derjenigen Bisthümer beige-
setzt, welche in den ersten christlichen Jahrhunderten gegründet, später aber
durch die Ausbreitung des Muhamedanismus zerstört waren. In neuerer und
neuester Zeit sind aber manche Landstriche in Europa wie in Asien vom türki-
schen Beiche getrennt worden und an Staaten gekommen, deren Eegiemngen
und Bevölkerungen sich zwar nicht zur rom.-kathol. Kirche, aber doch zum
Ghristenthum bekennen, und desshalb nicht als Ungläubige (infideles) bezeich-
net werden können. Da aber die dort ehemals bestandenen Diöcesen noch nicht
wieder hergestellt werden können , und andererseits die katholische Kirche auf
Erhaltung der Tradition bedacht ist, so hat der h. Vater auf Vorschlag der
Propaganda-Congregation die Anordnung getroffen, dass fortan überhaupt die
Bezeichnung »Bischof in part. infid.« durch das Prädicat »Titularbischof« er-
setzt werde, gleichviel ob der Ort des betreffenden Bischofssitzes in einem von
Muselmännern oder von Christen beherrschten Lande liegt. Die wirklichen
Bisthümer dagegen werden im Jahrbuche nach wie vor als »Besidentialsitze«
aufgeführt.
2. Das Exequatur und die italienische Regierung, Ein für die
kirchenfeindliche Haltung des jetzigen italienischen Ministeriums höchst
charakteristisches Document publicirte der »Corriere di Torino.c Dasselbe ist,
wie die Germania Nr. 196 vom 1. Mai 1882 berichtete, auch ein Beitrag zur
Illustration des von den Itallianissimi eingeführten Exequaturs* Das Exe-
quatur ist die Zustimmung der Begierung zu der Ernennung der Bischöfe durch
den Papst und ohne dieselbe gelangen die Bischöfe weder in den Besitz ihrer
Einkünfte, npch in den ihrer Palais, wenngleich ihnen in Bezug auf die Leitung
der Diöcesen, einen oder zwei Fälle abgerechnet, bisher keine Schwierigkeiten
bereitet wurden. Immerhin bringt die Nichtertheilung des Exequaturs zahl-
reiche Plackereien für die Bischöfe mit sich, die ihnen eine normale Verwaltung
der Diöcesen äusserst erschweren. Aus diesem Grunde hat denn auch der h.
Stuhl den. Bischöfen im Jahre 1877 die Nachsuchung desselben im Interesse der
Gläubigen gestattet. (VgL Archiv Bd. 38. S. 30 ff.)
Um nun auf den speciellen Fall zurückzukommen, so hat bekanntlich der
Erzbischof von Bologna^ Cardinal Parocchi, jüngst auf seine Diöcese re-
signirt und residirt jetzt mit Zustimmung des h. Vaters zu Bom. Cardinal
Parocchi wurde zum Bischof von Bologna vor mehr als 2 Jahren ernannt und
suchte sofort bei der Begierung das Exequatur nach. Er erhielt es nicht. Der
angesehene Senator Pepoli, der vor einigen Jahren verstarb, verwendete sich
für den Cardinal höchsten Ortes vergebens, vergebens interpellirten auch Depu-
tirte den Minister in der Kammer. Der Minister versprach eine nochmalige
14*
212 Das Exequatur und die Uatieniache Regierung (188^),
Untersiichang des Falles nicht nur der Kammer, sondern auch dem Senator
Grafen Ldnaii, aber das Exequatur erhielt der Cardinal nicht und schliesslich
sah er sich im Interesse der Diöcesanen gßnöthigt, zu resigniren.
Angesichts dieses Factums publifärte nun der Senator Linati im »Cor. di
Torinoc ein vom 22. Januar 1882 datirtes und an den Juatizminister gerich-
tetes Sehreihen. In dem Ueberweisungsschreiben an die Bedaction drückt der
Senator, also ein Freund des einigen Italiens, seine Entrüstung über die Re-
gierung also aus: »Die dort (in meinem Schreiben an den Minister) berührten
Dinge bestärken in ihrer Meinung diejenigen, welche sofort aus vielen anderen
Proben schlössen, dass das Garantiegesetz für die Leiter der öffentlichen An-
gelegenheiten Wider einen gesetzlichen noch auch moralischen Werth
hat; bestärkt werden sich in ihrer Meinung diejenigen fühlen, welche glauben,
dass die siegreichen Parteien, mögen sie einen Titel führen, welchen sie wollen,
mögen sie Interessen zu vertheidigen vorgeben, welche sie wollen, keine anderen
Gesetze kennen, als die ihrer Interessen, kein anderes Recht, als das ihrer
Willkür, und keine andere Freiheit, als die, welche ihren Hass und ihre Lei-
denschaften befriedigt.c
In dem zwei Spalten füllenden Schreiben an den Minister erinnert Senator
Linati denselben daran, dass er ihm vor sechs Monaten eine nochmalige Unter-
suchung des Falles von Bologna zugesagt, und geht dann den Verlauf der
Sache durch. Der Erzbischof habe gesetzlich ernannt das Exequatur sofort
nachgesucht. Die Präfectur und die Stadtverwaltung voii Bologna hätten je-
doch erklärt, »das öffentliche Verhalten des Erzbischofes in Wort und That sei
ein derartiges, dass seine Installation zu Bologna Veranlassung zur Missstim-
mung und vielleicht za Unordnungen geben konnte.« Darauf habe der Staats-
rath das Exequatur nicht ertheilt.
In einem freien Lande, sagt der Senator dem Minister, sollten person-
liche Ansichten niemals ein Grund zur Ausschliessung von öffentlichen Aemtem
sein, und noch weniger von solchen Aemtem, in denen der Begierung gesetz-
lich keine Initiative zusteht. Auf die Missstimmung des Volkes darf angesichts
eines positiven Rechts, wie es die päpstliche Ernennung war, nicht Bücksicht
genommen werden, und zwar um so weniger, als der Erzbischof seit Langem
öffentlich sein Amt versah, ohne dass irgend ein Factum die Befürchtung
der Localbehörden rechtfertigte.
Einige Jahre später machte auf die Vorstellungen des Senators Pepoli
und die meinigen der damalige Justizminister das formelle Versprechen, das
Exequatur zu ertheilen, falls seit dem ersten Gesuch nichts Belastendes vorge-
kommen. ,Auf die Anfrage des Ministers erklärte der königliche Generalpro-
curator und die Präfectur, »gegen die Haltung des Erzbischofs sei nichts
einzuwenden und die Bevölkerung hänge an ihm,< und wenngleich die Stadt-
verwaltung anderer Meinung war, sprach sich der Staatsrath dieses Mal für
die Ertheilung des Exequatur aus. Trotzdem crtheilte der Minister dasselbe
nicht. Also, sagt der Senator, das schlechte Zeugniss der Behörden hat bei
Ihnen, Herr Minister, Werth, das gute ist werthlos. Und so spotten Sie der
Mitglieder des Parlaments? Welcher vernünftige Staatsmann kann dem gün-
stigen Votum der Regierungsorgame das Nachtheilige des Stadtrathes vor-
ziehen, der wohl für die materiellen, aber nicht über die moralischen und reli-
giösen Interessen der Stadt competent ist? »Eine Regierung kann nicht, ohne
sich zu erniedrigen, ihre öffentlichen Akte von dem bösen Wollen und der
Italienischer Mimst-ErL über das Exequatur (1S82), 213
Willkür Weniger abhängig machen. Sie kann nur zwei Normen haben : die
Wahrheit and das Gesetz.« Uncf welchen Nutzen, fährt der Senator fort, hatte
denn die Nichterhöruug des zweiten Gesuchs ? Handelte es sich um die Ein-
behaltung einiger Tausend Francs, oder um die Befriedigung des Hasses weniger
Gegner? War es weise, diese Schmach einem Bischof anzuthun, der ruhig seit
Jahren unter unserea Augen sein geistliches Amt ausübte ? War es weise, der
katholischen Welt eine weitere Probe sectirerischer Intoleranz zu geben
und die dem Papst gegebenen Garantien als illusorisch zu kennzeichnen?
War es weise, im gegenwärtigen Momente so zu handeln, wo die Regierung
sich bemühen sollte, dem Papst jeden Grund zu Klagen zu nehmen? »Nein,
Herr Minister, weder ein Nutzen, noch auch eine weise Politik rechtfertigen
den Bruch oder die weitere Verschleppung eines gegebenen Versprechens und
die Erfüllung eines Aktes, der ebenso gerecht, als klug und durch legale Do-
cumente gerechtfertigt dem Geiste des Gesetzes entsprach und von der haus-
backenen Klugheit empfohlen wurde.«
»Ich zw;eifle nicht, dass Sie schliesslich das Recht des Erzbischofs aner-
kennen, dass es sich schliesslich zeigen wird, wie die Regierung des Königs sich
über den elenden Parteihass zum wahren Wohl des Vaterlandes; zur Ehre
der vaterländischen Gesetze «rheben wird.«
So schrieb Senator Linati, ein eifriger Anhänger des einigen Italiens, im
Januar. Er hatte die culturkämpferischen und kirchenfeindlichen Tendenzen
der Minister nicht in Rechnung gezogen. Enttäuscht publicirte er'nun selbst
das erfolglose Schreiben. Aus jeder Zeile desselben spricht TJeberzeugung, aber
auch gerechte Entrüstung, Als Beitrag zur jüngsten Kirchenpolitik der Re-
gierung König Humbert's ist der Brief um so werthvoUer, als Linati ein be-
geisterter Anhänger des Monarchen ist.
Bezüglich der Ertheilung des Exequatur erging, wie verschiedene Blätter
in der zweiten Hälfte des April 1882 aus Rom meldeten, eine neue Verfügung
des Ministers für Justiz und Cultus Zarnadelli im Einverständnisse mit den
übrigen Ministem. Darin wird erstens verlangt, dass für alle diejenigen Bischofs-
sitze, auf welche die italienische Krone als Rechtsnachfolgerin der früheren
Landesherren Patrouatsrechte beansprucht, vor der Präconisation eines neuen
Bischofs die kgl. Ernennung des Betreffenden nachgesucht werde. Zweitens soll
von den neuen Bischöfen der übrigen Diöcesen, auf welche die Regierung keine
Patrouatsrechte erbebt, das kgl. Exequatur vor ihrem Amtsantritte nachgesucht
werden, und es wird in dem besagten Schriftstücke strenge betont, dass, wo-
fern ein neuer Bischof einen Hirtenbrief erlasse oder von seinem Sprengel Be-
sitz ergreife, oder sonst eine Amtshandlung vornehme, ohne vorherg^legangene
staatliche Anerkennung, diese ihm in Zukunft unerbittlich verweigert werden
soll. Als Motiv für diese Verschärfung der bisherigen Bestimmungen gibt der
Minister das feindselige Verhalten an, welches der Papst in letzterer Zeit deni
Königreiche Italien gegenüber beobachtet habe. Wenn wir aber die Regierungs-
handlungen Leo's XIII. seit seinem Amtsantritte betrachten, so finden wir, dass
er stets aufs Sorgfaltigste Alles vermieden hat, was zu neuen Reibungen zwi- -^
sehen der Kirche und den Staatsbehörden Anlass oder auch nur Vorwand bitten
könnte. Die Rechte der Kirche und des h. Stuhles zu wahren, wegen der Hin-
dernisse, die ihm und den Bischöfen bei Ausübung ihres oberhirtlichen Amtes
von der italienischen Regierung in den Weg gelegt werden, vor Gott und der
Welt feierlich zu protestiren, das "war ihm Gewissenspflicht; aber im «Uebrigen
214 Aniirel. Lehrercongr, in Mailand (1881). — Das Edict r. Tegemsee.
hat er stets das grdsste Entgegenkommen gezeigt and ist in seinen Concessionen
bis zu den änssersten Grenzen des Möglichen gegangen. Und nnn wird ihm so
dafür gelohnt von denselben Leaten, die den Grundsatz aufstellen : »Freie Kirche
im freien Staate.« Ein Bischof ohne Exequatur ist in der Unmöglichkeit, seine
Diöcese zu verwalten; denn er entbehrt nicht nur die Temporalien, sondern er
kann auch keine Ernennung zu einem Pfarramte oder sonstigen Beneficium vor-
nehmen, weil alles Besitzthum der vacanten Beneficien vom Staate verwaltet
und nur dann an die neuen Inhaber derselben verabfolgt wird, wenn diese eine
Ernennungsurkunde von euiem staatlich anerkannten Oberen vorlegen. Bisher
hatte die Regierung sieh damit begntlgt, dass die Bischöfe ihre Ernennung an-
zeigten, und schon vor dem Eintreffen der staatlichen Anerkennung ihr Amt
antraten; denn nur in einzelnen Ausnahmefällen wurde das Exequatur verwei-
gert. Fortan sieht der Papst sich aber durch die italienische Regierung auch
in seinem bisher geübten Rechte der freien Ernennung der Bischöfe behindert.
(Die betr. Klagen des Papstes in d. Alloc. v. 3. Juli 1882 s. im folgenden Hefte.
S. Ein antireligiöser Lehrercongress in Italien, In Mailand tagte
im October 1881 ein pädagogischer Congress, Zu demselben waren, wie
man der Köln. Volksztg. vom 12. Oct. 1881 Nr, 282 I. Bl. meldete. Lehrer und
Lehrerinnen aus ganz Italien erschienen. Der Unterrichtsminister Bacelli hatte
dem Congress u. A. auch folgende Frage vorlegen lassen: Ist es passend, den
Religionstmterricht in dem Lehrplane der Elementarschulen beizubehalten?
Eine christliche Lehrerin hatte den anerkennenswerthen Muth , diese Frage zu
bejahen , indem sie den heilsamen Einfluss der Religion auf die Herzen der
Jugend hervorhob und den Nachweis lieferte, dass die Religion zu allen Zeiten
und bei allen Völkern die erste Grundlage des Unterrichtes der Jugend ge-
bildet habe. Die im Saale anwesenden Sectirer nahmen den Blick fest auf den
Unterrichtsminister gerichtet, welcher ebenfalls Zeichen der Missbilligung gab,
die muthigen Worten der christlichen Lehrerin mit Murren, Scharren mit den
Füssen und anderen Zeichen des Missfallens auf, worauf der Minister selbst das
Wort ergriff, um auszuführen, dass man die Elementarschüler zu guten Pa-<
trioten heranbilden und durch die Erfahrungs- Wissenschaft erziehen müsse. Die
Religion verlange von den Menschen blinden Glauben und blinde Unterwerfung,
während die Erfahrungs- Wissenschaft den Gebrauch der VerViunft verlange. Ein
constitutioneiler und liberaler Minister widerspricht also öffentlich einer christ-
lichen Frau, welche den Muth hat, die Rechte des Gewissens zu vertheidigen 1
4, Die bayerischen Kammern und das Edict von Tegernsee,
Der Referent der bayer. I. Kammer über den im Archiv Bd. 47. S. 351 Nr. 2 ge-
meldeten Beschluss der Abgeordnetenkammer, die Tegernseer Erklärung be-
treffend, Reichsrath Frhr. v, Schrenk schlug den Beitritt zu dem Beschlüsse
der II. Kammer vor.
Sein Bericht schloss mit folgenden Sätzen: Wenn der Antrag erbittet,
dass bei Auslegung und Anwendung von Bestimmungen der IL Verfassungs-
Beilage die Allerhöchste Entschliessung vom 15. September 1821 zur Richt-
schnur dienen möge, so bezweckt er etwas anderes nicht, als dass für An-
wendung solcher Bestimmungen des Edictes U, welche mit jenen des Concordats
sich nicht im Einklang befinden, die in den erwähnten höchsten Erlassen vor-
gezeichneten Auslegungsnormen als massgebend erachtet werden wollen. Eine
Bitte, Reiche sonach nur die Aufrechthaltung dessen im Auge hat, was von
der königl. Staatsregierung selbst wiederholt als der gegebenen Sachlage ange«
Die bayerische I. Kammer und das Edict von Tegernsee (18S2). 215
messen bezeicbn^ worden ist« kann als eine unzulässige oder irgendwie be-
denkliche nicht bezeichnet werden, und es wird, wenn dies zugestanden ist,
sich nur noch um die Frage handeln, ob Anlass gegeben sei, eine derartige
Bitte zu stellen. Der Herr Staatsminister des Innern für Kirchen- und Schul-
Angelegenheiten bat in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten am 7. März
d. J. die Erklärung abgegeben, dass die Allerhöchste Entschliessung vom
15. September 1821 nicht aufgehoben sei, und dass, wenn in derselben — wie
es ja in Bezug auf die Ableistung des Eides auf die Verfassung der Fall ist —
eine Beruhigung gefunden werden wolle, ihr diese Wirkung unbenommen bleibe;
er hat aber dorselben jede weitere Bedeutung abgesprochen, somit auch jene,
welche die vorerwähnten höchsten Erlasse von 1845, 1852 und 1854 derselben
beigelegt hatten. Dieser Anschauung gemäss ist denn auch 'die Ministerial-
Eutschliessung vom 8. April 1852, den Vollzug des Concordats betreffend, durch
welche den in der Denkschrift des Episcopats vom 2. November 1850 kundge-
gebenen Wünschen Zugeständnisse gemacht worden waren, unter'm 20. No-
vember 1873 ausser Wirksamkeit gesetzt worden, und damit insbesondere auch
die Bestimmung unter Ziffer 1. derselben , welche die vorerwähnte Vorschrift
fdr Ai^slegung und Anwendung mehrdeutiger oder zweifelhafter Stellen der
II. Verfassungs-Beilage gegeben hatte. Die betreffende Ministerial-Entschliessung
vom 20. November 1873 ordnet dagegen unter Ziff. I, Absatz 1, an; »Es sollen
in allen bei den Verwaltungsstellen und Behörden vorkommenden Geschäfts-
gegenständen kirchlicher und kirchen-politischer Natur, wie es der Staatsver-
fassung entspricht, die bestehenden Grundgesetze des Staates sowie die übrige
hierher bezügliche Gesetzgebung des Landes die Norm geben und nach den
Regeln des Rechts ihrem ganzen Inhalt nach zur Anwendung gebracht werden.«
Dieselbe schliesst sonach jede die Gegensätze zwischen dem Edict II. und dem
Concordat möglichst vermittelnde Auslegung, wie solche bis dahin vorgeschrie-
ben und in Anwendung gebracht worden war, aus, und es scheint mir desshalb
allerdinga Anlass geg^en zu sein, die Bückkehr zu der früheren Auffassung
und Uebung allerunterthänigst zu erbitten.
Am 18- April 1882 wurde , freilich mit 12 gegen 10 Stimmen der Be-
schluss der Abgeordnetenkammer bezüglich der Tegeruseer Erklärung von der
Reichsrathskammer abgelehnt, aber die betreffenden Verhandlungen sind, wie
wir der Germania 1882 Nr. 178 entnehmen, keineswegs unfruchtbar gewesen.
Sie haben den Min. v. Lutz genöthigt, seine Maske noch mehr, wie bisher, zu
lüften und sie haben dem Erzbischof von München Veranlassung gegeben,
klar und entschieden den Standpunkt der bayerischen Bischöfe zu kennzeich-
nen und damit die Hoffnungen der Gegner auf Uneinigkeit und Nachgiebigkeit
des Episcopates gründlich zu Schanden zu machen. Minister t\ Lutz meinte,
man dürfe nicht übersehen, dass die bayerische Regierung das Concor dat,
80 wie es der bayerische Gesanite in Rom am 5. Juni 1870 mit zweifelloser
Ueberschreitung seiner Instructionen abgeschlossen habe, nicht für acceptabel
erachtete. Die bayerische Regierung sei einhellig der Meinung gewesen, dass
das Concordat in dieser Weise nicht angenommen und eine Ratification desselben
Sr. Maj. dem Könige nicht empfohlen werden könne. Darüber sollen die Akten
den zweifellosesten Aufschluss geben.. Die Ratification sei schliesslich erfolgt,
weil sich das Ministerium dahin geeinigt habe, dass das Concordat nicht vor
der Verfassung publicirt werden dürfe, und dass bei der Erlassung der Ver-
£aa9ung die unveräusserlidien Rechte des Staates und die Verhältnisse der
216 Die bayerische L Kammer und das Edict von Tegemsee (1882),
Katholikoi zu den Andersgläubigen gewahrt» bezw. geregelt werden müssen.
Dass diese Schilderung die Loyalität der damaligen bayerischen Begiening im
schlimmsten Lichte darstellt , brancht kaum bemerkt zu werden. Glaubte die
dama%e Regierung, der Gesandte habe seine Insti^iictionen überschritten, so
konnte sie ihn desavouiren; hielt sie das Concordat für unannehmbar, so konnte
sie es ablehnen. Aber es äusserlich anzunehmen, mit der Absicht der Hinter-
gehung — das war ein Betrug am Papste, an den Katholiken Bayerns, am
Recht und an der Wahrheit. Hören wir weiter, was Herr y. Lutz sagte. Die
Regierung habe damals die Hoffnung gehegt , d^s sich die Curie dabej be-
ruhigen werde. Der römischen Curie sei offen erklärt worden, dass eine solche
Erklärung, wie die Tegernseer Erklärung, keinerlei rechtliche Wirkung haben
könne, nachdem sie nicht von den drei gesetzgebenden Factoren beschlossen
worden sei. Die Curie habe davon Akt genommen. Diese Darstellung des
leitenden bayerischen Ministers wird voraussichtlich noch weitere Erörterungen
zur Folge haben, so dass wir heute darüber hinweggehen können. Der zweiten
Eanmier, so führte Herr v. Lutz weiter aus, sei es nicht um eine vermittelnde
Ausgleichung in zweifelhaften Fällen zu thun, es sei der zweiten Kammer viel-
mehr darum zu thun, jene allen Zweifeln entrückten, ganz bestimmten Normen,
welche sie mit dem Concordate nicht vereinbar halte, von der Anwendbarkeit
auszuschliessen ; der Abg. Rittler habe in der Sitzung vom 7. März d. J. dar-
über keinen Zweifel gelassen. Redner könne nicht in Aussicht stellen, dass
dem Beschlüsse der Kammer der Abgeordneten stattgegeben werde. In der
Richtung sei er mit dem Referenten einverstanden, dass vermittelnd vorgegaageu
werden solle. Von Bedeutung sind dem gegenüber die Erklärungen des Erz-
bischofn von München, Dr. v. Steichele. Redner wollte zwar nicht auf die
Geschichte der Tegernseer Erklärung weiter eingehen, allein dass sie eine Be«
deutnng habe, könne er durch ein eigenes Erlebniss bekunden. Als er nämlich
im Jahre 1841 Domvicar geworden sei und den Eid auf die Ver&ssung zu leisten
gehabt habe, habe ihin der Reichscommissar erklärt, dass der Eid nur unter
dem Vorbehalt der Tegernseer Erklärung abzulegen sei. Redner führte
sodann aus, dass er die Verordnung vom Jahre 1873 bedauere; es wäre ein
modus vivendi zu finden gewesen, denn wenn man nach der Verordnung von
1852 hätte vorgehen können, so hätte die Kirche noch einigermassen ihre Areie
Bewegung gehabt. Von seinem und semer AmtsbrUder Standpunkt aus
könne er erklären, dass sie von den Bestrebungen j den Forderungen^
den Bitten und Wünschen des bayerischen Episcopates^ wie sie in den
50er Jahren gestellt worden seien, nicht abgehen können und dass sie
die Wahrung der Rechte der Kirche, wie sie in einem Gesuche an Se,
Majestät den König vom 28, April 1852 betont worden sei^ noch heute
aufrecht erhalten, Redner wünsche, es möge auf legalem Wege ein Aus-
gleich zwischen Concordat und Religionsedict sich erzielen lassen und es dazu
kommen, dass Staat und Kirche in Einigkeit und Frieden mit einander
wandeln.
Eine Ende April 1882 erschienene Broschüre : »Offenes Sendschraben an
die Freunde der bayerischen Krone von Anton Eberhard^ (30 S. gr. 8o Re-
gensburg, Pustet) handelt im Gap. 2. von der bayerischen Verfassungsurkunde,
im Cap. 3. vom Concordat und dem Religionsedict , im Cap. 4. von dem Ver-
halten der Katholiken, im Cap. &. über das Königswort von Tegernsee etc. Der
Verfasser bemerkt bezüglich des Widei^pruches zwischen Concordat und Reit-
Die bayerische L Kammer und das Edicl vo7i Tegemsee (1S62). 217
gionsedict : Die der katholischen Kirche durch ersteres zuerkannten Kechte hät-
ten derselben schon vor dem Concordat gehört , welches nicht den Katholiken,
wohl aber dem König Privilegien rerliehen habe. Das von dem protestantischen
Rechtslehrer Feuerbach ausgearbeitete Beligiousedict beruhe auf rein protestan-
tischen lOrchenrechtsanschauungen und sei für die Katholiken da überall nicht
bindend, wo es den Bestimmungen des Conconlatä widerspreche. Das Religions-
edict enthalte Gewissenszwang für die Katholiken, den die Verfassungsurkunde
untersage. Als der römische Stuhl über den einseitigen Erlass des Religions-
edictes unterrichtet wurde , habe der Papst Priestern und Laieil die Eideslei-
stung auf die Verfassung, als eine Uebertretung der Gebote Gottes und der
Kirche, verboten. In der allgemeinen Unruhe und Unzufriedenheit erschien das
Königs wort von Tegernsee, und mit ihm kehrte wieder Ruhe, Frieden und die
Bereitwilligkeit, die Verfassung zu beschwören, in's Land zurück. Dieses Wort
wurde denn auch in ganz Deutschland als gesetzlich giltiger Act des yerfas-
sungsgebers angesehen. Der Verfasser ist der Ansicht, das mit Rechtswirkung
versehene Königswort von Tegemsee schliesse keine Verfassungsänderung in
sich, weil die Verfassung selbst den König berechtige, in Bezug auf das Con-
cordat zu handeln ohne Mitwirkung und ohne Zustimmang der Stände. Dies
hätten auch die Stände schon auf dem ersten Landtage 1819 anerkannt, indem
sie aussprachen : »Das Concordat hätte bei der Stände- Versammlung nur dann
ein Gegenstand der Diskussion werden können, wenn es nach erlassener Ver-
fassungsurkunde geschlossen worden, und dermalen die Frage davon wäre, das-
selbe zu einem Gesetz zu erheben. Das Concordat liegt «usser dem Bereich der
Stände.« In diesem Betreff sagt Art. -XVII, der Convention : »Sollte aber in
Zukunft sich ein Anstand ergeben , so behalten Se. Heiligkeit und Se. königl.
Majestät sich vor , sich darüber zu benehmen , und die Sache auf freondschaft-
liche Weise beizulegen. «< »Ist nun,« folgert der Verfasser, »die Frage, in wel-
chem VerhältniBs steht das Concordat zum Religionsedict, so muss weiter ge-
fragt werden : welches war hierüber der Sinn und der Wille des Gebers der
Verfassung?« Nun hat aber König Max Joseph auch nach 1818 allein das
Recht zu sagen , »so und so habe ich die Verfassung verständen , und so und
so will ich sie verstanden wissen.« Das kann keiner seiner Nachfolger sagen.
Abändern konnte König Max I. nach 1818 die Verfassung nicht mehr ohne Zu-
stimmung der Stände ; aber die Bestimmung ihres Sinnes war seine Berechti-
gung als Gesetzgeber der Verfassung , und dies besonders für das Concordat,
welches einer verfassungsmässigen Behandlung in keiner Weise unterliegt.
Wenn es, also nie und nimmer erlaubt ist, gegen den Willen des Gesetzgebers
ein Gesetz auszulegen, dann ist es auch nicht erlaubt, das Verhältniss des Con-
cordates zum Religionsedict gegen den Sinn und Willen des Königswortes von
Tegernsee auszulegen; denn jenes Wort ist der Sinn und der Wille des Gesetz-
gebers. Folglich hat das Concordat vor dem Religionsedict den Verzug und das
Edict nur insoweit Geltung , wie jenes Tegemseer Wort ausdrücklich sagt, als
es sich nicht auf kirchliche Rechte, sondern lediglich auf die bürgerlichen Ver-
hältnisse bezieht.
5. Der Geschichtsunterricht an den bayerischen Gymnasien In
der bayerischen Kammer der Abgeordneten wurde am 1. April 1882 ein Gegen-
stand besprochen , welcher die bayerischen Bischöfe schon vor fast zwei Jahr-
zehnten zur Einreichung einer gemeinsamen Denkschrift an die Krone veran-
lasst hat. Es ist das die Ertheilung des Geschichtsunterrichtes an den Mittel«
218 Oeschichfsunterr. an d, bnyer. Gymitas,- Unterr,- Wts. in Elu^-Luthr,
schulen, zanächst aa den humanistischen Gymnasien. Schon 1. J. 1865 rieh-,
teCen die sämnitlichen Bischöfe Bayerns eine Bitte an die Krone, es möge an-
geordnet werden, dass der Geschichtsunterricht an den Gymnasien nach Confes-
8i<mcn getrennt werde. Die Bitte fand keine Erhorung, sondern das gerade Ge-
gentheil von dem geschah, was die hischöflichen Oberhirten wünschten, die
Professoren der Geschichte und die Gteschioht^büchor wurden nnd blieben si-
multan. Nachdem die Bischöfe zehn Jahre lang vergeblich auf eine Antwort
YOti Oben gewartet hatten, erneuerten sie i J. 1875 ihr« Bitte, der Erfolg abci
war der nämlich? , einer AntwoiFt wnrden die bayerischen Eirchenf&rsten nicht
gewürdigt. Naq fasste der Finaazanstdiuss mit neun gegen fünf Stimmen den
BeschlosSy es. sei «in Antrag an die Krone zu richten , dass in der Regel der
Geschichtsunterricht confessionell getrennt ertheilt werde, und über diesen An-
trag wurde am 1. April 1882 verbandet. Auch die Gonservativen stimmten
mit der gesummten Rechten für , die geschlossene Linke gegen den Antrag,
der mit Mehrheit angenommen wurde. Der Minister Lutz erklarte aber im
Voraus, dass er dem Antrage keine Folge geben werde, weil dessen Durchfüh-
rung (?!) unmöglich sei.
6. Das Unierrichtawtsen in Ei *as8 - Lothringen. Die »Elsasa-
Lothring. Ztg.« vom 24* April 1882 veröffentlichte eine aus fünf Paragraphen be-
stehende Allerhöchste Verordnung, datirt Wiesbaden 21. April, durch welche
zur Beaufsichtigung und Leitung des gesammten höheren und niederen Unter-
richtswesens mit Ausuahme der Universität, der landwirthschaftlichen und ge-
werblichen Fachlehranstalten, eine mit dem Ministerium in Verbindung ste-
hende technische Centralbehörde unter dem Namen »Oberschulrath« gebildet
wird. Mit dem Inslebentreten des Oberschulraths hört die Unterrichtsabthei-
long des Ministeriums zu bestehen auf. Der Oberschulrath, dessen Einsetzung
der »Reichsanzeiger« am 26. April publieirtä , besteht aus dem Staatssecret«r
als Vorsitzenden , einem Ministierialrath als Director , sieben- ordentlichen Mit-
giiedem, nämlich drei vom Kaiser zu ernennenden Ober-Schulrathen , dem je-
weiligen Vorsitzenden der durch die Verordnung vom 23. Oktober 1872 einge-
setzteA wissenschaftlichen Prüfungscommission, den jeweiligen Regierungs- und
Schulräthen bei den drei Bezirkspräsidien , und schliesslich aus einer Anzahl
ausserordentlicher Mitglieder , welche der Statthalter aus den Professoren der
Universität, dem höheren Lehramt oder sonstigen sachverständigen Kreisen auf
bestimmte Zeit oder auf die Dauer ihres Hauptamtes beruft. Die Geschäfts-
führung des Oberschulraths wird durch eine besondere Instruction geregelt, bei
welcher folgende Grundsätze zu beachten sind : Alle organisatorischen Mass«
regeln und alje wichtigeren Gegenstände der laufenden Verwaltung werden
collectiv bearbeitet Die Gesammtheit der Mitglieder ist berufen , zur Erledi-
gung der Recurse gegen Entscheidungen der Bezirkspräsidenten über Eröffnung
oder Schliessung einer Schule, Anstellung eines Schulvorstehers oder Lehrers,
oder Ertheilung vwi Privatunterricht (§. 15. der Verordnung v. lö. Juli 1873).
In diesem Falle findet eine collegiale Beschlussfadsung statt. In allen übrigen
hinsichtlich des Unterrichtswesens nach §. 13. des Ges. v. 4. Juli 1879 von
dem Ministerium zu erledigenden Angelegenheiten steht die Entscheidung dem
Staatssecretör oder an dessen Stelle dem Director zu. Jedes Mitglied ist be-
fugt, AntrAge zu stellen und es ist den Mitgliedern Gelegenheit zu geben, sich
über den Zustand der Schulen ao Ort und Stelle zu unterrichten. Die »Elsass-
Reform. Consi^tor, zu Frkf. a. Äf.; Militärpfl. c/. QeiaÜ. in Preusaen. 219
•
Lothring. Ztg.« publicirte ferner einen Erlass des Statthalters an den Staats-
secretär vom 11. April, welcher sich über die Angaben des Oberschalrat hs
eingehend ausspricht und die Grund züge für eine Revision des Ms jetzt gelten-
den Reglements vom 10. Juli 187S in Betreff der höheren Schulen, sowohl was
die unterrichtende als die erEieherisehe Thätigkoit derselben anbelangt , auf-
stellt. Eine SachTerstandigen-Commission von Medicinem soll ein motiTirtes
Gutachten darüber abgeben, in wie weit die gegenwartige Einrichtung des hö-
heren Schulwesens in Elsass-Lothringen den Grundsätzen «itspricht, welche die
medidnische Wissenschaft im Interesse der ph^rsischen und psychischen Ent*
Wickelung aufzustelleu hat. Auf Grund des Gutachtens dieser Medidnalcömmis-
sion wird demnächst durch den Oberschuirath vom schuitechnischen Standpunkte
aus zu prüfen sein, wie die ' für Unterrichts* und häusliche Arbeitsstunden zuge-
standene Zeit am zweckmässigsten ausgenutzt werden kann, und wird er hier-
nach den Entwarf zu neuen Begulativen auszuarbeiten haben. Der Tom Ober-
schuirath aufgestellte Entwurf der revidfrten Regulative etc. wird alsdann einer
ad hoc zu berufendes Oommission vorzalegen sein» die aus hervorragenden
Männern des Landes zu bestehen hat.
Zu Mitgliedern des neuen Oberschulraths sind übrigens (vgl. das Schrei-
ben aus Elsass-Lothringen in Nr. 2(X). der »Germaniac v. 4. Mai 1882), wieder
überwiegend Protestanten ernannt worden. Von den neun ständigen oder or-
dentlichen Mitgliedern sind sieben Protestanten und nur zwei Katholiken.
7. Das reformirte Conaistorium «m Frankfurt a, M. Eine Mei-
nungsverschiedeaheit bezüglich der künftigen Organisation desselben trat bei
den Verhandlungen des preussischen Herrenhauses am 23. Februar 1882 her-
vor. Ehe die Stadt Frankfurt a. M. in den preussischen Staats verband eintrat,
entsandte der dortige Senat zwei Mitglieder in das reformirte Conaistorium ;
mit dem Wegfalle des Senates hörte diese Delegation auf ; dafür soll nunmehr
nach einem vom Abgeordnetenhause bereits angenommenen Entwürfe der Kö-
nig einen Vertreter in die genannte kirchliche Körperschaft entsenden, wäh-
rend der andere vom Frankfurter Magistrat delegirt werden soll; indessen hat
der Monarch die Wahl des Letzteren zu bestätigen. Graf Zieten-Schwerin
wollte einer politischen Körperschaft ein derartiges Recht nicht zugestehen,
weil es denkbar sei, dass der Magistrat einmal einen Crottesleug^er in das Gon-
sistorium entsende. Diese Bedenken erklärte der Oultusminister für stark über-
trieben, da zunächst immerhin einem Atheisten die Bestätigung versagt wer-
den könnte und schliesslich auch der Eintritt eines einzelnen Mannes, der nicht
auf gläubigem Standpunkte stände , den Charakter der ganzen Versammlung
nicht zu alteriren im Stande sei. Die grosse Mehrheit der Versammlung stimmte
dieser Ausführung vollständig bei; sie wollte nicht kirchlicher sein, als H^r
V. Gossler, und meinte, wenn Se. Majestät sich damit begnüge, nur einen Ver-
treter in das Consistoriam zu entsenden , den andern aber dem Magistrat zu
cediren, so solle man sich dem fügen , zumal man nicht wisse, welchen politi-
schen Erwägungen dieser Entschluss entsprangen sei.
8. Die Militärpflicht der Geistliehen in Pretissen, Eine Entschei-
dung des preussischen Kriegsministers vom 29. März 1882 über »militaria mi-
nistrorum« theilte der >Reichsbote« mit. Dieselbe dürfte für diejenigen Geist-
lichen , welche pflichtmässig ihrer Dienstpflicht oft auch ausser ihrem Dienst-
220 RecJUL SieUung d, Gemeindehirchenräthe u. Kirchenvorsl. in Preuss,
4ahr noch in den einzelnen Uebongen als Officiersaspiranten oder Reservisten
genügt haben , in Betreff ihrer Theilnahme an den regelmässigen Controlver-
Sammlungen im Frühjahr und Herbst von. Wichtigkeit sein. Das Presbyterium
zu Dehl hatte sich , weil die 2ur Theilnahme an den Controlversammlungen
verpflichteten Geistlichen, insbesondere auf dem Lande, bei der oft 1— l^sstün-
digen Entfernung vom' Appellplatz bezw. bei unvorhergesehenen dringenden
Amtsgeschäften an der Ausübung ihrer Pflicht sehr leicht gehindert sind, auch
das Antreten mit den eigenen Gemeindegliedern auf dem Appellplatze oft ge-
radezu unangenehm ist, mit einem Gesuch an sie Ereissynode Lüdenscheid ge-
wandt, dahin zu wirken, »dass durch generelle Verfügung die njilitär Pflichtigen
Geistlichen auf ihre diesbezüglichen Gesuche von der Theilnahme an den jähr-
lichen Controlversammlungen entbunden würden.« Der von der Synode auf be-
sondere Fürsprache des Superintendenten Geck , sowie des gerade anwesenden
Generalintendanten Dr. Wiesmann aus M. einstimmig angenommene Antrag
wurde von dem vorgesetzten Consistorium als nur auf dem Gesetzes-, nicht auf
dem Verwaltungswege realisirbar erkannt. Das Presbyterium zu Dehl wandte
sich darauf direct an das Kriegsministerium in Berlin , worauf unter dem 29.
März durch den KriegsminiMter v. Eameke das Presbyterium dahin beschieden
wurde, dass nach den eingezogenen Erkundigungen seitens des für die Synode
Lüdenscheid zutreffenden Landwehrbezirkscommandos »die Gesuche der Geist-
lichen um Dispensation von den Controlversammlungen im Allgemeinen stets
berücksichtigt werden,« dass in einem Falle aus »lediglich militärischen Be-
denken von der sonst geübten Praxis Urngang genommen worden« und das
Kriegsministerium demnach nur vermöge anheiin zustellen, die 'betreffenden
Geistlichen dahin mit Anweisung gefalligst versehen zu wollen, dass sie sich
eventuell rechtzeitig mit einem entsprechenden Dispensationsgesuch an das vor-
gesetzte Landwehrbezirkscommando wenden.« Demgemäss darf es als den In-
tentionen des Kriegsministers entsprechend angesehen werden, wenn die mili-
tärpflichtigen Geistlichen aus billiger Bücksichtsnahme auf ihre amtliche und
sociale Stellung in der Kegel von der Theilnahme an den jährlichen Control-
versammlungen entbunden werden.
9. Die rechtliche Stellung der Gemeindekirchenräthe und Kir^
cherhvor stände in Preuasen. In einer allgemeinen Verfügung des preussi-
schen Justizministers vom 21. März 1882, betreffend die Eigenschaft der Ge-
meindekirchenräthe und der Xarchenvorstände , sowie der Verwaltungen der
städtischen und der Ereissparkassen heisst es: Im Laufe der letzten Jahre ist
wiederholt die Frage zur Erörterung gelangt, ob die Gemeindekirchenräthe
und die Kirchenvorstände (Gesetze vom 25. Mai 1874 und vom 20. Juni 1875)
als öffentliche Behörden im Sinne der die Befugniss zur Wiederincourssetzung
von Papieren auf Inhaber betreffenden gesetzlichen Vorschriften und des §. 35.
der Gmndbuchsordnung anzusehen seien. Die gleiche Frage hat hinsichtlich
der Verwaltungen der städtischen Sparkassen und der Ereissparkassen schon
früher zu Meinungsverschiedenheiten Anlass gegeben. Bei den tlber den Gegen-
stand in neuerer Zeit zwischen dem Justizminister und -übrigen betheiligten
Bessortministem, sowie in Betreff der Befugniss der Gemeindekirchenräthe und
der Kirchenvorstände zur Wiederincourssetzung, mit der Hauptverwaltung der
Staatsschulden stattgefundenen Verhandlungen ist eine allseitige üeberein-
stimmung dahin festgestellt , dass die Frage sowohl für die Gememdekirohen-
Suhj, d. Kirckenverm, nach AuffasB, d. pr&usa, kammergeriehtes. ö2l
räthe tind die Eircbenvorstände wie auch, sofern nicht besondere Bestimmun-
gen des Statuts der Kasse in dem einzelnen Fall eine andere Auffassung be-
gründen, für die städtischen Sparkassen und Ereissparkassen zu bejahen sei.
Die Justizbehörden werden hieron in Eenntniss gesetzt.
JO. Das Subjekt des Kirchenvermögens nach der Auffassung
des preussischen Kammergerichts, Nach eipem in Nr. 27. des »Preuss.
Verwaltungsblattes« Cvgl. »Germania« vom 14. April 1882 Nr. 168) mitgetheil-
ten Beschlüsse des Eammergerichtes »ist in Preussen die Kirchengem>einde
als Eigefithümerin jeder Art kirchlichen Vermögens anzusehen ; sie ist
daher als Eigenthümerin auch solcher Grundstücke einzutragen, welche in den
beigebrachten Urkunden als der »Kirche,« »Propstei« oder sonstigen kirch-
lichen Instituten gehörig bezeichnet sind. Im Weiteren wird berichtet, dass
dieser Beschluss in folgender Angelegenheit ergangen ist : Der Vorstand einer
katholischen Pfarrkirche hatte beantragt, sämmtliche Grundstücke, welche bis-
her theils auf verschiedenen Grundbuchblättem auf den Namen der katho-
lischen Kirche geschrieben , theils noch nicht in das Grundbuch eingetragen,
in der Grundsteuermutterrolle aber als Eigenthum der Kirche, der Propstei,
der Organistei aufgeführt waren, auf einem Folium zu vereinigen. Diesem An-
trage hat das betreffende Amtsgericht entsprochen , hierbei aber als Eigenthü-
merin der Grundstücke die »katholische Kirchengemeinde zu Z.« eingetragen.
Das Landgericht hat die hierüber geführte Beschwerde bezw, den Antrag, die
alten Bezeichnungen »Pfarrei,« »Propstei« etc. wiederherzustellen, zurückge-
wiesen , weil die neue Bezeichnung den §§. 160 ff. A.-L.-R. IL 11. entspreche.
Die vom Kirchenvorstande noch erhobene weitere Beschwerde ist für unbegrün-
det erachtet worden.
In Wirklichkeif stützt sich das Berliner Kammergericht wohl auf die
Grundsätze des »Culturkampfgesetzes« vom ÖO. Juni 1875, betreffend die ka-
tholische Kirchenvermogensverwaltung , wodurch der katholischen Kirche das
deren Verfassungsgesetzen widersprechende protestantische Gemeinde -Princip
aufgezwungen ist. (lieber die Mittel und Wege , den katholischen Standpunkt
von Seiten der Katholik,en auch unter der Herrschaft jenes protestantischen
Staatsgesetzes zu wahren, vgl. Vering, Lehrb. des Kirchenr. 2. Aufl. §. 204.
S. 761. Note 4.)
11. Ein Protest der Pommer'scheh protestantischen ProvinciaU
Synode gegen das Rektorat eines israelitischen Professors an der Uni-
versität Greifswald, Gegen die Wahl und Bestätigung des Prof. Dr; Boh-
rend zu Greifswald zum Bector der Universität erhob der Vorstand der pro-
testantischen Pommer'schen Provindalsynode, wie die »Germania« vom 10. Mai
1882 Nr. 210. nach protestantischen Blättern meldete , Beschwerde und Pro-
test. Der Vorstand der Synode leitet seine Hechte zum Protest gegen die Er-
hebung eines jüdischen Docenten zum Universitätsrector ans der Elrehen-
gemeinde- und Synodalordnnng her, welche der Provinciahynode und deren
Vorstande aufgibt, die Zustände und Bedürfnisse ihres Bezirks ih Obacht zu
nehmen , über die Erhaltung der kirchlichen Ordnung in Lehre, Cultus und
Verfassung zu wachen und die Hebung der wahrgenommenen Missstände durch
Anträge oder Beschwerden im kirchenordnungsmassigen Wege zu betreiben.
Nun ist nach Ansicht des gegen di^ Behrend'sche Wahl protestirenden Vor-
standes die Universität Greifswald laut Statut des Herzogs Philipp I. vom
022 Pomm. Prov.-Syn. proieat gegen iarael, Üniv.-Rect zu QreifswalA.
Jahre 1539 eine lutherische üniTersität und die Schenkungen des Herzogs
Bogislaw XIV. bekräftigen diesen Charakter der Universität , deren jedesma-
liger Bector mehrfacher Patron der üniversitätsgüter ist. Nun kann aber ein
Jude nicht PairQn chrisflicher Gemeinden sein, und weil für die der Uni-
versität Greifswald gehörenden Güter des ehemaligen Klosters Hilda das Pa-
' tronatsrecht über dieselben an der Person des Bectors haftet, so würde, weil
der demnächst zu vereidende Bector ein Jude ist, das Patronatsrecht zu ruhen
haben , woraus für die Universität Greiswald rechtliche Schwierigkeiten , je
nachdem auch materielle oder ideelle Verluste erwachsen konnten. Der Protest
des Synodevorstandes kam in Bücksicht auf diese thatsächlichen Momente wie
auch in Hinblick auf die Genesis der Universität und deren rein lutherischen
Charakter zu. dem Schlüsse, es sei die Zulassung eines anderen als christlichen
Docenten zum Bectorat nach Inhalt sowohl der Stiftungsurkunde vom Jahre
1456 wie aller späteren Statuten schlechterdings ausgeschlossen. Namentlich
aber betonte der Protest das durch ein ßerend*sches Bectorat nothwendig wer-
dende Buhen der Patronatsrechte der Universität.
Der Protest des Vorstandes der Pommer*schen Provincialsynode wurde
vom Ministerium unberücksichtigt gelassen. Am 15. Mai 1882 übernahm der
israelitische Professor Behrend unter den üblichen Feierlichkeiten das Becto-
rat. Jedoch erklärte der Bector Prof. Behrend in der Senatssitzung, dass er in
allen das akademische Pfarrpatronat u. s. w. betreffenden Angelegenheiten sich
der Leitung der Verhandlungen enthalten und dieselbe dem Prorector übertra-
gen werde.
12, Ein neues Sachsen' Meininger Schulgesetz. Der Landtag von
Meiningen beschäftigte sich, wie die »Germania« vom 31. März 18S2 Nr. 148.
meldete, mit einem Volksschulgesetze. Die Schule soll der politischen Ge-
meinde als gemeinschaftliche Ortsschule für alle Beligionsbekenntnisse dienen.
Will eine im H^zogthum anerkannte Beligionsgemeinde für ihre Kinder neben
der gemeinschaftlichen Ortsschule eine eigene Volksschule unterhalten, so ist
ihr dies unbenommen, sie hat es aber auf eigene Kosten zu thun. Die Schulauf-
sicht führt in erster Instanz der Ortsschulvorstand, an gegliederten Schulen
der Bector, in zweiter der Kreisschulinspector, in dritter das Ministerium ; den
Bcligionsunterricht beaufsichtigt der Geistliche.
13. Der franz, Justizminister über das Nationalfest vom 14* Juli
und Über das Eigenthum an Kirchen, Der franz. Justizminister will die
Kirchen zwangsweise zur Verherrlichung des »National festes« vom 14. Juli
heranziehen. Er hat, wie die Germania vom 21. Juni 1882 Nr. 276 berichtet,
an die Präfecten ein Schreiben gerichtet, dass, »da die Kirchen /Eigenthum der
Gemeinden sind ^) , deren Inneres zum besonderen Gebrauche für den Cultus
verwendet wird, die Gemeinden verlangen können, dass die Kirchen am Fest-
tage ihre Fa^aden mit Fahnen schmücken und die Nacht hindurch beleuchtet
werden, wenn die Gemeinde die Unkosten trägt.« Die Pfarrhäuser brauchen
nicht beleuchtet und beflaggt zu werden, wenn die Geistlichen sich weigern, es
1) Dass vielmehr der Kirche die in der Bevolütion entzogeneu Kirchen
und Güter nach Abschluss des Concordates zu Eigenthum zurückgegeben sind,
ist ausführlich dargelegt bei Verlng^ Kirchenrecht 2. Aufl. §. 206. Not. 6.
S. 767—770.
Pranz. iusiizm, üb, J^igentti. an Kirchen etc.; Last d, helg, Ünt-Ges. 223 ,
sei denn, dass die Aufpflanzung der Fahnen, ohne Eindringen in die eigent-
lichen Wohnungen ausgeführt werden kann. Weigert ein Pfarrer das Pestge-
läute, so hat der Maire ihn zu ProtocoU zu nehmen. In allen Fällen sind die
Kirchenschlüssel nach Ausführung dessen , wofür sie verlangt worden , dem
Kirchendiener oder dem Ohmann der Kirchenfahrik zurückzugeben, da diese für
das dem Cultus dienende Material gerichtlich verantwortlich sind.
14, Welche Lasten das belgische Vnterrichtsgesetz vom 1. Juli
7879 tvgl. Archiv, Bd. 46. S. 276 ff.) dem Lande auflegt, mögen folgende
Zahlen beweisen. Das Budget für den öffentlichen Unterricht betrug im Jahre
1879 ungefähr 14,600,000 frcs., im Jahre 1880 18 Hill., für 1882 sind 20 Mill.
vorgeschlagen. Auch in den einzelnen Städten macht eine bedeutende Steigerung
des Budget sich geltend. In Brüssel kostete der Unterricht im Jahre 1879 eine
Million, 1881 beinahe das doppelte. In Gent stieg man von 85,000 auf etwa
800,000 frcs. In Bergen (Mons) und anderen Orten steht die Sache nicht besser,
seitdem man den Unterricht der Klosterfrauen aufgehoben hat. Bei der Be-
rathung des belgischen Unterrichtsbudgets legte der kath. Deputirte Woeste im
März 1882 die kolossale Geldverschwendung des liberalen Kabinets ziffemmässig
dar. Das Ministerium stellt, trotz der garantlrten Unterrichtsfreiheit, Lehrer
selbst dort an, wo nicht das geringste Bedürfniss vorhanden ist. In der ein-
zigen Provinz Ostflaudern gibt es 30 Lehrer, die auch nicht einen Schüler
zählen; Woeste führte sämmtliche Orte mit Namen an und konnte nicht der
Uebertreibung angeklagt werden. Eine zweite noch zählreichere Kategorie von
officiellen Schulen besitzt nur 2—3 Schüler, und das sind die Kinder der Lehrer
selbst oder abhängiger Beamten. Eine dritte Kategorie endlich zählt sowenig
Schüler, dass sie ohne Schaden aufgehoben werden könnten. Wahrhaft scan-
dalös sind die Fälle , wo für keine oder sehr wenige Schiller mehrere Lehrer
angestellt und von den Gemeinden, zu besolden sind. So zählt die officielle
Schule zu Wettern 8 Schüler und 2 Lehrer, zu Häsdonck 8 Schüler, die Kinder
des Lehrers selbst sind, und 2 Lehrer, zu Belcele 3 Lehrer, 3 Sohullocale und
keinen einzigen Schüler. Trotzdem die Zahl der ofüciellen Schüler sich ver-
mindert hat, wird den Gemeinden ein stets wachsendes Schulbudget auferlegt.
Woeste lässt auch hier die Ziffern reden. Während zu Borsbeke die Schüler-
zahl auf 9 sank, erhöhte der Minister das Schulbudget von 2704 auf 3550 frcs.
Keinen einzigen Schüler haben z. B. folgende von Woeste angeführten Schulen,
und doch müssen die Gemeinden für die nichtsthuenden Lehrer zahlen zu Oetegen
300 frcs., zu St. Paul 3591, zu Thielrode 4101, zu Belcele 5971 frcs. Noch
schreiender ist das Verhältniss in der Stadt Limburg. Hier haben 1881 über
90 Percent" der schulpflichtigen Kinder die katholischen Schulen besucht, also
nicht dnmal 10 Percent die officiellen, und doch werden die Öemeinden ge-
zwungen die unbeschäftigteh Lehrer so zu unterhalten, als wenn diese alle
Kinder unterrichteten. Auf diese Weise werden jährlich gegen 300,000 frcs.
in'B Wasser geworfen. Natürlich wird, wie die »Germ.c 1882 Nr. 144 vom
29. März 1882 schreibt, dieser Respect der liberalen belgischen Minister gegen
die Gemeindeautonomie von der deutschen liberalen Presse todtgesch wiegen,
ebenso wie auch kein einziges deutsches liberales Blatt- die formelle Einführung
von Cötiduitenlisten über die Bürgermeister und Stadträthe Belgiens mit einer
Zölle örwähnt hat.
l5. Verbot von antikatholischen Zeitungen durch den Bischof
von Saniander. Die Pariser Monatsschrift: Jonmal du droit et de la ju-
224 ßisch. V. i\äntand. verh, antik. iZtgen.; Gr. ßr, Öonsiaf, zu SerajewOi
risprndence canoniqae theilte im Jan.-Heft 1882 S. 47 f. ein interessantes vom
8. Dec. 1881 datirtes üecret des spanischen Bischofes Vincens Valero von San-
tander mit, worin dieser bei Strafe der Ezcommunication das Lesen von drei
irreligiösen Zeitungen (La Voz Montanesa, La Montana, El Diario de Santander)
verbot, was das Eingehen der betr. Blätter in Folge Verlustes ihrer Abonnenten
zur Folge hatte. Wie die Köln. Volksztg. 1882 Nr. 140 I. Bl. berichtet, sandte
derselben ein Leser Nr. 41 des »Boletiu oficial ecclesiastico del obispado de
Santander« (Amtliches Kirchenblatt des Bisthuras Santander) vom 11. Dec. 1881,
welches an erster Stelle jenes Decret des Bischofs enthält. Liberale deutsche
Blätter hatten einen erfundenen Flnchtext nach Art des alljüdischeu Anathema
Maranatha mitgetheilt , den der spanische Bischof gegen die Eedacteure der
liberalen Blätter von Santander ausgesprochen habe. In dem ganz ruhig ge-
haltenen betreffenden bischöflichen Erlasse sind überhaupt keinp Namen von
Personen genannt.
16. Das Hirtenachreiben der irischen Bischöfe gegen die Agrar-
verbrechen und die geheimen Gesellschaften. Die zahlreichen Verbrechen,
die in letzter Zeit in Irland verübt wurden , haben den irischen Episoopat ver-
anlasst, in Dublin zu einer Conferenz zusammenzutreten und einen gemeinsamen
Hirtenbrief an das irische Volk zu vereinbaren, den die irischen und englischen
Zeitungen nunmehr veröffentlichen. Das Schreiben ist von 26 Erzbischöfen und
Bischöfen unterzeichnet, und es verurtheilt in sehr nachdrückliche]*' Sprache die
Agrarverbrechen , die geheimen Gesellschaften, die Verweigerung des Pacht-
zinses und Oberhaupt den Widerstand gegen die Gesetze und die Aufreizung zu
solchen. Die Ziele der irischen Landliga werden von den Bischöfen für legitim
erklärt, und gebilligt, aber entschieden missbilligt und verworfen werden die
Mittel, deren sich die Geheimbündler zur Erreichung derselben bedienen« Schand-
thaten, wie sie in der letzten Zeit vielfach verübt wurden , schreien zum Him-
mel um Bache und können die sociale I;age Irlands nur noch verschlimmern.
Im weiteren Verlaufe des Hirlenschreibens wenden sich die Bischöfe an die
Grundbesitzer, denen sie die gegenwärtig stattfindenden Massenaustreibungen
von Pächtern und das Elend vorhalten, in~ welches fleissige und angestrengt
arbeitende Leute versetzt wurden, welche in Folge mehrfacher schlechter Ern-
ten und anderer Missgeschicke ausser Stande sind, ihren legitimen Verpflichtungen
nachzukommen.
17. Das griech.' Orient Consistorium zu Serajewo. Die »N. Fr.
Presse« Nr. 6344 MorgenW. v. 26. April 1882 meldete aus Serajewo 2L Äprii
1882: Das heutige Amtsblatt enthält eine Verordnung des gemeinsamen Mi-
nisteriums vom 19. März 1882, durch welche dem orientalisch-orthodoxen En-
bischofe und Metropoliten in Serajewo für die Verwaltung der Angelegenheiten
der orientalisch-orthodoxen Kirche und die Ausübung der bischöflichen Gerichts-
barkeit ein Consistorium zur Seite gestellt wird. Dieses Consistorium besteht
aus dem Consistorial-Archimandriten mit .dem Gehalte von 2000 fl., drei be-
soldeten Consistorialräthen mit dem Gehalte von je 2000 fl. und drei Ehren-
consistorialrähen. Die Mitglieder des Consistoriums werden vom Kaiser ernannt.
Der Vorstand des Consistoriums ist der jeweilige Metropolit, in dessen Ver*
tretung der Archimandrit und eventuell ein anderes Mitglied des Consistoriums
die Leitung der Consistorialgeschäfte führt.
225
XV.
Die Notorietät im canonischen Beweisverfahren.
Von Dr. C* Dziatzko in Teschen.
Die Lehre über die Notorietät^ soweit sie ins Processrecht über-
gegangen ist, beruht auf dem canonischen Rechte, wie denn über-
haupt die Grundsätze des stricten Beweisverfahrens aus diesem reci-
pirt worden sind.
Das Römische Recht kannte zwar auch notoria (l 6. §. 3.
D. 48, 16^ l. 7. C. 9, 2); diese bedeuten aber Berichte, welche den
untergeordneten Sicherheitsorganen, Ofiicialen, in den Provinzen mit
den ergriffenen Uebelthätern an die Magistrate mitgegeben wurden ^).
Die Canonisten entwickelten die Notorietät im Anschluss an
c. 15. C. 2. qu. 1 : (Manifesta accusatione non indigent)^) und gaben
ihre Begriffsbestimmung als eine volle Kenntniss der Sache (cfr.
Joannes Andreae in Addit. ad Spec. Durantis III. de notorio §. 6),
wofür dann häufig in den Decretalen als gleichbedeutend steht die
evidentia facti oder rei, quae nuUa tergiversatione celari aut üegari
potest, d, h. Thatsachen von der Beschaffenheit, dass ihre Bestreitung
nur als Chicane denkbar wäre.
Solch qualificirte Thatsachen machten sich zunächst auf dem
Gebiete des Criminalprocesses geltend. Bei jeder der drei Formen
des canonischen Strafverfahrens: beim Denunciations- wie beim Ac-
cusations- und Inquisitionsverfahren kann die Notorietät in Betracht
kommen. Manche haben- sogar mit Unrecht die Notorietät als eine
besondere »Form des canonischen Strafverfahrens angesehen ^).
1) cf. Heffter, Instit. des röm. u. deutsch. Civilpr. Bonp 1825 p. 183
not. 13.
2) Die Stelle selbst ist zurückzuführen auf 1.. Cor. 5, 1. 3—5. 13, wo
Paulus Über den hlutschändftischen Corinther mit Rücksicht auf die Offen-
kundigkeit in seiner Abwesenheit doch sofort die Excommunication verhängt.
cf. Corrector Rom. ad can. cit.
3) Vgl. darüher und dagegen Yeringy Lehrb. des kathol., Orient, und
Protest. Kirchenrechts, 2. Aufl. p. 745.
Archiv fUr Kircheorecht XLVIII. 15
226 Dziatzko, Die Moiorietät im canonischen Beweisverfahren.
Zur Zeit Gratians war das Verfahren beinotoriis derart, aas-
gebildet, dass es bei diesen der accusatio nicht bedurfte, was sonst
die gewöhnliche ratio war (cf. c. 15. 16. C. 2, qu. 1; c. 9. X. 5, 1;
c. 3. X. 2, 21; c. 21. X. 2, 24; c. 8. X. 3, 2; c. 23. X. 1, 6).
Auch wurde von jedem weiteren Beweisverfahren abgesehen, dem
Schuldigen wurde der Reinigungseid, welcher sonst bei blosser
faina zulässig war, nicht gestattet, sondern vom Richter sofort eine
angemessene arbiträre Strafe auferlegt, wogegen die Appellation nicht
angenommen wurde, (c. 15. X. 5, 34; c. 1. §. 4. in VI. 3, 20; c.
13. X. 5, 3; c. 14. 61. X. 2, 28).
Die Notorietät war somit wohl nicht ein eigentliches Ver-
fahren, sondern gestattete nur das Aussetzen des gewöhnlichen
accusatorischen Processes. (Dict. Qratiani post c. 16. C. 2. qu. 1).
. Als zur Zeit Innocenz III. die Inquisition der gewöhnliche
Process und weiterhin formell ausgebildet wurde, wurde das noto-
rium nur als Veranlassung zur richterlichen Inquisition angenom-
men. {DurantiSj Speculum Hb. III. p. 1. de inquis; Jtd. Clarus^
Practic. crimin. Sentent. recep. lib. 5. §. fin. qu. 5). Dabei wurde
das gefahrliche Verfahren beliebt, dass, wenn nur etliche Zeugen die
Notorietät eidlich erhärteten, der Richter vom weiteren Beweisver-
fahren absehen konnte, die Thatsachen, auch wenn der Angeschuldigte
leugnete, als erwiesen annahm^ zum ürtheil schritt und Appellation
verweigerte. (Gl. »judicis« ad c. 20. C. 2. qu. 1 ; Durantis 1. c. §. 1
und 8. n. 3; Farinaeius, Praxis et theor. criminalis lib. 1. tit. 3,
qu. 21. n. 116, 127).- Daher mahnt Alexander III. (c. 14. X. 2, 28)
zur Vorsicht, Thatsachen, die nicht notorisch sind, als solche anzu-
nehmen (quum multa dicantur nbtoria, quae non sunt, providere
debes . . .).
Die Carolina, welche den Gerichtsgebrauch der damaligen Zeit
auch im weltlichen Forum gesetzlich zum Ausdruck brachte, weist den
Richter an, in solchen (öflfenllchen, unzweiff^nlichen) Fällen, falls der
Thäter widersprechen wollte, ihn mit peinlicher Frage zum Bekennt-
niss anzuhalten (C. G. C. art. 16; Garpzov, Practica nova fcnp. Sax,
rer. crimin. 1646. II. qu. 95. n. 88. 85.)
Für das heutige Verfahren würde sich das alte Notorium noch
in Geltung finden bei den Irregularitäten ex delicto. Bei einem
Crimen notorium tritt nämlich die Irregularitas mit ihren Wirkungen
ipso jure ein, ohne dass es eines besonderen Verbotes des Ordinarius
bedarf. (Vgl. Schulte, II. System §. 5. n. V). Da übrigens im Tri-
dentinum (Sess. 22. de reform. cap. 7.) das cap. »Romana ecclesia«
(c. 3. in VI. 2, 15 de app.) innovirt wurde, so bleibt demnach bei
Dziatzko, Die Notorietät im canonischen Beweiav erfahren, 22'J
einem notorischen Vergehen (»super manifeste et notorio«) nach er-
folgter Sentenz die Apellation zu verweigern.
II. Es war natürlich, dass diese ins Beweisverfahren tief
einschneidendiBu Grundsätze für notorische Vergehen auch bald all-
gemein ausgedehnt und auf alle Thatsachen, wie sie auch die cau^ae
civiles berührten, Anwendung fanden. Der t. 17. C. 2. qu. 1. lautet
auch schon so allgemein: »De manifestä et riota pluribus causa non
sunt quaerendi testes« und fand diese Lehre von der Notorietät schon
früh Seitens der Ganonisten ihre Stelle auch im civilen Beweis-
verfahren (tit. de probationibus).
Auch im Tit. 2, 21: de testihus cogendis vel non der De-
cretalen ist die Lehre, dass notorische Tliatsachen keines Beweises
bedürfen schlechthin ausgesprochen (c. 3, 1. c. : »si factum est no-
torium, non eget testium depositionibus declarari, cum talia proba-
tionem . . . non requirant«), was auch sonät, (wie c. 10. X. 1, 17;
c. .23. X. 1, 6; c. 12. in VI. 5, 11) nicht criminelle Thatsachen be-
treffend wiederkehrt. Als so notorisch dürfen aber nur Thatsachen
gelten, welche weder geheim noch zweifelhaft sind, sondern durch
die öfientliche Stimme und Augenscheinlich keit der That sich der
Bevölkerung als wahr manifestiren (c. 7. 8. 10. X. 3, 2; c. 24. X.
5, 40; c. 14. X. 2, 28; c. 3. X. 1, 7; c. un. Xvag. com. 2, 2";
c. 15. X. 5, 34), so dass sie, wie oben schon hervorgehoben, durch
keine Ausflüchte verheimlicht oder geläiignet werden können. Aus-
drücklich sollen aber blosse Gerüchte nicht als Notorietät angesehen
werden (c. 8. X. 3, 2; c. 2. X. 4, 14; c. 12. X. 2, 24; c. 12 in
VI.- 5, 11), welche nur angenommen werden kann, wenn gleichsam
das ganze Volk öder die Majorität der Bevölkerung Zeugenstelle
vertreten könnte. {Farinacius 1. c. qu. 21. n. 11).
Da nun diese evidentia facti bald auch gleichbedeutend ange-
sehen wurde mit juristischer Gewissheit und diese dem Richter ge-
boten wurde durch das aHenmässig Peststehende, so unterscheiden
die Glossatoren schon 3 Arten der Notorietät: .
1. Notorium juris oier juridicum: Thatsachen, die vollen ge-
richtlichen Glauben hatten, also, die schon vorher durch eine richter-
liche Sentenz oder durch Geständniss oder durch vollgültigen Beweis
Seitens der Parteien als wahr feststehen (c. 17. X. 1, 11; c. 61. X.
2, 28; c. 7. X. 3, 2; c. 10. eodem; c. 24. X. 5, 40; c. 26. X. eod.).
In diesem Sinne sagt das c. 24. X. 5, 40. de V. S : »offensam
illam nos rescribimus intelligere manifestam, quae vel per confessio-
nem vel per probationem legitime nota fuerit aut evidentia rei.«
Schon das Bömische Recht ^agte : »Res judicata pro veritate acci-
15*
228 Dziaizko, Die Nötorietät im canonischen Beweisverfahren.
pitur (1. 207. D. 50, 17. de reg. jur.) und die neueren Rechtslehrer
sprechen noch in derselben AufiFassung von '»Gerichtshmdigkeit<si
Hier sind die gerichtlichen Akten und ProtocoUe, welche von den
Parteien allegirt und vom Richter. inspicirt werden, eigentliche Be-
weismittel (1. 6. C. 7, 52.^ de re judic; c. 11. X. 2, 19. de prob;
Codex Jur. Bav. Judic. v. J. 1753 cap. 12. §. 5).
2. Notorium facti oder evidentia rei das eigentliche notorium,
solch öflFentlich bekannte Thatsachen, wie sie oben schon näher de-
finirt worden sind. Diese enthalten die Beweiskraft schon in sich
durch ihr allgemeines Bekanntsein (»ita ut, etsi negari vellent, ne-
gatio nulla esset« 61. »celari« ad c. 8. X. 8, 2). Hierauf findet die
Rechtsregel Anwendung: »Eum, qui certus est, certiorari amplius
non opqrtet« (reg. 31. in VI. 5, 12. de R. J.). Hier wurden wie-
derum mehrere Arten unterschieden :
a) notoriuni facti (actu) transeimtis oder momentanei^ wozu
alle bekannten geschichtlichen Thatsachen gerechnet werden, die
durch die sichere üeberliefeYung für alle Zeiten teststehen. Durantis
erwähnt hier als Beispiel die Thatsache, dass Christus gelitten hat
und am Kreuze gestorben ist. Die neueren Rechtsgelehrten nennen
diese Nötorietät -»Yolks- oder GeschichtsJcundigJceit;<i
b) notorium facti (actu) permanentis oder continui^ That-
sachen, die beständig vor den Augen der Bevölkerung eines
Ortes sich als wahr darstellen. Die Canonisten erwähnen hier, dass
bestimmte Kirchen an einem Orte sich befinden, dass Jemand in
einer Gemeinde Einwohner ist, oder auch, dass Jemand in einem
Concubinatsverhältnisse lebt. So kann der Personenstand oder das
Domicil Jemandes als notorisch angesehen werden. Der neuere.
Civilprocess spricht hier von -»OrtskundigTceit]^
c) notorium facti (actu) interpolati: Thatsachen, die zwar
nicht beständig fortdauern, die aber durch öftere Wiederholung eine
bestimmte Lebensrichtung oder Gewohnheit begründen. Hierin wur-
den die notorischen Wucherer begriffen. ^ Die Canonisten nennen
diese Nötorietät aber nur qiuisi notorium und schreiben ihr nur die
Kraft einer senniplena probatio zu, da ja die einzelnen Handlungen,
die eine solche Gewohnheit begründen, erst bewiesen werden müssen
und hier sehr leicht eine Annäherung an die blosse fama stattfindet.
(Cf. Gl. »manifestac zu dem citirten can. im Gratianischen Decrete).
3. Das notorium praesiinUum oder praeswntionis : Thatsachen,
die zwar selbst nicht beweiskräftig feststehen, welche aber aus
andern durch überzeugende Gründe oder durch bestimmte ßechts-
regeln mit Notbwendigkeit gefolgert werden. Hierher zählte man
Dziatzko, Die Notorietät im canonischen Beweisverfahren, 229
z. B. die rechtlichen Familienverhältaisse, wie paternitas et filiatio *),
consaiiguinitas , ja nach damaligem Rechte auch durch juristische
Fictiön das matrimonium, wenn nach vorausgehenden Sponsalien die
copula hinzutrat, (cf. Burantis \. c. ; Afdon.. de BtUrio in seinem
Tractate zu c. Vestra X. 3, 2 n. 32). Das c. 10. X. 4, 1. de spons.
nimmt ausdiücklich hier das matrimonium praesumtum an niit der
Wirkung der eigentlichen Notorietät : »contra praesumtionem hujus-
modi non est probatio admittenda.« Nach dem heutigen Rechte
würde dieses notorium praesumtum unter die Rechtsvermuthungen
zu zählen sein (praesumptiones juris et de jure)^ welche nicht un-
passend veritates ex lege genannt werden. {Gcnsler im Archiv für
civil. Praxis 1818. XIX. §. 4).
Es erübrigt noch beizufügen, dass im canonischen Rechte das
notorium die Natur eines Beweismittels selbst hatte, obwohl es seiner
Wirkung nach den Beweis unnöthig machte. Man pflegte nämlich
im weiteren Sinne Alles, was dem Richter zur Information der Sache
eine Ueberzeugung ihrer Wahrheit verschaffte, als Beweisniittel zu
nehmen. Und so fand unter den übrigen auch das notorium eine
Stelle, wie die versus memoriales aus der 'Summa des Hostiensis
darthun:
»Aspectus, sculptum, testes, notoria^ scriptum,
Jurans, «onfessus, praesumtio, fama probabunt.«
In die neueren Codificationen desCivilverfahrens ist meistens
aiis dem canonischen Recl^te nur der einfache Satz herübergenoramen
worden: dass notorische oder solche Thatsachen, welche dergestalt
allgemein bekannt sind, dass kein vernünftiger Qrund, dieselben in
Zweifel zu ziehen, vorhanden ist, keines Beweises bedürfen.«
1) Mach der Regel des Rom. R. (I. 5. D. 2, 4): »Mater certa; pater vero
is est, quem naptiae demonstrant.«
:^^^:gS^"
230
XVI.
Ist die Stellung des heutigen modernen Staates gegenüber
der Kirche historisch und rechtlich begründet, und ist das
beiderseitige Verhältniss, wie es gegenwärtig sich gestaltet,
ein normales und gedeihliches?
Von Dr. Georg Rhabanus,
„Suum ouique."
um diese Fragen zu beantworten, scheint es zweckdienlich,
vorerst die Genesis der Staaten im Allgemeinen zu betrachten, dann
das Wesen, die Begriflfebestimmung und den Zweck des Staates dar-
zulegen, sonach in diesen Gesichtspunkten den Staat mit der Kirche
vergleichend zusammenzuhalten und die Verschiedenheit des Wesens
und Zweckes beider nachzuweisen, endlich die gegenseitigen Be-
rührungen, Beziehungen und Anspräche nach ihrer historischen, recht-
lichen und ideellen Seite darzustellen und zu würdigen.
a. Als die Zahl der Menschen bald nach der Katastrophe der
allgemeinen Erdüberschwemmung derart sich vermehrt hatte, dass
der aus derselben gerettete Familienstatom in verschiedene Ab-
zweigungen sich theilte, da suchten diese, wie schon die älteste ge-
schichtliche Urkunde andeutet i), vergeblich nach einem einigenden
Mittelpunkte. Sie zerfielen daher in verschiedene Stämme, welche
schnell zu zahlreichen Völkerschaften anwuchsen, von denen die
h. Schrift erzählt, dass sie, zerstreut in alle Länder, einander nicht
mehr verstanden ^). So wurden sie in Vergessenheit ihrer gemein-
samen Abstammung sich gegenseitig fremd und mehr und mehr un-
bekannt. Verschiedenheit in der Sprache, in den Sitten, in der Be-
schäftigung und Lebensweise, in der körperlichen und geistigen Ent-
wickelung und Ausbildung, selbst in religiöser Anschavung und
Richtung hatte allmälig eine Grenzscheide zwischen den häufig auch
durch geographische Verhältnisse von einander getrennten Völkern
aufgerichtet, und kein Band gemeinsamer Interessen hielt sie mehr
zusammen. Selbst die Individuen desselben Volksstammes kannten
1) Genesis 11, 1 ff.
2) Ibid. 11, 7-8.
RhabanuSy VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche. 231
ausser ihrem nächsten Pamilienoberhaupte , mit dem sie auch nur
lose zusammenhingen, keinen verbindenden Schwerpunkt, keine Ge-
meinsamkeit der Zwecke und Bestrebungen. Es waren lediglich
membra disjecta, aus denen die Volksmasse bestand; es war der zer-
splitternde Individualismus mit seiner Willkür und Gesetzlosigkeit,
welcher alle Verhältnisse beherrschte.
Aber hierin lag der Grund der Schwäche und der Unmöglich-
keit einer menschenwürdigen Existenz. In solcher Zerrissenheit und
Vereinzelung waren die isolirten Volksst^imme machtlos sowohl gegen-
über inneren, Störungen und Collisionen Einzelner unter sich, als auch
gegenüber äussern Gefährden durch wilde Thiere, die ihnen ihre
Wohnplätze streitig oder unsicher machten, oder durch widrige
Elemente und Ausbrüche der Naturkräfte, üeberdies waren sie ohne
geordnete Wehre gegen das Andringen feindlicher Nachbarn, und da
nur das Recht des Stärkern galt, war ihr Land und ihre Wohnstätte,
ihr Besitz, ihre Freiheit und ihr Leben jedwedem Sturme der rohen
Gewalt, jedem AngriflFe der Habsucht und Tyrannei schutzlos preis-
gegeben.
Dieser Zystand allgemeiner Rechtslosigkeit und. Unsicherheit
le'^tö den einzelnen Volksstämmen früher oder später, nachdem viel-
leicht manche im Strudel innerer Kämpfe oder äusserer Gewaltstösse
untergegangen waren, die NothwendigJceit auf, zur Erhaltung ihrer
Existenz sich in Gemeinschaften zu vereinigen, sich zu consolidiren
und zu organisireu, d. h. in organische Verbände mit festen Grund-
sätzen, Regeln und bindenden Normen zusammenzutreten, und so ein
geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben, eine societas civilis zu
^ begründen.
Dadurch wurde dem Einzelnen eine Schranke seiner Freiheit
und Willkür gesetzt, dagegen ihm das Recht , die Freiheit und der
Schutz der Communität, deren Öberhaupte er sich zu unterwerfen
und zu fugen hatte, zur Antheilnahme geboten.
So entwickelten sich die ersten Rudimente der Staaten. »Fast
alle Völker des Alterthums, sagen einige Geschichtschreiber, fanden
es gleich Anfangs für nützlich, ii:i Gesellschaften sich zu vereinigen,
die man Staaten nennt; sie wählten den Tapfersten oder Klügsten
zu ihrem Anführer, zum Könige, wenn sie vor wilden Thieren oder
feindlichen ITaehbarn sich fürchteten , ergaben sich ihm als seine
Unterthanen, und setzten das Vertrauen in ihn, er werde sie so re-
gieren, wie es für ihre Wohlfahrt am besten. Das erste Reich, wel-
ches nach der Sprachverwirrung entstand, soll das babyionische ge-
232 Hhvibanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche*
wesen sein, Nimrod war sein Stifter, der iu der heil, Schrift ein
gewaltiger Jäger heisst.«
Die Wahl der Könige ging aber keineswegs immer aus dem
freien ßelieben der Völker hervor ; sie entsprang vielmehu gewöhn-
lich einem gebieterischen Drange der Verhältnisse. Schoa der erste
Staat, der Staat Nimrods, war ein Gewaltstaat, auf Eroberung iiind
Völker- Unterjochung gebaut. Ebenso verhielt es sieh mit den meisten
übrigen Staaten des Alterthums, sofern sie nicht reine Priesterstaaten
waren. In der Regel waren es herrschsüchtige und eroberungs-
süchtige Maühthaber, welche von aussen eindringend, mit roher Ge-
walt und Uöbermacht Länder eroberteti, Völker unter ihr Joch
beugten utid ihnen mit eisernem Scepter Gesetze vorschrieben. Oft
auch geschah es, dass aus der Mitte eines Volkes ein Organisator
sich erhob, der an Ansehen und Stärke, an Tüchtigkeit und Ein-
sicht hervorragend, oder von der Weihe höherer Weisheit und pro-
phetischen Geistes geadelt, sein Volk zu gesellschaftlicher Ordnung
anleitete, und zu friedlichem, gedeihlichen bürgerlichen Zusammen-
leben Vorschriften und J!^^ormen festsetzte. Mit Grund kann auch
angenommen werden, dass bisweilen voji einem früher schon gebil-
deten, noch unter den frischen Spuren einer älteren oder ürkultur
erwachsenen Volksstamme 4ie Keime besserer, edlerer Gesittung un^r
ein zurückgebliebenes Volk sich verpflanzten, und dasselbe aus dem
Naturzustände zu geordnetem Gesellschaftsleben überführten.' Solche
Keime waren religiöser Natur, wie denn überhaupt schon lange vor
Gründung der Staaten Beligion in irgend einer Form, wenn auch
häufig zum rohen Polytheismus und Götzendienste verzerrt und ver-
unstaltet^ bei den Völkern sich vorfand i).
b. Hiemit ist die Genesis der Staatenbildung im allgemeinen
Umrisse gezeichnet, und im Wesentlichen Alles gesagt, was die mo-
derne Staatawissenschaft unter dem Namen: "^^historische Theorie,<k
oder ^Theorie der Uebermacht^t oder »religiöse Theorien zusam-
menfasat
Was man noch weiter als »ratioftale,^ oder als ndedle^^i^ oder
als ^gescMchisphilosophische<i Staatstheorie geltend machen will, steht
nicht auf dem Boden der historischen Wahrheit, welche doch allein
massgebend sein kann hinsichtlich der Genesis der Staaten. Der Staat
ist in Wirklichkeit niemals der Staat Plato's gewesen, welch letzterer
nur ein idealistisches Luftgebilde ist, dem niemals eine Realität ent-
1) 3»Dio älteste Geschichte aller Völker ist vorwaltend R^Iigionsge-
schichte, (flüfler, Gesch. d. Alterth., II. Cap. §. 4).
Rhabanus, Verhälfniss des modernen Staates zur Kirche. 233
sprach. Darum ist es auch nicht, wie KatU meinte ^), eine »allge-
meine Vernunftforderung und das Bewusstsein dieser Vernunftfor-
derung,c das. «um Entstehen einer obersten Gewalt bei den eihzelnen
Völkern gefühift hat. Noch weniger kann die Lehre der »natur« oder
gesohichtsphilosophiscfaen« Theorie als richtig anerkannt werden, die
Lehre nämlich, dass der Staat, wenn er einmal auf dem Wege na-
türlicher Notbwendigkeit entstanden sei, in seiner weitern und voll-
kommpnea Entwicklung als nothwendiffes Glied des gesammten
Natur- und Weltorganismus erfasst werden mfisse, so dass auch die
physischen Elemente des Staates als Träger sittlicher Ideen er*-
scheinen, und der Staat zur nothwev^igen^ werUhätigen Offenbarung
des absoluten vernünftigen und sitüichen Geistes^ nämlich der WeU^
sede und Gottheit^ würde^).
Solche Ansichten sind nichts als ivanae species velut aegri
spmnia,« wie Horaz sich ausdrückt^), nichts, als exaltirte Träume-
reien, welche aller Geschichte und Erfahrung widerstreiten. Wäre
es wahr, dass der höchste . Geist, Gott, im Staate zu seiner vollkom-
mensten Verwirklichung gelangt, so müsste doch die Geschichte seit
dem Bestände des Menschengeschlechtes wenigstens Einen Staat auf-
weisen, in welchem eine solche Gottes- Verwirklichung thatsächlich
zum Ausdrucke gekommen wäre. Hätte es je einen solchen Staat
gegeben, so wären die »saturnia regna,« die Reiche Saturns, von
denen die Phantasie der Dichter fabelte, nicht immer vergeblich in
der Welt- und Menschengeschichte gesucht worden. Im Gegen-
theile, was die alten Geschichtschreiber erzählten, und was Dichter
klagend schilderten, weist nichts weniger als die Verwirklichung
des göttlichen Geistes in den Staaten nach; es deutet vielmehr auf
schreckliches Elend und auf tiefes Verderbniss der Menschheit hin,
und zeigt uns selbst die Oberhäupter der Staaten, statt als erste
Repräsentanten des göttlichen Geistes, in der Regel als Urheber und
Förderer des Götzendienstes und der schnödesten Sinnlichkeit, als
Muster aller Verkommenheit und Lasterhaftigkeit, als Aussauger und
Peiniger der Völker. Nicht wenige von ihnen waren Scheusale,
welche Despotismus und Tyrannei, Willkür und üebermuth, Schwel-
gerei und Grausamkeit als Losungswort auf ibre blutbefleckten Throne
schrieben. Gerade solche Herrscher, denen die niederträchtige
1) Metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre, §. 44.
2) »Weil Gott als objectiver Geist, sagt Hegel, im Staate zu seiner voll-
kommensten Verwirklichung gelangt, so ist der Wille des Staates Gottes Wille,
desshalb für den Einzelnen höchstes Gesetz.«
3) Epist. ad Pison. v. 7.
234 Rkabanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche.
Schmeichelei den Namen »der Grosse« beigelegt hat, haben die
Erde mit Blut gefärbt. Und dies thateri nicht etwa nur barbarische
Gewalthaber, wie Ninus, Sardanapal, Salmanassar, Nabuchodonosor,
Oyrus, Danas,' Xerxes u. A.; selbst der so gerühmte Staat der
Römer, der Mittelpunkt aller »Cnltur,« der Vorläufer unserer mo-
dernen sog. Culturstaaten , — welch eine Pftlle des Elendes hat er
in sich aufgehäuft ! Der Geist der Factionen, unersättliche Herrsch-
sucht, und Habsucht , Luxus und SittenverfeU kennzeichnen diesen
Staat, der wie ein nimmersattes . Ungeheuer Alles verschlang, freie
Völker in Ketten warf, alle Moral und Gerechti^eit mit Füssen
trat, Tempel und Götter Entehrte. Es muss geradehin als absurd
erscheinen, wenn man des Langen und Breiten von der CuMr und
Humanität jener griechischen und römischen Staatsverfassungen uns
vordeklamirt, und dabei vergisst, dass wenigstens vier Fünftheile der
Menschen unter dem härtesten Joche der Knechtschaft schmachteten,
dass das Staatsgesetz die unglücklichen Sclaven nur als Sachen —
xTi^fxata, res, nicht als Personen anerkannte, und dass es den vor-
nehmen Herren durch kein Gesetz verwehrt war, solche Unglück-
liche nicht nur zu allen Willkürlichkeiten und Gelüsten zu miss-
brauchen, sondern auch wegen geringer Fehltritte grausam zu miss-
handeln oder gar zu tödten und dann ihr Fleisch als NahrungsstoS
für ihre Fischteiche zu verwerthen ^). Dies war die »Majestät des
Gesetzes;« dies war der Wille des Staates, und nach Hegerscher
Lehre auch Gottes Wille! — Und blickt man von den Staaten des
heidnischen Alterthums auf die modernen Staaten unsers Jahrhun-
derts, so 'vermögen wir leider keine erfreuliche Antwort zu geben
auf die Frage : Sind unsere • Verhältnisse vollkommene und glück-
liche? Sind sie dem »höchsten Geiste,« der ein Geist der Wahr-
heit, der Gerechtigkeit und des Friedens ist, entsprechendere ge- '
worden? — Die Geschichte unserer Zeit führt dem ungetrübten,
leidenschaftslosen Zuschauer nur ein trauriges Bild dunkler Punkte
vor. Zerwürfnisse der Staaten unter einander, Eifersucht auf die
gegenseitige Macht, unersättliche Herrschaftsgelüste und Vergrös-
serungssucht, Intriguen und Unehrlichkeit, eine Politik ohne Moral
und Religion, fortwährende Kriegsunruhen, Blutvergiessen und Ver-
l) Weiteres über die diesbezüglichen unmenschlichen, nnd empi>renden
Rechtsverhältnisse und Gesetze in den Staaten des Alterthums kann man lesen
bei DölUnger, Heidenthum und Jadenthura, S. 667 und 677, bei NUsch, Be-
schreibung der häuslichen, bürgerlichen, religiösen und sittlichen Zustände in-
Griechenland, Tbl. L S. 367 und 396; bei Adam, Handb. der rom. Altertb.,
I. Bd, S. 49; bei Rein, Priyatrecht d. Römer, S. 555, u. A.
Rhabanus, VerhäUnUs des modernen Staates zur Kirche. 235
Verwüstungen aller Art; im Innern der Nationen Parteizerrissenheit,
Unzufriedenheit, ünbotmässigkeit, Aufruhr, offen oder geheim wühlend,
fluchwürdiger ßeichthum der Einen, verzweiflungs volle Armuth der
Andern, verderbliche Grundsätze, wie Giftpflanzen wuchernd, Un-
sicherheit des Lebens und Eigenthums, unersättliche Genusssucht,
hochmüthige Ueberbüdung, frivole Gottesverachtuag, Gesetzlosigkeit
auf der einen, masslose Vervielfältigung der Gesetze, auf der andern
Seite, — und das Facit des Ganzen: »Plurimae leges, pessima
respublica.«
Wer den Lauf der heutigen Zeitverhältnisse verfolgt, der braucht
nicht Pessimist zu sein, um in sich die Klage widerhallen zu hören,
mit der einst Hesiod das eiserne Zeitalter geschildert, und Sallust
die Sitten Roms beschrieben hat. Es stimmen diese Schilderungen
mit dem Bilde unserer Zeit und der Entwickelung der Wirksamkeit
unserer modernen Staaten nur allzu genau überein ^).
1) Hesiod sagt (Werke und Tage V. 174 ff.):
»War ich selber doch nicht ein Genosse der fünften der Männer,
Sondern, wo nicht gestorben zuvor, doch später geboren !
Denn dies Menschengeschlecht ist ein eisernes. Weder bei Tage
Werden sie rMi von Beschwerd und Kiimraerniss, weder bei Nacht je,
Gänzlich verderbt ....
Nicht ist hold der Vater dem Sohn\ noch dem Sohne der Vater;
Nicht dem bewirthenden Freunde der Gast, noch Genoss dem Genossen,
Nicht dem Bruder einmal will herzliche Liehe, wie vormals.
Bald versagen sie selbst grauhaarigen Eltern die Ehrfurcht,
Ja, raisshandeln auch sie, mit Schmach und Beleidigung redend:
Grausame, Gottesgerichts-Unknndige ! Nimmer verleihen wohl
Solche Dank für die Pflege den hochbetageten Eltern. —
Faustrecht gilt: rings strebt man, die Stadt zu verwüsten einander.
Nicht wer die Wahrheit schwört, wird hegünstiget, noch wer gerecht ist,
Oder wer gut; nein, mehr den XJebelthäter, den schnöden
Frevler ehren sie hoch. Nicht Recht und Mässigung trägt man
Noch in der Hand, es verletzt der Böse den edleren Mann auch.
Krumme Worte aussprechend mit Trug, und das Falsche beschwört er;
Scheelsucht folgt den Menschen, den unglückseligen allen,
Schadenfroh, misslauhig und grollend mit neidischem Antlitz.« —
Und Sallust schreibt (in Catilin. X.) mit Lapidarschrift: »Sed uhi labore
atque justitia respublica crevit, reges magni hello doraiti, nationes fferae et
populi ing^ntes vi suhacti, Carthago aemula imperii romani ab stirpe interiit,
cuncta maria terraeque patebant: saevire fortuna ac miscere omnia coepit.
Igitur primo pecuniae, deinde imperii cupido crevit, ea quasi materies om-
nium malorum fuere; namque avaritia fidem, prohitatem, caeterasque artes
bonas sub^wrtit; pro bis superbiam, crudelitatem, Deos negligere, omnia
venalia habere edocuit; ambitio multos mortales falsos fieri subegit, aliud in
pectore clausum, aliud in lingua promptum habere, amicitias inimi-
236 Rhabanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche,
Ans Vorstehendem ergibt sich von selbst- die ünriclitigkeit nnd
und Ungereimtheit der Behauptung, als sei der Entstebungsgründ
der Staaten in einer »noth wendigen, werkthätigen Offenbarung des
absoluten, vernünftigen und sittlichen Oeistes, nämlich der Weltseele
und Gottheit, zu suchen.
c. Auch diejenige treffen das Bichfige nicht, welche die
Genesis der Staaten auf einen »contract social« wie Bousseau, Hobbes,
Kant, Puffendorf, und besonders auch Hugo Grotius zurückfuhren,
sohin einen Vertrag^ einen Gesellschaftsvertrag, einen freiwilligen
Unterwerfungs- und Gewaltübertragungs- Vertrag annehmen, vermöge
dessen ein Jeder sein ursprüngliches Recht freiwillig aufgegeben
hätte, dasselbe an die Gesammtheit Aller abtretend, welche dann
ihrerseits eine physische oder moralische Person als Träger ihrer
Bechte aufgestellt hätte. Dieser Person, d. i. dem gewählten Regenten
oder Oberhaupte, hätte dann die Gesammtheit sich unterworfen in
der Art, dass alles Becht in der Hand des Staatsoberhauptes con-
centrirt gewesen, und dieses allein das Becht ausgeübt, über Recht
und Nichtrecht entschieden, von Allen unbedingten Gehorsam ge-
fordert hätte, während ihm gegenüber Alle rechtlos, seine Gewalt
aber absolut und unbeschränkt gewesen wäre.
Dem gegenüber ist zu bemerken, dass diese Genesis eines
Staates schon eine gewisse Volkssouveränität und gewisse Rechtsbe-
griffe des Volkes voraussetzt, während sie zugleich einen zum Despo-
tismus führenden Absolutismus involvirt, der das gerade Gegentheil
vom Wesen und dem Zwecke eines freien und vernünftigen Ver-
trages wäre, und die baldige Wiederaufhebung desselben und den
Untergang des Staates durch Auflehnung und Bevolution nothwendig
zur Folge haben müsste. Es wäre andererseits absurd, anzunehmen^
die Völker wären freiwillig aus dem Naturzustande herausgetreten^
um ihre liebgewonnene Freiheit im Widerspruche mit dem dem
Menschen angeborenen Freiheitstriebe hin wegzugeben, und sie be-
dingungslos einer Obrigkeit zu überantworten, von der sie nur Zwang,
Bechtslosigkeit und Sclaverei einzutauschen gehabt hätten. Da wäre
jedenfalls viel annehmbarer, was manche, und darunter bedeutende,
Rechtslehrer dafürhielten, »dass der Ursprung aller Staaten als »res
meri facti« in der Geschichte aufzusuchen, und vor allen andern
citiasqne non ex re, sed ei coraraodo aestimare, magisque vultum, quam in-
genium bonum habere. Haec primo paullatim crescere,' interdam vindicari;
post, nbi contagio qnasi pestilentia invasit, civitas immutata, iihperiam ex
jastissimo atqne optimo cmdele intolerandnmqae factnni.« — Ist dies nicht ein
Spiegelbild ansers Zeitalters, der Aera des modernen Staates?
Rhabanus, Verhälfniss des modernen Staates zur Kirche. 237
MeinuDgeB am , wahrscheinlichsten sei, dass Gewalt xxni Ehrgei^f Aen
ersten Anfang dazu gemacht haben , wie mau insonderheit an Cain
und Nimrod. sehe, und Augustinus sage: »Quid enim regna, nisi
magna latrocinisk^).«
Nein, es ist kein freier Vertrag^ kein Gesellschafts-, Unter-
werfungs-, Machtübergabsvertrag, oder wie man ihn sonst nennen mag,
was jemals Staaten begründen und auch nw auf eine Zeit, lang in ihrer
Existenz erhalten könnte. Was zur Gründung von Staaten führte,
ist vielmehr t- und eben dies wollen unsere Staatstheoretiker und
Staatsphilosophen sich picht einleuchten lassen— ein schon ur-
sprünglich von Gott in die Natur des Menschen gelegtes^ xind den
Völkern durch tausei^dfaltige Verhältnisse und Erfahrungen allmälig
jsmn Bexvusstsein gebrachtes Bedürfnisse behufs Ermöglich ung einer
^rechtlichen Existenz und Sicherung der äussern irdischen Lebens-
güter in socialen, organisch geordneten Beziehungen, Ordnungen und .
Gesetzen unter einem leitenden, mit der nöthigen Gewalt und. Auto-
rität ausgestatteten Oberhaupte in grösseren oder kleineren Communi-
täten vereinigt zu leben. — Auf dieses in der Menschennatur
liegende Bedürfniss hai schon Aristoteles Ximg^mQ^Qn^ da er den
Menschen als »96031 TcoXmxov Cü)ov,« als ein von Natur aus poli-
tisches Lebewesen, bezeichnete^).
Eben weil dieses Bedürfniss besteht und weil es von Gott der
Menschennatur eingepflanzt ist, kann man sagen, dass die Staaten,
wie ihre Kegenten oder Oberhäupter, welche eben die tragenden und
verbindenden Schlusssteine dieser socialen Verbände repräsentiren,
mittelbar auf göttlicher Anordnung beruhen. Es ist nicht eine frei-
willige und willkürliche, oder lediglich zufällige Erscheinung um den
Staat; er ist eine relative Noth wendigkeit, von Gott gewollt; und
nicht minder sind die Oberhäupter der einzelnen Staaten dadurch,
dass die Volksstämme zur Ermöglichung eines gedeihlichen^ menschen-
würdigen Zusammenlebens freiwillig oder gezwungen sich unter ihre
Autorität fügen, als auf dem Grunde göttlicher Anordnung stehend,
als von Gott gesetzt zu erachten. In diesem Sinne sagt die h. Schrift:
»Per me reges regnant,^)« und wieder: »Non est enim potestas,
nisi a Deo*).« — Die Staatsgewalten und ihre Träger haben dem-
nach zwar keine unmittelbare göttliche Institution zu ihrem Grunde,
1) Frhr. v, Kreitlmayr, Anmerk. zum Cod. Maximil. bavar. civil. I. Thl.
Cap. II. §. 6. n. 2.
2) Politic. I, 1. 8. 9. , .
3) Proverb. 8, 15.
4) Römer 13, 1.
238 Rhabanus, Verhältniss des modernen Staates zur' Kirche.
wohl aber eine mittelbare^ insofern sie als nothwendiges Postulat der
von Qott gegebenen Menschennatur und der von Qott gewollten Ent-
wicklung der Menschheit sich darstellen. Mit Recht können sich
in diesem Sinne die von den christlichen Völkern anerkannten legitimen
Staatsobwhänpter das Prädikat T>von Gottes Onaden^ beilegen, frei-
lich nicht als Ausdruck hochmuthsvoUer Selbstüberhebung nach dem
Beispiele mancher Despoten des heidnischen Alterthums, welche ihre
Herkunft von den Göttern selbst ableiteten und sich göttliche Ehren
anmassten, — sondern als demüthigesBekenntniss der Dankbarkeit für
die erbarmungsvoUe göttliche Anordnung, vermöge welcher sie auf
die Stufe eines hohen und heiligen Berufes gestellt, sich als Gottes
Diener erkennen, als Diener des Königs der Könige, der, wenn sie
ihre Autorität missbraucheu , von ihnen »das Reich wieder hinweg-
nehmen wird^).« Denn wenn die Könige nicht von Gottes Gnaden
ihre Autorität ableiten, und nicht als verantwortliche Diener Gottes
sich erkennen , so zerbrechen sie selbst ihr Scepter und zerstören
das erste, noth wendigste Fundament ihrer Legitimität und Gewalt.
> Weisheit unserer Väter war es, schreibt Friedr. Leop. Graf ssu
Stolberg y welche die Fürsten eine Formel lehrte, deren Sinn so tief
als richtig ist , nämlich zu bekennen , dass sie von Gottes Gnaden
das sind, was sie sind. Es ist den ünterthanen viel daran gelegen,
dass der Fürst, — es ist dem Fürsten viel daran gelegen, dass die
ünterthanen die heilige Sanktion der gegenseitigen Pflichten nicht
vergessen.« — So oft ein Fürst das Wort ausspricht: »Wir, von
Gottes Gnaden,« möge er der Mahnung gedenken, welche die h.
Schrift allen Königen und Machthabern zuruft: »Sitzt er auf dem
Throne seines Reiches, so schreibe er sich den Inbegriif dieses Ge-
setzes in ein Buch zusammen, und nehme die Urschrift dazu von
den Priestern des Stammes Levi. Dieses lege er niemals aus den
Händen ; er lese es die Tage seines Lebens, dass er den Herrn seinet^
Gott fürchte -und die Gebote halte. Er sehe nicht mit Stolz auf
seine Brüder herab , " er weiche weder zur Rechten noch zur Linken
ab, auf dass er und seine Kinder lange Zeit in Israel regieren*).«
So verhält es sich also mit der göttlichen Einsetzung der
Oberhäupter der Staatsgewalt. Falsch ist die Darstellung hierüber
bei Kant^), als ob der Satz: »Alle Obrigkeit ist von Gott« — nicht
einen Geschichtsgrund der bürgerlichen Verfassung, sondern ledig-
lich eine Idee als praktisches Vernunftprincip aussage, die Idee
1) Daniel 4, 28; 5, 27.
2) Deuteron. 17, 18 ff.
3) Metaphys. Anfangsgründe der Eechtslehre, §. 49, A.
Rhabanus, Verhälinisa des modernen Staates fiur Kirche*, 239
nämlich: »der jetzt besteheadeu gesetzgebenden Gewalt gehorchen
zu sollen, ihr Ursprung raöge sein, welcher er wolle.« Eine solche
Idee von blinder Unterwerfung unter eine Gewalt, Ton der man gar
nicht wissen kann, ob ihr Ursprung ein berechtigter oder nicht-
bereohtigter sei, wäre eine unvernünftige Idee. Eine Forderung, die
keine höhere Grundlage, keine über dem Menschen stehende, zweifel-
lose Autorität für sich hätte, könnte für den Menschen ^ die als
solche alle einander gleich sind, keinenfalls eine verpflichtende
Wirkung erzeugen.
II.
a. Fragt man nun: Was ist der Staat? — so wird man auf
Sei^e der Staatsrechtslehrer keine übereinstimmende Antwort finden.
Aristoteles erklärt den Staat als eine Gemeinschaft von Ge-
schlechtern und Ortschaften zu einem vollkommenen und in sich be-
friedigenden Leben 1).« — Allein eine solche Definition ist offenbar
zu unbestimmt gefasst und zu allgemein lautend, da bienach der
Staat Alles in sich begreifen könnte. Ein »voUkommäues,« in sich
»in allen Be2iehungen befriedigendes Leben« ist eine Utopie im ir-
dischen Dasein und für den Staat eine unmögliche Aufgabe.
Noch mangelhafter war die Beschreibung, die Flaio von seinem
Bürgerstaat machte. Nach Flato ist der Staat der Organismus der
Menschheit für das Gesammtleben , der drei Klassen von Burgern
umfasst, nämlich die ^i^vernii/ififUgenxiVLAherrschendenj^AiQ "»sirmlicheti
und dienenden,^ endlich die >miäleren^€ d. i. die Vertheidiger der
herrschenden Klasse und des Vaterlandes *).
Plato's Staatslehre läuft auf den strafläten Absolutismus hinaus,
in dem alle Rechte und Interessen der Einzelnen verschlungen, Fa-
milie und Eigenthum absorbirt wären. Und doch bilden gerade
Familie, Familienrecht und Frivateigenthura das Fundament und die
Wurzel jedes gedeihlichen Gesellschaftslebens. Letzteres ist über-
dies ohne die Grundlage der Religion, ohne bestimmte Form der-
selben, ohie selbstständige Kirche undenkbar. »Es ist anzuerkennen,
schreibt sogar ein neuerer Staatsrechtslehrer »), dass der Staat nicht
die einzige humane Gemeinschaft, nicht die einzige leibliche Dar-
stellung der Menschheit ist. Die Kirche ist in ihrer irdisch- sicht-
baren Erscheinung auch eine Gemeinschaft, auch ein Leib der Mensch-
heit. Damit ist zugleich anerkannt, dass die politische Herrschaft
1) Polit. III. 5, 14.
2) Polit. IV, 16; De republ. V.
S) Bluntschli, AUgem. Staatsrecht, S. 27 ff.
240 Rhabanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche.
des Staates sieht das reliose Leben der Menschen bestimmt, und
dass die Freiheit de»' Gewissen und der Glaube des Individaams
nicht durch den Staat gefährdet werden darf. Sodann folgt aus der
mensehlichen Nator des Staates keineswegs, dass der Staat eine
vollkommene Herrschaft über das Idividnum habe . . . Das Gebiet
des Staates erstreckt sich daher nicht weiter, als die Interessen der
Gemeinschaft und das Nebeneinanderbestehen und Zusammenleben
der Menschen es erfordert.«
So Bluntschli. Zwar entzieht auch Plato die religiösen Ange-
legenheiten der absoluten Staatsbefugnissj und vindicirt die Ordnung
und Bestimmung derselben dem Gotte, d. i. dem delphischen Apollo.
Auch lässt sich nicht wohl annehmen, Plato habe seinen Bürgerstaat
sich als religionslos gedacht, da er in andern seiner Schriften Be-
ligionslosigkeit als den grössten Unsinn und die grösste ünsittlich-
keit betrachtet, und der' Ansicht huldigt, dass zur Erlan^ng der
»Tugend,« ohne welche kein geordnetes Gesammtleben möglich, die
Hilfe der Götter noth wendig sei. Aber gleichwohl spricht Plato
seinem Staate einen Absolutismus, eine Staatsomnipotenz zu, neben
welcher weder eine Gewissensfreiheit der Staatsbürger, noch eine
freie, in sich selbst beruhende Religionsform und Kirehe bestehen
könnte. Der platonische Staat wäre die grösste Sklaverei der
Menschheit.
Und doch hatte diese excentrische Auffassung des Staates als
einer unbegrenzten Macht die Nachwirkung dass viele Köpfe späterer
Zeiten vom Schwindel des Staatsabsolutismus ergriffen wurden,
während andere schwankend in mangelhaften, oder unklaren und
zweideutigen, entweder nichts, oder zu viel sagenden Definitionen
sich ergingen. Denn was ist damit erklärt, wenn AnciUon^) den
Staat als eine »moralische Einheit« definirt? oder wenn Savigny^)
den Staat als die leibliche Gestalt der geistigen Volksgemeinschaft,
als die organische Erscheinung des Volkes bezeichnet? oder wenn
Kant den, Staat als »die Vereinigung einer Menge von Menschen
unter ßechtsgesetzen *),« — und Jordan als »die Herrschaft des
Rechtsgesetzes« erklärt? Wenn ferner Bluntschli^) den Begriff des
Staates so bestimmt : »Der Staat ist eine Gesammtbeit von Menschen
in der Form von Regierung und Regiert^, auf einem bestimmten
Gebiete verbunden zu einer .sittlich organischen Persönlichkeit,«
1) Ueber den Geist der Staatsverfassungen, Berl. 1825.
2) System des röm. Rechts, I. S. 22.
3) Metaphys. A^ufangsgründe der Rechtslehre, §. 45.
4) Ibid. S. 24 und 35.
Rhabanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche. 241
— und weiter unten beifügt, dass »gerade die furchtbarste Thätig-
keit des Staatsmanns die Sorge fär die materielle Wohlfahrt und
für die geistige Erhebung des Volkes sei,« — so fehlt auch dieser
Definition die uöthige Bestimmtheit und Abgrenzung, da man sie
auch auf die Familie anwenden könnte , deren Hausvater ebetf das
regierende Haupt ist, der für das materielle und geistige Wohl seiner
Familienangehörigen zu sorgen hat. Freilich findet ein anderer
Staatsrechtslehrer, Leo % zwischen Staat und Familie keinen wesent-
lichen Unterschied, indem er sagt, der Staat sei umnittdhar mit den
Menschen gegeben (?), und wäre nur eine Familie auf der Welt, so
bildete sie einen Staat ; denn dann würde sie nicht mehr , wie jdzt
die Familie, ein untergeordnetes Glied sein, sondern der Staat existirte
dann in der Form des Familienlebens , und |ille höchsten Attribute
der Staatsgewalt fielen dann in den Kreis der Familie herein.« —
Dies ist falsch j dfe Bande, welche die Familie zusammenhalten und
an den Einigungspunkt, an den Familienvater knüpfen, sind ver-
schieden von denen, welche die Gemeinschaft des Staates zusammen-
halten; jene sind ursprünglicher, unzertrennlicher, inniger, heiliger,
weil auf dem Bande der natürlichen Liebe ^), auf dem Bande der Ehr-
furcht beruhend, welches hinwiederum in dem Bande der Herzen, in dem
Gefühle der Vaterschaft und Kindschaf t^ in der religiösen^ dem Ge-
müthe des Menschen tief eingegrabenen Idee wurzelt, während die
Verbindung der Menschen zum Staate durch äi«S5ere Bande, durch
Bande des Zwanges, der InterBssen und der ünterth&nigkeifc unter
die äussere Macht und Gewalt geknüpft ist. Die' Familienverbindung
ist daher eine wesentlich andere, als die des Staates. -^
Können solche Definitionen und Deäcriptionen des Staates, wie
die vorgenannten, schon nicht als befriedigend erachtet werden, so
muss man andere, welche sich der platonischen Staatsidee mehr oder
jninder anschmiegen, vornherein als unannehmbar, als offenbar. absurd
zurückweisen. . ,
Wenn Adam Heinr. Müller^) den Staat definirt »als die in-
nige Verbindung der gesammten physischen und geistigen. Bedürf-
nisse, des gesammten innern und äussern Lebena einer Nation zu
einem grossen organischen, unendlich bewegten und lebendigen
1) 'Naturlehre des Staates.
2) Schon die Heiden druckten ihre Liebe zu ihren Kindern aus, die sie
ihre Eingeweide, viseera, nannten: »Eripite yiscera mea ex vineulis,. restituite
mihi pignora, pro quibus mori non recuso,« sagte Darius von seinen ge-
fangenen Söhnen, nach Ourtius, Lib. de uxore et filiis captiv.
3) Elemente der Staatskunst, I. S. 51 und 66,
Archiv filr Kkchenrecht. XLVIU. IQ
242 Rhabanus, VerMltniss des modernen Staates zur Kirche.
Ganzen,« und wieder »als die Totalität der menschlichen Angelegen-
heiten nnd deren Verbindung zu einem lebendigen Ganzen,« so muss
man darin ein gänzliches Aufgehen der Religion und ifirche im
Staate, der ja Alles umfasse und enthalte, erkennen, und darum diese
Definition als zu weitgreifend entschieden beanstanden. Die Mül*
ler'sche Definition klingt, wenn auch in besserer Intention nieder-
geschrieben, schon sehr an die Theorien von Schelling und Hegel
an, welche beide durch ihre masslose Staatsverherrlichung und Staats-
vergöttlicbung Alles überboten.
Schelling nennt den Staat »das nach dem göülicheh Urbild
geformte Gesammtlehen in Hinsicht auf Sittlichkeit, Religion, Wis-
senschaft und Kunst, darinnen die sich selbst begreifende. Vernunft
gerade so, wie im Weltbau durch absolute Naturnothwendigkeit,
hier durch freie Besonnenheit ihr eigenes lebendiges Bild allein zu
erkennen vermag. Der Staat ist demnach ein objectiver Organismus
der Freiheit, sichtbar darstellend die nothwendige Harmonie zwischen
Freiheit und Nothwendigkeit im öffentlichen Leben der Ganzheit,
sowie in dem besondern der einzelnen Bürger, — eine Verfassung,
die nicht blos um gewisser Zwecke willen da ist, sondern von selbst
und allein schon darum, weil sie ist, alle Zwecke erfüllt. Der Staat
ist also nicht ein Werk des Zufalles oder der Willkür, sondern nur
eine besondere Offenbarung des Absoluten ^),<t^ Eine solche Definition
stellt den Staat dar als das Höchste uiid Einzige, von dem alles
Uebrige , wie der Nebel vor der Sonne , verschwindet. Aber dieser
Schelling'sche Staat ist keine Realität; er ist nur ein Phantasiebild,
dem keine Wirklichkeit entspricht, eine fata morgana, für die wir
in den Wüsteneien des Staaten- und Völkerlebens niemals eine greif-
bare Existenz finden. Ist der Staat »eine besondere Offenbarung«
des Absoluten, so ist das Absolute nicht die ewige Ruhe, unendliche
Güte, Wahrheit, Schönheit, nicht die untheilbare unbegrenzte Einheit
und Einfachheit, nicht die substanzielle Liebe, Weisheit und Selig-
keit, sondern das Gegentheil von diesem, ein auf- und niederwogeri-
des Chaos der Verwirrung und Unordnung, der Unruhen, der Zwie-
tracht und eines zahllosen Heeres von Leiden und Leidenschaften,
welche wie Harpyen die Völker umstürmen. Wenn der Staat Selbst-
zweck ist, dann geht die Religion, die, Kirche in ihm auf, denn er
ist selbst die Wesenheit der höchsten Religion und das Ideal der . .
Kirche; er absorbirt alle Religionen und Kirchen in sich.
4) Aphorismen zur Einleitung in die Natnrphilosophie §. 8; Methodolog,
des akadem. Stnd. , Vorlesung X. über Geschichte und Kechtswissenschaft,
S. 226 flf.
RhabanuSf Herhältniss des modernen Staates zur Kirche* • 243
Während noch ein Schüler Schelling's, Heinrich Steffens^ wel-
cher in seinen »Carrikaturen des Heiligsten ^)* den Bürgerstaat das
Heiligste der Menschheit nennt, doch den Satz: »die Kirche und der
Staat sind schlechthin Eines und Dasselbe,« als ein fehlerhaftes
Extrem , als eine Carrikatur seines »Heiligsten« bezeichnet , ist da-
gegen Hegel auf die letzte Sprosse der Stufenleiter des Pantheismus
uud der Staatsvergötterung gestiegen, indem er*) den Staat bezeich-
nete als den ^wirUichen^ präsenten Gott, als den göttlichen Willen,
als gegenwärtigen, sich zur wirklichen Gestalt und Organisation ent-
faltenden Geist.« Der Staat ist nach Hegel ein »wahrhaft Irdisch--
Göttliches^ und muss als solches verehrt werden. Die Kirche steht
nicht über dem Staate, noch ausser ihm; der Staat tritt vielmehr
an die Stelle der Kirche selbst, und setzt sie zu einem Momente
seiner selbst herab. Als unbewegter Selbstzweck hat der Staat das
höchste Recht über die Einzelnen; das Volk als Staat ist die ab-
solute Macht auf Erden; alle Einzelnen haben derselben unbedingt
sich zu fügen und für dieselbe sich zu opfern. Jeder hat die ab-
solute Pflicht, im Staate zu sein. Um tugendhaft und religiös zu
sein , hat der Mensch nichts Anderes zu thuu , als was ihm vom
Staate vorgezeichnet und vorgeschrieben ist.«
Was will man noch mehr? Können nicht alle Staatsabsoluti-
sten über eine solche Auffassung des Staatsbegriffes mit vollem Be-
hagen ihre Orgien feiern? Und gar erst jetzt, seitdem in letzterer Zeit
der idealistische Pantheismus in den Materialismus umgeschlagen
hat, und der moderne Staat, im Gewände des sog. Liberalismus auf-
tretend, alles Göttliche läugnet, — jetzt haben ßs unsere modernen,
liberalen Staatsmänner wieder erlebt, dass sie sagen können, wie
einst der Minister des Bürgerkönigs Louis Philipp: »Wir sind eine
Regierung, die nicht zu Gott betet.« Der vom Materialismus durch-
säuerte Staat ist in der That ein Staat ohne Gott. — Aber: »quem
Dens perdere sult, prius dementat.«
Wenn es je möglich ist, dass diese philosophische, oder viel-
mehr phantastische Staatsbegriffs-Theorie von dem Lichte nüchterner
Anschauung, Geschichts- und Menschenkenntniss überwunden wird,
und wenn unsern modernen Staatsabsolutisten über die zerstörenden
Wirkungen und Folgen ihres in das Leben der Staaten injicirten
Vergiftungssystems endlich noch die Augen aufgehen, dann vielleicht
wird man zu einem der Wahrheit und Wirklichkeit näher stehenden.
1) Carrikaturen des Heiligsten, Leipzig 1819—1821, 2 Bde.
2) Grundlinien der Philosophie des Rechtes, oder Naturrecht und Natur-
wissenschaft im Grundrisse.
16*
244 RhabanuSy Verhältnisa des modernen Staate^ zur Kirche.
bescheidenen Staatsbegriffe zurückkehren, wie ihn grosse, geistvolle
Staatsrechtslehrer als den richtigen erkannt haben.
b. Schon Hiigo Grotius, hat, obwohl er hinsichtlich der Ent-
. stehang der Staaten irren konnte, doch das Wesen des Staates rich-
tiger, d. i. enger gefasst, indem er schrieb: »Est civitas coetus
perfectus liberorura hominum, juris fruendi et communis utilitatis
causa societus ^).« Nach seiner Lehre ist also der Staat eine
perfecte, d. i. selbstständige Gesellschaft freier Menschen, die zum
Genüsse der Sicherheit ihres Rechtes auf Freiheit, Leben,
Eigeuthum, Ehre, überhaupt der gemeinsamen ä«55ern Wohlfahrt,
vereinigt sind. Dass demnach der Staat Alles sei, und dass es
gegenüber dem Staate- kein anderes, von ihm unabhängiges Recht
gebe, von dieser Extravaganz hat Hugo Grotius nichts gewusst, da-
gegen war ihm klar, 'dass ausser und neben der bürgerlichen Gesell-
schaft noch eine andere grosse, selbätständie Gesellschaft existire,
nämlich die Kirche, die Erscheinung und die Trägerin der Religion.
— Spätere Rechtslehrer, vfie Stahl ^)^ bezeichnen den Staat als »ein
sittliches Gemeinwesen zur äussern Ordnung und Förderung des so-
cialen Lebens,« oder als »einen Verein von Menschen unter äussern
positiven, d. h. Rechtsgesetzen zur Erhaltung und Vertheidigung der
allgemeinen Menschenrechte, der Freiheit, der Sicherheit des Lebens,
des Eigönthums und der Ehre,« (Meineeke); oder: »als einen so-
cialen Verband zum Zwecke der Aufrechterhaltung und Geltend-
machung der socialen Rechtsordnung durch Realisirung der Rechts-
forderungen, um dadurch die zeitliche Wohlfahrt der Glieder dieses
socialen Verbandes zu ermöglichen und zu fördern.« (Dr. StöcMy
Lehrb. der Philosophie, IL S. 537.) —
Eine richtige und erschöpfende Definition des Staates ' dürfte
auch folgende sein:
»Der Staat ist eine selbstständige- bürgerliche Gesellschaft von
Menschen, auf einer grösseren oder geringeren Vielheit von Familien
aufgebaut, beruhend in seinem tiefsten Grunde auf göttlicher Ord-
nung und auf dem aus der Natur des gefallenen Menschen fliessen-
den Bedürfnisse, zum Zwecke der Erhaltung und Vertheidigung der
Sicherheit des Lebens, der Freiheit, der Ehre, des Eigenthums, des
Rechtes , der privaten und öffentlichen Ordnung und Ruhe , sowie
überhaupt zur Förderung der zeitlichen und irdischen Güter und der
Wohlfahrt der Gesellschaft als Ganzem und der einzelnen Glieder
derselben unter einem gemeinsamen regierenden, mit der erforder-
1) De jure belli et pacis, L IIL §. 7, Proleg. §. 16. .
2) Eechts- und Staatslehre auf Grundlage christlicher Weltanschauung.
Rhabanus, Verhättniss des modernen Staates zur Kirche. 245
liehen bürgerlichen, gesetzmässigen Macht und Autorität bekleideten
Oberhäupte, einer physischen oder moralischen Person, auf einem-
bestimmten geographischen Gebiete zu einem organischen Verbände
vereinigt zusammenzuleben.«
III.
a^ Zweck des Staates ist es demnach, die äusserlichen, irdi-
schen Güter deV Menschen in seinem Staatsgebiete zu sichern, zu
fördern und zu schützen i). Der Staatszweck umfasst daher weder
ä\Q ganjse Menschheit, noch den ganzen Menschen, noch dessen höhere^
Oberirdische Güter und seine ewige Bestinftuung. Dieser höhere Be-
ruf der Menschheit, welcher nicht auf einzelne Menschenracen, auf
einzelne Völker oder Ländergebiete sich beschränkt, sondern auf das
ganze Menschengeschlecht und auf die ganze von ihm bewohnte Erde
sich erstreckt, und alle Stämme sammt ihren tausendfachen Ab-
zweigungen , sie mögen von Sem , von Cham oder Japhet ihre Her-
kunft ableiten, sie mögen in was immer für einer Zone, in was im-
mer für einem Klima, in was immer für geographischen, ethnogra-
phischen oder ethnologischen Verhältnissen leben, in gleicher Weise
umfasst , und alle zu derselben Einheit der allgemeinen Menschen-
familie verbilidet, — dieser höhere Beruf liegt vom Zwecke des
Staates weit ab , und könnte vom Staate mit den ihm zu Gebote
stehenden Machtmitteln niemals erreicht werden. Hieraus folgt, dass
ausser und über den bürgerlichen Staaten noch ein anderer, vom Staate
nach Wesen und Zweck unabhängiger Organismus, ein Gemeinwesen
höherer Art existiren muss : die allgemeine christliche^ d. i. die Jcatho-
lische Eirche. Diese, auf unmittelbar göttlicher Gründung beruhend,
weil sie die Erscheinung und Trägerin der von Gott unmittelbar geoffen-
harten Religion ist , hat die höheren , zu allen Zeiten unveränder-
lichen, überirdischen Bedürfnisse der Menschheit, ihre religiösen Be-
ziehungen, die Beziehungen nämlich des Menschen zu Gott und zum
jenseitigen Leben, und dessen Bestimmung zur Tugend, zum Glauben,
zur Hoffnung auf überirdische Güter, sowie überhaupt die Pflichten
gegen Gott, gegen den Nächsten und eines Jeden gegen sich selbst
— zu ihrem Gegenstande und Zwecke. Dieser Zweck ist der höchste
1) Ganz richtig stellt die bayerische Verfassungs-Urkunde vom 26. Mai
1818, §. 8, den Grundsatz auf: >Der Staat gewährt jedem Einwohner Sicher-
heit seiner Person, seines Eigenthums und seiner Rechte.« Dieselbe Urkunde
sondert ausdrücklich den Zweck des Staates von jenem der Kirche -mit den
Worten: s. Gewissenhafte Scheidung und Schützuug dessen, was des Staates und
der Kirche ist.« (Einleitung zur Verfass.-Urk.)
246 Rhahanußj Verhältniss des modernen Staates zur Kirche'.
für die gesanimte Menschheit, darum auch der erste. Religion ist
das Höchste, das Erste und das Nothwendigste ; Religion ist die
Grundlage von Allem, der Balt von Allem, das Fundament, auf dem
jedes ethische Gebäude ruhen muss, wenn es nicht in Kurzem stürzen
soll. Ohne Religion sänke die Menschheit zum Thiere herab, und
könnte kein Staat bestehen. Selbst Heiden haben dies anerkannt,
»unser Staat, schreibt Valerius von dem alten Rom, hatte immer den
Grundsatz, dass der Religion Alles nachgesetzt werden müsse; man
zweifelte daher nicht daran, dass die Staaten den Heiligthümern zu
dienen haben ^).« Ein grosser Geist späterer Zeit hat den propheti-
schen Ausspruch gethan, dass die Meinungen der Gottlosigkeit und
Religionslosigkeit Alles zur Generalrevolution vorbereiten , von wel-
cher Europa bedroht sei^). »Ein herrschender Glaube an die Sterb-
lichkeit der menschlichen Seele, schrieb einst der geschichts- und
menschenkundige Kornmann^)^ wurde Staaten und Völker zer-
rütten, alle gesetzlichen Bande lösen und Länder und Reiche zur
Wüste machen*).«
1) Valerius, Lib. I. c. 1. n. 9 : »Omnia post religionem ponenda semper
nostra civitas duxit; quapropter non dubitaverunt, sacris imperia servire.«
2) LeibniZf Nouv-essays, p. 430.
3) SibyUe der Eeligion.
4) Wahrhaft erbauend ist es, was drei mächtige christliche Fürsten,
Kaiser Franz IL von Oesterreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preussen,
und Kaiser Alexander I. von Bussland , in einer für alle Zeiten denkwürdigen
Urkunde, in der »heiligen Allianz^ d.d. 14./2'6. Septemh. 1815, feierlich aus^
gesprochen haben über die Beligion als nothwendige Grundlage der Staaten:
»Im . Namen der hochheiligen und untheilbaren Öreieinigkeit« erklären diese
drei Monarchen feierlich, »dass gegenwärtige Akte nur zum Gegenstande hat,
Angesichts der ganzen Welt ihre unerschütterliche Entschliessung zu erkennen
zu geben, sowohl in der Verwaltung ihrer respectiven Staaten, als in den «poli-
tischen Verhältnissen mit jeder andern Regierung, allein die Vorschriften
dieser heiligen christl. Religion zur Regel zu nehmen , Vorschriften der
Gerechtigkeit, der christlichen Liebe und des Friedens, die nicht blos auf das
Privatleben anwendbar sind, sondern im Gegentheil direct auf die Entschlies-
sungen der Fürsten einwirken , und alle ihre Schritte leiten müssen , wie sie
denn auch dllein das Mittel sindj die menschlichen Institutionen zu
consoUdiren und ihren ünvollkommenheiten abzuhelfend^ u. s. w. Hiezu
bemerkt ein Geschichtschreiber sehr wahr und richtig : »Nach tausend und aber-
tausend verfehlten. Berechnungen einer hinterlistigen, unsichern und mit Cha-
mäleons-Natur ihre Farben unzähligemale wechselnden Politik mochten sie (die
Fürsten) doch endlich das bessere Ich hören, und lon der Wahrheit des
Axioms überzeugt werden : die einzig sichere Grundlage der wahreü Politik, der
gesetzlichen Herrschermacht und der anfechte Veredlung der Völker hinzielen-
den Staatsinstitutioneu finde sich nur in der Begion der sittlich-religiösen
Menschennatur. Auf diesem Standpunkte Hess sich denn auch leicht Qrkennen,
Rhahanua, Verhältnis^ des modernen Staates aur Kirche, 247
Es muss also Jedem, der an Gott und Unsterblichkeit glaubt,
jedem, der die Bestimmung des Menschen nicht vom Standpunkte
des Materialismus auffasst, ja Jedem, der nicht sein Auge verschliesst
vor dem Lichte der Vernunft und sein Ohr vor den Lehren der Ge-
schichte, einleuchten, dass es neben dem Staate nothwendig noch
einen andern, keineswegs zu dessen Wesen gehörenden, sondern
selhstständigen^ grossen, auf kein einzelnes Staatsgebiet beschränkten,
ethischen Organismus geben muss, damit die Erreichung der höhern,
der religiösen Bestimmung der Menschheit ermöglicht werde. Dieser
Organismus, dieser, grosse Menschenverband, diese von Gott gesetzte
höchste Institution auf Erden ist die Kirche.
b. Zwei grosse, selbstständige, von einander wesentlich unab-
hängige höchste Gewalten gibt es demnach in der Welt. Der einen
dieser Gewalten sind die irdischen und zeitlichen Interessen der
Menschen, der andern die 'überirdischen und ewigen Zwecke der-
selben von der göttlichen Providenz als das jeder eigenthümliche
Gebiet ihres Wirkens und Waltens zugewiesen.
Wir sagen : zwei Gewalten ; nicht der Staat allein also existirt
in der Welt als herrschende Macfht ; eine andere, eine geistige Macht,
steht neben ihm. Dies war die üeberzeugung aller Vernünftigen
aller Zeiten. >Duo sunt, schrieb jEBwZjwar (de ordin. Palat. 5, cap.
Duo sunt, Dist. 96), quibus principaliter mundus hie regitur : aucto-
ritas Sacra Pontificum, et regalis potestas.« Die Verschiedenheit
dieser beiden Mächte hat Papst Nicolaus I. in seinem Briefe an den
Kaiser Michael mit den Worten dargelegt : »Wie könnten Diejenigen,
welche nur den Beruf haben, über die menschlichen Dinge, nicht
über die göttlichen zu gebieten, über jene zu richten sich heraus-
nehmen, durch welche das Göttliche verwaltet wird ? Zwar war es
vor Christi Ankunft der Fall, dass einige Könige im typischen Sinne
auch Priester waren, wie solches die h. Schrift von Melchisedech be-
richtet. Aber dies hat der Teufel, der ja immer, was zur Ehre
Gottes gehört, sich selbst anzumassen strebt, nachgeäfft, in der
Weise, dass die heidnischen Kaiser zugleich den Titel: »Pontifex
^ maximus« führten. Als man aber zur Wahrheit (des Christenthums)
gelangt war, hat. sieh weder ein Kaiser die. Rechte des Pontificates
angemasst, noch der Pontifex den Titel des Kaisers usurpirt, da ja
dass jene sitUich-'religiose, die wundervollsten Erscheinungen der Zeit wirkende
Tendenz bei den christlichen Völkern an das Instilat des positiv christlichen
Eirchenglaubens gekniipft sei, um etwas, den fluchtigen Augenblick der Zeit
Ueberlebendes zum Heile der Völker zu stiften.« (Die Geschichte unserer Zeit,
Bd. 27. S. 500-506.)
#
248 Rhabanußf Verhältniss des modernen Staates zur Kirche,
derselbe Mittler zwischen Gott und dem Menschen, Christus Jesus,
die jedem von beiden zustehenden Befugnisse und Würden scheidend
und sondernd, die Competenzen beider Gewalten in der Weise von
einander abgegrenzt hat, dass die christlichen Kaiser, in allen Be-
ziehungen auf das ewige Leben der Päpste bedurften,, diese da-
gegen in den zeitliehen Angelegenheiten die kaiserlichen Gesetze
brauchten 1),«
Der Grundsatz von zwei von einander wesentlich verschiedenen
höchsten Gewalten hat übrigens auch schon im ältesten deutschen
Rechtsbuche Ausdruck gefunden, »Twei svert lit God in ertrike, to
bescermene .de kristenheit; deme. pavese ist gesät das geistlike,
deme keisere dat wertlike^),«
Die Charta magn^, in welcher die Verschiedenheit beider Ge-
walten für alle Zeiten festgesetzt und als Grundstein ihres Bestandes
niedergelegt ist, hat uns Christen das Evangelium, diese die wahre
christliche Freiheit und Erlösung der Menschheit von der Sclaverei
des Heidenthums gewährleistende heilige Verfassungsurkunde gegeben,
auf Grund des feierlichen Wortes, das der göttliche Stifter der Kirche
vor dem Landpfleger Pilatus ausgesprochen hat: ^Mein Reich ist
nicht von dieser Welt%^ Mein Reich, wollte damit Christus sagen,
ist kein weltliche^ Reich, kein Reich, wie die Kaiserthüraer und
Königreiche dieser Welt, keine Gewalt und Herrschaft über die welt-
lichen und irdischen Dinge, sondern ein Reich, dessen Fundament
die ewige Wahrheit, dessen Ziel und Ende die Ehre Gottes, der in-
nere Friede aller Gutgesinnten und das Heil der unsterblichen Seelen
ist. — Und gleichwie die Kirche, — dies ist das CoroUar dieses
ewig berühmten Wortes Christi^ — kein Reich ist von dieser Welt,
so ist der Staat kein Reich von jmer Welt, so sind die Staaten
keine Herrschaften über das üeberirdische , Ewige und Geistliche;
sie haben keine Gewalt über die ewigen Wahrheiten der Religion,
über die Seelen und ihre überirdische Bestimmung, folglich auch
nicht über die Kirche, der ausschliesslichen Erzieherin, Lehrerin und
Führerin der Seelen. Nach diesem Grundsatze der grossen Charta
magna des Evangeliums haben die ersten Hirten der Seelen, die
ersten Glaubensboten des höchsten Herrn und Königs gehandelt, als
sie in die Länder des Erdkreises hinauszogen, um das Reich Gottes,
das Reich der Kirche, die Herrschaft Jesu Christi allenthalben und
ohne Rücksicht auf die politischen Grenzmarken der einzelnen Staaten
1) Can. Denique u. Cum ad verum, 5. 6 Dist. 06.
2) Sachsenspiegel, I, 1.
•3) Matth. 18, 36,
RhahanuSj Verhäliniss des modernen Staates zur Kirche,^ 249
zu proclamiren und zu verbreiten. Nicht Vollmachten und Sendungen
seitens eines irdischen Königs hatten sie aufzuweisen; das einzige
Wort, das Mandat des Königs der Könige: »jGlehet hin in die ganze
Welt und predigt das Evangelium jeglichem Geschöpfe ^),« war ihre
Vollmacht. Nie als Staatsdiener, nie als Beauftragte der Staatsge-
walten haben die Apostel sich gerirt, sondern nur als Diener Christi.
»So erachte uns, sagten sie, jeder Mensch als Diener Christi und
Ausspender der göttlichen Geheimnisse^).« Sie erachteten sich in
ihrem Berufe nicht als abhängig von den weltlichen Mächten ; sie
haben vielmehr, als diese feindselig ihnen entgegentraten, auch gegen
deren Willen und gegen ihre Verbote die von Gott ihnen übertragene,
heilige Mission vollzogen. »Man muss Gott mehr gehorchen, als den
Menschen ^),« ■— dies war hiebei ihr Wahlspruch.
Dieses Bewusstsein war schon vollkräftig und lebendig unter
den christlichen Glaubensboten in den Urzeiten der Kirche, das Be-
wusstsein von der wesentlichen Verschiedenheit, Selbstständigkeit und
Unabhängigkeit ihres heiligen Amtes von der Staatsgewalt. »Ich
frage euch Bischöfe, schrieb Hilarius: Welcher Vollmachten haben
sich die Apostel zum Predigen des Evangeliums bedient? Durch
welche Gewalten unterstützt, haben sie Christum verkündet, und
fast alle Völker, von den Götzenbildern zu Gott' zurückgeführt?
Haben sie etwa aus dem Palaste sich Amt und Würden geholt, und
hat Paulus etwa vermöge königlichen Edictes die Gemeinde Christi
Yersammelt? Hat ihn vielleicht ein Nero, ein Vespasian oder Decius
beschützt? Hat sich nicht trotz des grimmigen Hasses derselben
die Blume der Predigt des göttlichen Wortes entfaltet*)?« — So
hat die Kirche vom Beginne ihrer Existenz an ihren Unterschied
und ihre Unabhängigkeit vom Staate stets auf's Bestimmteste er-
kannt, und unter allen Umständen entschlossen bethätigt.*Die Ketten
und Gefängnisse ihrer Märtyrer und Bekenner geben hierüber Zeug-
niss , auf grossen Concilien ^) wurde dies bestätigt , von .christlichen
Königen und Kaisern wurde es anerkannt. »Ihr Bischöfe, sprach
Kaiser Constantin, seid von Gott über dasjenige gesetzt, was inner-
halb der Kirche ist, wir über das, was ausserhalb ^).« Ebenso haben
Valentinian L, Karl d. Gr., und viele andere christlich gesinnte
1) Mark. 16, 15.
2) 1. Corinth. 4, 1.
3) Apostelgesch. 4, 20.
4) Hilarius, contr. Auxent. n. 3.
5) Vgl. Conc. Nicaen. IL c. 3.
6) Euseb. in vita Constant, IV.
250 Rhabanudf Verhäliniss des modernen Staates zur Kirche.
Pursten, die erhaben waren über alle Selbstüberhebung, Annmssung
und Herrschsucht, gedacht und gesprochen: >Die Kirche ist ver-
schieden vom Staate^ selbstsfändig , frei und unabhängig von jeder
irdischen Gewalt. €
c. Haben wir nun die wesentliche Verschiedenheit zwischen
Kirche und Staat im Allgemeinem , erkannt , so liegt es nahe,
wie oben vom Staate, so auch von der Kirche eine Begriffsbestim-
mung zu statniren, um gleichsam eine feste Grenzmarke für die
beiderseitigen Gewalten zu bezeichnen.
Wir fragen' daher: Was ist die Kirche?
Die Antworten- auf diese Frage, wie selbe aus verschiedenen
Zeiten vorliegen, sind zwar nicht alle gleichlautend, nicht alle gleich
vollständig und erschöpfend, aber doch keineswegs einander wider-
sprechend, oder zerfahren, oder unklar, zweideutig und nebelhaft, wie
es so häufig die Definitionen vom Staate sind, bezüglich dessen man
nicht selten in Unwissenheit darüber sich befand , was er eigentlich
seinem Wesen und Zwecke nach sein solle. Hinsichtlich der Kirche
aber zeigen alle im Laufe der Zeiten gegebenen Erkl^^rungen j Be-
schreibungen und Definitionen, dass man sie als etwas Positives, un-
mittelbar von Gott Gegebenes, nicht erst vom Menschengeiste Er-
daqhtes, noch aus menschlichen Verhältnissen und irdischen Lebens-
nötheu von selbst Entwickeltes erkannte. Auch besagen alle diese
Definitionen unzweideutig, worin das Wesen und der Zwech der
Kirche bestehe.
Gemäss dem heil. Paulus ist die Kirche eine Gemeinschaft der
Gläubigen^ — ein Leib, an dem alle Gläubigen zur Einheit in Christus
verbundene Glieder sind, — eine Gemeinde, welche von Christus,-
wie ein Körper vom Haupte, regiert und durch die Verbreitung des
EvangeliumiJ immer grösser und von ihm zur Vollendung gebracht
wird, — ein Gebäude, dessen Hauptgrundstein Christus Jesus ist,
das zu einem Tempel des Herrn in die Höhe sich erhebt, -— ein
mystischer Leiby der ein Ganzes mit vielen Gliedern ist, und in wel-
chem Alle, Juden und Heiden, Knechte und Preigeborene durch
einen und denselben. Geist getauft, in einem und demselben Geiste
getränkt sind ^). — In der h. Schrift wird überhaupt die Kirche be-
zeichnet als »die Gesammtheit einer Heerde, in welcher die Bischöfe
regieren,« — als »das Reich Gottes,<ii als ^^die Grundfeste der Wahr--
heit,^ als -»die Stadt auf dem Berge, die nicht verborgen bleiben kann*).«
1) Vgl. Rom. 12, 5; Ephes. 1, 22 ff., 2, 19 ff., 1. Corintb. 12, 4 ff.,
Ephes. 4, 11.
2) Apostelgesch. 20, 25. 28. 29; 1. Timoth. 3, lörMatth. 5, 14.
Rhabanus, Verhäliniss des modernen Staates zur Kirche, 251
. Die heil. Väter erklärten die Kirche mit kürzen Worten als
»die Versammlung der Gläubigen ^),« als ^die Einheit de^* Gläubigen^
wie der Leib die Einheit seiner Glieder ist*), als T>den Tempel
Gottes^y<ii
Weisen alle diese Bezeichnungen und Vergleiche schon deut-
lich genug auf das Wesen und den Zweck der Kirche hin, so wurden
hierüber in späteren Zeiten noch umfassendere und vollständigere
Definitionen und Beschreibungen gemacht. Pdrus Canisius^) nennt
die Kirche: »Cunctorum Christi fidelium visibilem congregationem,
unam et consentientem in 'fide fideique doctrina et administratione
sacramentorum, quaeque ab uno capite suo Christo nnoque vices ejus
in terris gerente Pontifice maximo regitur ac in unitate conserva-
tur.« — BeUarmin^) definirt sie^ als: »Coetus hominum, ejusdera
christianae fidei professione, corundemque sacramentorum communione
coUigatus, sub reginrine legitimorum pastorum ac praecipue unius
Christi in terris vicarii,. Romani Pontificis.« — Nach Anderen ist
die Kirche »die von Christus gestiftete und vom h. Geiste geleitete
sichtbare Gemeinschaft der berufenen Bekenner Christi, in welcher
die von ihrem Haupte verkündete Religion und angeordnete- gött-
liche, absolute Heilsordnnng vollständig und unversehrt bewahrt,
durch diese die von Christus ausgegangene Erlösung, Heiligung
und Wiedervereinigung der Menschheit mit Gott und unter sich
selbst stets fortgesetzt und vollzogen, — das Reich Gottes in der
Zeit verwirklicht werden soll^); — oder: »die Vereinigung aller
Gläubigen der Erde durch ihre Hirten zu Einer /grossen Gemein-
schaft in Einem Glauben, in Einer Liebe und Hoffnung, in Einem
Streben, unter Einem Herrn, um Einen sichtbaren Mittelpunkt, dein
Papste"^);« oder: »die Gemeinde aller Christen auf Erden, die ver-
einigt sind unter Einem gemeinsamen Oberhaupte, dem Papste und
den ihm untergeordneten Bischöfen 8);« — oder: »die durch Christus
gestiftete und durch den h. Geist unter Mitwirkung der dazu be-
rufenen Organe bewirkte Lebensgemeinschaft der erlösten Menschen-
unter sich und mit Gott^);« — oder: »die von Christus gestiftete
1) Theod. in Ephes I, 23.
2) August. Euchirid. c. 56.
V 3) Gregor, Moral 19.
4) Summa doctrin. Christian. XVIII.
5) Controvers. tom. I. controv. IV. Lib. III. c. 22.
6J Alzog, Univers.-Geschichte der christl. Kirche, S. 2-3. 4. Aufl.
7) Hirscher, Eaiechism. der cfaristkath. Religion.
8) Deharbe, Eatechism. der kath.' Religion.
9) Drey.
252 Rhabanua, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche^
sichtbare Gemeinschaft aller Gläubigen, in welcher die von ihm
während seines irdischen Lebens zur Entsündung und Heiligung der
Menschheit entwickelten Thätigkeiten unter der Leitung seines Geistes
bis zum Weltende vermittelst eines von ihm angeordneten, ununter-
brochen währenden Apostolates fortgesetzt; und alle Völker im^Ver-
laufe der Zeiten zu Gott zurückgeführt werden i);« — oder: »die
in sich souveräne, von Christus gestiftete Gemeinschaft seiner Gläu-
bigen, in welcher die während seines Erdenlebens zur Entsündung
und Heiligung der Menschheit entwickelten Thätigkeiten eines Pro-
pheten, Hohenpriesters und Königs unter einer selbstständigen Re-
gierung durch den von den Aposteln herab mittelst besonderer Or-
dination ununterbrochen fortgepflanzten, und mit dem Stuhle Petri
zur Einheit verbundenen Episcopat in immerwährender, vom h. Geiste
geleiteter Wirksamkeit erhalten, und alle Völker im Laufe der Zeiten
zu Gott zurückgeführt werden sollen ^);« -r- oder: »die Gesammtheit
aller derjenigen, welche durch denselben gemeinschaftlichen christ-
lichen Glauben und dieselben gemeinschaftlichen sieben Sacramente
zu einer Gesellschaft verbunden sind, die auf -dieser Wölt durch die
Bischö/e, d. h. die unter Autorität des päpstlichen Stuhles bestellten
Nachfolger der Apostel, und in oberster Instanz durch den Papst,
den sichtbaren Stellvertreter Christi, regiert wird^).«
Auf protestantischer Seite hat man die Kirche definirt als:
»die Gemeinschaft, durch welche Christus fortgelebt hat bis auf die
Gegenwart und fortleben wird in alle Zukunft*).« — Vollständiger
ist die Definition: »Est Ecclesia congregatio sanctorum, in qua
evangelium recte docetur et recte admihistrantur sacramenta^),« und
auch dieser ist noch vorzuziehen : »Ecclesia est societas hominum
inter se per eandem fidei confessionem unitorum ad religionis chri-
stianae scopum obtinendum^).«
VL
a. Wenn man die Definitionen der Kirche und des Staates
auch nur oberflächlich miteinander vergleicht, so wird man den
wesentlichen Unterschied leicht bemerken, der zwischen diesen beiden
Gemeinschaften besteht, und der so wenig in Zweifel gezogen werden
1) Mäkler, Symbolik.
2) Permaneder, Handbuch des kath. Kirchenrechtes, I. Bd. §. 47.
3) Vering^ Lehrb. d. kath. und protest. Kirchenrechtes, II, Buch, §. 52.
4) Hase K., Lehrb. der evangel. Dogmatik, S. 437.
5) Confess. August, p. 11.
6) J. H, Boehmef, Instit. jur. canon. L. I. §. 4.
^ RhabanuSf Verhältniss des modernen Staates zur Kirche. 253
kann, dass derselbe auch seitens der Reformatoren ^) , sowie in den
Symbolen der lutherischen Kirchengeuossenschaft anerkannt, und
selbst mit scharfer Betonung hervorgehoben wurde. Dessenungeachtet
scheint nicht überflüssig, hier, nachdem oben der Unterschied zwi-
schen Kirche und Staat im Allgemeinen angedeutet worden ist, noch
im Besondern die einzelnen Gesichtspunkte, nach welchen diese Ver-
schiedenheit' ganz speciell sich ausprägt, eingehender darzulegen.
unter diesen Gesichtspunkten ist vor Allem der Ursprung bei-
der Gewalten in.'s Auge zu fassen. Die Kirche ist unmittelbar gött-
lichen Ursprunges, der Staat nur mittelbar. Die Kirche wurzelt in
der Religion^ diese aber im Glauben an ein höchstes Wesen, im
Glauben an Gott. Der Glaube an ein höchstes Wesen" inhärirt aber
dem Menschengeschlechte schon ursprünglich, er ist das Gesetz, das,
wie Paulus sagt ^), dem Menschen in das Herz geschrieben, und, wie
es bei dem Psalraisten heisst, als göttliches Licht über dem mensch-
lichen Antlitze ausgeprägt ist. Nicht als allmäliges Er^eugniss der
menschlichen Phantasie oder Furcht, wie unsere starken Geister
meinen, kann die Religion entstanden sein»); denn um Uebernatür-
liches und Göttliches zu fürchten, muss man vorerst an die Existenz
übermenschlicher und allgegenwärtiger, rächender und vergeltender, d.
h. göttlicher Mächte, glauben. Auch das Thier nimmt die Wirkungen
der Naturkräfte, die Macht der Elemente, den flammenden Blitz und
den' rollenden Donner wahr und fühlt dabei die Empfindung von Furcht;
aber es wird dadurch keineswegs zu einer religiösen Idee, zur Idee
von einem höbern Wesen , zur Datbringung von Sühn- und Dank-
opfern, wie einst Kain und Abel, angeregt. Die Grundidee der Re-
ligion, der Beziehung des Menschen zu Gott, muss der Menschheit
schon von der Natur aus eingepflanzt sein, Gott selbst muss sie ihr
schon als Naturgabe in das Herz geschrieben haben, so dass sie als
ein ursprünglicher Besitz des Menschengeschlechtes erscheint. Darum
flnden wir deutliche Spuren und Kennzeichen des Glaubens an über-
1) Vgl. Luther, Epistel an Melanchton v. J. 1530.
2) Römer 2, 15; vgl. Psalm. 4, 7.
3) »Sie glaubten, schreibt Herder (Ideen zur Philosophie der Geschichte
der Menschheit) von den ersten Menschen, wo sie keinen sichtbaren Urheber
sahen, an unsichtbare Urheber, und forschten immer doch, so dunkel es war,
Ursachen der Dinge nach. Indessen war auch dieser erste Versuch Religion,
und es heisst nichts gesagt, dass Furcht bei ien meisten Menschen ihre Götter
erfunden. Die Furcht als solche erfindet nichts, sie weckt blos den Verstand,
zu muthmassen, und wahr oder falsch zu ahnen. . . . Sobald der Mensch also
die Welt anders als ein Thier ansah , musste er unsichtbare , machtige Wesen
vermuthen« u. s. w.
254 RhahanuSf Ve^^hältniss des modernen Staates zur Kirche,
menschliche , höhere 'Wesen bei allen , auch bei den rohesten und
ältesten NaturYölkern^ wie schon denkende, Heiden, Plato, Aristoteles,
Cicero u. A. die Religion als etwas unmittelbar von Gott Gegebenes
betrachteten, und grosse christliche Lehrer behaupteten, die Eennt-
niss von einem höchsten Wesen sei eine ursprüngliche Mitgifi der
menschlichen Seele^). Schon die ersten Stammeltern des Menschen-
geschlechtes haben, wie die h. Schrift sagt^), die Stimme Gottes des
Herrn gehört, und auch jenes Wort vernommen, das ihnen hinneigte
auf Denjenigen^ welcher der Schlatige den Kopf zertreten werde^ tmf
jenem göttlichen Heilhringer^ der, wie er selbst sprach, gekommen
ist, nicht um das Gesetz, die ursprüngliche natürliche Religion, auf-
zuheben, sondern um dieselbe zu vervollkommnen und zu erfüllen,
d. h. um i^B positive Religion im prägnanten Sinne, das Ghristen-
thum zu stiften, und die Kirche^ dessen Trägerin, Pflegerin und
Verkünderin, zu begründen. »Die christliche Kirche, schreibt ein
erleuchteter Geistesmann, ist der letzte Zug an einem von Ewigkeit
her von der Vorsehung entworfene^ Plane, sie ist die Krönung eines
schon bei der Schöpfung angefangenen Gebäudes, welches mit den
Jahrhunderten vorgerückt, und nur erst in dem Augenblicke das ge-
worden ist, als der Werkmeister die letzte Hand an dasselbe
legte*).«
So ist denn die Kirche ihrem Ursprünge nach auf unmittelbare,
bei der Schöpfung des Menschengeschlechtes schon vorbereitete, gött-
liche Gründung, der Staat aber nur mittelbar auf 4en Ursprung
durch Gottes Fügung zurückzuführen, da er, wie schon oben darge-
legt wurde, nur. in Folge des Einflusses äusserer Verhältnisse und
zwingender Nöthen und Bedürfnisse allmälig sich entwickeln konnte.
Hieraus folgt auch, dass der Kirche die Priorität der Existenz
im Verhältnisse zum Staate zukommt. Die Naturvölker existirten
schon lange, ehe eine «faatliche Ordnung unter ihnen Platz griflf,
während sie, wenn sie bürgerliche Ordnung und gesellschaftliche
Normen einzuführen begannen, religiöse Begriflfe und Ideen in* Ver-
bindung mit dem natürlichen Sittengeselze im Schoosse ihrer Fa-
milien in irgend einer Form schon besassen, ja gerade dadurch, dass
Religion und Sittengesetz schon vorher bei ihnen bestand und wal-
tete, zur Annahme staatlicher Ordnung sich willig und geneigt fanden.
Verschieden vom Staate ist die, Kirche ferner nach dem, Ge-
sichtspunkte des Qebietsumfangee und der Dauer.
1) »Animae a primordio conscientia Dei dos est.« Ter lull, adv, Marc. 1, 10.
2) Genesis 3, 8.
3) Bergier,
Rhäbanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche. 255
Der Staat ist auf ein bestimmtes Territorialgebiet beschränkt.
Klimatische, Verhältnisse, Boden und Producte, geographische Läge,
Sprache, Abstammung^, Volkssitten, Lebensart, Volkscharakter, Er-
werbsart und Beschäftigung u. dgl. setzen den einzelnen Staaten ihre
Schranken. Daher gibt es auch nicht blos einen einzigen Staat auf der
ganzen bewohnten Erde, sondern eine Vielheit von Staaten, die sich
durch territorialen umfang, Gesetze,^ Verfassung, öffentliche Einrich-
tungen und Rechtsverhältnisse unterscheiden. Es gibt darum keinen
Universal- oder Weltstaat, wie es einen solchen auch niemals gegeben
hat, oder geben wird. Zwar hat es nicht an Träumern gefehlt,
welche das Ideal eines Staates im Weltstaate finden wollten; sfe
wiesen auf das. grosse Römerreicb, auf die Reiche KarFs des Grossen
oder Napoleons L hin, und folgerten aus deren beharrlichem Streben
nach immer weiterer Ausdehnung ihrer Gebiete, dass ein solcher Er-
weiterungsdrang in der menschlichen Natur begründet sei. Aber sie
vergassen dabei, dass die Erde mit ihren so. vielfach verschiedenen
geographischen, klimatischen etc. Verhältnissen und Lebensbeding-
ungen, so wenig sie für einen einzigen Menschen bestimmt ist, ebenso
wenig für ein einziges Volk, oder für einen einzigen Staat bestimmt
sein kann; sie übersahen zugleich, dass das unersättliche Weiter-
streben einzelner thatkräftiger Herrscher nicht auf einem Naturbe-
dürfnisse der Menschheit • als solcher, sondern vielmehr auf einer Ver-
dorbenheit der hur auf irdische Macht bedachten Geistesrichtung
einzelner, sogenannter grosser Männer, auf ihrer Herrschsucht und
Ruhmsucht beruhte; endlich hatten sie die Lehre der Geschichte
nicht genug im Auge, welche zeigt, dass die so gerühmten Gross-
staaten trotz ihrer Grösse und vermeintlichen Unüberwindlichkeit dem
Schicksale der Vergänglichkeit, gleich allen Menschenwerken, nicht
entfliehen können , und dasa daher der Bestand eines universalen
Weltstaates geradezu unmöglich ist, somit kein Naturbedürfniss des
Menschen sein kann. Vielmehr ist es ein Naturgesetz, dass die
grössten Reiche, wönn sie den Gipfel ihrer Macht erreicht haben,
gerade dann dem Abgrunde am nächsten stehen. Das grösste Men-
schenwerk stürzt unter der Last seiner eigenen Grösse, Ein Uni-
versal- oder Weltstaat würde überdies schon an der Klippe des Neides,
der Eifersucht und der Rache scheitern, womit er von Seite der
Ueberwundenen und Unterdrückten geheim oder offen befehdet und
bekämpft werden würde. Wenn es so weit käme, dass Einer wäre
über Alle, so iväre dies jedenfalls von nicht langer Dauer; bald wür-
den Alle über Einen sein, und immer würde sich "bewahrheiten, was
Curtius schrieb: »dass die Grösse niemals lange auf festem Fusse
256 Rhabanus, Verhältnias des modernen Staates zur Kirche,
stehe, und dass bei den Menschen, -wie gross auch das Glück wäre,
das ihnen lächelte, doch noch grösser und stärker dep Neid wäre,
der sie verfolgte.« Dieser Neid wurde innere Qährungen, Factionen,
Zerklüftungen, Parteiungen, Unruhen erzeugen, und dies war in der
Geschichte der Staaten gar häufig der Anfang vom Ende. Wahr
bleibt das Wort eines berühmten Geschichtsschreibers : NuUa magna
civitas quiescere potest; si foris hostem non habet, dorai invenit^^).«
So sind die Staaten nicht nur in Bezug auf ihren Territorial-
umfang, sondern auch in Bezug auf ihre Dauer begrenzt. Die Idee
von der Verewigung eines Reiches hat, obwohl die Phantasie unserer
Staatsphilosophen ein schrankenloses Staatsideal zauberte, doch noch
niemals einen Verfechter gefunden. »Wollen wir, schreibt selbst
Bousseau in seinem Contract social, ein dauerhaftes Werk begrün-
den, so sollen wir doch nicht träumen, es zu einem ewigen machen
zu können. Ein politischer Körper fangt ebenso, wie der mensch-
liche Leib, von seiner Geburt schon zu sterben an ; denn er trägt in
sich selbst die Ursachen seiner Zerstörung.«
Gegenüber dieser Begrenztheit, Vielheit und Vergänglichkeit
der Staaten steht das von Gott unmittelbar gestiftete Reich seiner
Kirche in seiner Einheit, Universalität und Unzerstörbarkeit gross
und gewaltig, wie ein Berg Gottes, da. Die Kirche hat keine ter-
ritorialen Grenzen auf dieser Erde, Das »Euntes in inundum Uni-
versum« führt ihre Sendboten über Gebirge und Meere, nach Süd
und Nord, nach Ost und West. In den Sandwüsten Afrika's, zwi-
schen Grönlands Eisbergen, innerhalb der grossen Mauer China's und
in den Wäldern Amerika's , auf den Inseln des Oceans , wie in den
Weltstädten des Continentes, unter wilden, wie unter civilisirten
Völkern werden ihre Fahnen aufgepflanzt und ihre ewigen Gesetze
verkündet. »In omnem terram exivit sonus eorum, et in fines orbis
terrae verba eorum 2).« — Die Kirche umfasst die ganze, Mensch-
heit, und überall, wo sie ist, ist sie eine und dieselbe. Derselbe
Glaube, dieselbe Lehre, dieselben Sacramente, dieselbe Verfassung,
dieselben Gesetze und Institutionen kennzeichnen ihre Einheit und
Universalität, — Die Verheissung ihres göttlichen Stifters: »Ich
werde bei euch sein bis an das »Ende -der Welt;« sein Wort: »die
Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen« — verbürgt ihre
ünzerstörbarkeit und ihre Dauer bis an das Ende der Zeiten. Den
Felsen, auf den sie gebaut ist, kann kein Sturni, keine Verfolgung,
keine Macht der Welt erschüttern. Während die Staaten den Stürmen
1) Livius, L. 30.
2) Psalm, 18, 5.
Rhabanust VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche. 257
und Angriffen von innen oder von aussen früher oder später unter-
liegen, muss der Kirche, wie ein weiser Mann schrieb, gerade das-
jenige, was den Untergang menschlicher Werke herbeiführt, zur
Stärkung und Kräftigung dienen i).«
Die Verschiedenheit zwischen Kirche und Staat zeigt noch ein
weiterer Gesichtspunkt auf, -der Hinblick nämlich auf die beider-
seitigen Zwecke und auf die Mittel zur Erreichung derselben.
Die Kirche verfolgt, wie sehen oben bemerkt wurde, nur geistige,
ethische, überirdische, heilige Zwecke. Sie ist berufen, den Glauben
an Gott und an seinen Sohn Jesus Christus unter der Menschheit zu
lehren, das Reich Gottes, d. i. das Reich der Wahrheit, der Gnade
und der Tugend, auszubreiten, dem Menschen den hohen Werth
seiner unsterblichen Seele zu zeigen, dessen Hoffnung am Grabe zu
beleben und ihm hinzudeuten auf jenes höhere Vaterland, wo er bei
Gott, dem ewigen, gerechten, barmherzigen und' allmächtigen Vater
ewig dauernder Vergeltung, vollkommenen und unzerstörbaren Glückes
und Friedens theilhaftig werden kann. Die Kirche hat den Beruf,
alles Schöne und wahrhaft Edie in der vMenschenseele ^u entwickeln
und zu pflegen, den christlichen Glauben, die Freiheit in der Wahr-
hait und Selbstbeherrschung, die Massigkeit und Sanftmuth, die
Demuth und den Gehorsam, die Armuth im Geiste, die Gottesfurcht
und »Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit und Nächstenliebe, das Gebet
und Gottvertrauen, mit einem Worte, alle jene. Tugenden, welche als
gute Gaben von oben kommen, vom Vater der Lichter, und den
Menschen schon hienieden zu adeln, zu beglücken und mit innerm
Frieden zu erfüllen vermögen. Diese innere Beruhigung und Be-
seligung in Mitte der Beschwerden, Drangsale und WechselfiUe
dieses Erdenlebens in die Herzen zu pflanzen, Allen Alles zu werden,
um alle Menschen und alle Völker für Gott und Christus und für
das ewige Leben zu gewinnen , dies ist der Beruf der Kirche , den
ihr göttlicher Stifter ihr übertragen hat.
Und um diesen heiligen Beruf zu erfüllen, wendet sie keinen
äussern Zwang, keine äussere Straf- oder Gewaltmittel an; ihre
Mittel sind geistiger Natur, sie sind: Predigt des Wortes Gottes,
Belehrung, Ueberzeugung, Liebe, Gebet, Fürbitte, Tröstung, Mahnung,
Hinweisung auf Gottes Lohn oder Strafe , Spendung der geistigen
Nahrung und Entsündung durch die Sacramente und übrigen geisti-
gen Hilfs- und Heilmittel für alle durch innere oder äussere Leiden
und Drangsale niedergedrückten Herzen.
1) Cassiodor. sap. Psalm. 1.
Archiv für Kirchenrecht. XLVIII. 17
258 Rhabanus, Verh^ltniss des modernen Staates zur Kirche.
" »Duldet ruhig, Millionen, . . .
Duldet für die bessere Welt i
Droben über*m Sternenzelt
Wird ein grosser Gott belohnen»«
, Dies ist der Ruf der Kirche, der einst mitten in der Fiuster-
niss des Heidenthums an die in der Sclaverei schmachtende-, arme
Menschheit erging. Derselbe Ruf erschallt noch heute an die Völker;
ein Ruf zum Ausharren in den Kämpfen dieses Lebens, zum Aus-
harren im christlichen Dulden und Streben, ein Ruf des Trostes,
ein Geläute des Friedens, das aus überirdischen Höhen ertönt.
Welch eine erhabene, wahrhaft göttliche Institution ist die
Kirche, und wie himmelweit verschieden von ihr das, was man heute
»Staat« nennt!
Der Staat hat, wie Hugo Grofius sagt, »zu seinem ursprüng-
lichen Zwecke die Aufhebung des unstatthaften Gemeinbesitzes der
gesammten unvertheilten Erde und die Aufrechthaltung der eämmt-
liehen strengen und äussern Rechte eines Jeden gegen Alle und
Aller gegen Jeden,« — oder nach Puffendorf »den Frieden und die
Sicherheit des geselligen Lebens durch Verwandlung der innem Qe-
wissenspfllchten in äussere Zwangöpflichteri.« Der Staat soll über-
haupt die äusseren zeitlichen Güter seiner Untergebenen wahren,
Wohlstand, Verkehr, Handel und Wandel fördern, für den Bedarf
der nothwendigen Lebensmittel, für Gesundheit und die Bedingimgen
leiblichen Wohles seines Volkes sorgen, Lehen, Eigenthum, Besitz,
äussere Sicherheit und Frieden, Ruhe und Ordnung, Ehre und Ver-
mögen schützen und erhalten, die Giyilisation und Humanität in
ihrer äussern Erscheinung pflegen, über öffentliche Zucht, Sitte und
Anstand wachen. Recht und Gesetz für das Ganze und den Einzelnen
bestimmen und deren Verletzer strafen, die Beziehungen zu den be-
nachbarten Staaten im Interesse des Friedens und des Rechtes regeln.
Die Mittel, deren sich der Staat behufs Ermöglichung seiner
Aufgaben bedient, sind äussere ^ sie sind Befehle oder Verbote in
Form von Verordnungen und Gesetzen; sie sind Macht- und Straf-
raittel, Mittel des Zwanges, der Züchtigung oder Abschreckung,
Freiheitsent/iehting , Landesverweisung , Vermögensentziehung und
selbst Beraubung des Lebens! Für den Staat gilt das Wort : »Willst
du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.« So muss oft die »ultima
ratio,« das Schwert, und selbst das grösste aller äussern üebel, der
Krieg, ^) den Zwecken des Staates dienen. Darum gehört den welt-
1) Schon ein alter Heide sagte vom Kriege: »Qais fuit, honrendos priraüs
qai protnlit enses? Qaam feras et yere ferreos ille fait!«c Schiller sagt im
Rhahanua, Verhäliniss des modernen Staates zur Kirche. 259
liehen Obrigkeiten das physische Schwert, während die Kirche das
geistige Schwert führt; jenes, das Schwert des Staates, trifft die
Leiber, um die Untergebenen unter dem Joche des freiwilligen oder
erzwungenen Gehorsams zu erhalten ; dieses dagegen trifft die Seelen,
um ihnen Sühnung und Erlösung zur Freiheit der Kinder Gottes zu
erwirken, »Der Priester ruft Gott an,« schrieb einst Oervasius^
Marschall des Königreiches Arles, — »der König gebietet. Der
Priester vergibt Sünde und Schuld, der König bestraft die Verir-
rungen. Der Priester löst und bindet die Seele, der König züchtigt
und tödtet den Leib i).«
b. So besteht also nach dreierlei Gesichtspunkten eine Wesens-
verschiedenheit zwischen Staat und Kirche, und es -ßrgibt sich aus
dieser Verschiedenheit von selbst die Selbstständigkeit l)eider Qe-
watten und die Unabhängigkeit der einen von der andern. Wie soll
die Kirche abhängig sein können von den Staaten, die sie au Alter
des Ursprungs, an Gebietsumfang, an Erhabenheit und Wichtigkeit
des Zweckes und der Mittel weit überragt? So wenig die Sonne,
deren Licht und Wärme das ganze Sonnensystem zu ihrem Wirkungs-
kreise hat, abhängig ist vom Monde, der seinerseits lediglich ein
Traba'nt der Erde ist, ebenso wenig kann die Kirche dependeut sein
vom Staate. Im Vergleiche zum Staate ist die Kirche der Adler,
dessen Wohnsitz die höchsten Gebirgsgipfel einnimmt, und dessen
Flug nach den Wolken des Himmels steigt, während der Staat dem
Maulwurfe zu vergleichen, dessen Beschäftigung es ist, in der Erde
seine .Gänge zu graben.
Wilhelm Teil: »Ein furchtbar wüthend Schreckniss i8t der Krieg; die Heerde
schlägt er und den Hirten.« Wenn ein im Waffenhandwerk ergrauter j mit
Siegestrophäen geschmückter Heerführer jungst den Krieg glorificirto, so sollte
•man ihn an jenen Kaiser erinnern (Gin-Thong), der seinem Minister, welcher
ihm zum Kriege rieth, antwortete: »Was soll ich den Vätern und Müttern ant-
worten, wenn sie mir ihren Sohn abfordern ? Was der Wittwe, die ihren Mann
beweint? Was den vaterlosen Waisen? Was so vielen jammernden gestürzten
Familien ? Ich möchte ja wohl eine Provinz abtreten, um Einem meiner Söhne
das Lehen zu retten; nun sind alle meine Unterthanen meine Kinder.« — Die
heil. Schrift erkennt im Kriege eine Strafe Gottes. Isai. 5, 25; Jerem. 5, 14;
Peuteron. 28, 36.
1) Vgl. Alzog, Universalgesch. der christl. Kirche, 4. Aufl. I. Bd. S. 461,
wo die ganze Stelle zu lesen ist, welche schliesslich besagt: »Jeder (der Priester
und der König) ist Vollzieher des göttlichen Gesetzes, jeder schirmt das Recht.
Allein das Königthum soll anerkennen, dass es dem Priesterthum neb enge-
ordnet, nicht vorgesetzt sei, dass es ihm zur Hilfe der Vollziehung bei-
stehe, und sich nicht anmasso, hinsichtlich des Ansehens der Herrschaft es zu
überragen.«
17*
260 Rhabanus, Verhäliniss des modernen Staates zur Kirche*
Aber auch der Staat ist zur selbstständigen und unabhängigen
Existenz berechtigt; er ist seinem Wesen nach nicht abhängig von
der Kirche. Denn die Kirche ist kein Reich von dieser Welt ; sie
kann und darf sich die zeitlichen Rechte und Befugnisse der Staaten
über irdische Angelegenheiten nicht aneignen. Hiezu hat sie keinen
Auftrag und keine Ermächtigung von ihrem Stifter, vielmehr ein
bestimmtes Verbot; er sprach: »Reges gentium dominantur eorum,
vos atdem non sfc*).« Dieses Verbot haben auch die Apostel, die
Väter und die Kirchenversammlungeu wiederholt eingeschärft ^).
Die Diener der Kirche sind, wie S^. Cyprian an seinen Klerus schrieb ^),
»divinis rebus et spiritualibus occupati,« darum in keiner Weise be-
fugt, ab ecclesia recedere et ad terrenos et saeculares actus vacare *).
Darum hat die Kirche ihrem Wesen und Berufe nach keine Befug-
niss, als politische Macht aufzutreten, und die Staaten, deren Ge-
rechtsame usurpirend, sich zu unterwerfen, sowie der Staat seiner-
seits eine Ueberordnung über die Kirche sich keinenfalls anmassen
darf. Hier gilt der Satz: »Laie! sua tantum, i. e. saecularia, Glerici
autem sua tantum, i. e. ecclesiastica negotia, disponant et pro-
videant^).«
1) Luc. 22, 25.
2) c. Pervenit, c. Sacerdotinm, c. Hi, qai in Ecclesia, c. MoUitiis et laqaeis.
3) L. I. epist. 9.
4) Vgl. c. Episcopus 3, Dist. 88.
5) Humbert y adv. simoniac. III, 9. Kirche and Staat sind als zwei
organische Gemeinschaften einander coordinirt , und unabhängig von ein-
ander. Nicht sa aber verhält 'es sich bezüglich der einzelnen Mitglieder dieser
Gemeinschaften hinsichtlich ihrer in die andere Eechtssphäre fallenden Akte.
Es lag ein ganz unchristlicher Geist übermüthigen Hochmuthes darin, wenn
der König Philipp der Schöne von Prankreich dem Papste Bonifacius VIII.
gegenüber äusserte, »er erkenne Niemanden auf Erden über sich an;« in zeit-
liehen, zur Machtsphäre des Staates gehörigen Dingen, stand er allerdings
nicht unter dem Papste, wohl aber war er »ratione peccati,« d. h. in geist-
lichen Dingen und in Fällen begangener Ungerechtigkeiten , wobei es sich um
Sünde und das Seelenheil handelt , und wobei der Fürst seine irdische Gewalt
missbraucht zur Verletzung des natürlichen und göttlicheji Eechtes, denjenigen,
zu denen der göttliche Stifter der Kirche gesprochen hat: »Quorum remiseritis
peccata, remittuntur eis, quorum retinueritis , retenta sunt.« (Joann. 20, 33),
vornehmlich* dem Papste unterworfen, zu dem der göttliche Meister gesagt hat:
»Pace agnos meos, pasce oves ineas.« (Joann. 21, '15.) In diesem Sinne hat
schon Bonifacius selbst sich erklärt mit den Worten: »Dicimus, quod in nullo
volumus usutpare jurisdictionem regis ; non potest negare rex , quin sit nobis
subjectus ratione peccati,<t {Du Puy preuv. p. 72.) In diesem Sinne hat der
Papst nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht als Vater der Christenheit,
als Hirt der ganzen christlichen Heerde den christlichen Fürsten Ermahnungen
etc. zu ertheilen. Umgekehrt sind auch die Mitglieder der Kirche in Bezug
Rhabanua, Verhältnias des modernen Staates zur Kirche, 261
, Gewiss war es ein folgenschwerer Irrthum der protestantischen
Kirchenrechtslehrer, dass sie das Kirchenregiment als eine Wirkung
der höchsten staatlichen Macht und Autorität den Landesherm
vindlcirten , und das Kirchen- und Religionswesen ebenso , wie das
Staatsregiment, seijier Disposition überliessen, (Vgl. Mosern Compend.
jur* publ. L. IV. c. 19. §. 8; Böhmer, Jus publ. univ. P. spec. L.
IL c. 5. §. 15; Thomasim, de Majestate tarn circa sacra quam
polit.) Wenn man diese Theorie auch noch durch einen Vergleich
eines protestantischen Landesherrn mit dem Beispiele Saul's unter-
stutzen und vertheidigen wollte, weil Saul zugleich König und Pro-
phet gewesen sei, so zeigte man ebendadurch ihre Falschheit und
Verderblichkeit nur uio so klarer. Katholische Bechtslehrer älterer
Zeit, wie !Prhr. v. Kreittmayr, haben keinen Anstand genommen, die
Wahrheit zu vertreten, dass Religions- und Kirchensachen nicht zum
weltlichen , sondern zum geistlichen Regimente gehören ; dass beide
Regimenter, jedes in seiner Sphäre, ganz independent sind, mithin
auch keines dem andern »vorgreifen oder eingreifen darf.« P. Schmier
hat dies nicht nur aus dem geoffenbarten göttlichen Rechte, sondern
auch aus dem Naturrechte nachgewiesen 1).
a. ungeachtet der eben dargelegten Verschiedenheit zwischen
Kirche und Staat und ihrer gegenseitigen Unabhängigkeit sind doch
beide mehr oder weniger auf einander angewiesen. Sie beziehen sich
ja beide auf die Menschen, und haben daher für ihre verschieden-
artige Thätigkeit dasselbe Object, in welchem sie sich nothwendig
begegnen, ütid wo sie sich begegnen, können sie sich gegenseitig
reiben und in ihrem Wirkungsgange hemmen, oder sie können ein-
ander unterstützen und fördern. Wollten sie sich gegenseitig hin-
dern und befehden, so wäre dies eine Verletzung der von Gott ge-
setzten Ordnung, und würde sociales Verderben aller Art zur Folge
haben. Das Unheil und die Verwüstung, welche in traurigen Zeiten
durch den Krieg zwischen den beiden höchsten Gewalten herbeige-
führt worden, sind Warnungszeichen in den Blättern der Geschichte.
auf ihre äussern Handlungen, welche die rechtmässigen Gesetze des christ-
lichen Staates direct verletzen, der Staatsgewalt verantwortlich, gemäss dem
Worte des Apostels: »Omnis anima potestatihus sublimioribus subdita sit.«
(Roman. 13, 1.) Insofern übrigens einige Päpste ihre Snperiorität über die
christlichen Fürsten in zeitlichen Dingen n9ch weiter ausdehnten , als »rationiB
peccati,« waren sie dazu nur durch das damalige, allgemein angenommene
Staatsrecht befugt, nicht vermöge der Principien der Kirche.
1) Jus publ. univers, L. III. c. 1.
262 Rhabanu8, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche,
Diese erzählt uns, wie bei solchen Kriegen und Kämpfen die Völker
verwilderten, die Bande der Ordnung sich auflösten, Throne stürzten,
und. materielles und geistiges Elend verheerend durch die Länder
schritt. Durch solche Erfahrungen belehrt, konnte man sich, ohne
die unheilvollste Blindheit, der Erkenntniss nicht verschliessen, dass
ein einträchtiges Zusammengehen zwischen Kirche und Staat, wenn
beide ihre Zwecke zum Heile der Völker erreichen sollen, unum-
gänglich nothwendig ist. »Res huraanae, so schrieb Papst Leo^
aliter tutae esse non possunt, nisi quae ad divinam confessionem
pertinent, et regia et sacerdotalis defendat auctoritas ^).« Das tief-
sinnige Symbol des Beichsapfels auf den Siegeln deä grossen Kaisers
Otto's I. verkündete öffentlich den grossen Gedanken von der noth-
wendigen Verbindung des Priesterthums und des Königthums. »Nur
dann, schrieb Ivo von Chartres, wird die Welt gut regiert und trägt
die Kirche Blüthen und Früchte, wenn Königthum und Priesterthum
Hand in Hand gehen. Sind sie aber unter sich uneins, so kann
nicht nur das Kleine nicht wachsen, sondern es muss selbst auch
das Grosse zerfallen.«
Aber warum sollen Kirche und Staat nicht einträchtig neben
einander gehen können? »Jch kann diejenigen nicht- begreifen,
schrieb einst der h. Bernhard^ welche sagen, dass dem Kaiserthume
der Friede und die Freiheit der Kirchen, oder den Kirchen das Ge-
deihen und' die Erhöhung des Reiches schädlich sein könne. Beide
Mächte hat ja Gott gesetzt und verbunden nicht zur gegenseitigen
Zerstörung, sondern zur Förderung ^).« Wenn Kirche und Staatsich
gegenseitig anfeindeten, so war der Grund davon von jeher nichts
Anderes, als Egoismus, Herrschsucht, Eifersucht, Uebergriffe und
Grenzüberschreitungen, oder wohl gar principi^Uer Kirchenhass und
Irreligiosität. Freilich, wo solche Leidenschaften ihre Drachensaat
säen, da sprossen die Giftpflanzen der Zwietracht zwischen den
beiden höchsten Gewalten auf, Selbstverständljch kann ein religions-
loser oder freimaurerischer Staat auf die Mitwirkung der Kirche zu
seinen grundstürzenden und kirchenmörderischen Zwecken nicht rech-
neu. Nur innerlich abtrünnige, servile Knechte unter dem Klerus,
dejn es an »falschen Brüdern,« namentlich auch in seinen höhern
Rangstufen, zu keiner Zeit mangelte, könnten sich zu Handlanger-
diensten eines frivolen, göttlichem und menschlichem Rechte Hohn
sprechenden Staates hergeben. Die Kirche selbst aber, wo sie sich
ihrer Aufgabe und Sendung bewusst ist, wird mit einem Staate, der
1) Epist. ad Pulcher.
2) Epist. 244.
Rhabanus, VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche. 263
•616 als seine Sclavin behandeln, und ihre rechtmässige Wirksamkeit
hemmen will, mit einem Staate, der seine Staatskunst darein setzt,
kirchenfeindliche Gesetze zu geben, verderbliche Grundsätze aufzu-
stellen, Gehorsam und Achtung gegen die Kirche planmässig zu
untergraben, und, sich als die einzige Gewalt betrachtend, selbst an
die Stelle der Kirche zu setzen, — niemals sich versöhnen, niemals
Hand in Hand gehen können; diese Zurückhaltung fordert von ihr
schon die Pflicht der Selbsterhaltung. Bei solcher feindlicher Stel-
lung eines Staates ist die Kirche genöthigt, zur Nothwehr im pas-
siven Widerstände zu greifen. An ihr ist es dann , für sich selbst
und für das ihrer Obhut anvertraute Volk um die höchsten Gute? zu
kämpfen, gleichwie der treue Hirt den Wolf, der in seine Heerde
eingebrochen, unerschrocken zurückweisen muss, selbst unter Gefahr
des eigenen Lebens. »Papa defendit Dei Ecclesiam et legem usque
ad sanguinem,c schrieb Gregor VIL ^).
Uebrigens schlagen solche Kämpfe gewöhnlich am Ende zum
Nachtheile des kirchenfeindlichen Staates aus ; denn Unrecht schlägt
den eigenen Herrn, wie ein altes Sprichwort sagt. Das kirchliche
und religiöse Bewusstsein ist, wenn auch» nicht immer in gleicher
Wirksamkeit hervortretend, doch immer weit tiefer gegründet und
gewurzelt in den Herzen der Völker, als das Bewusstsein einer sehr
unsichern und Wandelbaren Staatsidee, welche in der Regel nichts
weiter, als ein Product überspannter Idealisten, oder befangener Ge-
lehrten und übereifriger, meist wohlbesoldeter Staatsjuristen ist.
Ueberdiess kann Niemand, der offene Augen hat, läugnen, dass die
Völker, so lange sie noch ein Funke religiöser Gesinnung erwärmt,
weit weniger sich beengt fühlen von der nur durch Liebe und üeber-
zeugung wirkenden Macht der Kirche,, als von der Macht des Staates,
der nur mit dem kategorischen Imperativ an seine Unterthanen heran-
tritt, und an zeitlichem Gute, an Freiheit, Eigenthum und Leben
die schwersten Opfer» von ihnen verlangt, Opfer, denen die dafür ge-
botenen Vortheile, namentlich in den sog. liberalen Staatsordnungen,
nicht entlernt die Wage halten.
Wenn daher ein Staat, ohne dies zu begreifen,' und ohne ein-
zusehen, wie sehi; er zur Erhaltung des Gehorsames und der opfer-
willigen Hingebung seiner Völker der Unterstützung der Kirche be-
darf, etwa gar eifersüchtig auf deren geistige Macht und ihren re-
ligiösen Einfluss, deren Thätigkeit einzuengen, ihre Wirksamkeit zu
schmälern und durch Förderung der Irreligiosität und Gottesläugnung
1) Epist. 11 und 31. .
264 Rhabanu9, Verhälinisa des modernen Staates zur Kirche,
ihr den Boden zu uaterwählen sucht, so gräbt er an seinem eigenea
Grabe, und thut, was der geblendete Samson gethan, als er die
Säulen des Hauses umstürzend, unter dessen Trümmeru selbst seinen
Untergang fand. Ein Volk ohne Religion macht die Existenz jeg-
licher Dynastie und jedweder staatliöhen Ordnung unmöglich. Die
Geschichte hat dies hinlänglich bewiesen, und es wäre höchst traurig,
wenn die Regenten unserer Tage, geblendet von dem Schimmer ihrer
Macht und Herrlichkeit, oder von dem Irrlichte der falschen Auf-
klärung, im stolzen Selbstgefühle. die Blätter dor Geschichte nicht
aufschlagen, oder ihre Lehren ignoriren wollten. Gerade mit der
zunehmenden falschen Aufklärung unseres Jahrhunderts hat auch der
Verfall der Sitten und damit auch die Gefahr für den Bestand der
Staaten zugenommen. Nichts hat dauernden Halt, was nicht ein
wahres Princip des Lebens zur Grundlage hat; Gottlosigkeit, religiöse
Frivolität, Hoffart, Luxus und Ueberfeinerung sind Principien des
Verderbens und der Zerstörung. Jedes belebende Princip ist ein
Strahl der Gottheit ; Beligion ist ein solcher göttlicher Strahl ; darum
ist Religion eine unentbehrliche Grundlage für Alles, was Dauer
haben solle »Religion , so hat einst ein königlicher Prinz gesagt,
ist und bleibt ewig das Vorzüglichste.« Die Kirche aber ist Er-
scheinung, Trägerin und Pflegerin der Religion. Darum soll der
Staat die Kirche nicht befehden.
Der Staat bedarf der Kh'che zu seiner Existenz und zu seinem
Gedeihen weit. dringender, als die Kirche des Staates bedarf. Lange
existirte die Kirche, ohne einer Theilnahme des Staates sich zu er-
freuen, ja sie existirte trotz. des Staates, und hat sich, wenn auch
zeitweilig von ihm gestört oder verfolgt, immer wieder gesammelt
und lebenskräftig erhoben. Dagegen hat ohne Religion und Kirche
niemals ein geordnetes Staatswesen bestehen können, sowie auch nie-
mals ein Staat ohne religiöse« Grundlage entstanden ist. Daher
, haben tiefe Denkende erkannt, dass es einer fleligion bedürfe, um
die Menschen zu vermögen, sich einer bürgerlichen Gesetzgebung zu
unterwerfen und den Gesetzen Gehorsam zu leisten. »Quid leges,
sine moribus vanae, proficiunt? (Horatim,)
Sehen dies unsere modernen Staaten nicht ein, «o wird doch
die Kirche niemals aufhören, daran zu erinnern. Auch wird sie nicht
aufhören, jedem Staate ihre Hand und ihre Unterstützung für alle
guten Zwecke zu bieten, so lange derselbe nicht eine Richtung und
Tendenz verfolgt, die mit ihrer Existenz unverträglich ist, und so
lange er nicht Ansprüche erhebt, die mit ihrer Wirksamkeit unver-
einbar sind.
Rhabänus, VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche, 263
Der moderne Staat bekennt sich als confessimslps. Confes*
sionslos bedeutet so viel, als indifferent gegen jedes positive Reli-
gionsbekenntniss. Sind die Staaten ehrlich confessionslos, d* h. Wirk-
lich "indifferent, so ist dies allerdings einer Feindlichkeit desselben
gegen alle positive Religion und alles Kirchenthum weit vorzuziehen.
Üebrigens kann die Kirche zu dem indifferenten modernen Staate
nicht in jene intimen Beziehungen treten, in welchen sie ehedem zu
den noch wahrhaft christlichen Staaten gestanden. Sie kann nicht
dessen Beistand und dessen äussere Mitwirkung für ihre Zwecke,
auch nicht den unbedingten Staatsschutz beanspruchen; sie kann
nicht fordern; dass der Staat in seinen Gesetzen, Verordnungen und
Einrichtungen die Interessen der Kirche besonders berücksichtige.
Ehedem war dies freilich anders, als wahrhaft christliche Fürsten
das Regiment in den bürgerlichen Gesellschaften führten, als ein-
Karl der Grosse sich »Ecclesiae defensor, humilisque adjutor«
nannte ^) , als Kaiser, wie Otto I. , Ileinrich II. , "Conrad d. Aeltere,
Heinrich III., Männer, durchdrungen vom Geiste des Christenthums,
leuchtende Sterne für ihre Völker, deren Väter und Wohlthäter sie
waren, die glänzendsten Throne der Welt zierten. Jetzt sind die
Verhältnisse andere; unsere modernen Staaten haben ihre Confes-
sionslosigkeit und ihren Indifferentismus zur Grundlage ihrer Staats-
politik gemacht ^). Wenn sie aber indifferent ^ind gegen die Kirche,
wenn sie die Kirche nicht unterstützen wollen, können sie dann ihrer-
seits eine Unterstützung von der Kirche verlangen? Wenn sie in-
different sind gegen die Kirche, haben sie dann ein Recht, in die An-
gelegenheiten der Kirche sich zu mischen, ihrer Berufsthätigkeit
Hindernisse in den Weg zu legen, und in ihre göttlich, begründeten
Rechte einzügreifen? Thun sie dies doch, dann sind sie nicht mehr
ehrlich indifferent gegen die Kirche, dann sind sie Mrchenfeindlich^
und macTien eö ipso eine friedliche Coexistenz beider Gewalten zur
Unmöglichkeit. . '
b. Leider haben in unserer Zeit manche Staaten diese ab-
schüssige Bahn der Kirchenfeindlichkeit zu betreten angefangen, da
1) Praefat; Capitular. Lib. I. . ^
2) Gar gerne mochte der confessionslose Staat nach Umständen noch das
Prädikat »christlich« sich aneignen. Aber wie kann er vernünftiger Weise ein
solches Prädikat sich anmassen, wenn er geg«n j.ede Confession, d. h. gegen
jeden bestimmten Ausdruck der christlichen Religion, sich indifferent zeigt?
Wie kann man sagen , dies oder jenes sei farbig , wenn es weder von weiss
noch von schwarz, weder von roth, noch grün, überhaupt von keiner bestimmten
Farbe auch nur die. geringste Spur zeigt? Per confessionslose Staat ist ia
Wahrheit religionslos.
266 RkäbanuSf Verhältniss des modernen Staates zur Kirche.
sie in der Kirche nicht eine wünschenswerthe und kräftige Mit-
arbeiterin, sondern eine gefährliche Nebenbuhlerin erblicken, deren
Einflnss und Wirksamkeit , um jeden Preis gelähmt und gehemmt
werden soll. Von diesem Standpunkte aus fordert der vom Christen-
thume thatsächlich abgefallene, und vom materialistisch-pantheisti-
schen Liberalismus in seinem tiefsten Kerne inficirte moderne Staat
Rechte gegenüber der Kirche, welche ehedem die christliehen, auf
katholischer Basis ruhenden Staaten in solcher Ausdehnung kaum zu
beanspruchen wagten; es sind dies die sog. Rechte, welche die mo-
delten Staatsrechtslehrer unter dem hochtdnenden Namen: T^siaat^
liehe Kirchenhoheitt — »jura roajestatis circa sacnrac zusammen-
Ueber dieses sog. Kirchenhoheitsrecht schreibt ein neuerer
Staatsrechtslehrer 1) : »Die katholische Kirche hat zwar noch einige
Scheu, das Frincip der staatlichen Kirchenhoheit anzuerkennen, und
die Folgerungen desselben im voUen Umfange ßueugestehen; aber
die wichtigsten Anwendungen des Grundsatzes sind doch in den
meisten katholischen Ländern in neuerer Zeit ebenfalls ohne Wider-
spruch der Kirche eingeführt, und das Frincip der Kirchenhoheit
von den neuern Staaten regelmässig siegreich behauptet worden,« —
Dagegen ist Folgendes zu bemerken : die katholische Kirche hat nicht
blos noch »einige Scheu,« das Frincip der staatlichen Kirchenhoheit
anzuerkennen, und die Folgerungen desselben >im vollen Umfange
zuzugestehen,« sondern sie kann und wird sich nie und nimmer zu
einer Staats- oder Landeskirche gleich den protestantischen Kirchen-
genossenschaften, lierabdrücken lassen. Sie kann und darf dies nicht,
sonst würde sie aufhören« die hatholisehs zu sein. Sie kann und wird
daher das Frincip der Oberhoheit des Staates und die daraus in der
Regel gefolgerten masslosen Consequenzen niemals anerkennen ').
Durch eine solche Anerkenntniss würde sie sich selbst aufgeben, und
dem modernen Staate sich zu Füssen legen, diesem Staate, der er-
fahrungsgemäss noch keineswegs seine Fähigkeit bewiesen hat, seine
1) Dr. Blundschli, Allgemeines Staatsrecht, S. 549 lit. c.
2) Auf Seite des modernen Staates bezeichnet man dies gewöhnlich als
»hierarchische Herrschsucht,« — ebenso unwahr, als oberflächlich. Die Kirche
ist in ihren Augen herrschsüchtig, wenn sie ihrer masslosen AUesregiererei und
ihren ungerechten Uehergriffeu und Usurpationen sich nicht allerunterthänigst
gehorsamst fugt, sondern gegen ühermüthige Angriffe auf ihre Existenz sich
wehrt. So reden die atheistischen Kirchen- und Religionsstürmer im heutigen
Frankreich von hierarchischer Herrschsucht, weil die Kirche ihres Rechtsbe-
sitzes und ihres Eigenthumes sich nicht zustimmend und apathisch will be-
rauben lassen.
Rhabanus, Verhäliniss des modernen Staates zur Kirche. 267
eigene Aufgabe bezüglich der zeitlichen Wohlfahrt seiner Angehörigen
genügend zu lösen, und dessen Unfähigkeit immer sofort noch ecla-
tanter hervortritt, wenn er, das Kind des wandelbaren modernen
Weltgeistes, in das nahezu zweitausendjährige feste und solide Bä-
derwerk der katholischen Kirche einzugreifen sich erkühnt. Das
Wort: »Sutor ne ultra crepidam!« sollte der Stiat in dieser Hin-
sicht immer wohl beherzigen.
Was das »siegreiche Behaupten« der »staatlichen Oberhoheit,«
wovon Blunisehli redet , anbelangt , so hätte er statt des Wortes :
»siegreich« das richtigere Epitheton : gewaltsame setzen sollen. Was
aber gewaltsam durchgesetzt wird, kann niemals zum Rechte erwach-
sen. Einer gewaltsamen Errungenschaft wird immör ein tituljas
vitiosus ankleben.
Die »staatliche Kirchenhoheit,« dieses jus majestatis circa sacra,«
führt so manche angeblichen Bechte des Staates im Gefolge , deren
Bedenklichkeit und Nachtheiligkeit für die Kirche in die Augen
fällt. Als solche Bechte sind insbesondere folgende zu verzeichnen:
Erstens:, das Reformationsrechtj — jus reformandi — .
Unter dem Schutze der Fürsten hatten Luther und seine An-
hänger die geheiligten Bechte der Kirche über Bord- geworfen, und
die Oberhoheit über ihre neue Kirche den Fürsten eingeräumt. Zum
Beweise der Abhängigkeit der Kirche von den Fürsten hatten die
Theologen auf dem Convent zu Naumburg, Melanchthon an der
Spitze, sogar die Schriftstellen Psalm. 23,? und Isaias 49,2S in das
Feld geführt. . So bildete sich factisch das sog. Territorialsystera
aus, dessen Spitze in dem Satze: »Cujus regio, illius religio« gipfelt,
und das späterhin an Juristen, wie Thomasius und Böhmer ^ seine
Verfechter gefunden hat.
Uebrigens war das jus reformandi den Fürsten schon durch den
westphälischen Friedenschluss gesetzlich zugestanden worden *). Allein
bekanntlich hat Papst Innocenz X. durch die Bulle »Zelus döraus
Dei« den den Grundsätzen der katholischen Kirche zuwiderlaufenden
Artikeln dieses Friedensschlusses alle Giltigkeit abgesprochen. Die
katholische Kirche steht daher auch nach dem westphälischen Frie-
den rechtlich noch auf der Basis des Concils von Trient, gemäss
welchem die Kirchengewalt nicht den Landesherren/ sondern aus-
schliesslich dem. Papste mit den Bischöfen zukommt, und das eigent-
liche Beformationsrecht nur vom.ersteren, und von ein.em General-
oder Provinzialconcil ausgeübt werden kann^).
1) Vgl. Alzog, Universalgeschichte der christl. Kirche, §. 336.
2) Concil. Trident. Sess. 24 de reform. c. 2, und Concil. Constanz. Sess. 39.
268 Rhahanua, Verhältniaa des modernen Staates mr Kirche.
Dem gesunden Menschenverstände muss bei einiger Unbefangen-
heit einleuchten, dass ein Beformationsrecht über Religion und Kirche
nicht dem lediglich auf die irdischen und zeitlichen Angelegenheiten
seiner Burger angewiesenen Staate zukommt. Auch liegt auf der
Hand, dass ein solches staatliche und fürstliche Becht je nach dem
Zeitgeiste, je nach den' Anschauungen oder Launen irgend eines
weltlichen Regenten zur völligen religiösen Sclaverei, sowie zur
Untergrabung jeäer positiven Religion, und zur Zerrüttung und Zer-
klüftung der Kirche führen müsste. Der Staat, welcher ertaÜrungs-
gemäss heute dieses, morgen ein gegentheiliges Begierufigssystem auf
die Bahn bringt, und auf seiner rastlos arbeitenden Gesetzgebungs-
maschine experimentirend, heute ein Gesetz macht, dem er morgen
ein conträres entgegenstellt, um bald wieder beide wie ein abge-
nütztes und unbrauchbares Handwerkszeug in den Winkel der Ver-
gessenheit zu werfen, könnte, wenn er im Besitze des jus reformandi
wäre, mit der Beligion seiner Bürger wie mit öinem Spielballe um-
gehen; dadurch aber wurde offenbar eine ruhige, kirchlich-religiöse
Consolidirung in einem Lande zur Unmöglichkeit. Die Angehörigen
eines solchen Landesherrn, dem obige Prärogative der sog. Staats-
majestät zustünde, müssten, wie zu den Reformationiszeiten in Däne-
mark geschehen!), je nach seiner Laune ihre Religion wie .Kleider
wechseln. - .
Das jus reformandi des Staates lässt sich daher weder nach
den Grundsätzen der Vernunft und Moral, noch der Religion und
Gewissensfreiheit, noch nach den Regeln des natürlichen und posi-
tiven Rechtes irgendwie, am allerwenigsten gegenüber der katholi-
schen Kirche, begründen. Aeltere Juristen, z. B. Bärthel', Kem-
merich, Moser, Buder u. A. haben dies vollkommen anerkannt.
Ihnen gemäss stehen die katholischen Staatsangehörigen nach wie
vor dem westphälischen Frieden quoad ecclesiastica et spiritualia
nur anter der päpstlichen und bischöflichen Jurisdiction.
Gleichwohl fehlte es nicht an Rechtslehrern, welche, indem sie
ein jus in Sacra, und ein jus circa sacra unterschieden, das letztere
dem Landesherrn vindicirten. Sie behaupteten, dieses jus circa sacra
sei dem Majestätsrechte des Landesherrn inhäreni tmd unzertrennbar
von demselben. Als Grund hiefür gaben sie an, dass die Pflichten
gegen Gott, wenn sie in Collision mit den Pflichten, gegen den Staat
stehen, ihre .verbindende Kraft verlieren, wesshalb'die Kirche umso
weniger ihre beliebigen Vorschriften werde urgiren können, wenn die
1) Vgl. Ueber die Willkühr der Fürsten in Glaubenssachen^ Wolfgang
Menzel, deutsch. Gesch. Cap. 420.
Rhahanua, VerhäUnias dea modernen Staates zur Kirche^ 269
oberste Landesgewalt dieselbeu als nachtbeilig für das. allgemeine
Wohl erkläre. Diejenigen, welche hierüber zweifeln, sagen sie, soll-
ten bedenken, dass Gotrder Urheber ebensowohl des Staates, als
der Religion ist, dass somit eine Beligion, welche den Staatszweck
gefährdet^ oder den Mitteln zur Erreichnng desselben Hindemissein
den Weg legt, dep Namen einer Religion nicht verdiene ^).
Die Verkehrtheit dieser Anschauung liegt am Tage. Nicht die
Pflichten gegen Gott oder die Pflichten der Beligion müssen im Col-
lisionsfalle den Pfi^ichten gegen den Staat weichen,, sondern umge-
kehrt diese jenen. »Man muss Gott mehr gehorchen als den Men- *
sehen ,^ haben schon die Apostel gelehrt. Die Hof- und Staats-
juristen, welche das Gegentheil demonstriren wollen, sollten doch
einsehen, dass vielmehr die Kirche, weil sie auf unmittelbarer gött-
licher Gründung beruht, und weil ihr Zweck ein höheres, erhabeneres
und noth wendigeres Ziel anstrebt, als der Staatszweck, das Recht
haben muss, ihrerseits vom Staate zu verlangen, dass er sich ihren*
Gesetzen und Vorschriften accomodire, und sie in der Ausübung ihreü
Heilmittel durch seine Gesetze und Einrichtungen in keiner Weise
behindere. Zu dieser Forderung muss die katholische Kirche um so
mehr berechtigt sein, weil sie älter ist, als der moderne Staat, der
ja die Kirche, als er sich in irgend einem Lande etablirte, dort
schon als bestehend, somit schon im geheiligten Besitze vorfand.
Von einem' Rechte eines solchen neubegründeten Staates, die Kirche
unier gewissen Bedingungen zu recipiren, könnte selbstverständlich
keine Bede sein ; es wäre umgekehrt an der Kirche als der Be-
sitzerin des Hauses, den Staat unter der Bedingung der vollen An-
erkennung ihrer Rechte und Prärogativen .neben sich aufzunehmen.
Der Staat könnte also nur auf dem Wege der Gewalt eine Prä-
ponderanz oder Oberherrschaft über die Kirche erlangen. Wie kann
er rechtlich sich anmassen, eine Institution, die älter und grösser
ist, als er, und deren göttliche Gründung er wenigstens in demselben
Masse, wie seine eigene, anerkennen muss, beschränken, beherrschen
oder verdrängen zu wollen? Wollte er dies dennoch versuchen, so
läge hierin der evidente Beweis, dass er seinen Zweck verkenne,
dass er von seiner von Gott angeordneten Bestimmung abgeirii) und
des Namens einer göttlich begründeten Anstalt unwürdig sei.
Die neuere, liberale Staatsrechtslehre scheut sich zwar noch,
da§i sog. jus reformandi in der Ausdehnung, wie dies der westphä-
lische Friede für gut fand, zu beanspruchen. Heute will man seitens
1) Vgl. . Riegger Paul. Jos., Instit. jurisprnd. eccles. P. I. §. 19 ; Christ.
S. B. de Wolf, Jor. natur. tom. VIII. c. 4.
270 Jthahanus, VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche»
der Staatsgewalt sich nur das Recht zueignen, zu bestimmn, ob und
unter welchen Bedingungen eine Kircbengenossenschaft in ihrem
Staatsgebiete zugelassen werden solle. Ein solches Recht könnte aber
dem Staate höchstens bezüglich neu zu recipirender Gonfessionen zu-
gestanden werden; der bestehenden katholischen Kirche gegenüber
wäre es ein Angriff auf die wohlerworbenen Rechte -^ jura quae-
.Sita — derselben, wenn ein Staat eine solche Befugniss ausüben
wollte, nachdem sie in den verschiedenen Staaten überall längst eine
historisch berechtigte Slxistenz unter feststehende^ Bedingungen er-
' werben hat^).
Zweitens: Ein anderes »Recht« des Staates gegenüber der
Kirche ist das sog. jus advocatiae^ Schutz- oder Schirmyogtei*Recht.
Auch dieses Recht will der Staat von seinem Kirchenhoheitsrechte
ableiten. — In dieser Hinsicht soll hier Folgendes bemerkt werden :
Die ersten christlichen Kaiser haben den Einfluss, den ihnen
xlie dankbare Kirche gerne eingeräumt hatte, mit Ausnahme der
Kaiser Constantius und Valens, der Protektoren des Arianismus, noch
nicht so weit ausgedehnt, dass sie sich wirkliche Eingriffe in die
Gerechtsamen der Kirche unter dem Verwände eines landesherrlichen
Rechtes erlaubt hätten. Sie waren sich vielmehr ihrer Pflicht be-
wusst, die Kirche, deren Angehörige sie selbst waren, und an deren
Geschicken sie innigen Antheil nahmen, da ja deren Segnungen ihnen,
ihren Regierungen und Völkern zu Gute kamen, mit ihren, von
Gatt verliehenen äussern Machtmitteln zu teschützen. In dem Grade,
als sie dieser ihrer Schutzpflicht sich bewusst waren, fanden sie sich
auch bereit, den Päpsten und Bischöfen, wenn sie den weltlichen
Arm anzurufen sich genöthigt sahen, kräftigen Beistand zu leisten.
Hiebei gingen sie keineswegs von selbstsüchtigen und herrschsüchtigen
Nebenabsichten aus; auch lag ihrem christlichen Sinne der Gedanke
ferne, ihre Schutzpflicht als ein oberhoheitliches SchutzrecÄ^ aufzu-
fassen, und der Kirche auch wider deren Willen als unberufene
Vögte oder Advocaten sich aufzudrängen. Damals bestand eben das
cbrrecte Verhältniss der christlichen Kaiser zur Kirche, deren de-
müthige Söhne sie sein wollten. Leider wurde dieses schöne , echt
christliche Verhältniss getrübt, durch die bald mehr und mehr sich
geltend machenden aufgeblähten Ideen von Oberhoheit und Staatsr
majestät, welche adulatorische Schleppträger und Holjuristen den
Kaisern einzuflüstern verstanden. Schon Justinian, dann Zeno, He-
raklius u. A. fingen mit frivoler Herrscherwillkühr das Scepter der
. 1) Vgl. Vering, Dr. Fr. H., Lehrb. des kathol. und prot. Kirchenrechts,
Buch I. §. 30.
RhabanuSy Verhältniss des modernen Staates zur Kirche. 271
Staatsallmacht zu schwingen, und die Selbstständigkeit der Kirche
unter dem Verwände ihres Schutzrechtes zu beeinträchtigen an. Die
Staatsallregiererei erreichte aber erst ihren Höhepunkt, als die unter dem
Schutzmantel der von der Kirche abgefallenen deutschen Landesherren
herangewachsene Eeformation c^ie Rechte und die Selbstständigkeit
der protestantischen Religionsgenossenschaften gänzlich verschlungen,
und der Reiz der schrankenlosen Staatsgewalt der protestantischen
Fürsten dieselben Begehrlichkeiten auch bei den katholi&Tcben ge-^
weckt hatte. Von jetzt begannen ^ überall dienstbeflissene Staats-
rechtslehrer , die verderblichen und verwerflichen Theorieen von der
sog. Landeskirche zu entwickeln, mit wissenschaftlichen Systemen sie
zu stützen, und eifrig Proselyten für dieselben zu machen, so dass
schnell ein neues Kirchenstaats- oder Staatskirchenrecht allenthalben
Wurzel 2U fassen begann. Dass dieses von Seite der Fürsten als ein
passendes Mittel zur Erhöhung ihrer Majestät selbstverständlich wohl-
gefällig acceptirt wurde, ist erklärlich, um so mehr, da selbst auf
kirchlicher Seite* manche unwissende oder von Selbstsucht bethörte,
auf beiden Seiten hinkende, weltlich gesinnte Bischöfe und Prälaten
dieses Attentat gegen das kirchliche Recht sich ruhig gefallen Hessen. -
Seitdem endlich die Autorität und das Recht der Kirche durch die
Säcularisation und deren Folgen einen neuen Stoss erlitten, dann die
Freimaurerei im Bunde mit einer falschen Philosophie den mate-
rialistisch-liberalen modernen Staat grossgezeitigt, und die Idee vom
christlichen Staate verdrängt hat, pflegt man gegenüber der Kirche
nur mehr von RecJUen des Staates zu sprechen ; die ursprüngliche
Sehntzpflicht ist in ein SchntzrecM verwandelt, und dieses Schutz-
recht hat sich vielfach in eine Vormundschaft ausgewachsen, welche
der Kirche nicht selten in ihrer freien Bewegung hinderlich, oft auch
geradezu nachtheilig ist. Jedenfalls widerspricht es dem Wesen eines
chfisUichen Staates oder Fürsten. Nüchterne und redlich gesinnte,
ältere Juristen, wie z. B. der bayerische Rechtslehrer Prhr. v. Kreitt-
mayr, hatten vom staatlichen Schutzrechte noch gesündere Ansichten
als unsere heutigen Grössen. »Wie weit sich, schrieb EreiUmayr^),
der Schutzherr oder advocatus Ecclesiae ... in das Kirchen- und
milde Stiftungs- Administrationswesen einzumischen habe, lasst sich
überhaupt so wenig, als übrige bei Mager und andere Rechtsge-
lehrten findige eflfectus advocatiae ecclesiasticae bestimmen. So viel
ist ausgemacht, dass er seine Kirche oder Stiftung gegen ungerechte
Gewalt und Unterdrückung jm schütten hahe,^ Kreittmayr beruft
1) Anmerk. zum Cod. Maxim, bav. civil. I. Thl. 7. Cap. §. 42. n. 2.
272 Rhabanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche,
sich hierüber auf Moser^ Staatsrecht i T. 12. c. 56. §. 39, und aut
die katholischen Ganonisten Engel und Pichler. Nach Ersterem be-
greift das Schutzrecht gemäss den Canones der Kirche in sich: die
cnra et inspectio, d. i. die wachsame Sorgfalt, dass die kirchlichen
Güter nicht veräussert oder verschwendet werden, mit der Bestim-
mung,, dass wenn in dieser Beziehung für die betreffende Kirche
Nachtheiliges geschehe, dem Bischöfe hierüber Anzeige gemacht
werde, gemäss can. Filiis, 31 Gaus. 16, qu. 7; ferner: dass der
Kirche, wann nöthig, der erforderliche Schutz geleistet werde, ge-
mäss c. Gum autem; dann dass der Kirchenpatron keinerlei Juris-
diction über einen Pfründe-Inhaber sich anmassen, auch keine Kirchen-
visitation vornehmen, oder gar in die Verwaltung der Sacramente
sich einmischen dürfe, gemäss Trident. Sess. 24. de reform. c. 3, und
seine Befugniss sich darauf beschränke, in wichtigeren MUen An-
zeige an den Bischof zu erstatten ; weiter , dass dem Kirchenpatron
nur summarische Bechnungseinsicht zu gestatten sei, gemäss c. Ek
literis und Sane, dagegen bei Strafe der Excommunication ihm ver-
boten sei, Theile des Kirchenvermögens sich anzueignen, oder zu
seinen Zwecken zu verwenden, oder die Pfründebesitzer in der Per-
ception ihrer Pfründeeinkünfte zu behindern, gemäss Trident. Sess.
22. de reform. c. 11, u. Sess. 25. c. 9 i). — Nach Pichler gründete
sich das Recht der bayer. Ghurfürsten, von den Klosterprälaten und
von den niedern Kirchenvorständen, wenn sie schlechten Haushalt
führten, oder hierüber im Verdachte standen, Bechnungsablage zu
fordern, lediglich auf ias Concordat vom J. 1583, §§: »Wann d!e
Prälaten ^;.€ Eben durch- den Abschluss eines solchen Goncofdates
ist aber anerkannt worden, wie dies auch immer die Kirche festhält,
dass das sog. jus advocatiae des Staates keineswegs ein Ausfluss der
superioritas territorialis sei, sondern auf den ßechtstitel eines er-
worbenen Patronates, oder eines Vertrages, oder doch eines von der
kirchlichen Autorität bewilligten Indultes sich gründen müsse. Leider
lehrt die Erfahrung, dass selbst solche Verträge oder Indulte »öfter
1) Engel, Colleg. univers. jur. can. L. IE. tit. 38, num. 5. In diesem
Sinne hat sich auch der bayerische Episcopat in der Freisinger-Denkschrift vom
20. October 1850 ausgesprochen, indem er erklärte, »dass der Staat die ans der
Schntzpflicht allenfalls abzuleitenden Kechte nicht auf eine Weise ausdehnen
und ausüben dürfe, durch welche er im Widerspruche mit den canonischen
Satzungen in die selbstständige Administration des Kirchengutes eingreifen,
den kirchlichen Verwaltungs-Organismus stören, und die bischöflichen Amtsbe-
fngnisse aufheben oder beschränken würde, c
2) Pichler, Summa jurisprudeiit. sacrae, L. III, tit. 38, num. 5.
Rhahanus, Vethältnisa des modernen Staates zur Kirche. 273
nur eine gute Gelegenheit sind, weiter um sich zu greifen, als sich
vielleicht de jure gebührt.« (Kreittmayr.)
Wenn freilich das sog. jus advocatiae nur die Thätigkeit des
Staates in sich begriffe, die Kirche im freien Gebrauche der ihr zu-
stehenden Rechte zu unterstützen, die Freiheit ihrer ^ Lehre, ihres
Cultus und ihrer Disciplin gegen hindernde oder störende Einflüsse
zu sichern, ihre Vermögens-, Erwerbs- und Eigenthumsrechte gegen
rechtswidrige Angriffe zu wahren, und die Achtung der Religion,
der Kirche und ihrer Diener ebenso, wie die seiner Staatsgesetze
und seiner Staatsdiener, durch die ihm zustehenden äussern Macht-
mittel unverletzt aufrecht zu erhalten, — dann könnte die Kirche
dieses Schutzrecht des Staates als eine Wohlthat anerkennen, und
durch entsprechende Gegenleistungen dankbar vergelten. Allein all-
tägliche Erfahrungen beweisen, dass der moderne Staat sein Schutz-
recht ganz anders versteht. Oder findet man darin den Schutz für
die Freiheit der Lehre der Kirche, dass die Kirche nicht einmal ein
Religionshandbuch ohne Genehmigung der Staatsgewalt in den Schulen
einführen, und nicht einmal Dogmen und Lehrentscheidungen frei
verkünden darf, während die staatliche Obrigkeit ruhig zusieht, wie
öffentlich in Wort und Schrift die Lehren der Religion und Kirche
angegriffen, geschmäht, geläugnet, verspottet und offen der Atheis-
mus und Materialismus in tausend Schriften gelehrt und verherr-
licht wird? Liegt darin der Schutz für die Freiheit des Cultus,
dass der Staat öffentliche kirchliche Feierlichkeiten, Prozessionen
verbietet, die Zahl der Pesttage bestimmt, das Kirchengeläute nach
Belieben untersagt, die Verletzung der Sonntagsheiligung unbeahndet
lässt, durch öffentliche Arbeiten, Bauten u. dgl. häufig selbst ein
schlimmes Beispiel gibt? Spricht sich darin der Schutz für die
kirchliche Disciplin aus, dass der Staat kirchliche Disciplinar- Er-
kenntnisse seiner Prüfung unterwirft, Gensurirte und Excommunicirte
in Schutz nimmt, oder Parteiungen in der Kirche fordert, für die
Verächter der kirchlichen Ordnung, und für die Rebellen gegen die-
selbe Partei ergreift, oder Abtrünnige mit Ehren auszeichnet, während
er kirchliche Orden zerstört und deren Mitglieder in die Verban-
nung schickt ? Schützt der Staat dadurch das Vermögen und Eigen-
thum der Kirche , dass er kirchliche Fonds und Stiftungen ihrem
ursprünglichen Zwecke entfremdet, seine eigenen rechtsverbindlichen
Leistungen für kirchliche Zwecke streitig macht, oder willkührlich
verweigert , Kirchen und Kirchensachen den Abtrünnigen einräumt,
das Kirchengut willkührlich als Staats- oder Gemeindegut erklärt?
Oder hat der moderne Staat durch Einführung, der Civilehe, der
Arohiv fdr Kirchenreoht. XLVIIL 18
274 RhabanuSf Verhältnisa des modernen Staates zur Kirche,
Simultanschule, der neuen, den Geist der Irreligiosität und Kirchen-
feindlichkeit athmenden Schulbücher etc. seinen Schutz für die Kirche
gezeigt, oder auch nur den leisen Schein kund gegeben, dass er im
mindesten geneigt sei, auf den heiligen Zweck der Kirche irgendwie
Bücksicht zu nehmen? Hat er nicht dadurch hinlänglich documentirt,
dass sein Streben vielmehr darauf abzielt , den Einfiuss der Kirche
auf das Volk möglichst zu paralysiren und mehr und mehr aus dem
Felde zu schlagen?
Bei Staaten, denen man solches Gebahren zum Vorwurfe machen
kann, ist das sog. Schutzrecht nichts Anderes, als das Becht dcis
Starkern, der sich dem Schwäche>n gegenüber Alles erlauben zu
dürfen meint.
Drittens: Ein weiteres angebliches Becht des Staates gegen-
über der Kirche ist das sog. jus cavendi.
Dieses Becht äussert sich in doppelter Weise: als jus supre-
mae inspectionis, und als jus placeti regii.
Was will nun der moderne Staat mit seinem jus cavendi ? Er
will sich durch gewisse Vorkehrungsmassregeln gegen die Gefahren
schützen, welche ihm möglicher Weise von Seite der Kirchengewalt
erwachsen könnten (!) — Hier liegt es nahe, zu fragen: Wenn der
Staat Gefahren von der Kirche befürchtet, deren Beruf es doch ist,
durch ihre Thätigkeit und Wirksamkeit alle guten Zwecke des
Staates zu unterstützen, muss man daraus nicht schliessen, dass der
Staat Zwecke verfolge, welche vom Standpunkt der Beligion und
Kirche nicht als gut und heilsam^ sondern als nachtheilig und hin-
derlich zu erachten sind ? ~ Verfolgt aber der Staat solche Zwecke,
will er z. B. solche Einrichtungen treffen, welche Gottesfurcht und
Moralität untergraben ; will er die Erziehung der Jugend ungläubigen
Lehrern überantworten; will er die Ehe als blos menschlichen Ver-
trag behandeln ; will er in der Staatspolitik selbst alle Grundsätze
der Moral verläugnen ; will er Lehrer des Materialismus und Atheis-
mus an die Staatsschulen berufen, u. s. w., — dann ist er selbst
seinem Berufe untreu, und in eine schiefe, der Beligion und Kirche
feindliche Stellung gerückt. Einem solchen Staate gegenüber hat
ihrerseits die Kirche ein jus cavendi mit um so grösserem Bechte
zu fordern, als jener, abgesehen von seinen anti-christlichen Tendenzen,
auch noch mit äussern Gewaltmitteln ausgestattet, und erfahrungs-
gemäss allzusehr geneigt ist, das Wort: »Macht geht vor Becht«
in die That überzusetzen. Stünde nicht auch der Kirche in ihrer
Beziehung zu einem solchen Staate das jus cavendi zu, so wäre sie
dem Staate nicht coordinirt und nicht mehr selbstständig oder un-
Rhahanusy VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche, 275
abhängig von ihm. »Der Versuch seitens einer unabhängigen Ge-
sellschaft, eine andere, ihr coordinirte Gesellschaft in die Unmög-
lichkeit, ihr zu schaden, zu versetzen, schreibt Erzbischof Clem, Aug.
Frhr. v. Droste-Vischering ^)\ ist der Versuch, dieser letztern Ge-
sellschaft ihre Unabhängigkeit zu nehmen, sie aus einer coordinirten
Gesellschaft zu einer subordinirten zu machen.« Ja, ein solcher
Versuch des Staates schliesst schon ein Misstrauen in sich, das
noth wendig wieder Misstrauen erzeugt; ein solcher Versuch ent-
springt schon einer feindseligen Gesinnung , von ' welcher bis zur
oflFenen Kriegserklärung nur mehr ein Schritt ist ^).
Die Kirche hat in Beziehung auf den Staat das gleiche Recht
der Selbstständigkeit, wie es der Staat in Beziehung auf die Kirche
beansprucht. Wenn die Kirche ihrerseits dieses ihr Recht in Anwendung
bringt, dann muss sie gegen einen grossen Theil der neuen Gesetze
und Einrichtungen des modernen Staates Protest einlegen, und sich
aller ihr eigenthümlichen rechtlichen Mittel zur Paralysirung der
verderblichen Wirkungen derselben entschlossen bedienen. Wird der
Staat hiegegen mit* seinen beliebten Mächtmitteln, Gehaltsperre, Aus-
weisung, Einkerkerung, Geldstrafen, Amtsentsetzung und ähnlichen
Attentaten, wie sie dem modernen Rechts(?)8taat zu Gebote stehen,
in das Feld rücken, sohin, das heilige Band zwischen der Kirche
und ihm zerreissend, Gewalt brauchen, dann wird an ihm sich er-
füllen das ewig wahre Wort: »Alle, die nach dem Schwerte greifen,
werden durch das Schwert zu Grunde gehen.« — Aber unser mo-
1) Ueber den Frieden unter der Kirche und den Staaten, S. 98.
2) Sehr ähnlich 'einer Kriegserklärung gegen die Kirche erscheint es,
wenn ein grosses, officiöses Blatt vor Kurzem folgenden Passus brachte: »Das
Ringen der Kräfte dreht sich hier in Wahrheit darum, ob der moderne pa-^
ritätische Rechts- und Culturstaat in voller Geltung bleiben ^ oder ob
er die Herrschaft an eine confessionelle Partei ausliefern solly die nicht
von religiösen, sondern von einseitig kirchlichen, Staats widrigen Gesichtspuhkten
ausgeht und beherrscht ist.« (Augsburger Allgemeine Zeitung vom 3. März
1882). Der Officiosus will also die Herrschaft auch im kirchlichen Gebiete
fahren, und betrachtet eine Kirche, welche diese seine Herrschaft nicht unbe-
dingt anerkennt, als staatswidrig. Es ist ihm staatswidrig, wenn eine staats-
grundgesetzlich anerkannte Kirchengesellschaft die ihr vertragsmässig verbrief-
ten Rechte und die ehrliche Erfüllung der .von ihm feierlich eingegangenen
Verbindlichkeiten fordert. — In wie ferne der heutige Staat ein »Cultur- und
Rechtsstaat« genannt werden kann, soll hier unerörtert bleiben ; dass aber ein
* paritätischer* Staat die verbrieften Rechte jeder recipirten »cönfessionellen
Partei,« also auch der katholischen Kirche, der Kirche der überwiegenden Mehr-
heit des Volkes, der ältesten Kirchengesellschaft des Landes, zu achten und zu
respectiren schuldig ist, wenn er nicht ein Parteistaat sein will, dies dürfte
doch auch unserm officiosen, juristisch (?) gebildeten Artikelschreiber einleuchten.
18*
276 Rhabanus, Verhältnias des modernen Staates zur Kirche.
derner 8taat glaubt vorläufig von solchen scropulösen Befürchtungen
sich nicht beirren lassen zu sollen. »In rein kirchlichen Dingendes
Gewissens und Glaubens , schreibt Bluntschli 0» hat sich der Staat,
als in ein Gebiet, das für ihn unzugänglich ist, nicht zu mischen,
somit auch keine dogmatischen Streitigkeiten zu entscheiden. Wenn
aber die Kirche neue Gesetze, Ordnungen und Bestimmungen in
Glatibenssachen erlässt, oder in Gewissensangelegenheiten sich nicht
mit blossem ßathe begnügt, sondern bindende Vorschriften trifft, so
kann der Staat Kenntniss verlangen von solchen Verfagungen, und
unter der Voraussetzung, dass die Staatsordnung durch dieselben
verletzt und gefährdet würde-, Einhalt thun.^ — Wem springt
nicht der innere Widerspruch dieser »juristischen« Staatsrechtslehre
in die Augen? »Der Staat kann sich in das Gebiet des Gewissens
und Glaubens nicht mischen ; er kann keine dogmatischen Streitig-
keiten entscheiden;« aber er darf die Entscheidungen der Kirche
und ihre darauf gegründeten Gesetze und Vorschriften, wenn sie
seinem modernen Geschmacke nicht entsprechen, verbieten, ihre
Publikation, ihren Vollzug untersagen, d. h. ihnen Einhalt thnn!
Somit kann die Kirche überhaupt kein^ wirksame Entscheidung,
selbst nicht einmal in Glaubenssachen treffen, wenn es dem bösen
Nachbar nicht gefällt. Wo bleibt hier die Selbstständigkeit
und Unabhängigkeit der Kirche auf ihrem eigensten Boden?
Vermöge des jus supremae inspectionis vindicirt sich der Staat
neben der Bevormundung der Kirche auch das Recht, von Allem,
was auf seinem Territorium selbst innerhalb der Kirche geschieht,
Wissenschaft zu haben, um überall hineinregieren zu können. Alles
was in der Kirche vorgeht, muss der moderne Staat wissen, wenig-
stens was die katholische Kirche betrifft; denn diese hält er für be-
sonders geföhrlich. Dagegen ist er liberaler gegenüber den Frei-
maurer-Logen und ihrer im Finstern arbeitenden, minirenden und
subversiven Thätigkeit, ebenso wie gegenüber der Giftsaat, welche
diese Antichristenliga - durch ihre Pressorgane allenthalben aussäet.
Das Schicksal, das diese Liga schon mancher Dynastie bereitete, hat
den wenigsten unserer modernen Staatsregierungen bisher irgend ein
Bedenken eingeflösst. Da ist man vertrauensselig, dort misstraiiisch.
Und welchen Gebrauch macht der moderne Staat *) von seinem
1) Loc. cit. IX. Buch, Cap. 7.
2) Hier ist die Rede lediglich vom modernen, d. i. indifiEerenten und con-
fessionslosen Stjiat. Ein anderes Verhältniss konnte man früher allerdings dem
christlichen, noch confessionellen Staate einräumen. Wie die christlichen,
katholischen Fürsten ehedem die Verpflichtung hatten, zum Schutze und zur
Rhabanus, Verhältniss des modernen Staates zur Kirche, 277
jus summae inspectionis? Man denke hier an die/staatsrechtliche
Theorie vom Placetum regium.
Wie weit der moderne Staat dieses Recht ausdehnt, beweist die
in jüngster Zeit vorgekommene Thatsache, dass in einem deutschen
Mittelstaate in bisher unerhörter Weise sogar die kirchliche Ver-
kündung eines Glaubenssatzes verboten wurde. Also sogar auf Glaube
und Dogma erstreckt der heutige moderne Staat sein Placetum regium.
So weit ist man früher nicht einmal auf Seite solcher Staatsrechtslehrer
gegangen, welche den Josephinischen Staatsprincipien folgten.
»Dogmata (schrieb einst P. Jos. a Riegger) citra omnem principum
auctoritatem vim habent et ex integre subsistunt ^).€ Bluntschli hat
unumwunden zugeständen, dass man dieses Becht »öfters über Ge-
bühr ausdehne;« aber doch suchte er es principiell zu begründen.
»Das sog. Placet, schreibt er, ist, recht verstanden,, kein positives
Becht des Staates, über die Eirchlichkeit und Wahrheit der von der
Eirchengewalt gegebenen Entscheidung zu urtheilen, sondern nur ein
negatives Becht, dem das Misstrauen zu Grunde liegt, es möchte
die sichtbare Kirche, in welcher auch menschliche Schwächen und
Leidenschaften sich regen, ihre dogmatische Selbstständigkeit miss-
brauchen, und in der Ausartung Beschlüsse fassen und öffentlich
geltend machen, mit denen die vom Staate anerkannten Bechte der
Individuen sowohl, als seiner eigenen Wohlfahrt im Widerspruch
stehen 2).« — Aber worin bestehen denn diese Bechte der Individuen?
Sie bestehen lediglich in der Gewissensfreiheit, d. h. in der Freiheit,
aus einer Kirchengemeinschaft auszutreten, von deren Glaubenssätzen
sie sich nicht überzeugen können. Ihrerseits kann die Kirche gegen
Verbreitung der christkatholischen Glaubenslehre mit der ihnen von Gott ver-
lieheneu Macht mitzuwirken, den Häresieen und Spaltungen entgegenzutreten,
die Angreifer der wahren Religion nicht zu dulden, mit gesetzlichen Strafen
gegen sie einzuschreiten, religions- und glanbensgefährliche Schriften. zu ver-
bieten, die bestehendem kirchlichen Gesetze auch durch weltliche zu bekräftigen
und zu unterstützen, — so konnte man ihnen atich das Becht zugestehen,
darauf zu sehen, dass aus den kirchlichen Disciplinargesetzen keine Nachtheile
für die bürgerliche Gesellschaft heryorgehen, dass neue Disciplinargesetze also
nicht ohne Mitwissen des katholischen Landesherrn promulgirt würden, soweit
sie nicht positive, auf Glauben, Sitten oder den Cultus sich beziehende, son-
dern »leges merae ecclesiasticae , quae incurrunt ad materiam temporalem« —
sind. Denn die Kirche kann und will nichts thun, wodurch die zeitliche und
irdische Wohlfahrt der Menschen überhaupt gehindert oder beeinträchtigt würde.
(Vgl. über diese Materie Petrus de Marca, Concord. sacerdot. et imper. L. IL
c. 10. §. 9, c. 16. §. 4. L. IV. c. 6.)
1) Institut. Jurisprudent. eccles. P. L §. 331. "
2) AUgem. Staatsrecht, Buch 9, Cap. 7.
278 Rhabanus, Verhältni88 des modernen Staates zur Kirche,
solche Individuen keinen äussern Zwang behufs ihrer Unterwerfung
unter eine Glaubenslehre anwenden, sie kann einfach von dem ihr
als Gesellschaft naturgemäss zustehenden Bechte, hartnäckig unge-
horsame Mitglieder aus ihrer Gemeinschaft auszuschliessen, Gebrauch
machen. Was soll man denn unter den Bechten der Individuen, die
der Staat zu schützen hätte, weiter verstehen? Etwa die Freiheit,
in der Kirche zu verbleiben^ und doch sich einer Lelirentscheidnng
derselben zu widersetzen, oder gar dieselbe zu schmähen und zu
lästern? Wenn der Staat solches Gebahren der Individuen gegen
ihre Kirche als ein Becht anerkennt, dann ist er offenbar selbst ein
Gegner und ein Feind der Kirche; überdies setzt er sich in Wider-.
Spruch mit sich selbst. Oder würde er seinen eigenen ünterthanen
das Becht einräumen, seinen Verordnungen oder Gesetzen Widerstand
oder Hohn entgegenzusetzen? Würde er dies nicht vielmehr als
staatsgefährlich und revolutionär erklären, und mit allen seinen Ge-
walt- und Strafmitteln dagegen einschreiten?
Und worin besteht dann die »Wohlfahrt« des Staates, auf die
man zur Bechtferti^ung des Placet so gerne hinweist? Etwa im
Belieben der Staatsangehörigen, die Gesetze der Kirche, der sie an-
gehören wollen, zu achten oder zu missachten? Oder etwa in der
Hegung und Förderung des Preimaurerthums , des Atheismus und
Materialismus, dem die Gesetze der Kirche lästig sind, und als ein
den sog. Fortschritt und die »Aufklärung« hemmendes Hinderniss
erscheinen? Liegt diese »Wohlfahrt« des Staates darin, dass die
Staatsangehörigen ungehorsam gegen die Kirche, kirchenfeindlich und
atheistisch werden? —
Wenn nun .der kirchenfeindliche moderne Staat rücksichtslos
sein Placet in Ausübung bringt , somit von seinem Belieben es ab-
hängig macht, was die Kirche auf ihrem Gebiete lehren und ent-
scheiden dürfe, und was nicht, ist dann nicht der Staat der Pontifex
maximus und oberste Leiter der Kirche ? In der ^hat, wo das Placet
mit staatsabsolutistischer Omnipotenz zur Ausübung käme, da wäre
nicht der Papst, nicht der Episcopat es, den der heil. Geist gesetzt
hat, die Kirche Gottes zu regieren. Die Kirche, welche ein solches
Placet anerkennen wollte, ginge eo ipso ihrer Selbstständigkeit ver-
lustig, sie wäre mit der Staatsgewalt confundirt, sie wäre nur ein
Werkzeug derselben; die katholische Kirche hätte dann aufgehört,
jene freie, von oben stammende Macht zu sein, welche auf dem
Fundamente Christi und der Apostel den irdischen Gewalten unter-
stützend zur Seite steht, und denselben den freien, willigen Gehor-
sam der Gläubigen in allem Guten und Bechten sichert.
Rhabanus, VerhäUniss des modernen Staates zur Kirche. 279
Und dann noch eine Frage: Wird der Kirche seitens jener
Staatsjuristen, welche das landesherrliche Placet für so nothwendig
halten, dasselbe Recht in Bezug auf die Handlungen der Staatsge-
walt zuerkannt? Ist das jus placeti wirklich ein nothwendiges Recht
des Staates, so muss dieses Recht ebenso nothwendig der Kirche
gegenüber dem Staate zustehen, und was man immer geltend machen
mag , um die Prätensionen der Staatsgewalt zu rechtfertigen , das
muss auch für die Kirche gelten. Denn auch sie kann aus er-
fahrungsmässigen Rücksichten Misstrauen hegen, es möchte der
Staat, in welchem bekanntlich »menschliche Schwächen und Leiden-
schaften« gar oft sich regen, seine Selbstsändigkeit und Macht miss-
brauchen, und in seiner »Ausartung Beschlüsse fassen,« Gesetze geben
u. dgL, die mit der Wohlfahrt und sogar mit der Existenz der
Kirche unvereinbar sind. Erkennt der Staat das jus placeti auf Seite
der Kirche an, dann ist es Pflicht für ihn, es zu beobachten, und
den Erinnerungen und Einsprüchen der Kirche in vorkommenden
Fällen Rechnung zu tragen; erkennt er aber dieses Recht der
Kirche nicht an, dann hat er selbst kein solches Recht, dann gibt
es überhaupt rechtlich kein jus placeti ; dann muss entweder unbe-
dingtes Vertrauen zwischen Kirche und Staat walten, oder es muss
alle gegenseitige Verbindung zwischen beiden Gewalten aufhören,
d. h. die Trennung, die vollständige Trennung zwischen Kirche und
Staat muss sich vollziehen.
Wer von beiden dabei gewinnen, wer verlieren wird, diese
Frage beantwortet die Geschichte vergangener Zeiten. Die Kirche
will die Trennung nicht; aber sie muss sich nothgedrungen zuletzt
zu derselben bequemen. Die Kirche wird auch , losgelöst von ihrer
Verbindung mit dem Staate, dem zu lieb sie schon schwere Opfer
gebracht hat , .ferner existiren , wie ja ihre Existenz ohne den Staat
gegründet und auch in stürmischen Zeiten behauptet worden ist.
Das Schifflein der Kirche wird , auch einsam hinsteuernd über den
Ocean der Welt, nicht untergehen. Auf sich allein angewiesen,
wird sie die Lebenskraft, die ihr eigen ist, nur noch intensiver ent-
falten. Der Staat dagegen wird,^ bedrängt von den Geistern, die er
selbst gerufen hat, allein stehen im Kampfe mit den feindlichen
Elementen, die jedes geordnete Rechts- und Gesellschaftsleben un-
möglich machen. Sein Schwert wird, bald stumpf und unbrauchbar
gemacht, für sich allein nicht stark genug sein, um zu hindern,
dass eine gottlose Generation, die er selbst gehegt und gefördert
hat, seine Ordnung verwirre, seine Gesetze missachte, seine Funda-
mente unterwühle. Die Fugen des Staatsgebäudes, nur mehr durch
280 RhabanuSy Verhältniss des modernen Staates zur Kirche,
schwache äussere Bindemittel mühselig zusammengehalten, werden
bei dem ersten Stosse von innen oder aussen weichend in Trum*
mer zerfallen. Dann wird man zu spät- etwa zur Einsicht kommen,
dass der Bund mit der Kirche allein den Bestand geordneter Staaten
möglich macht, und dass es unklug und unpolitisch gewesen, diesen
Bund so leichthin aufzuheben und * zu zerreissen. An dem kirohen-
feindlichen modernen, liberalen, confessions- und religionslosen Staate
aber wird sich früher oder später das Wort der h. Schrift erfüllen: »Sic
haben Wind gesäet^ und Stürme werden sie ernten ^).«
1) Ose. 8, 7. .
281
XVII.
Ein rheinhessiscber Rechtsstrelt bezOglich des Mitgebrauches
an einer protestantischen Kirche^
mitgetheilt von Pomcapitular Prof. Dr. Hirschel zu Mainz.
Die in Bosmheim^ einem unweit von Kremnach auf dem rech-
ten Nabeufer in Bheinhessen gelegenen, grösstentheils protestanti-
schen Dorfe wohnhaften wenigen Katholiken ^ welche nunmehr zu
der nahen Pfarrei Planig im Bisthum Mainjsf gehören, benutzten
bis in die neueste Zeit die protestantische Kirche ihres Wohnortes
zur Vornahme der sie betreffenden Casnalhandlungen , der Taufen,
Beerdigungen '^und Eheabschliessungen. Unter dem 23. November
1872 berichtete der Pfarrer von Planig an das bischöfliche Ordi-
nariat zu Mainz, es sei ihm, als er eine Trauung von Katholiken in
Bosenheim in der dortigen protestantischen Kirche habe vornehmen
wollen und in Uebereinstimmung mit einem Schreiben des früheren
protestantischen Pfarrers Engelbach zu Bosenheim vom 13. Februar
1862 zur Vermeidung von Collissionen bei dem nunmehrigen pro-
testantischen Pfarrer daselbst Anzeige von der von ihm vorzunehmen-
den Eheeinsegnung gemacht habe, von letzterem mitgetheilt worden,
der protestantische Kirchenvorstand verweigere die Benutzung der
Kirche, insofern die Katholiken dieselbe als ein Recht beanspruch-
ten, indem er sie nur aus Gefälligkeit und in Folge von ihm er-
theilter Erlaubniss gestatte. Nachdem der katholische Pfarrer von
Plauig noch dreimal den protestantischen Kirchenvorstand von Bosen-
heim ersucht hatte die althergebrachte üebung ungestört zu be-
lassen, ohne eine Antwort zu erhalten , wandte sich das bischöfliche
0]*dinariat von Mainz an das Oberconsistorium zu Darmstadt, damit
dasselbe den protestantischen Kirchenvorstand zu Bosenheim veran-
lasse, den unvordenklichen Besitzstand der Katholiken, welcher durch
eine Reihe von Aufzeichnungen vom Anfange des vorigen Jahr-
hunderts bis zu dessen Ende und sodann durch Zeugen bezüglich
des behaupteten Mitgebrauches an der protestantischen Kirche zu
Bosenheim zur Vornahme von Casnalhandlungen der dort wohnhaften
Katholiken nachweisbar sei, anzuerkennen, um einen drohenden
Rechtsstreit und die daraus entstehenden Kosten und Unannehmlich-
keiten zu vermeiden. Das Qrossherzogliche Oberconsistorium ent-
gegnete unter dem 13. März 1874 : es sei allerdings die protestan-
282 Hirsche!, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mit g ehr, einer prot. Kirche,
tische Kirche zu Bosenheim in vereinzelten Fällen auf vorherige
Anzeige zur Vornahme von Casualien der Katholiken Bosenheims
benutzt worden, bei der im Jahre 1862 entstandenen Meinungsver-
schiedenheit habe mit Zustimmung des* bischöflichen Ordinariatejs der
katholische Pfarrer zu Planig erklärt , man beabsichtige nicht , auf
das Recht, die -Kirche in herkömmlicher Weise und in den berköm-
lichen Fällen zu benutzen, irgend ein weiteres, über den bisherigen
Usus hinausgehendes Recht zu begründen, sondern wie man ledig-
lich bei dem Herkommen zu verbleiben beabsichtige; zwar sei in der
dessfallsigen Erklärung eine Benützung der Kirche ohne vorherge-
gangene Anfrage beansprucht, dieser Anspruch aber ganz bestimmt
zurückgewiesen worden durch das Schreiben des evangelischen Pfarr-
amtes Bosenheim vom 13. Februar 1862, worin unter Acceptation
jener Zusicherung, es beim Herkommen belassen zu wollen, ausdrück-
lich geltend gemacht worden sei, dass solcher Anspruch mit dem Her-
kommen nicht übereinstimme, da bisher stets eine Anfrage von dem katho-
lischen Geistlichen erfolgt sei ; bei dieser Zurückweisung habe man
sich katholischerseits beruhigt, dagegen habe der evangeliche Kirchen-
vorstand damals vor Auswechslung der eben erwähnten Erklärungen
sogar beschlossen, dass den Katholiken, da ihnen ein Becht auf die
Benutzung der Kirche nicht zustehe, der Gebrauch der Kirche und
der Glocken principiell zu verweigern und nur auf eine Bescheinigung
des katholischen Geistlichen, dass die Katholiken hieraus kein Becht
herleiten würden, zu gestatten sei ; ebenso gehe die neueste Erklärung
des evangelischen Kirchenvorstandes vom 10. Februar 1874 ganz
entschieden dahin, dass den Katholiken zu Bosenheim ein Gebrauchs-
recht an der evangelischen Kirche nicht zuzuerkennen, der wahre
Sachverhalt vielmehr darin zu erblicken sei , dass nur in sehr ver-
einjselten Fällen und mit besofiderer jedesmaliger Erlaubniss von
evangelis(5her Seite die Benutzung der Kirche durch die Katholiken
stattgefunden habe; die Verhandlungen aus dem Jahre 1862, auf
welche sich jetzt das katholische Pfarramt Planig stütze, könnten
für die evangelische Gemeinde in keiner Weise bindende Kraft
äussern, da sie nicht von dem Kirchenvorstande, sondern vom Pfarr-
amte geführt worden seien; auch seien die Katholiken niemals im
Besitze eines Schlüssels zur Kirche gewesen, worauf sie doch wohl
bestanden haben würden, wenn sie sich, abgesehen von einem Mit-
eigenthums- oder Simultanverhältnisse in irgend einer Weise für
berechtigt in Bezug auf die Kirche erachtet hätten, woraus ge-
schlossen werden müsse, dass sie früher solche Rechtsansprüche zu
erheben nicht gedachten; die vom Pfarramte beigebrachten Auszüge
Hirsckel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgehr. einer prot. Kirche, 283
aus den Kirchenbüchern könntwi nicht als Beweismittel für den An-
spruch der Katholiken gelten, weil die darin bezeugten zehn Fälle,
neun Taufen und eine Beerdigungsfeierlichkeit , welche darnach in
der evangelischen Kirche zu Bosenheim vorgenommen worden seien,
einen Zeitraum von neunzig Jahren umfassten , also sicherlich nur
als vereinzelte gelten, und einen Besitzstand, sowie die ununter-
brochene Ausübung eines Rechtes umsoweniger darthun könnten^ als
sogar in einem Falle ein in dem dessfallsigen KirchenbuchsprotocoUe
von 1771 selbst bezeugter Widerspruch von evangelischer Seite er-
folgt sei; noch viel weniger könnten sie einen Beleg für die Be-
hauptung des katholischen Pfarramtes geben, welche doch sehr we-
sentlich' erscheine , dass di^ Katholiken die Kirche ohne vorherige
Anfrage bei dem evangelischen Geistlichen oder Kirchenvorstande
benutzt hatten, v^as evangelischer Seits entschieden bestritten werde,
weil die dessfallsigen Kirchenbuchs-Einträge über diesen für die be-
urkundeten kirchlichen Akte völlig bedeutungslosen Umstand selbst-
verständlich schwiegen, also weder pro noch contra als Beweismittel
benutzt werden könnten; auch der vom katholischen Pfarramte
Planig citirte Eintrag in das TaufprotocoU: circa annum 1806 pagus
Bosenheim etc., welcher am Schlüsse laute: »usum ecclesiae ibidem
non habemus, nisi quando casualia etc. procurandu sunt« vermöge,
abgesehen von seiner indirecteu Fassung den Anspruch der Katho-
liken nicht zu beweisen, weil er von katholischer Seite selbst her-
rühre; endlich erschiene es als ein für die Rechtsansprüche der
Katholiken nicht günstiger Umstand, dass ebenso in neuerer und
neuester Zeit Casualhandlungen des katholischen Geistlichen in der
Kirche zu Bosenheim nur in sehr wenigen, einzelnen Fällen vorge-
nommen worden seien , so dass z. B. von den zahlreichen (etwa
zwanzig) sämmtlich während der letzten dreissig Jahren geborenen
Kindern nicht ein einziges in der evangelischen Kirche getauft wor-.
den sei, wie denn überhaupt in dem laufenden Jahrhunderte keine
katholische Taufe oder Trauung und nur drei bis vier Beerdigungs-
feierlichkeiten sogar unter ausdrücklichem Widerspruche gegen ein
Recht der Katholiken auf Benutzung der Kirche dazu und mit jedes-
maliger, besonderer Erlaubniss des evangelischen Kirchenvorstandes
stattgefunden hätten; hienach müsse man sich dahin äussern, dass
allem Anscheine nach die Ueberlassung der evangelischen Kirche zu
Bosenheim an •die Katholiken zu Casualhandlungen in einzelnen
Fällen früher nur precario erfolgt sei und dass ein auf langjährigen,
ununterbrochenen und unbeanstandeten Besitz des Rechtes auf Be-
nutzung der Kirche ohne jedesmalige vorher eingeholte Erlaubniss
284 Hirschely Rheinhess, Rechtsstreit betr. Mitgehr. einer prot Kirche.
der evangelischen Genieinde als der alleinigen unbeschränkt berech-
tigten Eigenthümerin der Kirche gestutzter Usus keineswegs nach-
gewiesen sei, dieser auch unter den vorliegenden Verhältnissen als
ein rechtsgiitiger Zustand , wie solches das katholische Pfarramt
Flanig und das bischöfliche Ordinariat behaupteten, sich gar nicht
habe bilden können und nicht bestehe; somit stelle sich auch für
das Obereonsistorium die Verweigerung der Kirche zur Vornahme
einer Copulation am 9. November 1872 von Seiten des evangelischen
Kirchenvorstandes, welche Veranlassung zu vorliegender Beschwerde
gegeben habe , als eine Störung der Katholiken in dem seitherigen
usus nicht dar und vermöge man daher nach Lage der Sache dem
Ersuchen des Ordinariates vom 13. November 1872 nicht %\x ent-
sprechen.
So blieb denn fär die Katholiken nur die Betretung des Bechts-
Weges übrig, wozu denn auch der. Kirchen vorstand zu Planig vom
bischöflichen Ordinariate unter dem 1. October und votn Grossher-
zoglichen Administrativ-Justizhofe zu Darmstadt ain 4. November
1874 ermächtigt wurde.
Der Anwalt des Uägerischen Kirchenvorstandes trug nun bei
Grossherzoglichem Bezirksgerichte zu Ahey am 9. März 1875 darauf
an, dieses Gericht möge, nachdem dem katholischen Pfarrer zu Planig
die Benutzung der evangelischen Kirche zu Bosenheim zur Vor-
nahme einer Trauung von dem dortigen evangelischen Kirchenvor-
stande verweigert worden und die auf dem Verwaltungswege ge-
pflogenen Verhandlungen behufs gütlicher Beilegung dieser Streit-
sache erfolglos gewesen seien, wenn den behaupteten Thatsachen
nicht widersprochen werde, dieselben für zugestanden erachten und
sofort aussprechen, dass die Katholiken in Bosenheim, beziehungs-
weise die katholische Kirche von Planig berechtigt seien , die ge-
dachte Kirche sammt dem Geläute bei allen Casualf allen , Taufen,
Hochzeiten, Begräbnissen auf einfache Anzeige hin zu benutzen, dass
der evangelische Kirchenvorstftid durch Verweigerung der evangeli-
schen Kirche zur Einsegnung eines Brautpaares durch den katholi-
schen Pfarrer zu Planig im November 1873 die Klägerin in ihren
Bechten an dieser Kirche gekränkt habe; dass dem Beklagten jede
weitere Störung verboten und derselbe in die Kosten verföUt werde
unter Vorbehalt aller weitern Rechte.
Der Anwalt des beklagten Kirchenvorstandes bestritt in seinem
am 1. Juni übermittelten Antrage zunächst die Berechtigung des
katholischen Kirchenvorstandes zur Klageerhebung, weil, wenn auch
die in Bosenheim wohnenden Katholiken nach Planig pfarrten, doch
Hirschelt Rheinheaa, Rechtsstreit betr. Mitgebr, einer prot Kirche, 285
nicht der katholische Kirchenvorstand zu Flanig ohne Weiteres die
Katholiken in Bosenheim, welche, wie in der Klage behauptet werde,
eine Filialgemeinde bildeten, zu vertreten habe, weil sodann auch der
Klagegenstand ein solcher sei, der überhaupt nicht zum Wirkungs-
kreise des Kirchenvorstandes gehöre und bezüglich dessen dieser als
solcher Processe zu führen nicht ab berechtigt erachtet werden könne;
da im Fragefalle ein Miteigenthüm oder ein dingliches Recht an dem
evangelischen Kirchengebäude zu Bosenheim oder ein eigentliches
Vermögensrecht nicht behauptet werde, handele es sich lediglich um
angeblich persönliche Rechte der in Bosenheim wohnhaften Katho-
liken und seien desshalb auch nur diese für befugt und berufen zu
erachten, diese ihre angeblichen Rechte vor Gerichte zu vertreten
und zu verfolgen ; zur Sache selbst stelle der beklagte Kirchenvor-
stand nicht in Abrede, dass früher in der Regel, aber nicht immer,
den in Bosenheim wohnenden Katholiken auf deren Anfrage und bitt-
liehes Ersuchen die Erlaubniss ertheilt worden sei, sich bei Taufen,
Trauungen und Begräbnissen der evangelischen Kirche zu bedienen,
dass aber eine Berechtigung hierzu, wie sie in der Klage behauptet
werde, niemals bestanden habe und noch weniger von dem evangeli-
schen Kirchenvorstande zu Bosenheim als bestehend anerkannt wor-
den sei weder ausdrücklich noch stillschweigend ; solche Handlungen
reinen Beliebens und einfacher Duldung könnten aber gemäss Art.
2232. des Code civiP) niemals einen rechtlichen Besitz oder eine
Ersitzung begründen, wenn sie auch noch so lange Zeit hindurch
gedauert haben sollten und demgemäss könne die behauptete Ver-
weigerung auch nicht eine Störung in einem, rechtlichen Besitze
bilden; es sei daher an der Klägerin, ihre behauptete Berechtigung
nachzuweisen und da der Beklagten bis dahin nicht bekannt gegeben
worden sei, welche Thatsachen die Klage unterstützen und wie die-
selben bewiesen werden sollten, so befinde sich die Beklagte ausser
Stande, sich über die Erheblichkeit oder Unerheblichkeit jener That-
sachen joder über die Zulässigkeit der vorgeschlagenen Beweismittel
auszulassen, wesshalb sie sich vordersamat in dieser Beziehung allQ
Rechte vorbehalte; da übrigens in der Klage von einer Ausübung
der beanspruchten Rechte seit unvordenMicher Zeit die Rede sei, so
stehe zu vermuthen, dass ein unvordenMicher Besitz und selbst mit-
tels Zeugen bewiesen werden solle; wenn nach der Klage das AI-
leineigenthum der evangelischen Kirchengemeinde zu Bosenheim au
dem dortigen Kirchengebäude nebst Zuständigkeiten nicht bestritten
1) Les actes de pure faculte et cenx de simple tolerance ne peuvent
fonder lii posseasion ni prescription.
286 Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit hetr, Mitgebr, einer prot Kirche.
ZU werden scheine, vielmehr ein Recht des Mitgebrauches der Kirche
für gewisse Fälle behauptet werde, wenn von einem s. g. Simultaneum,
insoferne damit ein Miteigenthurasrecht ausgedrückt werden sollte,
nicht die Rede sei, wenn also das beanspruchte Recht wohl nur als
ein Gebrauchsrecht im Sinne des Art. 625. u. ff. Code civ. *) aufge-
fasst werden könne, da eine Servitut allerdings auch ein herrschendes
Grundstück erfordere, an welchem es in vorliegendem Falle fehle,
wenn nun auch ein solches Gebrauchsrecht auf die nämliche Weise
erworben werde, wie der Niessbrauch und wenn* man auch zugeben
wolle, dass nach der Ansicht bewährter Rechtslehrer solche Rechte
ersitzungsfähig sein sollten : so müssten auf diese Ersitzung immer-
hin die Grundsätze des bürgerlichen Gesetzbuches anwendbar sein ;
diesem letztern sei aber eine Ersitzung durch unvordenklichen Be-
süe in dem Sinne , dass dadurch der Nachweis ties Besitzes in den
letzten dreissig Jahren vor der Klage überflüssig werde oder der
unvordenkliche Besitz den letztern ersetzen könne, durchaus fremd;
das Gesetz erkläre überhaupt eine Ersitzung an Kirchen nui deren
Zugehörigkeiten, weil dieselben dem Verkehre entzogen seien, für
unstatthaft; falls das Gericht aber ungeachtet des Umstandes, dass
es sich um eine res extra commercium handle, ungeachtet des hohen
und jedenfalls unbestimmten Werthes des Streitgegenstandes einen
Ersitzungsbeweis selbst mittels Zeugen für zulässig halten und nicht
Urkundenbeweis für erforderlich erachten sollte, so könnten doch im-
merhin nur Thatsachen erheblich sein, welche einen ruhigen, öffent-
lichen, ununterbrochenen und nicht lediglich vergünstigungsweisen
Eigenthumsbesitz jenes angeblichen Gebrauchsrechtes während der
dreissig Jahre vor der Klage bezw. vor der behaupteten Störung
herzustellen geeignet wären ; vor der Hand beschränke man sich auf
diese allgemeinen Bemerkungen, behalte sich die Beurtheilung des
etwaigen Beweisanerbietens vor und trage darauf an, die Klage
wegen mangelnder Klageberechtigung der Klägerin und überhaupt
als unzulässig, jedenfalls als grundlos abzuweisen und letztere in die
Kosten zu verurtheilen.
In seinem an das Bezirksgericht Alzey unter dem 7. Juni
1875 gerichteten Antrage beantwortete der Anwalt der Klägerin
den Einwand der Beklagten , welcher die Berechtigung des katho-
lischen Kirchenvoratandes zu Planig zur Anstellung der Klage be-
stritt, dahin, dass die Pilialgemeinde zu Bosenheim nach Art. l.-des
Edictes vom 6. Juni 1832 , die Organisation der Kirchenvorstände-
1) Les droits d'nsage et d^habitation s'^tablissent et se perdent de la
m^me maniere qne rnsofruit. v
Hirachely Rheinheas, Rechtsstreit betr. Mitgebr. einer prot Kirche. 287
evangelischer und katholischer Confession betreffend ^) zwar keinen
eignen Kirchenvorstand besitze, allein als zur Pfarrei Planig ge-
hörend mit den in Planig wohnhaften Katholiken eine Kirchenge-
meinde bilde, jede Kirchengemeinde aber eine juristische Person sei,
welche alle ihre Rechte durch ihren gesetzlichen Vertreter ausübe,
der gesetzliche Vertreter der Kircbengemeinde sei aber gerade ,der
Kirchenvorstand, das Recht der Benützung einer Kirche stelle sich
doch gewiss als das Recht der Kirchengemeinde dar und sicherlich
nicht als das Recht der einzelnen, beständig wechselnden Mitglieder,
deren Rechte übrigens zu wahren eben Recht und Pflicht des
Kirchenvorstandes sei; zur Sache selbst erkenne Beklagte zwar an,
den Katholiken zu Bosenheim sei der Regel nach die Beautzung der
dortigen evangelischen Kirche auf vorherige Anfrage erlanbnissweise
gestattet worden , allein solche Handlungen reinen Beliebens und
einfacher Duldung könnten nach Art. 2232 Code civ. einen recht-
lichen Besitz oder eine Ersitzung nicht begründen; Klägerin nehme
kein^ Miteigenthumsrecht an der fraglichen Kirche, sondern nur den
Mitgebrauch derselben in gewissen Fällen in Anspruch im Sinne des
Art. 625 C. c, welch letzteres Recht aber nach den Grundsätzen des
bürgerlichen Gesetzbuches in der Weise, wie Klägerin behaupte,
durch unvordenklichen Besitz ohne Rücksicht auf den dreissigjährigen
Besitzstand, vor der Klage weder erworben noch bewiesen werden
könne; diese Einwände seien aber nicht zutreffend, indem es sich
hier um ein Recht eigenthümlicher Natur, um ein Simultaneum
handele; das Mitgebra;uchsrecht einer Religionsgemeinde an einer
Kirche, welche Eigenthum einer Religionsgemeinde anderer Con-
fession sfi, an und für sich sehr verschiedener Ausdehnung sein
könne und seine Entstehung Verhältnissen verdanke, welche vor der
Einführung des bürgerlichen Oesetahuches lägen; nach dem west-
phälischen Frieden vom 21. October 1648 solle da, wo am I.Januar
und während des ganzen Jahres 1624 der gemeinschaftliche Gebrauch
eines Kirchengebäudes durch Katholiken und Protestanten bestanden,
derselbe als ein rechtmässiger angesehen werden ohne Rücksicht auf
die Entstehung dieses Gebrauches, die Art und Weise der gemein-
schaftlichen Benützung sei an verschiedenen Orten verschieden ge-
wesen und werde daher durch das Herkommen geregelt; bei solchen
1) Art. 1. In jeder christlichen Kircbengemeinde, welche einen eigenen
Gottesdienst hat oder welche eigenes Kirchenvermögen besitzt, besteht der zur
Mitwirkung bei Fahrung der äussern Kirchenaufsicht und bei Verwaltung des
Kirchen Vermögens bestimmte Kirchenvorstand aus ständigen und unständigen
Mitgliedern.
288 Hir8chel, Rheinheaa. Beähtsatreit betr. Mitgebr, einer prot Kirähe.
Rechten pablicistischer Natur bilde der nachweisbare unverdenkliche
Besitzstand Ersatz für den unerweislichen , in Vergessenheit oder
Verlust gerathenen Becktsiüel und habe desshalb die klagende Ge-
meinde nur diesen Besitzstand zu beweisen ; zu diesem Ende erbiete
sich dieselbe zum Beweise, dass ausweislich der Kirchenbücher zu
Pfafien-Schwabenheim, wohin die EathoHken zu Bosenheim bis zum
Jahre 1806 eigepfarrt gewesen seien; vom Anfange des achtzehnten
Jahrhunderts an die evangelische Kirche zu Bosenheim bei Taufen,
Trauungen und Beerdigungen der katholischen Einwohner von Bosen-
heim sammt dem Geläute benutzt worden , was. auch geschehen sei,
nachdem die dortigen Katholiken im Jahre 1806 der Pfarrei Planig
zugetheilt worden, bis im November 1872 dem katholischen Geist-
lichen zu Planig die Einsegnung eines Brautpaares in der evangeli-
schen Kirche zu Bosenheim verweigert worden sei; es werde dem-
gemäss angetragen, das Gericht möge unter Verwerfung der geg-
nerischen Einwendungen dem Klagegesuche Statt geben.
Am 24. Juni 1875 fällte das Bezirksgericht zu Alsey ein
Zmschemurtheil dahin, dass, da die Katholiken in Bosenheim keine
selbstständige katholische Kirchengemeinde bildeten, vielmehr zur
katholischen Kirchengemeinde zu Planig eingepfarrt seien, dieselben
auch, wie aus den Art. 1. und 5.^) des Edictes vom 6. Juni 1832,
die Organisation der Kirchenvorstände betreffend und aus Art. 40.
der Verordnung vom nämlichen Tage, die Verwaltung des Kirchen-
vermögens betreffend*) hervorgehe, in Angelegenheiten der Kirche
und des Gottesdienstes als solchen, die vorzugsweise das Vermögen
der Kirche in Anspruch nähmen, durch den Kirchenvorstand der
Kirchengemeinde, welcher sie zugetheilt seien, vertreten würden,
wesshalb die gegen die Legitimation der Klägerin erhobene Einrede
sich als unbegründet darstelle; in der Hauptsache werde aber auch
die Klage bestritten, diese müsse daher bewiesen werden, wozu sich
Klägerin auch dahin nämlich erbiete, dass der katholische Geist-
liche für Bosenheim seit unvordenklicher Zeit bis zur Störung im
November 1872 bei den Gasualfällen der katholischen Bewohner von
Bosenheim die evangelische Kirche allda mit deren Geläute auf ein-
1) Art. 5. Besteht die Eirchengemeinde aus mehreren politischen Ge-
meinden, 80 soll das ständige weltliche Mitglied immer ans der politischen Ge-
meinde des Ortes , in welchem die Kirche sich befindet , nach Anleitung des
Art 3. genommen werden.
2) Art.. 14. In Bheinhessen behält es bei den bestehenden Vorschriften,
nach welchen Eechtsstreitigkeiten der Kirchen und geistlichen Stiftnngs-Fonds
von den Verwaltungen dieser Fonds vor Gerichte zu betreiben sind, sein
Bewenden.
Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Miigehr. einer prot Kirche, 289
fache Anzeige hin öifentlich und ungestört benützt habe , dass dies
ausweislich der Kirchenbücher von Pfaffen-Schwabenheim , wozu
Bosenheim bis zum Jahre 1806 als Filiale gehörte, schon vom Jahre
1702 an geschehen sei bis zu der erwähnten Störung; die Beklagte
bestreite zwar auf Grund des bürgerlichen Gesetzbuches die Zuläs-
sigkeit und Erheblichkeit dieses Beweisanerbietens ; indessen seien,
da, wie in der Klage behauptet werde,- das in Anspruch genommene
Recht vor Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches datire, die Be-
stimmungen dieses letztern nicht massgebend ; vielmehr behaupte die
lElägerin mit Recht , hier werde ein s. g. SimuUaneum geltend ge-
macht, ein Recht, das nach übereinstimmender Ansicht des Gross-
herzoglichen Obergerichtes und Cassationshofes ^) durchaus singulärer
Natur sei und weder als ein eigenthümliches Miteigenthumsrecht
noch als ein eigentliches Gebrauchsrecht beurtheilt werden könne,
das theils in grösserem Umfange vorkommend dem Miteigenthums-
rechte entspreche, theils in geringerem Umfange, wie vorliegend,
mehr als ein Mitgebrauchsrecht sich darstelle ; mit Rücksicht auf
den öffentlichen Zweck des Simultaneums und die ihm hierdurch
innewohnende publicistische Natur und insofeme, wie im Fragefalle
behauptet werde, dessen Entstehung der Einführung des Code civil
vorangehe, vermöge der unvordenkliche Besitzstand der Ersatz für
den unerweislichen, in Vergessenheit oder in Verlust gerathenen
Rechtstitel zu bilden, wesshalb sich auch das klägerische Beweisan-
erbieten als zulässig ^und erheblich darstelle und der betreffende
Beweis sowohl mit Zeugen als Urkunden erbracht werden könne,
ohne dass jedoch heute schon die Beweiskraft der in dem Beweis-
anerbieten angeführten Kirchenbücher von Pfaffen-Schwabenheim ge-
würdigt zu werden vermöge und daher deren specielle Benennung
im Beweisanerbieten in Wegfall komme , es jedoch der Klägerin '
überlassen bleibe, von diesen Documenten zum Zwecke der Beweis-
führung den ihr geeignet scheinenden Gebrauch zu machen; aus
diesen Gründen, indem Grossherzogliches Bezirksgericht die der Le-
gitimation der Klägerin entgegengesetzten Einwände als unbegründet
abweise, lasse es die Klägerin vor endlichem Erkenntnisse in der
Hauptsache zu folgenden für zulässig und erheblich erklärten Be-
weisen und zwar auf jede rechtliche Art mit Urkunden und selbst
mit Zeugen zu : 1) dass der katholische Geistliche für Bosenheim seit
unvordenklicher Zeit bis zur Störung im November 1872 bei den
CaBualfällen der katholischen Bewohner zu Bosenheim die evangelische
1) Vgl. Archiv, Bd. 25. S. 1. 1871.
Archiv für Kircbenrecht XL VIII. 19
290 Hirschel, Rheinhess, Rechtsstreit betr. Miigebr. einer proL Kirche.
Eircbe allda auf einfache Anzeige hin öffentlich und ungestört be-
nutzte, namentlich dass dies schon vom Jahre 1702 an geschehen
sei, 2) dass der evangelische Eirchenvorstand im November 1872 dem
katholischen Geistlichen von Planig die Einsegnung eines katho-
lischen Brautpaares in der Kirche nicht gestattet habe, Gegenbeweis
in derselben Art von Rechtswegen ; ernenne zur Leitung des Zeugen-
beweisverfabrens einen Gerichtsrath als Commissar und halte die
Entscheidung über die Kosten bevor.
Bas erste Zeugenverhör fand am 22. November 1875 statt,
indem die Zeugen der klagenden katholischen Kirche zu Planig aus-
sagten, dass. die Beerdigung ihrer katholischen Angehörigen auf An-
zeige bei dem Bürgermeister oder Schullehrer, der auch Kirchen-
diener gewesen sei, stets mit Geläute und Predigt und Gebet des
katholischen Geistlichen von Planig in der evangelischen Kirche zu
Bosenheim ohne Anstand stattgefunden habe , um Benutzung der
Kirche habe man Niemanden ersucht, auch wisse man nicht, ob um
Erlaubniss zum Gebrauche der Kirche gebeten worden sei, auch habe
man nie gehört, dass solches geschehen sei, man wisse nichts davon,
dass andere Handlungen , namentlich Taufen von Kindern in der
gedachten Kirche statt gehabt hätten, diese seien vielmehr immer
im Hause getauft worden.
Von den von der Beklagten geladenen Zeugen wurde ausge-
sagt, dass allerdings bei der Beerdigung von Katholiken geläutet
und die Kirche bei dieser Gelegenheit benutzt worden sei; sie
hätten öfters selbst gehört , dass in solchen Fällen die Angehörigen
der verstorbenen Katholiken um das Geläute und die Benützung der
Kirche »nachgesucht«, um die »Erlaubniss« hierzu bei dem Bürger-
meister gebeten und der Gebrauch der Kirche und des Geläutes
auch »gestattet« worden sei. Der frühere Pfarrer Weiffenbach von
Bosenheim erklärte, daas, als er im Jahre 1847 dorthin als Pfarrer
gekommen sei, hätten sein Amtsvorgeher und die Mitglieder des
Kirchenvorstandes ihm mitgetheilt, dass nur wenige Katholiken in
Bosenheim seien und bei dem Ableben eines derselben es gestattet
werde, nach geschehener Anzeige bei dem evangelischen Geistlichen,
in der evangelischen Kirche das Trauergeläute vorzunehmen und
nach der Beerdigung in die Kirche gehen zu dürfen , ohne jedoch
die Orgel, Kanzel und das Schiff benützen zu dürfen, bei dena einen
Todesfalle eines Katholiken in Bosenheim, dessen er sich erinnere,
sei der Angehörige des Verstorbenen mit dem evangelischen Schul-
lehrer, welcher die Kirchenschlüssel in Verwahr gehabt habe, in
Aufregung zu ihm gekommen, indem jener Angehörige verlangt
Hirachel, Rheinhess, Rechtsstreit betr. Mitgehr, einer prot Kirche. 291
habe, dass für den VerstorbeneD geläutet werde und der Schallehrer
erklärt habß, jener beanspruche diess als ein ßecht, während er, der
Lehrer, doch nur läuten dürfe, wenn er dazu von seinen Vorgesetz-
ten ermächtigt worden sei ; es sei auch damals geläutet worden und
glaube der Zeuge,^ dass er des Friedens halber dem Schullehrer noch
zugesprochen habe , läuten zu lassen , doch erinnere er sich dessen
nicht mehr ganz genau; ob damals die Kirche von den Katholiken
benützt worden, wisse er nicht, doch zweifele er nicht daran; auch
fügte Zeuge Weiffenbach noch bei, es sei ihm erzählt worden, einer
seiner Amtsvorgänger Namens Schäfer habe mit dem damaligen ka-
tholischen Pfarrer von Planig auf sehr freundschaftlichem Fasse ge-
standen und denselben aufgemuntert ,• die evangelische Kirche zu
Bosenheim in erweiterter Weise, namentlich die Kanzel und den
Pfarrstahl zu benutzen; bei einem Abendessen bei dem Bürgermei-
ster zu Bosenheim habe dieser, als von der Benutzung der Kirche
durch die Katholiken gesprochen worden sei, sich dahin geäussert,
in jetziger Zeit, in welcher man so weit vorangeschritten sei, müsse
ipan dergleichen Angelegenheiten in humaner Weise behandeln,
worauf Zeuge Weiflfenbach erklärt habe, er sei wohl mit der Ansicht
des Bürgermeisters einverstanden, glaube aber doch, ihn zur Vor-
sicht mahnen zu sollen, indem aus solchen Gefälligkeiten Observan-
zen entstünden und daraus später oft Bechte hergeleitet würden.
Alle Zeugen der Beklagten sagten aus, dass sie nie wahrgenommen
hätten und wüssten, dass ausser den Beerdigungen auch noch an-
dere Casualhandlungeu , namentlich Taufen und Trauungen der Ka-
tholiken von dem katholischen Geistlichen in der evangelischen
Kirche zu Bosenheim vorgenommen worden seien.
Ein weiteres Beweisverfahren fand am 27. November 1876
statt. Die zwei Zeugen der Klägerin, beide aus Planig, erklärten,
sie seien seit ihrer Kindheit fünfzig Jahre lang bei der Beerdigung
von Katholiken in Bosenheim durch den katholischen Pfarrer von
Planig zugegen gewesen, es sei hierbei stets ohne Einrede das Ge-
bläute und die evangelische Kirche benutzt, aber von einem Nach-
suchen um Erlaubniss hierzu sei ihnen niemals Etwas bekannt ge-
worden.
Von den vier Gegenzeugen der Beklagten sagte ein in Ruhe-
stand versetzter , sechs und siebzig Jahre alter , früherer Lehrer in
Bosenheim aus, er habe die Kirchenschlüssel nie ohne Erlaubniss des
Bürgermeisters und evangelischen Pfarrers hergegeben, in einem be-
sonderen Falle seien einmal zum Begräbnisse eines Katholiken die
19*
292 Hir^chel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgehr, einer prot, Kirche,
Kirchenschlüssel von ihm verlangt worden, er habe sie aber verwei-
gert, bis er die Erlaabniss hierzu vom Bürgermeister und evange-^
lischen Pfarrer erhalten habe, bald sei der Polizeidiener zu ihm ge-
kommen und habe ihm erklärt , die Erlaubniss zum Läuten sei er-
theilt worden, worauf Zeuge die Schlüssel bergegeben habe, darauf
sei geläutet und die Kirche bei der Beerdigung benutzt worden.
Ob derjenige, welcher die Schlüssel vom Zeugen verlangte, bei dem
Bürgermeister um Erlaubniss nachgesucht habe, sei jenem unbe-
kannt, er müsse es aber annehmen, weil er die Weisung gehabt
habe, ohne Edaubniss des Bürgermeisters und Pfarrers die Schlüssel
nicht herzugeben. Ein anderer Zeuge, ein vier und siebzig Jahre
alter Ackersmann von Bosenheim erklärte, er habe in den achtzehn-
hundertzwanziger Jahren im Pfarrhause , in welchem er damals
Dienste verrichtet habe, vom evangelischen Pfarrer Schäfer gehört,
dieser habe deni katholischen Pfarrer und Decane von Planig wegen
dessen Alters und des schlechten Wetters erlaubt, die evangelische
Kirche zu Bosenheim bei der Beerdigung einer Frau Gaul zu ge-
brauchen, etwas später habe ein Mitglied des damaligen evange-
lischen Kirchenvorstandes , Namens Mann^ den Pfarrer Schäfer ge-
fragt, ob der Decan von Planig ohne Erlaubniss in die Kirche ge-
gangen sei, Ivorauf der Pfarrer entgegnet habe, diese Erlaubniss sei
von ihm gegeben worden; es sei übrigens, bemerkte Zeuge weiter^
allgemeine Ansicht in Bosenheim gewesen, dass die Katholiken die
evangelische Kirche nur beautzen. dürften, wenn sie die Erlaub-
niss hierzu erhalten hätten. Der dritte Zeuge bestätigte , was der
erste Zeuge, früherer Lehrer in Bosenheim, vom Abfordern der Kir-
chenschlüssel ausgesagt hatte, indem er diess in der Schule, in wel-
cher er damals sich* befunden, mitangehört habe. Der vierte Zeuge,
jetzt Lehrer in Gensingen , früher in Bosenheim , wo auch dessen
Vater Schullehrer und Glöckner war , bemerkte , zu Taufen und
Trauungen sei die dortige evangelische Kirche nicht benutzt worden,
wohl aber manchmal bei Begräbnissen, es sei diess auch in einzel-
nen Fällen nicht geschehen, der Vater des Zeugen habe gewöhnlich
die Schlüssel nur dann ausgeliefert, wenn eine schriftliche Erlaubniss
von Seiten des evangelischen Pfarrers vorgezeigt worden sei , eines
besonderen Vorkommnisses der Art erinnere sich Zeuge nicht mehr,
da es schonr lange her sei.
Nachdem die neue Oerichtsverfassung für das deutsche Reich
auch im Grossherzogthum Hessen im Jahre 1879 eingeführt worden
war, reichte der Rechtsanwalt der katholischen Kirche von Planig
bei der eweiten CHvükam^ner des Landgerichtes eu Maine unter dem
i
Hirschel, Rheinhesa. Rechtsstreit betr, Mitgebr. einer prot. Kirche, 293
28. October 1880 eine neue Klageschrift ein , in welcher er den
bisherigen Gang der Verhandlungen darstellt, ausser den Zeugen*
aussagen auch noch einen Auszug aus den Kirchenbüchern der Ge-
meinde Pfaffen- Schwabenheim vorlegt und zur Einsicht anbot, Be*
klagte zur Bestellung eines Eechtsanwaltes aufforderte und das
Gericht um Bestimmung einer Sitzung zur mündlichen Verhandlung
der Sache ersuchte , in welcher darauf angetragen werde , Url;unde
zu ertheilen, dass Klägerin den ihr obliegenden Beweis erbracht
habe, sofort auszusprechen, dass die Katholiken in Bosenheim be*
ziehungsweise die katholische Kirche zu Planig berechtigt seien, die
evangelische Kirche zu Bosenheim sammt deren Geläute bei allen
Oasualfällen, Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen auf einfache Anzeige
bin zu benutzen und dass der evangelische Kirchenvorstand die
Klägerin in diesem ihrem Rechte dadurch gestört habe^ dass er dem
katholischen Pfarrer in Planig im November 1872 die Benutzung
zur Einsegnung eines Brautpaares verweigerte, der Beklagten fede
weitere Störung zu verbieten und sie in die Kosten zu verurtheilen.
Im Verhandlungstermine vom 11. December 1880 wurde die Sache
auf Antrag der Rechtsanwälte der Parteien auf den 4. Januar und
von da auf den 11. Januar 1881 vertagt,- während am 7. Januar
1881 Klägerin weitere Einsieht von einem Schretben des evangeli-
schen Pfarramtes Bosenheim vom 13. Februar 1862 anbieten Hess
und Beklagte am 11. Januar 1881 beantragte, den von der Klägerin
auf 200 M. angegebenen Werth des Streitgegenstandes auf min-
destens 2000 M. zu erhöhen, welchem Antrage jedoch durch Zwi-
schenurtheil nicht stattgegeben wurde, den aber Beklagte in der
Sitzung vom 21. April 1881 wiederholte. Das am 26. April 1881
verkündete Urtheil der H. Civilkammer des {jandgerichtes zu Mainz
erkannte zu Recht: »Die durch Akt des Gerichtsvollziehers Walter
vom 9. März 1875 erhobene Klage wird als unbegründet abgetoiesen
and die Klägerin in die Kosten verurtheilt,€ indem zu gleicher Zeit
von dem Antrage der Beklagten, den Werth des Streitgegenstandes
auf den Betrag von 200 M. festzusetzen, Umgang genommen wurde»
Die Begründung dieses ürtheiles führte aus; der Antrag der
Erhöhung der Werthbestimmung des Streitgegenstandes von 200 M.
auf 2000 M. sei für die gegenwärtige Instanz ohne Interesse, da
Beklagte schon in ihren Anträgen vom 1. Juni . 1875 , also zu einer
Zeit, in welcher eine Werthfestsetzung nicht erforderlich gewesen
sei, den hohen und unbestimmten Werth des Streitgegenstandes be-
tont habe und derselbe in der That auch mehr ideeller Natur sei^
der ungewisse Formen umfassend, sich ^ner greifbaren und stricten
294 Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgebr, einer proi. Kirche.
Abschätzung entziehe; nach der früheren Gesetzgebung seien den
Parteien zur Austragung des Streites zwei Instanzen ofifengestandeu*
und dazu noch die Cassations- bezw. die Bevisionsinstanz und durfte
es wohl Sache des höheren Gerichtes sein, sich mit dieser Frage bei
Prüfung der Zulässigkeit einer etwa eingelegten Revision zu be-
schäftigen , da in der gegenwärtigen Sachlage für das Gericht kein
zwingender Grund bestehe, den Werth des Streitgegenstandes, wel-
chen entstehenden Falles ein höheres Gericht zu normiren be-
rufen sei, zu fixiren, wesshalb von diesem Autrage Umgang zu
nehmen sei.
Auch bei der jetzigen Verhandlung sei Beklagte auf die Ein-
rede der ünzulässigkeit der klägerischen Ansprüche und Beweise auf
Grund der Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches, welche be-
reits in dem ürtheile des Grossherzoglichen Bezirksgerichtes Alzey
vom 4. October 1875 gewürdigt worden seien, zurückgekommen ; ^ie
in diesem Ürtheile niedergelegten Erwägungen und Bechtsausführungen,
von welchen das frühere Obergericht Mainz und der Cassationshof in
Darmstadt in ihren Entscheidungen vom 9. December 1865 bei einem
Beclitsstreite der katholischen Kirchengemeinde zu Biebelsheim gegen
die evangelische Eirchengemeinde allda über ein bestrittenes Simul-
taneum ausgegangen sei und auf welche das ürtheil des Bezirksge-
richtes Alzey Bezug genommen hab?, erschienen auch für die heutige
Beurtheilung massgebend und hahe demnach das Gericht sich ledig-
lich mit der Beweisfrage zu befassen und zu prüfen, ob Klägerin
den ihr nachgelassenen Beweis erbracht habe ; dies müsse aber ver-
neint werden, die Berechtigung der Klägerin, die evangelische Kirche
in Bosenheim sammt dem Geläute bei allen Casualfallen , Taufen,
Hochzeiten, Begräbnissen auf einfache Anzeige hin zu benutzen, sei
nicht dargethan. In dem Auszuge aus dem katholischen Kirchen-
buche von PfafiFen-Schwabenheim , wohin in früheren Zeiten die
wenigen Katholiken Bosenheims eingepfarrt gewesen seien, könne
eine solche Berechtigung nicht gefunden werden, indem das besagte
Kirchenbuch* nur spärlich und in grossen Zwischenräumen erfolgte
Taufhandlungen aus den Jahren 1702, 1709, 1710, 1725, 1742,
1771, 1777, 1784, 1791 und 1792 enthalte, die Vornahme von wei-
tern kirchlichen Taufhandlungen seit diesen Jahren, also in einem
Zeiträume von über achtzig Jahren vor der Klage sei weder durch
Urkunden noch durch Zeugen bewiesen; von einer Berechtigung
hieraus, wenn überhaupt eine solche bestanden oder aus dergleichen
einseitigen Einträgen für die Zeit, in welcher sie geschehen, einer
Zeit zahlreicher Streitigkeiten über kirchliches Eigenthum und kirch-
Hirsche!, Rheinhess. Rechtsstreit betr, Mitgebr, einer prot. Kirche. 295
liehe Berechtigungen hergeleitet werden könnte, was aus Bemerkungen
zu den einzelnen Einträgen und dem Erwähnen , dass protestirt und
nicht protestirt wordeh sei, mehr als zweifelhaft erscheine, könne
also nicht weiter die Rede sein. Auch der Einsegnung von Braut-
paaren und der Vornahme kirchlicher Handlungen bei Hochzeiten in
der evangelischen Kirche zu Bosenheim Seitens der Katholiken ge-
schehe in dem Beweisverfahren nirgends Erwähnung.
Was nun diese Ausführungen des ürtheües betrifft, so wird
die Behauptung, dass nur spärliche und in grossen Zwischenräumen
erfolgte Einträge von Taufhandlungen in dem erwähnten Kirchen-
buche enthalten seien, dadurch völlig klar gestellt^ dass das
[Jrtheil selbst nur wenige Katholiken in Bosenheim kennt, also der
Natur der Sache gemäss auch nur spärliche Taufhandlungen und
überhaupt Casualfälle bei ihnen vorkommen konnten. Wenn das
ürtheil weiter bemerkt, dass in einem Zeiträume von über achtzig
Jahren vor der Klage weder durch Urkunden noch durch Zeugen die
Vornahme weiterer Taufhandlungen nachgewiesen worden sei; so
darf daraus doch nicht geschlossen werden, dass solche überhaupt
nicht in der evangelischen Kirche vorgekommen seien, noch weniger
aber, dass die Katholiken zu einer derartigen Vornahme k^ine Be-
rechtigung gehabt hätten. Denn wegen der geringen Anzahl der-
selben können an sich schon selten Taufen geschehen sein, sodann
wurden solche, wie die Zeugen aussagten, im Hause verrichtet, was
die Betreffenden, wenn die Taufe in die Winterraonate fiel, rechtlich
vom Geistlichen verlangen konnten, auch steht nichts im Wege an-
zunehmen , dass , wenn auch Taufhandlungen in jener Kirche statt-
fanden, gerade dieser umstand bei dem Eintrage in das Kirchenbuch
der Pfarrei Planig, in welche die Bosenheimer Katholiken seit 1806
eingepfarrt sind, von dem Geistlichen nicht besonders erwähnt wurde,
weil er an sich nicht zu dem Eintrage , welcher nur Namen , Stand
und Aufenthalt der Eltern, den Namen des Täuflings und Namen,
Stand und Wohnort des Pathen, sowie Zeit und Ort der Geburt und
der Taufe zu enthalten hat, verpflichtet ist. üebrigens konnten die
Katholiken von ihrem Rechte,* die Taufen in der gedachten Kirche
vornehmen zu lassen, Gebrauch machen oder nicht, ohne desshalb
ihr Recht aufzugeben oder die Vermuthung zu begründen, dass sie
auf ihre Befugnisse verzichtet hätten, da ein solcher Verzicht, nie-
mals vermuthet wird, sondern erwiesen werden muss. Dies ent-
spricht denn auch dem Begriffe und Wesen des Simultanöums , wie
sie durch die Bestimmungen der Reichsgesetze und namentlich in
Art. V, §. XXXI. und XXXII. des westphälischen Friedens aufge-
296 Hirschelf Rheinhess* Rechtsstreit betr. Mitgehr. einer proL Kirche.
stellt worden waren ^), vollkommen, wonach -der einmal bezüglich der
Simultanverhältnisse begründete Besitzstand als fortdauernd ange-
nommen werden soll' Das ürtheil meint weiter, auf dergleichen
Einträge als einseitiger sei ein Gewicht nicht zu legen. ' Wenn aber
auch diese Aufzeichnungen von der einen Seite herrühren, so gehen
die Aussagen der beugen der Beklagten, welchen das Gericht einen
massgebenden Einfluss auf die Beurtheilung der fraglichen Verhält-
nisse einräumt, doch gleichfalls nur von elHer ^ite aus, sind also
ebenmäS3ig ..einseitig un4 ^weisen, demnach gerade soviel oder so
wenige al9 die.Eintirägß in das Kirchenbuch. Ja. diese sind iu ihren
Angaben ungleich volbtäadigerr und, bestimmter, als die vereinzelte
Fälle unifassißnden Auslagen der Zeugen der Beklagten, jene Auf-
zeichnungen gingen von denjenigen aus, welche die betreffenden
Casualhandlunge^, selbst yorgen^mmeu hatten und doch wohl ebenso
gut wussten, um was es sioh handelte und ebenso gut die recht-
liche!^ Verhältnisse kannten und bezüglich ihrer .Angaben denselben
Glauben verdienen, als die Aussagen des frühern evangelischen Geist-
lichen , Bürgermeisters und • Schullehrers. Die gedachten Einträge
erheben vielmehr einen grösseren Anspruch auf Glaubwürdigkeit,
weil sie von einer amtlichen Person in amtlicher Eigenschaft in der
vorgeschriebenen Weise und in einem nicht blos für die kirchlichen,
sondern auch für die bürgerlichen Verhältnisse der Betreffenden
öffentlichen und amtlich beweisenden Charakter an s\ch tragenden
Schriftstücke,, das wieder in einem öffentlichen Archive aufbewahrt
wird, niedergelegt sind, Thatsachen aber^ welche in der Zeit weit
zurückgehen, sollen insbesondere auch durch alte Aufzeichnungen
(per antiquos Ubros), namentlich wenn sie in öffentlichen Archiven
aufbewahrt werden, bewiesen werden ^). Wenn das ürtheil auf die
1) Art. XXXI : Statuum Catholicorum Landsassi, Vasalli et Subditi . . .
qni siye publicum sive privatum Aug. Oonf. exetcitium anno 1624 quacunque
aiiQi parte sive certo pacto ant privilegio , sive longo usü , sive sola denique
observantia dicti anni habuerunt, retineant id etiam in posterum una cum
annexis . . . nee minus maneant in possessione omnium dicto tempore in po-
testate eorumdem constitutorum templorum , , . Et Haec omnia sempe7\et
übique observentur^ dbnec de Religione Christiana . . . aliter erit conventum,
ne qmsquam a quocumque ullä ratione aut via turbetur. Art. XXXII :
Idemque observetur ratione subditorom Catholicorum Aug. Confedsionis statuum
ubi dicto anno^ 1624 usum et exerjßitium Catholicae Beligionis publicum aut
privatum habuerunt.
2) c. 13. X. 2, 19. de prob, und die Glosse hierzu ad : per antiquos libros,
creditur instrumento producto ex archivio publice, etiam* si subscriptionem noa
habeat. Dalloz: Dictionnaire general de jurispr. m. preave litterale, Nr. 36:
L'enonciation d'un droit dans un acte aucien n'a de force qu'autant qu'elle est
Hirscheh Rheinhess, Rechtsstreit betr. Mitgebr, einer prof, Kirche, 297
Zeit, in welcher jene Einträge geschahen, als auf eine Zeit zahl-
reicher Streitigkeiten über kirchliches Eigenthum und kirchliche Be-
rechtigungen hinweist und damit wohl die bezeichneten Angaben als
aus einseitigem Parteiinteresse hervorgegangen hiu^tellen und da-
durch vielleicht ganz entkräften oder doch abschwächen möchte, so
waren doch in den Zeiten von 1700 bis 1792 Streitigkeiten der berührten
Art kaum zahlreicher, als sie noch heute zu Tage sind, was durch
den gegenwärtigen Rechtsstreit und durch nicht wenige andere der
gleichen Beschaffenheit, völlig abgesehen von den fast beständigen,
auf dem Verwaltungswege sich bewegenden Streitigkeiten über Simul-
tanangelegenheiten, hinlänglich dargethan wird, ein Beweis, dass die
Betheiligang und das Interesse, an diesen Dingen auf der einen wie
auf der andern Seite noch ebenso lebhaft fortdauert, als es früher
der Fall war. Eben desshalb muss doch angenommen werden, dass,
da die Katholiken nach den ei*wähnten Aufzeichnungen die evange-
liche Kirche zu Bosenheim zu den angegebenen -Handlungen be-^
nutzten und jetzt noch an dieser Benutzung dasselbe Interesse haben,
wie früher, sie doch nicht, wenn ihnen nach den berührten Ein-
trägen diese Benutzung als ein Recht zukam , später dieses Recht
ohne Weiteres in eine blose Duldung und reine Gefälligkeit von
Seiten der Evangelischen, wie deren Zeugen behaupten, sich hätten
verwandeln lassen. Mit der Frage aber, auf welche es hier wesent-
lich ankommt, ob nämlich nach jenen Aufzeichnungen ein den Katho-
liken zustehendes Benutjsungsrecht zuerkannt werden müsse, was,
wie gezeigt werden wird, zu bejahen ist, beschäftigte sich das Land-
gericht nicht, sondern legte- einfach den Einträgen auf Grund seiner
angeführten Erwägungen kein Gewicht bei. Wenn aber aus diesen
Aufzeichnungen sich eine Berechtigung für die Katholiken ergibt,
so stehen diese und die Aussagen der klägerischen Zeugen , welche
behaupten, dass auf blose Anzeige hin die Beerdigungen geschehen
seien und eine Erläubniss hierzu nicht eingeholt worden sei, man
auch nicht wisse und nicht davon gehört habe, dass man um eine
solche nachgesucht habe, den Aussagen der Zeugen der Beklagten,
welche die Einholung einer Erläubniss behaupteten, entgegen, um-
fasst demnach der von der Klägerin erbrachte Beweis die frühere
und die neuere Zeit, während der Beweis der Beklagten sich nur
auf die letztere beschränkt und mit den klägerischen Angaben da-
sontenae par une lougue possession. Toullier (Droit civil Nr. 166) pense que les
juges peuvent, sans qu'il y alt possession, prendre comme probantes, ä Tegard
des tiers, les önonciations relatives, non ä une Convention, mais a nn simple
fait, comme une naissance, un deces remontant a une ^poque recul^e.
298 flirachel, Eheinhess. Rechtsstreit hefr. Mitgebr, einer prot^ Kirche.
durch in einen unerklärlichen und nicht anzunehmenden Widerspruch
tritt, dass er in keiner Weise darthut, aus welchem Grunde die
Klägerin das ihr seit unvordenklicher Zeit zustehende" und urkund-
lich ausgeübte Recht aufgegebea und statt einer Anzeige Erlaubniss
nächgesucht ha,ben solle. Der Einsegnung von Brautpaaren und der
Vornahme kirchlicher Handlungen bei Hochzeiten in der evangeli-
schen Kirche zu Bosenheira Seitens der Katholiken geschieht aller-
dings in den Zeugenaussagen und den genannten Aufzeichnungen in
den Kirchenbüchern von Pfaflfen-Schwabenheim nirgends Erwähnung.
Allein wenn Taufen und Beerdigungen in jener Kirche stattfanden,
so ist es doch seltsam, dass eine andere Casualhandlung, welche
nicht wichtiger ist, als die erwähnten, in derselben^ nicht hätte vor-
genommen werden können. Denn der Umstand, dass Taufen und
Beerdigungen in der gedachten Kirche vorkamen, spricht doch für
die Vermuthung, dass dies auch bei Trauungen, einer andern Casual-
handlung geschehen konnte. Dass eine solche in jener Kirche nicht
statt hatte, kann verschiedene Ursachen haben, namentlich wird es
grossentheils dessbalb nicht geschehen sein, weil vor der Einsegnung
das katholische Brautpaar die Sacrameate der Busse und des Altares
empfängt, welche ihnen in der evangelischen Kirche zu Bosenheim
nicht gespendet werden konnten oder dass, wenn ein Theil der
Brautleute aus einem andern Orte stammte, was wegen der geringen
Zahl der Katholiken in Bosenheim die Regel gewesen sein mag, die
Trauung an jenem Orte vorgenommen wurde. In der später zu er-
örternden Bemerkung des Pfarrers Klein im Kirchenbuche von Planig
wird aber unter den Casualien, welche in der Kirche zu Bosenheim vor-
genommen werden könnten, neben Taufe und Beerdigung ausdrücklich
die Eheeinsegnung aufgezählt und in dem Schreiben des evangelischen
Pfarrers Engelbach zu Bosenheim werden überhaupt die Casual-
handlungen als Gegenstand der Vornahme in der evangelischen Kirclje
bezeichnet. Unter dem allgemeinen Ausdrucke »Casualhandlungen«
werden aber ausser den Taufen und Beerdigungen gerade auch die Ehe-
einsegnungen verstanden, es müsste denn deren Ausschluss besonders
dargetban sein. Jedenfalls konnte, wenn man die Abhaltung von
Copulutionen in jener Kirche nicht als begründet hätte ansehen wol-
len, nur diese Befugniss den Katholiken absprechen werden.
Das Urtheil des Landgerichtes bemerkt ferner, dass die Be-
nutzung der erwähnten Kirche bei Begräbnissen als Thatsache zwar
durch eine Reihe von Zeugen dargethan sei, keineswegs dagegen die
Berechtigung hierzu, vielmehr sprächen sich fast alle Zeugen darüber
aus, dass dies erst nach einer Anfrage bei dem evangelischen Pfarrer,
Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit betr, Mitgebr. einer proU Kirche, 299
dem Bürgermeister oder dem evangelischen Lehrer, welcher die
Eirchenschlüssel in Verwahr gehabt hätte, geschehen sei ; wenn auch
einige Zeugen von Planig, welche bei den Begräbnissen nicht direct
betheiligt gewesen wären, in mehr oder minder unbestrittener Weise
sich dahin ausliessen, dass ihnen von einer Anfrage oder Einsprache
gegen die vorzunehmenden kirchlichen Handlungen nichts bekannt
geworden, so würden doch diesö Aussagen durch die Angaben einer
Reihe von andern Zeugen näher illustrirt und aufgeklärt, dass auch
in diesen Fällen eine vorherige Anzeige erfolgte und erschienen
gegenüber den positiven Angaben der klägerischen Zeugen Ellfeld
und Kraft und den übereinstimmenden Aussagen der von der Ver-
klagten vorgeführten Zeugen, welche ein stets vorausgegangenes
Nachsuchen und Einholen der Erlaubniss Seitens der Katholiken und
ihrer Pfarrer zur Benutzung des Geläutes und der Kirche bei Be-
gräbnissen ihrer Confessionsverwandten und selbst Fälle von Ver-
weigerungen auf das Unzweideutigste und Einhelligste constatirten,
^ohne alles Gewicht und in keiner Weise danach angethan, die
behauptete Berechtigung darzuthun.
Vorerst ist bezüglich dieser Erwägungen zu bemerken, dass,
wenn das Gmcht den Ausdruck »Anfraget gleichbedeutend mit Ein-
holung einer Erlaubniss nimmt, doch offenbar von vornherein in
jenes Wort ein Sinn hineingetragen wird , welchen es an sich nicht
hat. Denn wenn im vorliegenden Falle gesagt wird , es sei ange-
fragt worden, so kann dies geschehen sein, um zu erfahren, ob man
die Kirche benutzen dürfe oder ob man sie benutzen könne. Im
ersten Falle wäre die Anfrage soviel als Nachsuchen um Er-
laubniss. Soll nun dieser Ausdruck im Sinne von Einholen einer
Erlaubniss gebraucht worden sein, so muss dies entweder durch die
Zeugenaussage bestimmt erklärt sein oder sich aus dem Zusammen-
hange der Aussagen mit Nothwendigkeit ergeben. Der klägerische
Zeuge Kumpa erklärte, er habe bei dem Bürgermeister angefragt,
wie es mit dem Geläute gehalten werden solle. Allein dass Zeuge
dies »Anfragen« nicht im* Sinne von Einholen einer Erlaubniss ver-
standen habe und verstanden wissen wolle, geht unzweideutig daraus
hervor, dass er selbst erklärt, er habe bei der fraglichen Gelegenheit
»Niemanden ersmhi^* auch wisse er nicht und habe nie davon ge-
hört, dass »die Erlaubniss um Benutzung der Kirche nachgesucht
worden sei.« Der Ausdruck »Anfrage« ist daher entgegen der Auf-
fassung des Gerichtes hier unzweifelhaft in der zweiten, oben ange-
gebenen Bedeutung zu nehmen, nämlich im Sinne von »Anzeige« zu
dem Zwecke, um zu erfahren, ob die Kirche zur Vornahme einer
300 Birschely Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgebr, einer prot» Kirche^
Beerdigung l>enutzt werden könne , weil ja möglicherweise ein Hi«-
derniss bezüglich der bestimmten Zeit vorgelegen haben konnte, in-
dem die Abhaltung einer kirchlichen Handlung Seitens der Pro-
testanten schon angeordnet worden war öder AxbeiteÄ in der Kirche
vorgenommen wurden u. s. w. Hiermit stimmt vollkommen das
Schreiben des evangelischen Pfarrers von Bosenheim'übeifMn, w<»rin
es heisst: »es ist seither immer die Anfrage hierorts- 'gesehehen^oi
unsere Kirche zur Disposition stehe und' damit die Kirche äufg^^
schlössen werden Diese »Anfrage« ist also ganz gleicbbededtend
mit der »vorherigen Anzeige« welche, wie katholisijherseits stets zu-
gegeben wurde, immer geschehen sei und auch ferner geschehen solle.
Die beiden klägerischen Zeugen Ingebrand und Gaul von Plunig,
welche seit mehr als fünfzig Jahren den Beerdigungen der Katho-
lipon in Bosenheim beiwohnten, sprechen gar nicht einmal v<m einer
»Anfrage,« wie das landgerichtliche Urtheil sagt, sondern der erste
der erwähnten Zeugen, gibt an, dass ihm nicht bekannt sei, da^s ein
^Ersuchen« stattgefunden habe und der. zweite Zeuge, dass er nie
wahrgenominen , dass bei diesen Gelegenheiten um »Erlaubnius«
nachgesucht worden sei, die Kirche in der besagten Weiäe 2u. be-
nutzen. Wenn das ürtheil weiter bemerkt, dass die »poöitiv^n An-
gaben der klägerisclien Zeugen Ellfeld und Kriaft« 'mit deö' »über-
einstimmenden Aussagen der von der Verklagten vorgeführten Zeugen
ein stets vorausgegangenes Nachsachen und Einholung von Etlaab-^
hiss Seitens der Katholiken . . . auf das Unzweideutigste und Ein-
helligste constatiren, so sagt Zeuge- Ellfeld weder direct noch in-
direct auch nur ein Wort von einem »vorausgegangenen Nachsuchen
und Einholung einer Erlaubniss,« sondern gibt einfach an, dass bei
Beerdigung seiner Mutter geläutet und nach, d^ Beerdigung in die
Kirche gegangen, eine Predigt dort gehalten und bei andern Be-
erdigungen von Katholiken geläutet worden sei, er habe »ich von
Lehrer Rodenbach die Schlüssel zur Kirche geben lassen , der «ie
ihm auch ohne Anstand behändigt habe, eine Aussage, welche offen-
bar eher darauf hinweist , dass Zeuge nicht um Erlaubniss nach-
suchte, welche er nicht vom Lehrer, der sie nicht ertheilen konnte,
begehrt hätte, sondern dass Zeiige gerade desswegen sogleich zum
Lehrer ging, weil er annahm, einer Erlaubniss nicht zu bedürfen.
Wenn Zeuge Kraft aussagt, beim Tode seiner Schwägerin, sowie
seines Schwiegervaters habe er bei dem Bürgermeister Anzeige ge-
macht und darauf bei dem Lehrer das Geläute bestellt , was ohne
Anstand stattgefunden habe und wenn er weiter bemerkt, es sei ihm
nicht bekannt, »dass jemals Jemand darum angegangen worden sei,
Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgehr, einer prot, Kirche, 301
die Erlaubniss zur EircheabQnutzung zu ertheilen,« so folgt daraus
nothwendig, dass er selbst bei den zwei von ihm erwähnten Be-
erdigangsfällen keine ßrlaubniss einholte, offenbar doch nur ans
dem Grunde , weil er ein solches Nachsuchen nicht für erforderlich
hielt und es ihm auch nicht von evangelischer Seite abverlangt,
sondern auf seine einfache Anzeige hin die begehrte Beerdigung
vollzogen wurde. Pa nun Zeuge Kraft offenbar positives Zeugniss
ablegte, dass er nicht xm Erlaubniss gebeten habe und Zeuge
Eumpa au8dräckU<^ erklärt, dass er wegen Beerdigung seiner Frau
bei dem Bprgeviu^ter> ge&agt jiabje , wie es mit dem Geläute ge<-
halten werde und dieser i&m entgegnet habe, dies habe keinen An-
stand und' geschehe ja immer und ihn zum Lehrer geschickt habe,
welcher sich gleichfalls sofort ohne Anstand bereit erklärt habe und
da Zeug» Eumpa auch dazu bemerkte : »um Benutzung der Kirche
habe ich damals Niemanden ersucht^ wir fanden. die Kirche, als wir
vom Friedhofe zurückkehrten^ offen;« so sprechen jgw$i Zeugen po^
süiv und direct und Zeuge Ellfeld indirect sich dafür aus, dass ^ie
fragliche Erlaubniss nicht eingeholt wurde und stimmen demnach
mit den Zeugen der Beklagten, welche ein Nachsuchen positiv be-
haupten, nicht blos nicht überein, sondern sprechen vielmehr das
Oegentheil von Dem aus, was die letztern Zeugen angeben.
Das ürtheil des Landgerichtes spricht von Fällen von Ver-
weigerungen, welche vorgekommen seien. Zeuge Boller sagt a,ller-
dings, seine Orossmutter habe ihm erzählt, in der churpfälzischen
Begierungszeit hiibe der katholische Pfarrer von Pfaffen^Schwaben?
heim, wohin damals die Katholiken von Bosenheim eingepfarrt ge-*
wesen seien, den Eingang in die evangelische Kirche zu ißosanheim
gewaltsam erzwingen wollen, sei aber von den evangelischen Ein^
wohnern mit Gewalt daran verhindert worden. Allein schon an sich
hat doch eine solche Angabe von Borensagen kein Gewicht, ausser-
dem geht aus derselben nicht hervor, auf welcher Seite Recht oder
Unrecht war, jener katholische Pfarrer konnte mit Unrecht den Ein-
tritt in die Kirche verlangt haben, indem zur nämlichen Zeit von
evangelischer Seite eine kirchliche Handlung vorgenommen werden
sollte oder eine Anzeige nicht gemacht oder der Kirchenschlüssel
nicht konnte gefordert worden sein u. s. w. , was Alles , wie katho-
lischerseits zugestanden wird , berücksichtigt werden muss. Zeuge
Ellfeld erklärte, bei der Beerdigung eines gewissen Berg sei, wie
ihm Bäcker Corell gesagt habe, das Geläute verweigert worden,
allein abgesehen davon, dass auch diese Angabe auf blosem Hören-
sagen beruht, stellen die Aussage des gedachten Zeugen, sowie die
302 Hir8Chel, Wieinheas. Rechtsstreit betr. Mitgebr. einer prot Kirche.
der Beklagten, den fraglichen Fall unklar und unrichtig dar, indem
bei demselben deip katholischen Pfarrer vom Kirchenvorstande die
Ausstellung eines Reverses, dass die Beerdigung auf Ersuchen ge-
schehen sei, abverlangt, von jenem aber diese Ausstellung verweigert
und desshalb von ihm die Beerdigung nicht vorgenommen wurde.
Durch Verhandlungen wurde damals die Sache geregelt, wie noch
gezeigt werden wird, und darauf hin wurden wieder mehrere Be-
gräbnisse in der bisherigen Weise abgehalten. Da man evangeli-
scherseits von der Ausstellung des Reverses in der begehrten Weise,
wie später nachgewiesen werden wird, Umgang nahm, so kann hier
von einer Verweigerung nicht die Rede sein.
Auf die Zeugenaussagen der Verklagten legt das Urtheil ent-
scheidendes Gewicht; namentlich hebt es die Angaben des hoehbe-
tagten Zeugen Boller (er war 87 Jahre alt), der zweiundvierzig Jahre
Gemeinderathsmitglied war und drei katholische Pfarrer in Planig
erlebte,« hervor. Allerdings erklärt dieser Zeuge, dass er in dieser
letzteren Zeit öfters dabei gewesen sei, dass Katholiken zu dem
Bürgermeister gekommen seien und bei diesem darum nachsuchten,
dass bei der Beerdigung eines Katholiken in der evangelischen Kirche
geläutet werden dürfe, was denn auch immerhin gestattet worden
•sei. Diese Angaben stehen aber mit den Aussagen der Zeugen Kraft
und Kumpa in geradem Widerspruche und Zeuge Ellfeld unterstützt
jene Angaben gleichfalls nicht, diese Zeugen machten aber sdbst
persönlich ihre Erklärung bei dem Bürgermeister und müssen also
doch eher wissen^ was sie dort sagten , als Zeuge Boller , welcher
diese Erklärungen nur gehört haben will, üebrigens kann der letz-
tere sehr wohl die Anfrage jener Zeugen, ob geläutet werden dürfe^
welche sie nach ihrer bestimmten Erklärung nicht im Sinne der
Einholung einer Erlaubniss , sondern zu dem Zwecke machten , ob
nichts im Wege stände, die evangelische Kirche zur Vornahme des
Geläutes und der Beerdigungsfeier zu benutzen, so aufgefasst haben,
als ob jene Zeugen um eine Erlaubniss, eine Gestattung nachge-
sucht hätten. Da übrigens stets und auch »in dieser letztern Zeit,«
auf welche sich die Aussagen des Zeugen Boller beziehen , wegen
der wenigen katholischen Einwohner Bosenheims auch nur wenige
Beerdigungen stattgefunden haben können, so müssen jene Angaben
Boller's sich so ziemlich auf jene Fälle beschränken, von denen die
klägerischeu Zeugen sprechen. Hätten übrigens diese Zeugen um
Erlaubniss nachgesucht, so fragte es sich vor Allem noch, ob sie
dies im Auftrage des katholischen tCirchenvorstandes oder des Pfar*
rers als Vorsitzenden desselben thaten. War dies nicht der Fall
Hirschelt Uhevnhess. Rechtsstreit betr. Mitgehr. einer prot. Kirche, 303
und machten jene Zeugen eine solche Erklärung vor dem evangeli-
sßlien Pfarrer oder Bürgermeister blos in ihrer Eigenschaft als Pri-
vatpersonen, so konnte dadurch das Recht der Katholiken überhaupt
nicht beeinträchtigt werden. Wenn Boller noch bemerkt : »Tch habe
drei katholische Pfarrer in Plahig erlebt, von keinem wurden jedoch
die .Ansprüche bezüglich der Kirchenbenutzung in Bosenheim er-
hoben^ wie es von dem derzeitigen Pfarrer geschieht,« so gibt Zeuge
nicht an, woher er wisse, dass di^ beiden früheren katholischen
Pfarrer zu Bosenheim die Ansprüche nicht , erhoben hätten, wenn
ihnen die Benutzung der evangelischen Kirche verweigert worden
wäre, wie es dem derzeitigen Pfarrer geschah. Dass Pfarrer Klein,
der erste Pfarrer von Planig, dessen sich Zeuge Boller erinnert,
gewiss bei einer derartigen Weigerung dieselben Ansprache erhoben
hätte, wie der jetzige Pfarrer, geht aus einer später zu besprechen-
den Kundgebung des Pfarrers Klein hervor, üebrigens ereigneten
sich die Fälle »dieser letzteren Zeit,« von welchen Zeuge Boller und
die genannten Zeugen der Klägerin sprechen, wenn nicht alle, so
doch bei Weitem die meisten unter dem »derzeitigeu Pfarrer« voa
Planig, welcher zur Zeit des Zeugenverhores schon mehr als sieben-
undzwanzig Jahre sich dort befand und ebensowenig grössere An-
sprüche erhob als seine Vorgänger, weil er, wie diese, »in jenen
Fällen« keinen Widerspruch und Verweigerung zu erfahren hatte.
Die Aussage des Zeugen Weiffenbach, früheren Pfarrers zu
Bosenheim, auf welche das ürtheil Bezug nimmt, geht dahin, dass
bei dem Antritte seines Amtes sein Vorgänger und der Kirchenvor-
slaud ihm mitgetheilt habe, es seien nur wenige Katholiken in
Bosenheim und »bei dem Ableben eines solchen yverie nach ge-^
schehener Anzeige bei dem evangelischen Geistlichen gestattet, in
der evangelischen Kirche das' Trauergeläute vorzunehmen und nach
der Beerdigung in dieselbe zu gehen , ohne jedoch Orgel , Kanzel
und Schiff benutzen zu d|irfen.« Diese Erklärung beweist nicht
gegen die klägerische Behauptung, indem sie sowohl in dem Sinne
der letztern als auch im Sinne der Annähme der Verklagten aufge-
fasst werden kann, Zeuge bemerkt weiter, er erinnere sich während
seiner Anwesenheit in Bosenheim nur einer Beerdigung eines Katho-
liken, damals sei Schullehrer von der Au, welcher die Kirchen-
schlüssel in Verwahr gehabt hätte, mit einem gewissen Schmitt in
seine Wohnung gekommen, beide ziemlich aufgeregt und im Streite
mit einander, indem letzterer verlangt habe, dass für den Ver-
storbenen geläutet werde und von der Au dem Zeugen erklärt habe,
dass Schmitt dies als ein Recht beanspruche, da er als Lehrer doch
304 Hirschely Rheinhess. Rechtsstreit betr.Mitge^. e^er pfrot..MKjeh¥.
nnr läuten dürfe, wenn er 'Von srnrnn Vergeiet2ieft;^^u;i«rmtebtigt
worden sei; es sei bei dieser Gelegenbetli.geiMtetffindi.dfieilKirohe
zur Leichenfeier benntzt worden,,. Zeage^^gl^abe^. terijEuhBire ^ticb^bcä^
dessen nicht mehr beatimmt^ äass er dettb Lobnr $^m«den».iiaUftär zo^
gesprochen haha, lävtien 2a lassen...' Asrä ^diäsecfAiifisäge ,igehA«^beir
hervor, dass Schmitt die^üeb^rzeng>img\hatte,hjdeäi41elfl^e<^ wmgidü
eices den Katholiken zustehendeof Beehtes/ begBhtfeni;zQ ikdnnenvjUfiA
dass dieser Ueberzeugung Hficht widei)spr«6cheni wu£d£i, iitasi}<umij:fl5
auffallender erscheint, als Pfarrer Weiffetibach weitei^ »atis^agt^^dass
er dem Bürgermeister, welchear >eiheir ; humanen JBeh;^lungfsel€!!h6flr
Angelegenheiten in jetziger fortgeschrittenen Zeitfla^iWoi* genadÄfi^
bemerkt habe, man müsse 1 Vorsieht. Anwenden, da;afidMdieseh tijkl3J«r
ligkeiten leicht Keehte abgeleitet; < werden Mkdnnteni/ffio t viel '^$tehiC
jedenfalls fest , . da^s nach' idi^ti bespr&cbeihen. Angabe «ij^e^^Z^ügM
Weiffenbach weder gegen den diesem. mitgjetheiJtenrBexjbtsähsprrioH
des Schmitt ^in förmlicher Widerspuuok erhoben : möeh ^ine eigenfc"
liehe Erlaubniss ertheilt wtutde ;> diet ; ; Ermäehtigangi, ^ vöü » iW^lcÜeK
Lehrer von der Au spraöh, bezog sich nictt «üf die iBinhötan^'eiijiöif
Erlaubniss von Seiten der KathoUken füTi das bläute i,NStoiider6v')^iä
der Lehrer selbst bemerkt, auf' eine; ihm .von seinem iVoig^tzten
zugehende Weisung siur Bäsofgüng' des GelSiiiesi,? wml t.diesea; ifthitd
solche vom Lehrer überhaoi^t nijQktHb^rgt^erden^s kounte, iAa:^r
aus sieh über dasselbe aicht zu; vetfüg^ai es nicht zmerbliil^B U£f4
auch nicht zu verweigern hefugt war, sondern f die Weisung i«4iue»
Vorgesetzten xu vollziehen hatte, welcher :4iese^m Lebief ertbfcilea
musste, wenn ein rechtlicher Anö^rueh auf das öelaute:bestand/
Die Angaben des Lehrers von der Au beziehen sich ebeo^ auf die
ihm zu ertheilende Ermächtigung zur Vornahme des Geläutefi' und
berühren insofern die in Frage stehende Angelegenheit igail nichts
sie stehen bezüglich des vom Zeugen Weiffenbach erwahöten Falles
zum Theile im Widersi^ruche mit des letztem Aussage v .enthalten
aber nichts vom Nachsuchen eioer Erlaubniss von Seitön der Katho-
liken bei dem evangelischen Pfarrer oder Bärgerineister* ,. ,1
Wenn Zeuge von der A» anc^äbt, er habe Tfaner Ji(^*lidi
von Boseriheim bemerkt» Pfarrer Hirter von Plaiiig b^'' *^ ^ ^^^* *
Kanzel und jener ihm entgegnete, hierzu sei Ermi
evangelischen Kirchenvorstande gegeben worden, so g
Ansprüche der Katholiken nach dere^^ '^^^"'^'^" aussage.
die Kanzel von ihnen benutzt werc^ nit d
Zeugen Weiffenbach r ds.ss nämlic ^zui _,^a
die Kanzel ausgeschlosseui^sei, ül
}
Hir$chel, Rheinkess. Rechtsstreit betr. Mitgebr. einer proU Kirche. 805
bezeichneten Falle die Kanzel bestiegen wurde, so mag dies in Folge
einer besondern Gestaltung geschehen sein. Die Aussagen der
Zettgen Scbuckmann und Mayer IL liefern nicht den Beweis, dass
bei der von ihnen angegebenen Veranlassung Erlanbniss «ingeholt
worden sei. Denn die Angabe des Schuckmanir, Pfarrer Hürter habe
dessen Sohne den Aultrag gegeben, bei Pfarrer Engelbaöh anzu-
fragen, ob er auch die Kirche benutzen dürfe, kann ebenso gut in
dem von der Klägerin behaupteten Sinne einer vorherigen Anzeige,
um zu erfahren^ ob der Benutzung des Oeläutes und der Kirche
nichts im Wege stehe, anfgefasst werden und dies um so mehr, als
Pfarrer Hirter, der Vorsitzende des klägerischen Kirchen Vorstandes
gerade der Behauptung der Beklagten, die Benutzung der Kirche
hänge von ihrem Belieben ab, widerspricht. Aus demselben Grunde
ist die Angabe des Zeugen Mayer, Pfarrer Hirter habe bei der näm-
lichen Gelegenheit gesagt, sie gingen in die Kirche/ wenti sie die
Erlaubhiss hierzu hätten, entweder eitfe irrige Wiedergabe ode^ sie
soll gleichbedeutend mit »Anfrage« odet »An^ige« sein; übrigens
legt Mayer kein directeS'Zengniss ab, sooder^ gibt nur an,'vod
Sehuckmann gehört zu haben, dftös d$e Erlaubniss gegeben worden
sei. Wenn der pensionirte Lehrer Knift aussagt, daSs er bei einem
Ersuchen um dse Geläute bei dem Begräbnisse eines Katholiken' zu«»
erst die ihm vom Pfsgi-er und BUrgermeister zu ertheilende ^Erlaub-
niss begehrt und als ihm mitgetheilt worden, dass »dieselbe g^eben
worden sei, geläutet und die Kirche geöffnet habe, so bezieht sich
die Einholung der Erlaubniss für den Lehrer, wie bereits . bemerkt
wurde, lediglich darauf, dass der Lehrer überhaupt nur nach Er-
mächtigung von Seiten seiner Vorgesetzten sogar bei einem Brande,
wie Lehrer Kraft selbst erklärt, läuten durfte und berührt also gar
nicht die Frage, ob für das Geläute bei Begräbnissen von Katho-
liken bei dem evangelischen Pfarrer oder Bürgermeister die Erlaub-
niss nachgesucht wm-de oder nicht, und wenn Lehrer Kraft angibt,
der. Polizeidiener sei zu ihm gekommen und habe ihm erklärt, dass
die Erlaubniss zum Läuten gegeben sei, so ist es uhgewiss, ob sich
dies auf die dem Lehrer nothwendige Erlaubniss von Seiten seiner
^''orgesetzten oder auf die den Katholiken ertheilte Erlaubniss bezieht.
U der letztere Fall angenommen werden, so beruht diese -aussage
Lehrers Kraft auf blosem Hörensagen und hat also nach jeder
hin eine Beweiskraft nicht, umso mehr als Zeuge seine Aus-
"^" "*"'^it macht, indem er beifügt: »soviel ich mich erinnere.«
stehen die Angaben des Lehrers Kraft und des Peter
- als Schulknabe dasselbe gehört zu haben erklärt,
t XLviii. ^ 20
306 Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgehr, einer prot, Kirche.
was Lehrer Kraft aassagte, mit den Angaben des Zeugen der
Klägerin Johann Kraft and des Lehrers von ^er Au 19 offenem
Widerspruche. Denn die erstem Zeugen behaupten , der. erwähnte
Fall habe sich ereignet in der Zeit, als Kraft Lehrer in Bosenheim
war und es sei der erwähnte Zeuge Johann Krs^ft zum Lehrer Kraft
gegangen , wälirend doch Johann Kraft sagt , er- habe sich bei Be-
erdigung seines Schwiegervaters Johann Schmitt im Jahre 1852 oder
1853 zu Lehrer von der Au begeben und letzterer erklärte, er sei
seit 1846 in der Schule zu Bosenheim angestellt und habe von de»
an auch. die ScMüssd zur evangelischen Kirche in Verwahre gehabt,
was nach der Aussage des von der Au auch noch im Jahre 1848,
1860, 1861, und 1868 also gewiss auch 1852 oder .1853 der Fall
war. Dass es sich aber bei beiden Aussagen «um den nämlichen
Vorgang handelte, geht daraus hervor, dass Lehrer Kraft sa^t, es
sei ein katholischer Einwohner Namens Kraft, welcher der Zeuge
Johann Kraft ist, zu ihm gekommen und Zeuge Peter Machemer
gleichfalls angibt, Johann Kraft sei wegen der Beerdigung seines
Schwiegervaters Schmitt zu Lehrer Kraft in die Schule gekommen
und habe das Geläute begehrt. Hieraus erhellt, dass die Angaben
des Lehrers Kraft und des Peter Machemer unrichtig sein müssen.*
Auch Zeuge Philipp Machemer erzählt, in den achUehnhundert-
z wanziger Jahre habe bei einer Beerdigung der damalige Pfarrer
Schäfer bei Gelegenheit der Beerdigung eines Katholiken auf Vorhalt
von Seiten eines Mitgliedes des evangelisfchen Kirchenvorstandes er-
klärt, er habe die Erlaubniss ertheilt, weil der Decan, der damalige
Pfarrer von Planig ein alter Mann und das Wetter schlecht gewesen
sei. Allein auch diese Aussagq gibt nur an, was der Zeuge vom
Pfarrer gehorir^ nicht aber dass er selbst gehört habe, dass um Er-
laubniss nachgesucht und dieselbe vom Pfarrer ertheilt worden sei.
Lehrer Rodenbach, welcher wie sein Vater Lehrer in Bosenheim war,
erklärt nur^ dass sein Vater die Schlüssel zur Kirche gewöhnlich nur
auf schriftlfche Erlaubniss des protestantischen Pfarrers ausgeliefert
habe, die Kirche sei bei Begräbnissen von Katholiken benutzt wor-
den, es seien aber auch Fälle vorgekommen, in welchen dieses nicht
geschehen sei — eine Aussage, welche, weil sie sich aut eine nicht
hierher gehörende, dem Lehrer vom evangelischen Pfarrer zu er-
theilende Erlaubniss bezieht und . hinsichtlich der Nichtbenutzang der
Kirche weder angibt, ob dies in Folge einer Verweigerung noch aus
welcher Ursache und bei welcher Veranlassung sonst es geschehen
sei, keine Bedeutung haben kann.
Es kann daher wohl nicht mit dem Urtheile der ersten Instanz
Hirschel, BheinhesB, Rechtsstreit heir. Mitgebr. einer proi. Kirche. 307
atigenomraen werdenj däss die Zeugen Pfarrer Weiffenbach, Ton der
Au, Schtictmanii, Mayer, Lehrer Kraft und Rodenbach, Philipp und
Peter Machemer »des ausdrücklichen Nachsuchens« erwähnt hätten,
vielmehr sagen die Angaben der erwähnten Zeugen entweder über
die vorliegende Frage Nichts oder nur Unbestimmtes und Indirectes
aus. Die einzigen Zeugen Boller und Eckweiler erklären bestimmt
und ausdrücklich, ersterer, dass in seiner Gegenwart und letzterer,
dass bei ihm selbst um Erlaubniss zur Benutzung der fraglichen
Kirche nachgesucht worden sei. Allein diesen Aussagen stehen die
ebenso bestimmten und ausdrücklichen Erkläningen der klägerischen
Zeugen Kumpa und Kraft, dass eine solche Erlaubniss nicht begehrt
wurde, entgegen, was um- so bedeutungsvoller ist, als diese Zeugen
selbst bei den betreffenden Beerdigungen die nothwendigen Schritte
thaten , also doch am Besten wissen mussten , was sie verlangen
konnten und ' wirklich verlangten; Zeuge Ellfeld unterstützt eher
diese Angaben und die Zeugen Ingebrand und Gaul, welche bei den
Beerdigungen zugegen waren, legen negatives Zeugniss dahin ab,
dass gegen die Vornahme derselben keine Einsprache erhoben und
auch nicht von ihnen gehört worden sei, dass man um Erlaubniss
gebeten habe.
Das ürtheil des Landgerichtes führt endlich aus: »auch aus
dem Schreibön des evangelischen Pfarrajntes Bosenheim an die
katholische Pfarrei Ptanig vom 13. Februar 1862, wohl eine Er-
widerung auf die ihm mitgetheilte Ansicht in der Zuschrift des
bischöflichen Ordinariates zu Mainz an den Pfarrer Hirter zu Planig
vom 14. März 1861, lasäe sich eine solche Berechtigung nicht fol-
gern^ indem in dem ersten Schreiben gerade auf das bestehende
Herkommen, die vorfaergängige Anfrage Bezug genommen und sich
gegen, ein über den bisherigen Usus hinausgehendes Recht förmlich
verwahrt werde.«
Da der Inhalt des erwähnten Schreibens des evangelischen
Pfarramtes noch näherer Erörterung unterliegen wird, so kann jetzt
nur darauf hingewiesen werden , dass das ürtheil des Landgerichtes
von vornherein und ohne Weiteres den Ausdruck »vorhergängige
An&age« gleichbedeutend nimmt mit dem Nachsuchen um Erlaub-
niss, während doch eine Anfrage ebenso gut geschehen konnte , um
zu erfahren, ob die Kirche benutzt werden dürfe^ wie Beklagte be-
hauptet, als auch,; ob sie benutzt werden könne ^ kein berechtigtes
Hinderniss im Wege stehe, wie Klägerin angibt.
Gegen das die Klage abweisende ürtheil des Landgerichtes
Mainz legte die katholische Kirche zu Planig durch ihren Rechts-
20"^
308 Hirschel, fihei^kess. Ue^^ki^atreH h^tr* Mitgepr.^nf^i^ »r9^'\ H^K<^
anwalt am SQ* Juni' 1.881 Ser,¥fif^ig, .ap^ ji^s, Qt^^rlß^f^^e^^i^fft ,zx\
Darmsiadt ein. Di^. V(}rhand^^ng■ dpf ^jaobe jfaif4ijafp,^l^ Q<itöj)Cir
1881 statt , uud, die, ^riheüverkUf^iffmsi J^W'^ i%fß4iO^^ i lißß^t
durch .wel<?he. 4ie;=J»gegfttt d?^$ tJrtbpil, dftv .zflr^i^cj^, l?iv|J^i?fla
LaodgericUtes ,fur ^^^. Pwinz ßheiphessc^^ vpn% p. >J^^
Jahres eiugel^gte^ jlßen^unßi2i\p ti^efft-^'ifidäp^vi^i^iknni BfiPifoqg^
klägerin in die Kosten dieser Instanz ^^^^urtheiitt« /«^^ -vw i i. >
. Diesf^s ,Ur^h,eilJ)pn?Ärkjt ^^t;J^^ßchtfertj^^
»dass die I^hi;e:Toa 4wBiW;?T'i?e/di8?Qn|;iij^^^
Er8it7jaQg.r.unji.^hne ^Qi;ti^g^uf:da8.Tfeihä|,toi^ der Sini^U^iieiijSt Aß^
Rechtes ..an Xirjp^en .^Seiteps .der bevi^n paritätis^zji^fi. j5bri§ijt>icbQfi
Gonfessionen nicht anwendbar ist, war scbou j^ .ftUejrr^ 4^irj;§^gQ
KkcheiiffeQh^, ua^t^^^tteiif ui^^i a\i^h in. Bheiji^esafiiji, ist 4ftr^m durch
die fraazösisch^. K|rch£;ag^etzgßbj[»ng ^iobts . ge^n^jsj^t Zö4ß#.bf»ß«l
Axt.,691 C, C;i) in. seiifßni z]sv;«ijb§n :Ab«fttzp|, dass^M^
ruckwirkepdj^aul ßacjit? W^f P4bai:' sei^^die. vor Eiufuhruugv4es^.ßa^^
civil erworjl^eawcir^eQ ?^.,.Auch..«unterUegi efl^einem Zwelf^l^äp^
dei: ErwerJ) durxjl^ uuyprdeuklicbenJBe8it:i.(pi:^npUpn imrp^mpriaji^)
bei yprhS,ltiüsseH ^ di^ . €t,ffentUcb?li B^cfat^ nicbit ajasi^oi^sen isi^^
Mit dif^et^ SätzjE)^ fällt, die urspcängUobe pifäj^icieliie A^_6H^hliü^8b6t
rufpng. als uiijb9gmiM^f^t;.hipweg uuf^ xnusste. verwrfeii we^rdßu^' : .,:
»Anla^gf nd:,4ie ^* Hfaupjttj^rHf^ng, ; so ; ^opin^t es bei 4ei?ön Wftr-?
digung darauf an, .oJ^^I^rufiMigsklägerfu deni^^ da^qb di9n.:]i^Qfib^'
scheid des ßfpf^^iiiyjßfi^fjfßge^^ \fprp .^* ,^^^i .lp7^ jpßqbH
gelass^§i}.3w?S^%^^''t^P'<*fe;5^ti dia^s id^y; ka,tboJi^toe .'^^isitllcb«^ ffti:^
Bosenbej^ i,^tti tflUYor4enk!li^^
1872 .bw, de«i rQa^!#fall^ id^r KatMik;^» ^i^rBq^if^m^jM%ß}mi
g^iipche .JÖT/?feft^ialMai,a»{; e^^^u^ ^^a^ig^^ .bi»:P%itli^j,u;sd^.^
stört beü#z|gi;, nafge^tjUefc >^api9 x'Ji^l spbftp .voö^pjabriß lZ^2r-^^^
geschah.« •>..'';:.-/. ;'-..i; ^^---^. ,■ i-" i^-.." M.l .:ii''.'." --/5'".;:'i;<
.>J!^aeb^<]Lel>J)e]^3^tß^ Pestinam«^
undr für di^; vqn,:der .fpap/ö^fi^^ g^ Pfalzröcle^f^ff chQH
Kriege pccspiart g!?}yi?sgrj§n.iind,. web Artikel 4.4^ Bj^jSKvkernFriW
dens , (1607, . ^^s wittpy filau^I) , ^uruclyerslpiittetip^ .Qel^i^tep . . WUJjirte ; |$|}
GjausteR .dteMK^tholi)£pD,.^in sft 4§r -beJlfR^Widenojrprnialbjf^it b^^
denes Sjfli,ul^np^qij.^i*^h , ia.\depg^ ,angegabeneift.,bQsabräukt^n Tll^ß
anerl^aqmt .Y^ejften, .i.Jn. cpx^c^^te.spU/Wu fieu, ftemt;zywlj|a\<i#iiisi^j^f.W
lyta pössessioö ifnßme iihmemoriäle he sußit päs' pour'"^^^
discottiiniied) (Bta1l)liir j sätfs ö«p6hiiani;;' -qu^oft pui^e Ättäqüer'^ujöuraHtii'iwItbÄöf
d« tsefcfcef ttatard'd^jttao^tiiscis, 'däaid ]l6ä '^lijB loü öUee pourateaV s'acqüedfh'. dtt
ß^stlith'Whe^Usslk^t^^^ bHr-Mt^ebr.ehi^fproC Kirche. 309
tolg^öd#'^JöhtliMiäyrte 'tlicM etwa allein darauf geschlossen werden,,
äötidertf e^^söll dfei^ fee^tii^aiiä das Rfeeat beweisen. Däzii, dass ein
soföhier B^Öi^^tantl- näfehgeMÄ^^ü Vör^e,;^ötkus* herW dass er
als* atof'ef 116^4 'ftfecfttsäilsprüöh aTlsgeabt'Wortleh 'sei, ge-
Höhi' dbfe^^^i^S'^i6^'Besf!t*fiäMl:äh^^ Bl'öS nlchtr'feewaltthätig
oiia'Qleitöllcfei^'feö'artefö^tic!!/ nicht auf "Öittv Mcfet als pre-»
cariumausg^W'T^dötf'^SeM''^^'^'^'^ *"'^;'^''^ '■•"^•"'''; '];' " '
^' '' »Djßf^ VoMiög^äe'-BewöfetnaterM teiün "tibri 2Ü1 keift^m andern
Er^bnissö^ahl^n/'^äli^ dääi' flie^^Bötl^^ die ihr obliegen-
d'eh Näöh^iöö'niöht ^t^ijHlKat.^'Bs' ist 'Hierin den sehr erschöpfen-
deti AääfflhrtibgWi' des y^^ uhd
a&t^tt^ öi(;b^Kd' beziehe*.« '^ ' ^ . . ."p : ,
' '• 'Da' Sieb ' das^^' Wtheil' d^ «Ob^lktideägeriebtes' ganz den Erör-
töJ^ttn^ettdÄ'^erÄ^-BSAfeVs anädhli^^ auch giögen jenes
ürtbeil die'BöniepMbgett tod'Eid^äiiae;^ W^^ gegen die Auf-
faäsüngiin -^öfl 'Fbl^^rtittgön- dör i^o^itlöfn Ger'icHtö^ beteits- gemacht
Wi*Meö'ü'rid\ wiiö ilns^ dahkt,'-Vött'^<Jssereni €feWichte sind als die
AusführtitigfeÄ »eSiJrtftöiles erster InsftaÄÄ^'TDöcr^^^ dasÜrtheil
ffeä Oljötliafad^fsg^icfc'tös znt'Ontbrstöt^ti^ Aöschlusses an die
Brdrtöhirigefa ^ä ttSü^i^Ön 'Ki<*«fe¥sl^äüch'^lioidt*^inige^= Erwägungen,
welcfre liüö ^' glMchftlb 6iner" '^ehfttie^etf Pröftfng^ tiiiterisögen worden
sdllrfA. '• Das Weite Wth€firfthfl;^hto«ch 'fori:- ^ mag bür noch
b^lÖerkt'Werden; flabs 'd^e '^ßrödücir*6h'' Äiiszuf e ätis den Kirchen-
büöhörn d^r ^kÄtlhcftfschön' Geiöeiirdef' Pftflfeä-Sfeliwabeh^eim^ welcher
atfci wönigett 'B6siftlieitti6r= Hu^hWiken ^Mh'et eitigepfärrt waren, ge-
radö'ihdöm' tte' börder Beurktiod^iiig^^rizelber Täüfhatidlürfgen und
Böet^igüngön-b^mtöiieliyaie Eircfhe und das Ööiatite sei ohne Ein-
sßwifi* 'Mtetis *eif EiüiigeBßCheii b^Ä^^tt woMen,' erkennen lassen,
dÄ'ss'toaii aüiF tein^» 'solöhfeti EfeWaM-gefäSöt Wftlr, al§o' kein unbe-
strittenes Recht in Anspruch genommen wurde.«
^jiMb/illöitt' di^^ Aiftöfffllrt^uüg :«räp-aö^ !ä''j6ne Bemerkungen bei
a§ti 'HiÄft^igto in'Öie Ki^eliönftQöhef einfe ÄüSiöht'dtfs^ Elntragrenden
hiöie^n,' '♦^d^bi^ difesef In keiW' Weik)''zu örkenheh giVt:' Denn so
gut * tog^Äoäöiieiri w^uräöv diö Aügäbö,; '"^-'iA keine Einsprache* er-
h56bW'W^d^ti^ -liEiÄse efketin^ßV^däs* öitäri 'auf eine io\c\iQ gefasst ge-
WeseWj^'äbi) 'i/i,i6M^^&iti ^ji^^Ahi^MUene^^BiihVhm^ worden sei,
^\i'S(!f'^i^^lit')^ii döö'h ^wiis-attdi'öttttehmen, die Bemerkung,
dass^ keii^ Einband erfpjgte,s^ gemacht worden, um
?lfl^4fuqK(?p,,,4^, ^ tj^eoii^, Aer^pt^^^ mi dießeniitzüng der
MircbeM SO' Ä^r. nn^ voa der andera' Seite m merhifmt worden sei,
dass dieselbe keine Einsprache dagegen eingelegt habe, was zu thun
310 HiracheU Rheinhesa» RechUatreit hetr.Miigehr^ eimrproU Kircf^^
sie, wenn sie einen Grnnd gehabt hätte, .sieher nicht unterlassj^n
haben würde, da die Evangelischen, wie 4ie Erfahrung, auß. alter mi^ .
neuer Zeit lehrt, nicht leicht einen bestrittenen oder g^tr ei^en unheT
gründeten Ansprach der Katholiken anerkennen.. D^s9,,d^e$e Auffassui^g
aber auch die richtigere sei, geht daraus h^rvor^. 4a$ü3 ,die frühBreii
Geistlichen von Bosenheim, sämnitUch BegalarkanQoi)i[er der. Ean^nie,,
Pfaffen-Schwabenheim, gewiss uicht die Absicht hatt^ö» d^ö^^^- .
liken nachtheilige Bemerknugen in ihren - Eintrag^u \n die. Kirchen-
bücher niederzulegen. Der Grund , wesshalb bei den. verschiedeiien
Einträgen nicht blps die bezüglichen Casualhandluugen, fiondera auch
andere bei ihnen vorgekommene umstände, wie das Läuten l^ei den
Taufen und der Beerdigung, bei der hL Messe, welche bei den Taufen
und bei der Beerdigung gef eiert. wurde, das AbhaU^jn einer. Predigt
in« der evangelischen Kirche angegeben wurden, j},estand offeubar
darin, dass man in Zukmft genau wisse ^ wie man sich in d^a
gleichen Fällen zu verhalten habe, was: man vornehmen höfine, weil
die Art und Weise der Benutzung der Kirche durch. die Katholiken,
wenn sie nicht genau schriftlich aufgezeichnet worden wäre, leicht
zweifelhaft oder ungewiss, werden konnte, da wegen, der geringen
Zahl der in Bosenheim wohnhaften Katholiken dergleichen Qasualieu
nur in kleineren nnd grösseren Zwischenräumen vorkamen. Allein di^
Ursache, warum in den Einträgen erwähnt wird, dass iein ßinspruck,
geschehen sei, wird in ihnen selbst angegeben. Es wird nämlich ^^i
dem Eintrage einer Taufe am 9. Januar 1871 bemerkt,, es Bßi zu-
derselben und zur hl. Messe bei Gelegenheit dieser laufe .zweimal ,
vom reformirten SchuUehxer und auf dessen Anfrage bei dem EvauT..
gelium, dem Sauktus und der hl. Wandlung während der hl. Messe .
♦ von den katholischen Schulknaben Pet^r Vogler und JatobWwe^flein.
geläutet worden, indem Niemand . Widerspruch eii;igej.egt habe ausf e^.
der calvinische Pfarrer, welcher behauptet habe, es dürfe für. etin^n.
herumziehenden fremden Menschen nicht geläutet, werden v da die .
Glocken der Gemeinde gehörten, dieser Einwand sei aber vona BLe^ .
Oberamtmann v. Stahl und dem (reformirten) Inspector ^u Kreu&-. .
nach als unbegründet abgewiesen worden,, da das, öeläüite. wegen der;
pfarramtlichen Handlung und nicht des Kiodes we^ßn ge3Ghehe wiid
der Schullehrer die katholischen Knaben habe lauten lassen, weiLej-
nicht gewusst habe, wie und wann die Glocfcenzseichen (bei. den einr..
zelnen Theilen der hl. Messe) gegeben würden; die Katholiken hflttw
aber behauptet, gerade weil das Geläute der Genieinde gehiöre> .k^nne
es auch von ihnen benutzt werden (Die noqa Januarii 1771 bapti?atu8
* est in filiali parochialis Schwabenheim dicta Bosenheim Joannes Wil*
Hirschel, Rheinhess. Rechtsstreit betr, Mitgehr. einer prot, Kirche. 311
helmus fifitts legitimas Ferdinandi Kettenbach Moguntini et Catha-
rinae conjugum mödö vagabundorum , levante e sacro fönte pro
tempore Pi^aetbre ibiderü Joanne Wühelmo Schmidt me infra scripto
baptizante missämtjue crfebrante ad actum binis vicibus pulsatae
catnpanae ä röformatö ludimagisfero , quo rogante oompulsatio ad
missatn, evangfeliiim, Sancttts et piilsüs ad elevationem facti sunt a
nostris scholaribuä Pfetro Vogler et Jacobo Wwesflein, nemine con-
tradicetite nisi Tttinistro Calviniäno praetöndönte hon «sse pulsandum
pro vagö* et extraiieo, cum campanae össent commuriitatis; qüae
tarnen exceptio a doffliüo • Satrapa De Stahl et inspectore Crucen-
^acensi ut ftitilis rejecta fuit, cum cotopulsatio fiat ob actum pa-
rochialem et non propter infantem et ludimagister nostros' pueros
jusserit' pubare propter imperitiam , quomodo et quandö ictus cam-
panae dandi, nobis rero praetendentibus pulsum campanarum utpote
ad communitatem spectantiüm etiam a nostris fieri posse).
Aus dieser Darstellung ergibt sich, dass Niemand eine Ein-
sprache gegen das Läuten bei Casualhandlungen der Katholiken er-
hob ausser dei* reformirte Pferrer; dieser widersprach aber der Vor-
nahme des Göläutes in dem vorliegenden Palle, weil dasselbe bei der
Taufe eines herumziehenden Auswärtigen geschah. Daraus folgt,
dass der calvinische Geistliche keinen. Einwand vorgebracht hätte,
wenn es sich um die Taufe des Kindes eines Einheimischen^, eines
in'Bosenheim wohnhaften Katholiken gehandelt haben wurde. Denn
aus dein Umstände, dass der reformirte Pfarrer bei der angegebenen
Gelegenheit Widerspruch einlegte, ergibt sich die Annahme, dass
derselbe gewiss nicht versäumt hätte, überhaupt gegen das Geläute
bei katholischen Gulthandlungen, auch wenn sie in Bosenheim wohn-
hafte Kätholücen biötroffen hätten^ Einsprache zu thun, wenn er nicht
von der BerecUtgtmg der Katholiken, wenigstens der in Bosenheim
sesshaften überzeugt gewesen wäre. Da diese Angelegenheit vor das
chüt'ptälzische Oberamt und die reforniirte geistliche Inspectiou zu
Kreuznach gebracht wtfrde und da diese Behörden gewiss nicht ohne
Kenntiiiss der Sachlage und Erwägung der gegenseitigen Meinungen
die mit^etheilte Entscheidung erliessen, so ist dadurch nachgewiesen,
da^B diese Behörden das Recht der Katholiken auf das Geläute bei
ihren Casualhandlungen überhaupt, um so mehr, wenn diese Ein-
heimische als wenn sie blös vorübergehend sich in Bosenheim auf-
haltende Pertorien betreffen, anerkannten.
• Dass der caltrinische Pfarrer auch g^gen die Vornahme der
TcsiJife deä Kindes des fremden Katholiken in der protestantischen
Kircho Widerspruch eingelegt habe , wird nicht angegeben und ist
312 Hir^chelf Rheinhess, H^(^i^88tf\tU ^^^iV4%^n €ln€in)n*o& .K^te.
um SO weiMgpr a»2i^^eiw][^9I^,:l ^\a i&m mt^ Wg^;.:^^ t?c&rw^5 Md
dieses ^^chaur ai^ l?ßs^)pilprejrft,l^rij^iid^^r,weai)die .^
erbpben {hatte. . Off^baf, ^rtt Bftck^i^t .^f ^en^^.efeiBt;b#efpriöcheöm
yargapg ,wird.4n ei^ea^.Wnt^ifagei^vpm 31.r,M9&! <l7j&jt dass
bei ßine^r iXa^ .ei*es, r^eljie)t«bi^B,,:iKw!)W^d03: «^^
•latettgefRpdep hiab^,,iu^dfz?r^^^ Widarspi?ufifc (ad^l^^tuiii
,pf^e7i^..bipa palsajIjioBe ^.^.<?HDp»J«?Jii(^ ^tev*-
t^ep^ sjgliflm/d*'^*^ ^ta?ti J\9^. alwaueipiUa,iprofee3t^feiöDe);i I?ft.der
gaiaiesfs^a c i|nd jin: a^a^^cJ^e^ V^w^hie. siQh ib^ndiöD» ibeistehtet ^witd
UQ^ ^^i^eif Inba)t .g^u^j?;:0^^(i.i^^ .Pjaitwneij^f lAwicbtfeii^iiiid
die^,^ia;^lheit€|i»' a^ij^ibti [aq V^fr, d2^ipitr.«nzw^ifeä**ft^dero,iörkudii4Ii(^
Bewi3 (g^iei^^rt, Äzsf^^^^^^^^^l ^ ^^ngftJ^idiftQt -s» B^öetf-
heim als auch die ih^e» , ycfrgfßejlßfjfcepw ^.ta^fcli^^S TOd Idri^liii^beii
jare^^eiii-, . dj^fla . Aftspruphe der. : . Jfj^i^bolifeea, au| < d^^ Ö-eJÄufco'. in der
^QiX^y^^vi, e^2LT^^^ Jjei/ibwi, iC^wlliattdlu^gien eiwn
;Widersipfucbj nicht eÄtg^geiisiet;i?teB , ftoiider);^. dijäes y^rfabcen -4er
K^boU^fi^ ala.ibiie^ zußtcih^d ,, «orpit .j^lft ,^ifte. gereabtigsiiig Äaer-
.. : . A»s, der Bi^ertqpg bei dWrfEiDtTP-g^njfdJws fiö.;d^a beiden eti-
j^?rtin;^ftn Fälijen ..^einp ^m]^(Mih4 ,^xiQ^g\:%(^^ , g^ abei? unzweifel*
b^^t hexyeiTj/ 4^ss ^m^tefj.flllen /IJiflatpdBp bf^i ^d^r Vornftbiw» -dieser
bi^ideö (>ßu^lha.Qdluögep jiicbti, u^^^^ »aichge*
^bt w^d%: ,rjg|e^p; wppn fiin?, spioUe\eii?gphpiJt ^iwflei|.-wär0, .lÄtt©'
upoiöglicbi je^j^^^iw^de^ij^ M) W ym^m9^Mi'^W^Um^M]i
^r^abeiQ f»5qy4^P'r .4ft?^^.ö;fj]^hf^l^^g] ^i^^J^Uv^m^ mkdi^^S^-^
ippng|ejnepc.^i^l>^t<cÄ^^ xmk zWiiselbeii
^,.|8i^9Jk)a,Kui^, jp^e«k%,,w^iJ^.Mr^.W i^ie JJplwfeaiss; gegeben
worden, so war eia Widerspruch gegen^, die, .erlaubte .Hwid^uiigvauflh
geaohloeseu uad war di^^JSrl^ubuissirpacbg^ßuebt^jKordeiii)^ so ^ konnte
nicht gesagt werdeu, da,9S.jgegj0i} 4ie bsg«jivte,uad '.ortb^iltet. Erl^^^
aiss ein Widerspruch ri,^ch,t jptatl^gefuadiea rh^b^^* (Jas- ^ßine ^ßbliesrt
4^s Andere aus. Weiu?i;;nup^;a,bei;^iu: d^^n^beideQ -aBgeföhrto^ EiKea
eine Erlaubuisa unbedingt ,aijphlt.,eii?gel^lt',wurd^^-SO ist .dock i.wahjf'- -
llcU nicht auzunehmea, ..4^-83. bei ;4ei^. ülffigefliibeKeiohöetea 'Hand**
luagea aiuo solche ErlaabAis^. nachgesucht. iwordea; w^te^, . vieliuebT
spricht diu sichere Vermutbung dafär,i idai^s 4^^^ aucihii}a.dea»iua4era
in den Kirchenbücheru bei?[^rktea Pällea ebeasowieaiig geschebeaspatk
, In den gedachteu, Eiaträgeji, inidie Kircb^abucfeer^der Pfarrei
Pfaffen^Schwabenheim wird uater .deai 28. Juli 1725 'uad dem
Nirsehelj Rheinhessi ReeMaal^eit ^&etr: MUgebr, einer prot, Kirche. 313
'Id. A][>ra 17^i>gösegt'/ dÄÄs die betreffenden Taufen in der ^^Filial-
ttr)cÄ*i&> ' B(ööfafe6ito«i ^ (ik fecefe^sfö filiali Böseuheim) geschehen seien.
Wenn aber' die 'äortig^Kit^he WlsFiKalkii^che bezeichnet wird, so
wiTdidaorit'attSgespfocliwv, '^äss' dieselbe die Kirche der Filialisten
von Pfaflfeli-Sfcl^fi^nh4fin/d.' h.der-in^ B^ wohnhaften nnd
5Jö'jener Ptew^i^gs^börelöfdtti'Kafthdli*^^ diese Kirche
itt irgend eittät» Weis^ 5larAfiM?nähiile- kirchlicher Handlungen für
^iese^ katholii^hefi Tiliäliat^ diienfeVdtesen alsd der Mitgebrauch
diesöi^ Kirche; 'Wfeaora^lb^ für- Ä ^er Casualien in An-
sphi^ ' gettoö^läefl ' ^itd, • «töfeeh^^^^ JfedeiifÄllsr'gebt hieräns* hervor,
idiss ai>: £4t<cliei itt'detn ängögfebeiie^i Siünö urid in der bezeichneten
Absicht -boiiuta^t^-wth-db ülid -dtesi rnäilr 'also gewiss für den Ge-
teaiicfcf'>eteeir 'MK^^ srölcb^ ittr Vornahme kirch-
Hobeii Hanätegi^rti^Mr^ di* FilMrsteü -beötrmtnt war und diente,
fciiB*«ftll8 hm- jE^^
^' i-Aüs de« Mshei^igeri Ausführungen ergibt sich unseres Brach-
teii8\ 4^0 4i^ b^pvö(ih0öen Attfiieichnun^en'äen Nachweis liefern,
diss währenifl fast' eifie» Jahrhunderts die evangelische Kirche zu
BoSÄbheibä- b'di deö Castigäharidlüngen der Katholiken , insbesondere
bei Taufen und Beerdigungen nebst dem Geläute von dem zustän-
digen GeigtlJcb^ beäutitt dass hingegen nur einmal und dies blos
in beöchtänfcter Weise Wid^9t)ruch erhoben , dieser aber vou den
vorgesetzten stafatlichett' und' Mrchliiihen Behörden abgewiesen , dass
in dlt«i iliesen Päilert'keitife -jEH(itt6wt5^ zur Beriutijüng der Kirche
eingeholt und 'Akial^ ih' J^iMMrehe d. h. als eine äolche betrachtet
död'tehÄüdfelt Wurdö, welche dto^in Bosenhelm; befindficheü Pfarr-
ariigebörigfeö* der tÄthofisofcie'n P&rrei PfaffeÄ-Schwabeüheim för die
'¥oitiffthiM der^ b^tretfendmi ^a^ua^lhandluhgen^ zu dienen habci und
dä^s'^i^s geschehen 'sei in dem Bewüsstsein^ \xni ierÄhHcJU, hierzu
Sii^ Berechtigung zu besitziön.
' V Obwohl demnach jene Aüfzeichriutigen in den Kirchenbüchern
übler dbn fra^Iichefn Sa^verhalt in rechtlicher Beziehung so wichtige
Aufschlös^ geben, wurden diekelb^n voti dem' untern und, oberh Ge-
riehte ifldiöser Hinsicht klöiüer Betücksichtigung gewürdigt. VVenn
aber die zweitö Instanz aus der Bemerkung in den Einträgen, es sei
kein Wld*erst>ruch erhoben worden, eher hierin den Aufdruck eines
^weifek an der Berechtigung des Anspruches der Katholiken finden
«1 s^Uett yertneint, so wird die oben behauptete ünhaltbarkeit imex
Ealgerußg ans jenen Bemerkungen dadurch als tineweifethaft qx-
wiöB^', dass 4ie eingelegte Einsprache sich lediglich auf die Be-
uafeuDg der Kirche für Fremde bezog, sie also für die Einge-
314 Hir8chelt Hheinhes^^ Rechtasireit betr. Mitgebr. eintr proL Kirthe,
aessenen zugab und dass sogar dieser Einspruch von den obera Be-
hörden verworfea wurde. Daraus geht aber unabweisbar hervor,
dass die Bemerkangeu bezüglich des erliobenen Widerspruches nicht
aus einem Zweifel an der Bereokiigung ^ sondern gerade umgekehrt
aus dem Beicasstseim der Rechtmässigkeit der Ansprüche der Katho-
liken hervorgingen und in der Absieht gemacht wurd^» diese .B«^
recktigung dadurch zu beurkunden und zu sichern.
Auch eine andere Bemerkung fand bei den Gerichten keine
Berücksichtigung, obschon sie in mebrfacber Beziehung nichl: ohne
Gewicht ist Der Pfarrer Klein von Planig, früher Benedictiner des
Klosters Jakobsberg bei Mainz, in welches die Pfarrei Planig incor-
porirt war, berichtete bei Gelegenbeit der Nenanlegiing eines Kirchen-
buches, da die alten von dea franzömschen Behörden den Pfarrern
weggenommen und weltlichen Civilstandsbeamten übergeben wurden,
dass gegen daä Jahr 1806 bei der neuen Pfarmmschreibung in der
neu erricliteten Diöcese Main^ das Dorf Bosenheim, früher Filiale
von Pfaffen-Schwabenheim, welch' letzteres als Pfarrei unterdrückt
und der Pfarrei Badenheim zugetheilt worden sei, der Pfarrei Planig
zugewiesen worden, dass die Zahl der Katholiken in Bosenheira ge-
ring sei und nur achtzehn Seelen betrage. Weiter wird bemerkt:
»Die Kirche benutzen wir nicht, ausser wenn Casualhandlnngen,
Taufe, Eheeinsegnung und Beerdigung vorzunehmen sind (»Usum
eccleaiae non habemus, nisi quaudo casnalia, baptismus, inthronizaHo
et sepultura procuranda sint). Hier wird ausgesprochen, dass die
Katholiken die fragliche Kirche nicht zur Abhaltung eines ragel-
mässigen GoUesdmistes ^ sonderü nur bei voriibergehmideH^ von Fall
zu Falle vorzunehmenden kirchlichen Handlungen (casualia) , nam*
lieh Taufen, Eheschliessungen und Begräbnissen benützen. Durch
die Gegenüberstellung des regelmässigen Gottesdienstes und der hie
UHd da vorkommenden Vomahni^ kirchlicher Handlungen wird nur
ein beschränkter Gebrauch der Kirche für die Katholiken behauptet,
dieser ist gegenüber den Protestanten, welche die Kirche zu ihrem
regelmässigen Gottesdienste und überhaupt für alle kirchlichen An-
gelegenheiten benutzen, ein^ auf bestimmte Handlungen beschränkter
Mitgabrauch. Da aber gesagt wird, dass die Katholiken einen sol-
chen hätten^ 80 wird dieser Mitgebrauch als ein den Katholiken zn-
stehendQs Recht dargestellt» Denn wenn derselbe blos vom guten
Willen und der Gefälligkeit von Seiten der Evangelischeu abhängig
gewesen wäre^ hätte man nicht sagen können; wir kahcu den Mit*
gebrauch, wir bmid^en die Kirche , da diese sonst ja nach Belieben
im einzelnen Falle und auch für immer hätte verweigert werden
Hirsche!, Rkeinhess. Recht^sireii betr, Mitgthr» einer prvL Kirche» 315
könfienr. }-.Wiß in: 4er angefühuieiv Benuerkung ein weiter gehender
Mitgeb-yaueby «0 ist. iö ihtf auch -ein Miteigenthnrasrecht der Katho-
likefD an diecr g^edachtto Kirebe ausgeschlossen.
JeQe. Aof ^bet dfia F<forrera Klein atimmt übrigens mit dem In-
haltef der Aufe^eiöbnöugen in dm Eirchenbüchern von Pfaffen-Schwa-
benteim vollk0iEtiQen^ ö&eseiii ,: bdstat^t diese und wird von ihnen
bestätigt. Es ist nm aber ^Wiss an2ttneba)eo, dass Decan Klein,
welcher erst iwa Anfänge; der vierzigeir Jahre als Pfarrer, von Planig
starb, die: CaanalharwM^ngen , wekbe .er von 180ö bis zu der ange-
gebenen Zeit in der. Kirche zu Basenheim Tornahm, im Bewusst-
seine Terrichtete< dasjq. iMioh seiner oben mitgetheilten Bemerkung be-
rechtigt^ju sein, und dah^r ist aueÜ sicher anzunehmen, dass erhie-
für BißhiV3im' ErJla^bnisani^ehjsacbteoder um solche nachsuchen Hess,
wohl aber eine Anzeig« machte^ eine Antrage stellte, ob ihm die
Khxhe> da die Evange^lischen die unbeschränkte Benutzung derselben
unbestritten ianehatten und sie vielleicht gerade zu irgend: einer
kitchliGhenHaödlung gebrauchen wollten, zu Gebote stehe, keiu
Hindemiss yorliege, im Augenblicke bei einem CasualfaUe der Katho-
liken die Kirche zu gebrauchen. Da die klägerischen. Zeugen Ell-
feld , Ing«brand und Gaul von Beerdigungen aus. dem Ende der
dreissigeif Jahre und vor vierzig und fünfzig Jahren, bei welchen
Gelegenheiten die Kirche benutzt w:ttrde^ spreche und der Zeuge
der Verklagten Philipp Machemer I. gleichfalls der Abhaltung der
Leichenfeier in der Kirohe zu Bosenheim durOh den Decan von
Planig bei BeerdigÄög jöinear Frau Gaul in de« zwanziger Jahren er-
wähnt und da Decan Klein zur Zeit der erwähnten Fälle Pfarrer
von. Planig war, so tnnss doch augenomnaeu werden ^ dass derselbe
nach .Mass^bet seiner voJk ihm in dem Kirchenbuche zu Planig,
offenbar hauptsächlich zur Kenntniss und Beachtung für seine Nachr
folger niedergelegten Bemerkung zur yornahme jener Handlungen
nicht Erlaubniss nachsuchte, sondern dieselben im BewujBstseine und
in Äejc. Abgeht, ein Secht auszufiben, vollzogen habe, indörn er an-
dernialla mit sieh delbst in Widerspruch gerathen wäre. Darnach
muss aucih die weitere Aussage des Zet^en.Machemer, er habe von
Pfarrer Schäfer in Boaenheim gehört ^ dass dieser dem Decane von
Planig wegen seines Alters und des schlechten Wetters die Erlaub-
niss gegeben. habe, die Kirche zu benutzen mindestens auf einem
MissverstsäÄdaisse beruhen:, welches sich daraus erklären lässfe, dass
jedenfalls bei dem evangeli3chen Pfarrer angefragt wurde, ob nicht
wegen etwaiger Benutzung der Kirche von Seiten der Evangelischen
für die Vornahme der katholischen Leichenfeier ein Hinderniss im
316 Hirseh^i; Hkelnhtss, nethtieii'eU^btii^.mij^tdr/eiiii^
T^gi9= stehö' o^ei*' dass der evaügöli.*h^^PfiÄ-i%V^''Öfö«i6b*<'*^örfe /^'Öie
läütöä ku g^w/was dieöerJ'öo tttrdih*übkte7^rfasö'dfiyii«teiJ^^di^^^
tWeöttWgJJ etiler ^rtitibfllki^ ''m1S^mi^'-N{ii\^
We8ffefnbtteh nii'mfiiiXi}^\m\'Am'^^hU^^ mk
de*tf Zetr^eil'i0rzftllH'Wotdld»Vitff:dfeW^^ m\^WA^\m 8*b^liatBöM-
näbe^tl^h' di(d''!faiiss<il^ und d<E*tf 'fi^r^^^ MWdbt
zui' Öalyih' Plfkrrer»eimfer'ei<M8[rt« halle» fcWrtiWi'^ ^^\ ««*^*b»ij
dä^s • »ifdbi^fäete^id^giKtlhafadltitigeta! < lüaeb^^d^ti ^ Z^gmi^us^i^idh ^VM
l!Qfslb6JK)tideir6<>Leiöh^ifderlfch'k'^ \<^g€fnld^ibdti '^ü^d^ä ()id^*äfld^
d^'närrtiöig^' JftUr^ l«vll <Jaf^ rPfetie^ Ktetn 'ftiateif ßel^^^^^
kfiitöttg dieö ' tbät,' ' lyefl eH * «berä^gft ^Wai^,' ' tefeö ' EöcW^ zu' ?!a(^ jUw*
«b^hiitptv also! ' bei Tafifen V '<!>3pfeiti0ftei^>: \m \ Böer'diglttigefifir'^zttf '%!ö^
« • ' i 'l«0'«ÖeWfefktiög' 'd^si Pmitcrö littd' Öööä^^^^
bti^ilk^'^d'Ar ^Pferrei^ Plaftig «It^ht-^atifeti- M' 'Eiftiaiii^^^^
ttrig *deka^eritii'ttÄdi''döf klagferii^lr^tf -aeig^b'^^l^^däSs te'dfet^^imt^
Wimi Slrtit^ Äti^ iPIäiigi^f 6^^ki^1ftltbtttferf» Be^rdigtt^fif^ Wn^ltatÄö^
liken die evan^ölfeöhe^KtifiJhfe iJ^wär-'b^tkitÄ«/^
HÄtt^^g'elJftt^», 'öi^nd^k' rifui- ^^nfiöihö^'lÄ'iÄ^ge'^gfeM^cfbtf #Öt«4n sei.
©tari'tfeli'refJ äiriöt^ War jörlfe Be^äietftäifg'^'ÖeKltfant'iJW* ^^le^sollfe^^^i^
däik gököttfnfiöÄ'MA, däsb e^^^däs'in jiärtöi^BiefiMtküÄ^
B^cM d»i^^befa-udd'die' B6btfej!fnüg'<l<^^^^^ ^oii diei* fiibMnhgr
eiöÄ-" Erlättbmss äfefiSöglg^ 'Ifetbädbt -'bäfef^? f fertef'*i4bBö^ 'Atfflätbiiie
Wtdirstr€atet''tiidht''bloä^ a* biEJä«lttitöt^'^Ei^ftläriiitg''dfea k*tfr(öMsebfeii'
Klrcbi^WotöfeltfäfeW^zü' Plätligv deösisti VoiWttthä^ir Ptofetr.Htrtet^J ftlV
iTiJ^dy jSJrfgii*ÖÄ' d^ felage^ ittitt
vöäaivigW^Bl^t^l^, 'ErläUbtüäÄ^^öibÄtrhtWerÄ.- aiüsztfitäitefn; döttÖijf ü^ ääfeh-^'
döt? A^u^^gti» diBS 'Siiebenän«a<5hfczi#hWgte^ Bollet, '«afes^^lÄkiS-
k^irröf dfer' Pl'at^er / welölie er erlebt babfe', ' We Ä^iiiprÖ^ie fes^gileir-
det^fönÄrenbefiKÄÄUög in Böskbeim' i6t^b6bfeft^ bÄlte, «trte %s Vott^ diftfii
döritätiged Pfä{frer'(H:ittei^) ^escbehl&iil^T^^aaktetoGfesAgt^W^^^^
die'«öfÄ'«iöh»^Sö1iöfiif^ sehr* tittbteHtiötriitjeh '^An^Äfteh^der '^Zi&ugmi "BMk-
wefteVJ^änrÖ' Sfebuökiödim', als habe TÄrrei»* -Hirter tttn^^fit»lttubWisfs^ttti-*
fkg^ö'iassdBj/höcfesfc Tiuw^abrs^heiülieh titid 'beirttlien- WöM ärfieitfttfe^
MiJomätättdÄisÄejv^-'^'^.' «•i'-'- i'-.-i: ■ m •'• - '•• <•-"!. .»•-;;. j-i.-...:
»""'•©aö' Ürt«ei4 des- ObeHaBflös^ericht^s^ öagt'isctiHesfiftiÖfrr Öasrä;^
^ßvAl^x(^m fite AWemalfftrfcllli^« w6^\.»[ftt#^n:Be44r>gPi^gc^ft,J^^^
i3M«P9 (ia, 4i^A Kif cln^; e4pg^i;ftßW jw^^^j^l^ei^;, //d^; dfenKv^ög^M-i
schfe^rbei« 4^0 jßasiiitlm' z^iji^rtiirfji^f^ejtftniih^tt^p. u^ fii; vi . rM^#
er auf das Herkommen verwie3, stellte eriiiClaTiftit :g0r:4i4ei4i^rJ^feTi
C9^j^tät>[i» Am\ . YwÄ|rgrj*nit[ d^8e«i .V!^pr. verlangte ](M»!J;be?rilligta
Da, c i^nfij i© igegw>«a!p|*gf»? •lPi«fi¥iQ^ i^gm^ m^^wi^^h^^ ÄöcA^fb/e^
baupteti.^WrSöi bleibt- jr«Aes5:§ebr^^^^^ ^^<^l;;yrpnni4;. wjgis^ittiqbt]^^
könnte^; fftr .41^ Bcgrq^ft^iiijgi4ejüElßfg^'bßi**Ä^^^^ ji> .: ..i
rüjhtßSnlrjlit; ^ift^eraä§lfoün?Ste»^ .^1 #^cb?P. bei- :^^r'i.Bri5^eF^Bg
d4SS^ll]^^iH.,yrj^hey#«?lMM^ :i^miA% ^W Apfee^wngs» [/JM>
Kir#b^Rl[ftcb§ri MW .?(f4lfe»-^wM3ö^^^ bflftadUfih^;,4ij«|ifeßi 'öS-get
b^ijllW(/BftwJ^ngr::^erc,;Pgghej,ikgiß.W^ i§^bftbMiJfor#p«i
PfairrfV:(Jli»g^lbft<^li, iQ#u^,]^..i|i cl§fl[i.»ngefAhnteR aehreiö^fi, ^ftg^^ ,m
kj^itsyqrbalteiss ,!Y.er)vi^Siefl^,;, d^,{pjreAMuW:;ni<}][i6 .?p ^euji^; HecWj^iigen
st^lji^a cU;i^,»qr flrk}^5?p,\h^b^,;^9ileji?[y ; u^^
kauf t^. . d^ft . ß^iUligkeit, \er w4gsi^p tiy^46» • • sciUßr i v ' AUeii?^? ;, bjeri Iragfr: ie^[
siQh dpch i^^ali^bst ujq^ v,w AVe/n^^ der <JJ^^^^^fu^(fcr liJEfir^ow,
me«« jiR ,AWvb^rA^Hftep,ßtc.breiban..i^^^^^^ clem^ßlbwi)
gegebomi'ßißn J^abß.j^i^, , in ,y-Qri^^jeadej» Fftlle i^ftqh.4epi.\Zpp.iÄ4,
mßfthai!ig«,:fto^n„t^ies«^- i ,D^r;dwt .gsQbraachjlie.:,W.Qlfj^. »HeiiKcimi^^.tt,«^/
kj^oBk; alpi^R seiii^c: .p^deptupg ,fißci\\ ..aa^#b,4oehi gj^wi93..^bf5iwgntj
ausdrücken, dass das Herkararaen in der J5r^Ä«i7^j^ -eii^: JS*'j!fl^}f
9?ts9'be8t^ndt'£^l8^s auch flogen kanii:^ daa^^nacb ^eJikrHeckpmmen
318 . Mir sehet, Rheinhess, Rechtsstreit betr. Mit^br, el^cK^^f. JPihoÄe.
eine solche Erlaübniss nicht nachgesmU würd«, sohöe^fl ^ur eine
:>Anfrage€ 'eine Anzeige zu geschehen liattj^. IWä ©n^iiöder-^as
Andere kann nicht von vornherein angenömöieä wefdefi. '\SPe«»iideth-
nach aber das ürtheil de» Aftsdrtick H^rkotfiftiön'i'^fft^ deöijöi^Stern
Sinne, dass «eine Erlaübniss erth^ilt, eine Gj^fälif^kefi 0t#i6se&"W<]fr-
dan sei, anffasst, 80 trägt «5 ' offelEtmr' wn Td^iieröin
brauchte Wort »Herkorflment einen Sinn bineiö, d^tt '^s alö siöh nicht
hat und ni^ht Raben muss. Dies konnte um so^ weniger g^helien,
als das Schreiben des Pfarrers Engelbaoh selbst von eiöör »Airfra^ec
spricht, also sieb der nämlichen Bezöichnmig bedife/i*,' Solche die
Klage zur näheren Bestimmung, worin das Herkomn^n bestehe, an-
wendet und der Ausdruck »Anfrage« seinem näöhsteri ' und eigent-
lichen Sinne nach nicht ein Nachsuchenum Erlaubnissl, sondern eine
Mose Erkundigung bedeutet zum Zwecke, zu erfahren, nifehfe zu bitten,
ob man die Kilrche benutzen könne, gerade wie die vöi'herig^' Anzeige
nur dazu diente, zur Kenntoiss zu bringen, dass man ^ie Kirche be-
nutzen wolle, aber sogleich sich yerlässigen noöchte, ob dies dhtie
Hinderniss geschehen könne. Wenn nun aber das ürtheil de* Ober- "
laudesgerichtes annimmt, Pfarrer Engelbäch habe- niit' dem Aas-
drucke »Anfrage« nicht ganz den Sinn getroffen*, in #eichfem ^r jenes
Schreiben abzufassen* beabsichtigte, «so ist nicht iferäich'flic^ , woher
das ürtheil weiss, iü welchem Sinne der Pfarrer jenes Schreiben ab-
zufassen beabsichtigte und' in welchem Siüne nicht ün^ ebensowenig
ist ersichtlich, woher das ürtheil weiss, dass dei* evangteliscbe Pfar-
rer jenes Schreiben gerade in dem ' Sinne abzufassen heabsiclitigte^
welchen das ürtheil annimmt. Dieses sagt zwar, die Bedeutung des
Schreibens bleibe klar und diese Klarheit Soll darin bestehen ,« dass
ittt Schreiben bemerkt sei, es solle Alles beim BferÄowiwen bleiben.
Allein dieser Ausdruck ist gewiss nicht klar, da er', wie gezieigt,
nicht angibt, worin eben dieses Herkoramen bestehe, ob darin, dass
stets Erlaübniss eingeholt wurde, oder 6b darin, dass dies nicht ge-
schehen, sondern nur eine Anfrage, eine Anzeige gemacht worden Bei.
Die im ürtheile angenommene Absicht bei Abfassung des Schreibens
wird also lediglich durch eine gleichfalls nur angenommene' Be-
deutung des Ausdruckes »Qerfconimön« gestutzt. Allein aus der
Entstehung jenes Schreibens deii eVaugelisehen Pfarrers und aus den
demselben vorausgegangenen Verhandlungen ergibt sichtbar undiw«-
zweidetäig^ dass iet dem in jenem Schreiben gebrauchten Worte
»Herkommen«- vom ürtheile des Oberlandesgerichtes ate beabsichtigt
beigelegte Sinn weder ftcafts^cÄ^^ war noch in jenem Ausdrucke liegt
und auch nicht in demselben liegen kann.
Tehel, Bheinhess. Rechtsstreit betr. MUgehr. einer prot Kirche. 319
La fmem Beriebte das katholischen Pfarramtes zu Planig an
das biscbflftiche Ordinariat zu Mainz vom 14» Februar 186.1 wurde
mitg^tbei|t, dass an» 10^ Februar zu Bosenheim Ludwig Berg katho-
lisoher Conf^ssion giQsti^rben, bei der Beerdigung aber vom evangeli*
sehen Eirebeavi)rst^nde die Benutzung der Eirobe und des 'Geläutes
zu Bosenheim »giegen den seitherigen G^rauch« nur zugestanden
worden.sei, wenn ein Beyers^ folgenden InbalteB von dem katholi-
.scheu Pfarrer unterschrieben werde: >da8S die Benutzung der Kirche
auf geschehenes Nachsuchen Toa Seite des katholischen Pfarramtes
zu Plaäig von ihnen (dem Kitchenvorstande) nachgegeben worden sei
and kein Recht der Katholiken an die dasige Kirche begründen
könne.« Unter dem 14. Jdärz 1861 verfugte das bischofliche Ordi-
. nariat auf den weitern Bericht des Pfarramtes Planig vom 7. März,
das8 es geschehen möge^ »daas von Seiten ie» katholischen Kirchen-
vorstandes dem evangelischen Pfarrer oder Kirchen vorstände in Bosen-
heim die Erklärung gegeben werde, wie man katholiseherseits nicht
beabsichtige ) .auf das Recht, die dortige Kirche in herkömmlicher
Weise und in den herkömmlichen Fällen, ohne verhergegangene An-
frage zu benutzen, irgend ein weiteres, über den bisherigen Usus
hinausgehendes Recht / atiwa ein Miteigenthumsrecht oder ein förm-
liches SimpUanrecht u. s.. w. zu begründen, sondern wie man ledig-
lich bei dem Herkommen zu bleiben beabsichtige. Dagegen scheint
es nicht zulässig zu sein, dem evangelischen Pfarramte zu be-
scheinigen, dass die hier in Rede stehende Benutzung erst jetzt auf
stattgehabtes Ersuchen nachgegeben worden sei, oder dass man diese
Benutzung in ihren bisherigen Grenzen uur als eine Gefälligkeit, die
beliebig zurückgenommen wetden könne, in Anspruch nehme.«
Diese Verfügung des bischöflichen Ordinariates zu Mainz wurde
vom -katholischen Pfarrer zu Planig dem evangelischen Kirchenvor-
stande zu Bosenheim mitgetheilt, welcher dieselbe behielt und eine
Abschrift dem Pfarrer zu Planig zusandte mit einem vom evangeli-
schen Pfarrer Engelbach unterzeichneten Schreiben vom 13. Februar
1862, worin es heisst: »Nach Ansicht des anliegend angeschlossenen,
in .Abschrift ausgefertigten Aktenstückes acceptiren wir, dass katho-
lischer Seits aus. der* bisher stattgehabten Benutzung unserer evan-
gelischen Kirche bei katholischen Casualfällen kein weiteres über den
bisherigen U^us hinaus^gehendes Recht, etwa ein Miteigenthumsrecht
oder ein förmliches Simultanrecht u. s. w. begründet werde, sondern
dass es lediglich bei. 4em Herkommen verbleiben solle.« Auf Be-
richt des katholischen Pfarramtes Planig an das bischöfliche Ordi-
nariat vom 17. Februar 1862 ertheilte dieses unter dem 6. März 1862
320 Hirachel, Rheinheaa, Rechtsstreit betr, Mitgebr. einer proL Kirche.
die erbetene Ermächtigan^ , den verlangten Revers nach Massgabe
des Schreibens des Pfarrers Engelfaach auszustellen.
Hiernach ist es klar, dass dieses Schreiben in der Tbat nacb
seinen eigenen Worten gerade unter Berücksichtigung und im An-
schlüsse an den Inhalt der Veriögung des bischöflichen Ordinariates
vom 14. März erfolgte und ebenso klar ist es, dass also dieser Din-
stand nicht angezweifelt oder^ als nicht ganz sicher bezeichnet wer-
den kann, wie es der erste Bichter thut, indem er di^ Schreiben des
Pfarrers Engelbach nur i^woU eine. Erwiderung auf die ihm mitge-
tbeilte Ansicht in der Zuschrift des bischöflichen Ordinariates zu
Mainz an den Pfarrer Hirter zu Planig vom U. März 1861c sein
lässt. Da nun der zweite Bichter, wie er ausdrücklich hervorhebt,
sich den Ausführungen des ersten Bicbters vollkommen anschliesst,
so muss auch angenommen werden, dass der zweite Bichter gleich-
falls die Auffassung des ersten Bichters, welche das Schreiben des
Pfarrers Engelbach als eine Erwiderung auf die Zuschrift des bischöf-
lichen Ordinariates bes^weifelt, theile. Jenes Schreiben gibt nnn zu,
dass bisher die evangelische Kirche bei katholischen Casnalföllen,
also nicht blos bei Beerdigungen, sondern vorkommenden Falles auch
bei Taufen und Hochzeiten, benutzt worden sei, es sagt weiter: »wir
acceptiren , wir nehmen demnach im Namen des Eirchenvorstandes
an, was die Zuschrift des Ordinariates enthält, nämlich : »dass katho-
licher Seits aus der bisher stattgehabten Benutzung (der evangeli-
schen Kirche) bei GasualfäUen kein weiteres über den bisherigen
V.^m hinausgehendes Becht . . . begründet werde, sondern dass es
I<'diglich bei dem Herkommen verbleiben solle.« In diesen Worten
ist au.sdrucklicii unerkannt, dass die »bisher stattgehabte Benutzung,«
der »bisherige usus« ein für die Katholiken begründetes^ also be-
stehendes Becht seien. Denn es wird gosagt, dass ein weiteres^ über
den bisherigen Usus hiipimgehendes Becht nicht begründet werden
solle. Ein aus der bisher stattgehabten Benutzung sich bildendes
neues Becht, wie etwa ein 'Miteigen thums- oder ein- Simültanrecht,
wird atisgeschlossen , somit die bisher stattgehabte Benutzung, der
bisherige Usus als ein schon begründetes^ ein bestehendes Benutzungs-
oder MitgebrauchsrecA^ einem künftig entstehenden., weitem, über
das bisherige hinausgehendon Bechte gegenübergestellt, somit das
bestehende Becht der Katholiken bestimmt und unzweifelhaft aner-
kannt und nur gegen die Bildung eines neuen^ weiteren^ umfassen^
deren Bechtes Verwahrung eingelegt. Dieser aus den Worten des
Schreibens des Pfarrers Engelbach sich unmittelbar ergebende Sinn
wird noch dadurch bestätigt, dass gegen die Aeus^erung im Schreiben
Hirsnhel, ^ ^heinh^se. Rechi's^tr€it^\lMtf\.^ MiJtgebr, .^imr. prot. Kirchs 32t
im .Ordl6arMrt?ßs,^>eer ö4i miübt itattsägv dena eyaugeU^^eu^fa^am.^
zu bescheinigen,. ^»fia^gitöMi idi«slevßfermte»agaii4hj:^.il)M^epigM
öi*enzdtt'iiiuii'dJsMeiii«e<tekß;lHgfeBit.v* wdcib^ ib«JäeWg^ ^mi^^gaiiommen
wi$ifden>'k()iine,^jti()Ahq»n<cfa*iiähw^^ iA.')eAem.Sc^ib6Ptdp8 eyan*?
g»lieöhöii!'iPfÄpreiti'"iiidil idk ^^getingrf* WideoPaftench^flrboJben.^^,
w^ obne^^S wdiM^-^cfa^h^ ^^ ^ >> ücehn [»die ^B^htitauj^g; l^er ; Ki^ch^
ddro'h -m^ mtliomkfä':d.Jit ^XatA»Icb^ ,^'^i M\i&Ai/^:MrlmMs$ bin
stuttgefütü^'^n b^tt'e! i*E4iHetis(^'iBrltlä»iK'sa)ah d)as'>Sßbreiben vEog^lbjaob's
ni^^'^ge^öri dib B'iöliiötftün^*ü:tddr:iZifetolMtft't(ies.[«bi8^^^ Or^
äinaiiUt^s^ <^^^sei€' lüch><'nlGbii zufibeä6lii^ig€ln,M.»dü&Sr'di^ hiev.iti
K^e^^ehindifeiBenntzangveiBiij^tzbsaaf'Btättgehabtös Sr^ucb^n mcht
gögöbetl^'vybrdöh^stiiii'.' "Dagegen* bebtüjöaes.nSühraibenü.QntgQgent.d«!
il^eiEts^^i'tirTYg ded'^(hrdifa£Kril[ted;i die Kitidie -.»bhQe'jorbikDgQgangjeue Anr
zöigö^u'tSefaüteeÄ^'hörvor', dass stri^heT/ Mspraoh' mit dem;B[^kom-
nTeti^¥ritfhi''ü%eMbsMmtb$', d^' bi^h^ etdts ^Mfr^^gei'^oü ,d^m,:kath<i>i
ti5Chen-ödstl!Ch'!^»'*^Mgt»«eil.!ii'-''' '•''/••' "■ •• ^-Ir ? .-..(i .;.';:•!•>:•. .".i;V(
'•* ''Hieraus 'i^rgibt^ sich' 'Wir, /dassi (Jfe&f-ievangelsiihie.Bfaner-.deii
Atis'ät^ö?e*r i^w/i^(t^^'fe{tfeÄ>igiiris^^^ ioi dämijSiimevgebraiiQMe f , Jn
wefchöto'et, 'MÄe^'-Ää^'ÖlffeheitJ de& ObeiftendBBgerfcbtes anfainqliüty'jeÄes
Schteib^ii* 'äbEttfäsßfenJbfeafcifcMi^ iiha^
A*8dfö4fe6'-'ib^Ä:öffkge4' aieft-jfec^eftitdttgi'tvoh BiwlwMnngf einer 'i^Jjati*-;
?Wi''beigöfc|t/^"85''''würde''^p5 di^^'Wieisiift^ -drfs ]OTdi»a*iateb,ri'es m
mfeWi^ö' bfeso\idiiilt^H^''>«aai8s-^'iä!e' •^^fi\rt2«iri^^
s^e/^eJ^-TioicttgegeTi^H' w<n<d*ü>^seiv^*fiicbt uuHeaTiJitande* gelässei ,ji90!q^,
dem ilir, Wie;ä in dehf ebeh'b^irühTten Falle •bfeügfiöh»'d^rf Forderung
dösOi^diffatläteffl' däfs^'^dle»^ Öö^yteöngi' öÄ^ie^'Vofheägb \Ahßa^eieT4
folgen äöllej gewis8'.wi<<eräpiföefieii'ihab^i. ^j^ ^ .' -il !■ i-^' ^f ,; .;
Daraabh iöt ^fes ' abfer elb^fafls'klai'} dass das ürtheil deö-aWeitefa
ßiditers' iVrigei<Wef*4 bittrföhtlicb 'deii> Bedeutung 'deaSohreibfeasvdes
Pfarrä-s Bngelba«h"%ertaerlrtr^^»Iii^ei»'^er''SagtA, -«s. iolte AHfesObeim
J?erÄömmen bleiben, ttörwieä 'ev-*lar a^f das'-ÖdfälligkeitsJreifhältÄiflß
und' wollte' nicht etiva das'*^r^cfarltiM:^''zu 'eineni ■ Rechte'« gestalten^
sondern ''ein' für AlIötnalirHarei^,=lintef weleh^n Bediiigöngeiv künftig
die 'Gefälligkfeit wwlesiön werdmv soHe;4: * Öenn -jeH^s S«brerhßn gibt
seltwtaiKicIrSckHch'^niHi kfer ari,"wWchö Bödeutungiefl'dcma.HfeVkoinj-
men beilegt.; Indem' es n9Äilich'äeceptirt;'dkö8 ein 'j^ei^öitere^^-ö&er
den hisherigen Usus Mfiauä§[ehendes^ JPteöiW 'Äidhft l)egrüiiidet werd^ir,«
sondern* »eä^'b'öim Herkthmmri b^^WeiÖe*^" solle v«- bö2teibhnet.'da8
Schreiben den »bisherigen üsusmI äufe Beätinitnt^te ^ala ein »Recht«
und da «der bisherige' Usus eben' rriipdas'flerköminöniöt,^^^
äucb-difse^ als ein UdCÄf, und keht^rfsw^gs ate'dtt 'G^JMli^kdtsV^r*
ArcIuY für Kirchenrecht. XLVIIL 21
322 Hirachel, Rheinhess. Rechtsstreit betr. Mitgebr. einer prot, Kirche.
hältniss anerkannt. Demgemäss wollte das Schreiben ebensowenig,
wie das zweite ürtheil besagt, »etwa das precarium zu einem Rechte
gestalten,« indem es ja unzweideutig den bisherigen usus, das Her-
kommen als ein Recht und zwar als ein solches, welches nicht erst
gestaltet werden sollte, sondern welches, was die Ausdrücke des
Schreibers: bisherig, usus, Herkommen, verbleiben, unzweifelhaft
darthnn, schon längst gestaltet war, schon längst bestand, aner-
kannte.
Auch blieb es, wie bereits hervorgehoben wurde, unerklärlich,
dass bei der vom Oberlandesgerichte jenem Schreiben gegebenen
Auffassung dasselbe in dem erwähnten Schreiben des Ordinariates
ausgesprochene entschiedene Abweisung des Zugeständnisses, dass es
sich hier um eine blose Gefälligkeit handele, stillschweigend hinge-
nommen hätte. Ebenso wäre es unerklärlich, warum das katholische
Pfarramt Planig, sowie das Ordinariat sich geweigert hätten, den
vom evangelischen Kirchen vorstände verlangten Revers, dass »die
Benutzung der Kirche auf geschehenes Nachsuchen nachgegeben
worden sei,« auszustellen, wenn beide angenommen hätten und auch
nur im Entferntesten hätten annehmen können, dass das Schreiben
des evangelischen Pfarrers Engelbach vom 13. Februar 1862, wel-
ches mit Bezugnahme auf die Ver^guug des bischöflichen Ordi-
nariates vom 14. März 1861, in welcher ein »GefäUigkeitsver-
hältniss« entschieden in Abrede gestellt wird, erfolgte, die Be-
deutung und den Sinn habe, welche das zweite ürtheil in demsel-
ben fand.
Mit Bücksicht auf die bisherigen Ausführungen bezüglich des
Schreibens des Pfarrers Engelbach muss es als ein Irrthum ange-
sehen werden, wenn das zweite ürtheil gleichsam als Ergebniss
seiner Erörterungen in Betreff jenes Schreibens des Pfarrers Engel-
bach sagt: »Indem er auf das Herkommen verwies, stellte er da-
mit gerade die Precarietät in den Vordergrund dessen, was er
verlangte und bewilligte.«
Wenn das Erkenntniss des Oberlandesgerichtes schliesslich noch
bemerkt;: »Da nun in gegenwärtigem Processe gerade ein erworbenes
Reeht behauptet wird, so bleibt jenes Schreiben, auch wenn, was
nicht der Fall ist, dasselbe als ein unzweifelhafter Eechtstitel er-
scheinen könnte, für die Begründung der Klage bedeutungslos,« so
beruht diese Aeusserung auf einem doppelten Missverständnisse.
Denn fürs Erste beruft sich die Klägerin mit keiner Sylbe auf jenes
Schreiben als auf einen y>Rechtstitel,^ sondern sie legte , dasselbe vor,
um es als Beweismittel zu gebrauchen, wie es mit den Aufzeich-
Hirschely Rheinhess, Rechtsstreit betr. Mitgebr, einer prot Kirche, 323
nungen in den Kirchenbüchern von Pfaffen-Schwabenheim und mit
den Zeugenaussagen geschah.
Das gedachte Schreiben stellt sich selbst auch nur als eine
Erklärung über den bisherigen Usus und als eine Anerkennung
desselben dar und sollte auch nur dazu diehen, nachsuweisen , in
welcher Weise Pfarrer Engelbach und beziehungsweise der evan-
gelische Kirchenvorstand zu jener Zeit die allseitig zugestandene
Thatsache der Benutzung der Kirche durch die Katholiken auffassten
und ansahen.
Sodann sagt jenes Schreiben selbst ausdrücklich, dass es nicht
ein RecJUstitel sei, nicht ein Recht begründen wolle und solle. Denn
wenn es bemerkt, dass aus der bisher stattgehabten Benutzung kein
weiteres über den bisherigen Usus hinausgehendes Recht begründet
werde, so spricht das Schreiben aufs Klarste aus, dass die bisher
stattgehabte Benutzung, der^ bisherige Usus ein Recht sei^ dieses
also bestehe^ bereits begründet sei, es verwahrt sich nur dagegen,
dass aus diesem Rechte kein weiteres Rechte etwa ein Miteigen-
thumsrecht u. s. w. begründet werde, also ein neues, über das be-
stehende Recht hinausgehendes Recht entstehe. Ganz dasselbe ist
ausgedrückt, wenn es heisst: es solle bei dem Herkommen verblei-
ben. Denn hierdurch wird gerade so unzweideutig die Fortdauer
einer bereits begründeten, bestehenden Uebung ausgesprochen.
Dem Schreiben des evangelischen Pfarrers Engelbach muss ge-
wiss ein grosses Gewicht beigelegt werden, theils weil es ein öffent-
liches Schriftstück ist, theils weil es auf Grund vorausgegangener
Verhandlung zwischen den beiden Theilen und von Jemanden er-
lassen wurde, welcher sowohl die bezüglichen Verhältnisse genau zu
kennen berufen , als auch verpflichtet war, die Ansprüche des einen
Theiles möglichst zu wahren.
Die Bedeutung dieses Schreibens für die Beurtheilung vorlie-
gender Sache wurde auch von beiden Instanzen anerkannt, indem
sie sich mit demselbsn eingehender befassten, ihm aber eine, wie
wir glauben dargethan zu haben, nicht glückliche, vielmehr unhalt-
bare Auslegung gaben.
Wird nun aber nach der gegebenen Darstellung der von der
Klägerin beigebrachte Beweisstoff, wie er sich aus den Urkunden,
nämlich aus den Kirchenbüchern von Pfaffen-Schwabenheim und
Planig, sowie aus dem zuletzt besprochenen Schreiben des evangeli-
schen Pfarrers Engelbach und dann aus den Zeugenaussagen ergibt,
mit dem von der Beklagten gelieferten Beweismateriale , welches
eigentlich nur aus zwei nicht einmal ganz sichern Zeugenangaben
21*
324 Hirschelf Rheinhess. Rechtsstreit hetr, Mitgebr. einer prot Kirche.
besteht, verglichen and berücksichtigt man weiter , dass von Seiten
der Beklagten keine ihr günstige Erklärung, welche aus Urkunden
oder Aussagen der Gegenpartei hervorging, erbracht wurde, während
Klägerin einen bedeutsamen Urkundenbeweis zu fähren und dabei im
Stande war, eine von dem andern Theile ausgegangene Urkunde,
jenes Schreiben des evangelischen Kirchenvorstandes, beziehungsweise
des evangelischen Pfarrers und zwar zur wesentlichen Unterstützung
der klägerischen Behauptungen vorzulegen ; so muss anerkannt wer-
den, dass der von der Klägerin hergestellte Beweis stärker war, als
der Gegenbeweis der Verklagten. .
Wenn nun auch nach dem Ergebnisse der Beweisluhrang der
Anspruch der Klägerin nicht gerade zu als begründet wäre erklärt
worden, weil man dem Gegenbeweise immerhin einiges Gewicht bei-
legte, so wäre doch wenigstens, um eine ausreichende Ueberzeugung
von der Wahrheit der zu beweisenden Thatsachen zu erhalten, nach
§. 437. der Civilprocess- Ordnung der von Gerichtswegen aufzuer-
legende Erfüllungseid am Platze gewesen.
325
XVIII.
Entscheidungen des kgl. bayer, Verwaltungsgerichtshofes
aus dem Jahre 1881.
Mitgetheilt von Prof. Dr. Philipp Hergenröther zu fiichstätt.
(Vergl. ArchiVy Bd. 47. S. 252 ff.)i).
1. Entscheidung vom 15. Juni 1881 (Sammlung Bd. IIL Ä 102 ff.).
Die Bestimmungen der §§. 12 und 14. der II. Verfassungs-
Beilage bleiben hinsichtlich der religiösen Erziehung der Kinder aus
einer gemischten Ehe auch dann^ massgebend, wenn einer der beiden
Ehegatten mit Tod abgeht.
Das in §. 12. a. a. 0. den Eltern in Bezug auf die religiöse
Erziehung ihrer Kinder eingeräumte Recht erstreckt sich nicht auf
die Stiefeltern, .
Das Recht der freien religiösen üeberzeugung und des Be-
kenntnisses derselben (Gewissensfreiheit) kann für Personen, bei wel-
chen vermöge des physischen Alters und der NichtvoUendung der
religiösen Erziehung eine Selbstständigkeit der Üeberzeugung ausge-
schlossen ist, nicht in Anspruch genommen werden. Für die Reli-
gionsverhältnisse derartiger Personen haben nicht die Bestimmungen
in Cap. I. und IL, sondern lediglich jene in Cap. III. des Abschnitt
I. der II. Verf.-Beil. masszugeben.
Aus der Ehe des Maurers Christian Meyer, katholischer Con-
fession , von Frankeneck mit der Elisabeth Roth , protestantischer
Confession, von dort entstammten 4 Knaben und 4 Mädchen. Hin-
sichtlich der religiösen Erziehung ihrer Kinder haben die genannten
Eheleute. nie einen Vertrag geschlossen; die Knaben wurden katho-
lisch, die Mädchen protestantisch getauft und erzogen. Hiebei ver-
blieb es auch anzüglich, als Christian Meyer nach dem Tode seiner
Ehefrau sich am 17. Februar 1877 mit der katholischen Elisabeth
Winter von Moorlautern verehelichte. Am 6. December 1880 aber
erklärte Christian Meyer mit seiner zweiten Ehefrau vor dem katho-
lischen Pfarramte Qrevenhausen (Lambrecht) den Uebertritt der drei
jüngsten Mädchen, Maria, geb. am 26. Nov. 1865, Wilhelmine, geb.
1) »Im Bd. 46. des Archiv S. 143 Z. 1 i^t zu lesen Art. 9. statt 1,
ebendas. Z. 2 nach »Art. 1. des Ges.« fehlt ein Komma; S. 150 Z. 10 nach
»Gesetzes« feht v. 8. Aug. 1878.«
326 Hergenröther, Entscheidungen des Bayer. Verw.-Ger.-Uof, (1881).
am 17, Nov. 1868, und EHsabetha, geb. am 7, Febr. 1872, zur
katholischen Kirche, da sie dieselben nun in der katholischen Reli-
gion erziehen lassen wollten. Der katholische Pfarrer nahm nun
auch die drei Mädchen nach eingeholter Ermächtigung des bischöfl.
Ordinariates Speyer in seinen Religionsunterricht. Auf Beschwerde
des protestantischen Pfarramtes Lambrecht sprach das k. Bezirksamt
Neustadt a./H. am 28. März 1881 aus, die fraglichen drei Mädchen
seien in dem protestantischen Olaubensbekenntnisse zu erziehen;
deren Vater wurde beauftragt, sie an dem öffentlichen protestanti-
schen Religionsunterrichte Theil nehmen zu lassen ; für den Fall des
Zuwiderhandelns wurde Meyer auf Grund des Art. 21. des bayer.
Polizei-Strafgesetzbuches vom 26. DeC. 1871 mit einer üngehor-
samsstrafe von 30 M. bedroht. Gegen diesen Beschluss erhob der
Vater der Mädchen mit seiner Frau rechtzeitig Beschwerde an den
Verwaltungsgerichtshof. In der Beschwerde wurde geltend gemacht,
der §. 14, der IT. Verf.-Beil. könne wohl nur dann die vom k. Be-
zirksamte festgehaltene Auslegung finden, wenn kein Eltemtheil mehr
am Leben -sei , weil ausserdem das Bestimmungsrecht des üeber-
lebenden vernichtet würde; das älteste der 3 Mädchen, obwohl nicht
mehr schulpflichtig, sei noch nicht confirmirt. Das protestantische
Pfarramt erklärte, Marie Meyer sei noch schulpflichtig, der katho-
lische Pfarrer habe aber Marie und Wilhelmine Meyer bereits con-
firmirt (zur hl. Communion zugelassen); die Entscheidung des k.
Verwaltungsgerichtshofes werde sich demnach nur mehr auf Er-
ziehung des jüngsten Kindes zu erstreken haben. Der katholische
Pfarrer erklärte, er habe auf ausdrückliches Verlangen der Eltern,
auch nach erzieltem Einverständnisse mit dem bischöfl. Ordinariate
Speyer und da noch keine endgiltige Entscheidung des k. Verwal-
tungsgerichtshofes getroffen gewesen sei, keinen Anstand genommen,
den Kindern Marie und Wilhelmine Meyer am 24. April 1881 die
hl. C!ommunion zu reichen. Damit dürfte eine Aen^erung der Sach-
lage herbeigeführt sein.
Der Verwaltungsgerichtshof verwarf die Beschwerde und sprach
aus : Die religiöse Erziehung eines Kindes aus einer gemischten Ehe
bestimmt sich entweder nach dem freien, übereinstimmenden, in ver-
tragsmässiger Weise kundgegebenen Willen der Eltern (§. 12.) oder
es tritt die Regelung nach dem Gesetze ein (§. 14. der IL Verf.-
BeiL). Die Bestimmung der Eltern kann nur durch gemeinsame
Willensäusserung beider Theile erfolgen, weil ja, beiden Theilen
vermöge des Elternrechtes die Befugniss zu jener Bestimmung ge-
meinsam zukommt. Die Möglichkeit hiezu wird demnach jedenfalls
Bayer, Verw.-G.-H. 15. Juni 1881 : Kinderziehung aus gem. Ehe» 327
durch die Lebensdauer beider Theile begrenzt. Mit dem Tode der
ersten Ehefrau des Christian Meyer hörte die Möglichkeit auf, nach
der Norm des §. 12. eine Bestimmung über die confessionelle Er-
ziehung der Töchter aus jener Ehe zu treffen ; es muss daher jener
Zustand aufrecht erhalten werden, welcher zur Zeit des Todes ihrer
Mutter der rechtmässige war. Dass von Stiefeltern nicht da^
Recht des §. 12. der II. Verf.- Beil. beansprucht werden könne,
liegt zu Tage. Auch die evientuelle Zwangsanordnung konnte ge-
troffen werden auf Grund des Art. 46. Abs. 1. des Ges. v. 8. Aug.
1878; unrichtig dagegen war es, statt dieser Gesetzesbestimmung
den Art. 21. des bayer. Polizei-Strafgesetzbuches vom 26. Dec. 1871
anzuführen.
Wenn der Verwaltungsgerichtshof ferner sagt, die behauptete
Vorliebe der drei fraglichen Mädchen für die katholiche Religion
könne keinen ^influss üben, da eine Inanspruchnahme des Rechtes
der freien religiösen Ueberzeugung und des Bekenntnisses derselben
für Personen, bei welchen vermöge des physischen Alters und der
NichtVollendung der religiösen Erziehung eine Selbständigkeit der
Ueberzeugung (s. §. 6. der II. Verf. -Beil.) ausgeschlossen erscheint,
unzukömmlich ist; die Thatsache der vollzogenen Communion oder
Confirmation entbehre in diesem Falle für die religiöse Erziehung
der Rechtswirksarakeit und zwar auch in kirchlicher Beziehung: so
bemerken wir dazu ausser dem zur Entscheidung vom 5. Nov. 1880
(Sammlung Bd. II. S. 149) betreffs des letzteren Punktes bereits
früher B«sprochenen ; Marie Stelzer, geboren am 26. Nov. 1865, war
als sie die erste hl. Communion empfing (24. April 1881), bereits
15 Jahre 5 Monate alt. Wenn in diesem Alter »eine selbständige
Ueberzeugung« nicht bestehen kann, so ist eine Grenze überhaupt
nicht dafür festzusetzen. Denn dass erst mit dem 21. Lebensjahre
»eine selbständige Ueberzeugung« stattfinden könne,« wird doch Nie-
mand behaupten wollen , wesshalb dieses Alter nur für die bürger-
lichen Wirkungen des Confessionswechsels massgebend sein kann.
Auch das Corpus Evangelicorum erklärte in einer Vorstellung an
Kaiser Franz I. vom 25. Oct. 1747: »Die evangelische Kirche habe
für den Uebergang von -einer Kirche zur anderen kein gewisses Alter
bestimmt, sondern es komme lediglich auf eine deren vorgesetzten
Lehrer gute Prüfung des. Verstandes an, welcher bei manchen Kin-
dern früher, bei manchen später sich zu zeigen pflege.« Am 12.
April 1751 aber erfolgte zu Regensburg ein Beschluss des Corpus
Evangelicorum, die Evangelischen hätten sich einstimmig darüber
verstanden , dass die anni discretionis blos sodann für erreicht zu
328 Hergenröther, Entscheidungen des Bayer. V erw. -Ger, -Hof. (1881).
erachten seien, wenn ein Kind das 14. Jahr wirklich vollendet habe.
Gegen die ßestinaraung der II. Verf.-Beil. §. 6. hat Papst Pias VII.
am 13. Januar 1819 ausdrücklich Beschwerde geführt. Im Wider-
spruch mit der in der Verfassung (Tit. IV. §. 9.) und im Religions-
edict (IL Verf.-Beil. §. 1. 5.) gewährleisteten Gewissensfreiheit er-
scheint es uns jedenfalls, wenn der Thatsache der vollzogenen Com-
muüion oder Confirmation die Rechtswirksamkeit auch in kirchlicher
Beziehung abgesprochen wird. Denn es kann der weltlichen Macht
verfassungsmässig nicht zustehen, dasjenige, was kirchlich giltig ist,
kirchlich zu annuUiren. (Vgl. Archiv Bd. OO- S. 256 f.)
J2. Entscheidung vom 10. Juni 1881 (Sammlung Bd. IIL S. 83 ff.).
Die Bestimmung über die religiöse Erziehung eines unehelichen
Kindes steht in der Regel d^r Mutter zu.
Das durch §. 21. der II. Verf.-Beil. dem natürlichen 'Vater
eingeräumte Recht zu dieser Bestimmung tritt nur ausnahmsweise,
nämlich dann ein, wenn seitens des natürlichen Vaters eine Aner-
kennung des Kindes in rechtswirksamer Weise erfolgt ist. In letz-
terer Beziehung haben die Grundsätze der einschlägigen bürgerlichen
Gesetzgebung Mass zu geben.
Im rechtsrhein. Bayern ist die Anwendung des §.21. der IL
Verf.-Beil. jedenfalls als ausgeschlossen zu erachten, wenn bei einer
freiwilligen Anerkennung der Vaterschaft von Seite des natürlichen
Vaters die diesbezügliche Erklärung nicht in einer öffentlichen Ur-
kunde vor dem zuständigen Gerichte oder dem Standeebeamten
stattgefunden hat, sondern nur eine Privaterklärung oder eine
Erklärung vor einer Verwaltungsbehörde erfolgt ist.
Johann Jakob StelJser aus Nürnberg, Protestant, meldete sich
am 7. August 1877 beim Stadtmagistrat Nördlingen und 'stellte
zwei Kinder vor, Franziska, geboren zu Niedergemünden in Oberhessen
am 20. Januar 1870 und in der dortigen protestantischen Kirche
getauft, und Konrad, geboren zu Grossenlüder in Kurhessen am 8.
April 1871 und daselbst in der katholischen Kirche getauft. Er
bezeichnete sie als von ihm mit Maria Reichert aus Nördlingen
(katholisch) erzeugt, mit welcher er 21 Jahre zusammengelebt habe.
Die Mutter war am 18. Juli 1877 zu Reibehausen in Preussen,
seinem letzten Aufenthaltsorte, gestorben. Stelzer erklärte, er habe
bisher die Kinder und ihre Mutter verpflegt, könne für die beiden
Kinder, von welchen noch keines die Schule besuche, aber fernerhin
nichts mehr thun. , Der Stadtmagistrat brachte die Kinder im dor-
tigen Waisenhause unter. Stelzer hatte sich entfernt und war nicht
Bayer, Verw.-GrlL 10. Juni 1881 : Relig,- Erziehung unehel. Kind. 329
mehr aufzufinden. Der aufgestellte Vormund sprach sich für Er-
ziehung Beider in der protestantischen Religion aus, weil sie in einem
protestantischen Waisenhaus untergebracht seien ; das k. Stadt- und
Landgericht Nördlingen beantragte, beide in der katholischen Con-
fession erziehen zu lassen, das Mädchen, weil die Mutter hatholisch
gewesen, den Knaben, weil derselbe im Einverständnisse seiher Eltern
katholisch getauft, von dem natürlichen Vater weder in einer ge-
richtlichen oder notariellen noch in einer standesamtlichen Urkunde
anerkannt worden sei und weil sich der Vater der Kinder entledigt
habe. Der Stadtmagistrat beschloss jedoch, Franziska sei katholisch,
Konrad protestantisch zu erziehen. Für Letzteres wurde als Grund
angeführt, dass das Anerkenntniss der Vaterschaft aus den pfarr-
amtlichen Mittheilungeo und aus den Angaben des Stelzer vor dem
Stadtmagistrat Nördlingen hervorgelie, daher §. 21. der IL Verf.-
Beil. in seinem ersten Theile in Verbindung mit einer Ministerial-
eutschliessung vom 12. April 1850 (V.-O.-S. Bd. 23. S. 30) anzu-
wenden sei, weil die Feststellung der Vaterschaft durch richterliches
Erkenntniss oder durch gerichtliche Anerkennung nicht als geboten
erscheine. (Im Geburtsregister fand sich Konrad Stelzer als Sohn
des Eisenbahnarbeiters Jakob Stelzer und der Maria Reichert einge-
tragen. Die Geburt war von der Hebamme angezeigt worden, welche
den Stelzer als Ehemann der Reichert eintragen liess; ersterer war
bei dem Pfarramte nicht erschienen.) Die k. Regierung von Schwaben
und Neuburg entschied sich für den Beschluss des Stadt magistrats
und sprach aus, dass für die Anerkennung der Vaterschaft keine be-
stimmte Form vorgeschrieben sei; kein Gesetz fordere die gericht-
liche, notarielle oder vertragsmässige Anerkennung. Gegen diesen
Bescheid wurde von der Obervormundschaftsbehörde, dem k. Stadt-
und Landgericht Nördlingen und von dem katholischen Stadtpfarr-
amt Nördlingen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass Konrad Reichert in der
katholischen Religion zu erziehen sei, • Nach einer Erörterung über
die Entstehung des §.21. der IL Verf.-Beil. und die späteren Mi-
nisterial-Entschliessungen wird in diesem Erkenntniss ausgesprochen :
Die Bestimmung über die religiöse Erziehung eines unehelichon
Kindes als ein Bestandtheil des Erziehungsrechtes und der Er-
ziehungspflicht im Allgemeinen steht als Regel der unehelichen
Mutter zu. Ein ausnahmsweises Recht zu fraglicher Bestimmung
gewährt §. 21. der IL VerL-Beil. dem natürlichen Vater des unehe-
lichen Kindes dann, wenn er dasselbe anerkannt hat. Die. Anerken-
nung muss in rechtswirksaraer Weise erfolgen. Als solche rechts-
330 Hergenröther, Entscheidurigen des Bayer, Verw^-Ger.-Hof. (1881).
wirksame Anerkennung war ursprünglich wohl nur die freiwillige
Anerkennung des Kindes durch den natürlichen Vater nach den
Grundsätzen des französischen Rechtes unter den dort bestimmten
Voraussetzungen und mit dem damit verknüpften Erwerbe von Rech-
ten gegen das Kind in Aussicht genommen. Die zum Vollzuge des
§. 24. des Religionsedictes vom 24. März 1809 ergangene Ent-
sehliessung des k. Staatsministeriums des Innern vom 9. März 1818
hatte wohl noch diese Rechtsgrundlage. Ebenbezerchnete Bestim-
mung des Religionsedictes vom Jahre 1809 ist unverändert als Vor-
schrift des §. 21. der II. Verf.-Beil. vom 26. Mai 1818 bestehen
geblieben. Letztere bildet allgemeines verfassungsmässiges Recht
des Landes, während das französische Civilrecht nur für einen kleinen
Bruchtheil des Staatsgebietes Geltung hat. Für die Anwendbarkeit
der besagten verfassungsmässigen Bestimmung und der hiernach sich
ergebenden öffentlich rechtlichen Ansprüche müssen jedenfalls die
Grundsätze der einschlägigen Civilgesetzgebung über Anerkennung
der Vaterschaft an natürlichen Kindern als massgebend erachtet
werden. Im diesseitigen Bayern entstehen durch eine freiwillige
Anerkennung der Vaterschaft dem unehelichen Vater gegen das
Kind keine Rechte, speciell keine Erziehungsrechte, es erwächst
demselben daraus nur die Verpflichtung zur Ernährung des Kindes.
(Vgl. Both, bayer. Civilrecht, 1871, Bd. I. §. 83 ff.) Wenn hienach
Zweifel erhoben werden könnten, ob im diesrheinischen Bayern für
die Anwendung der fraglichen Bestimmung des §. 21. der II. Verf.-
Beil. nach der Intention ^ welche derselben bei ihrer Entstehung zu
Grunde lag, die civilrechtlichen Voraussetzungen überhaupt gegeben
sind,' so ist diese Anwendung doch jedenfalls und auch im Sinne der
bisherigen Praxis wesentlich und in erster Linie dadurch bedingt,
dass eine Pateruitätserklär^ing des unehelichen Vaters in rechts-
wirksaraer Weise erfolgt ist. Bei einer freiwilligen Anerkennung der
Vaterschaft von Seite des unehelichen Vaters kann dies tiur dann
angenommen werden, wenn die Paternitätserklärung in einer öffent-
lichen Urkunde vor einer zuständigen Gerichtsbehörde oder dem
Civilstandsbeamten (nun nach Massgabe des §. 25. des Reichsge-
setzes vom 6. Februar 1875) stattfindet. Eine Privaterklärung oder
eine von einer Polizeibehörde abgegebene Erklärung kann demnach
keinesfalls als zulänglich erächtet werden. Eine Anerkennung des
Knaben Konrad Reichert durch Joh. Jak. Stelzer hat bei der Auf-
nahme des Geburtsprotocolles seitens des katholischen Stadtpfarr-
amtes Grossenlüder nicht stattgefunden ; Stelzer war hiebei selbst
nicht gegenwärtig; die Angabe der Hebamme war ganz unrichtig;
Bag. Verw.-G.-H. 9. Febr. 1681: Rel.-Erz.; 28. Jan. 1881: 8lift.-Kap. 331
eine Ermächtigung derselben zu jener Angabe ist. nicht constatirt«
In der Protocollerklärung des Stelzer vor dem Stadtmagistrate N^rd-
litigen kann eine rechtswirksarae Anerkennung der Vaterschaft nicht
erblickt werden, denn es fehlte der genannten Behörde an der Zu-
ständigkeit, eine solche Erklärung rechtswirksam entgegen zu neh-
men; ausserdem bestand bei Stelzer augenfällig nicht die geringste
Absicht dazu. Ein weiterer dessfallsiger Akt des Stelzer liegt aber
nicht vor. Es fehlt daher an jener gesetzlichen Voraussetzung, die
unter allen Umständen erfüllt werden muss, wenn ein ausserehelicher
Vater die Berechtigung erlangen soll, bestimmend auf die religiöse
Erziehung seines unehelichen Kindes einzuwirken.
3. Entscheidung vom 9. Febr. 1881 (Sammlung Bd. IL S. 338 ff,)-
Die Zurücknahme einer zum Verwaltungsgerichtshof eingereidi'-
ten Beschwerde, welche auch durch Telegramm erfolgen kann, bat
den dauernden Verlust dieses Rechtsmittels zur Folge.
Aus diesem Grande wurde die Beschwerde des k. Hittmeistern
Otto Prhr. v. Roman zu Anspach, die religiöse Erziehung der erst-
. ehelichen Kinder desselben betr., abgewiesen. Derselbe hatte näm-
lich seine Beschwerde durch Telegramm vom 3. August 1880 mit
den Worten »bitte um Zurücknahme meiner Beschwerde« zurückge-
nommen, wollte aber das. im Telegramm gestellte Gesuch 23. Sep-
tember 1880 wieder zurücknehmen. Durch den bedingungslosen
Verzicht ging das Recht d«r Beschwerde dauernd verloren.
4. Entscheidung vom 28. Jan. 1881 (Sammlung Bd. IL S\ 526 ff.).
Zur letz tinstanziellen Bescheidung der Beschwerde einer Kirchen-
verwaltung wegen Nicht-Gen«hmigung der Verwendung von Stiftungs-
kapitalien zur Bestreitung von gesetz massigen Ausgaben der Kirchen-
stiftung ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig.
Die Kirchenverwaltung Weissen kirchberg hatte beschlossen, zur
Deckung der Concurrenzquote für Reparatur des Schulhauaes im Be^
trage von 3867 M. 25 Pfg. Kapitalien der Kichenstiftung zu 3686 M;
75 Pfg. zu verwenden, da diese Kapitalien nur erspartes^ aber kein
Stammvermögen der Kirchenstiflung sei, dör Stiftungszweck auch
ohne die Zinsen aus denselben erfüllt werden könne, und den noch
fehlenden Concurrenzbeitrag von 181 M. 54 Pfg. durch die Mehr-
einnahmen der Stiftung aus ihren Grundstücken zu decken. Die
k. Regierung von Mittelfranken aber verweigerte die Genehmigung
dazu. Darauf erhob die Kirchenverwaltung Beschwerde an den Ver-
waltuhgsgerichtshof. Dieser erklärte sich unzuständig, da die Er-
332 Hergenröther, Entscheidungen des Bayer. Verw,'Ger,-Hof. (1881).
theilung oder Nichtertheilung der Genehmigung lediglich dem Gut-
befinden der zuständigen Behörden anheimgegeben sei; es sei dies
eine Frage des freien Ermessens, welche nach der ausdrücklichen
Vorschrift in Art. 13. Abs. 1. Zifif. 3. des Ges. vom 8. Aug. 1878
der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes entrückt sei. . (Vgl.
Archiv 1881 S. 145.)
5. Entscheidung vom 7. Jan. 1881 (Sammlung Bd. IL S, 436 ffj.
Wenn in einer Gemeinde auf Grund des in rechtsförmlicher
Weise testgestellten Jahres- Voranschlags der Einnahmen und Aus-
gaben und der hiezu gefertigten staatsaufsichtlich geprüften und
rechnerisch beschißdenen Rechnungen Umlagen erhoben werden und
ein Umlagen- Pflichtiger seine Theilnahme an diesen Umlagen unter
nachträglicher Beanstandung, des Voranschlags und der Eechnungen
verweigert, so liegt eine Streitsache vor, deren Entscheidung nach
den gesetzlichen Vorschriften über das verwaltungsrechtliche Ver-
fahren, somit von der Kreisregierung durch den verwaltungsrecht-
lichen Senat nach öffentlich- mündlicher Verhandlung zu erfolgen hat.
Der Müller Johann Wolfgang HofiFmann von der Rohrraühle
beschwerte sich mit Eingabe vom 21. Sept. 1879 beim Bezirksamte
Ansbach über eine Zahl von Rechnungsansätzen der Gemeinde- und
Schulkasserechnung von Grafenbuch für 1878, bezüglich deren er
sich als Gemeindeforense nicht für concurrenzpflichtig erachten könne,
und bat, das Bezirksamt wolle das Geeignete zur Richtigstellung der
Rechnung verfügen, sowie die Gemeindeverwaltung zum Rückersatz
des von ihm zu viel erhobenen Umlagenbetrages verhalten. Der An-
trag wurde abgewiesen, weil Hoflfmann seine Erinnerungen gegen die
gemeindlichen Rechnungen nicht innerhalb der öffentlichen Auflage
derselben -erhoben , sonach die vorgesetzte Ausschlussfrist versäumt
habe und die fraglichen Rechnungen längst revidirt und bestätigt
seien. Auf die Beschwerde an die k. Regierung von Mittelfranken
vom 18. Dec. 1870 entschied diese 21. April 1880 ini Bureauwege.
Der Verwaltungsgerichtshof entschied , die Entschliessung der Re-
gierung sei aufzuheben und der Gegenstand an die genannte Kreis-
regierung zur neuerlichen ordnungsmässigen Verhandlung und Be-
scheidung zurück zu verweisen.' Der k. Regierung lag eine nach
Art. 8. Zift. 30 und 38 des Ges. v. 8. Aug. 1878 als Verwaltungs-
Rechtssache erklärte Streitsache zur Entscheidung vor. Bei der vor-
wiegend verwaltungsrechtlichen Natur des der Vorinstanz zur Ent-
scheidung vorgelegenen Streitgegenstandes war dieselbe verpflichtet,
bei dem von ihr einzuschlagenden Verfahren die Bestimmungen des
Bayer, Verw.-G.-H, 7, Januar^ 25, Februar^ 21, Januar 1881, 333
Art. 16 ff., dann des Art. 31. Abs. 2 und 3. und Art. 33. des an-
geführtep Gesetzes in Anwendung zu bringen und sonach die Ent-
scheidung nicht im Bureauwege, sondern im verwaltungsrechtlichen
Senate auf Grund öffentlicher und. mündlicher Verhandlung zu tref-
fen, wobei auch die mit der verwaltungsrechtlichen Streitfrage ver-
bundenen anderen adjuinistrativen Fragen ihre Bescheidung zu finden
hatten. Die Ausserachtlassung dieser gesetzlichen Vorschriften im
Zusammenhalte mit den §§. 12 u. ff. Der bezüglichen VöUzugsvor-
schriften vom 1. Sept. 1879 erscheint als Verletzung einer wesent-
lichen gesetzlichen Förmlichkeit und begründet sonach eine Nichtig-
keit der vorinstanziellen Entschliessung vom 21. April 1880.
6. Entscheidung vom 25, Febr. 1881 (Sammlung Bd, IL 8, 546 ff.).
In dieser Entscheidung wurden dieselben Grundsätze ausge-
sprochen wie in der vom 3. August 1880 (Sammlung Bd. IL S. 9)
in der Sache, Beschwerde der Protestant. Kirchfenverwaltung Gefrees
wegen Kirchengeraeinde-ümlagen zum dortigen Pfarrhof- und Kirchen-
bäu betr. {Archiv Bd. 47. S. 260 f.)
Die gräfliche Standesherrscbaft Castell-Rüdenhausen wurde vom
Bezirksamt Gerolzhofen umlagenpflichtig in der protestantischen
Kirchengemeinde Abtswind erklärt. Die Regierung von ünterfranken
und Aschaffenburg sprach sie frei davon. Die dagegen von der
Kirchenverwaltung Abtswind erhobene Beschwerde wurde vom Ver-
waltungsgerichtshof verworfen. Die genannte gräfliche Standesherr-
schaft besitzt nämlich im Bezirke der protestant. Kirchengemeinde
A. ein Jagdschloss mit Grundstücken, ohne aber daselbst zu wohnen.
Sie ist sonach auch nicht Mitglied der protestant. Kirchengemeinde
A. und daher auch nicht schuldig, zu jenen Umlagen zu concurriren,
welche von Kirchengemeindegliedern in A. alljährlich auf Grund des
Kirchengemeindebeschlusses vom 20. Juli 1870 zur Deckung der
Kirchenbedürfnisse zu entrichten sind.
7. Entscheidung vom 21, Jan, 1881 (Sammimg Bd. IL Ä 494).
Die Verordnung vom 20. Nov. 1815, die Vermehrung der Blitz-
ableiter betr., gehört dem öffentlichen Rechte an, ist mit Gesetzes-
kraft versehen und ist durch kein späteres Gesetz als aufgehoben zu
erachten.
Bestrittene Rechtsansprüche und Verbindlichkeiten bezüglich
der Herstellung von Blitzableitern auf den Gebäuden der Gemeinden,
Kirchen und Stiftungen sind keine Verwaltungsrechtssachen im Sinne
des Art. 8. des Ges. vom 8. August 1878.
384 Hergenröiher, Entscheidungen des Bayer, Verw.-Ger.-Hof. (J881).
Auf Grand des' Art. 10. Ziff. 2. genannten Gesetzes können
Gemeinden wegen Beiziehang zu den Kosten znr Herstellang von
Blitzableitern anf den Earchthürmen nur dann die letztinstanzielle
Entscheidung des Verwaltnngggeriehtshofes anraten, wenn diese Bei-
ziebnng im Wege des staatsanfsichtlichen Verfahrens nach den Vor-
schriften des Art. 157. der Gemeindeordnnng fnr die Landestheile
diesseits des Rheines vom 29. April 1869 erfolgt ist
Die letzterwähnten Vorschriften finden anf staatsanfsichtliche
Verf&gungen gegenüber den Kirchenverwaltangen and Kirchenge-
meinden keine Anwendung.
Die Bes^^hwerde der Kirchenverwaltnng und Gemeindeverwaltung
Reicholzried gegen die Entscheidung der Regierung von Schwaben
und Neuburg vom 16. Mai 1880, welche Kirchenstiftung und poli-
tische Gemeinde zu gleichen Theilen zu den Kosten für Wiederher-
stellung des abgerissenen Blitzableiters auf dem Kirchthurm daselbst
verpflichtete, wurde abgewiesen und ausgesprochen : Die Entscheidung
über den von Kirchen- und Gemeindeverwaltung gegen das Staats-
ärar erhobenen Anspruch stutze sich auf privatrechtlicjien Titel, ge-
höre vor die Gerichte und sei der Zuständigkeit des Verwaltungs-
gerichtshofes nach Art. 13. Abs. 1. Z. 1. des Ges. vom 8. August
1878 entrückt; die Anschauung der Kirchenverwaltung, welche die
Anwendbarkeit der Verordnung vom 20. Nov. 1815 auf das Kirchen-
gebäude in E. bestritt, weil die nun schadhafte Blitzableitung be-
reits vor dem J. 1815 eingeri'chtet gewesen sei und durch die ge-
nannte Verordnung nicht auch Bestimmungen für bereits bestehende
Blitzableitungen hätten gegeben werden wollen, widerspreche der
Absicht und dem Sinn der Verordnung vom Jahre 1815, welche
— allerdings abgesehen von etwa bestehenden privatrechtlichen Ver-
pflichtungen — die rechtlichen Verhältnisse bezüglich der Herstel-
Inng und Unterhaltung von Blitzableitungen anf grösseren Kirchen-,
Gemeinde- und Stiftungs-Gebäuden sowie die bezüglich der Kosten-
attfbringung hiefür im Allgemeinen für die Zukunft zu regeln und
festzusT;ellen bezweckte.
S. Entscheidung vom 21. Jan. 1881 (Sammlung Bd. IL S. 501 ff.).
Die allgemeinen Grundsätze über Rechtskraft und deren Wir-
kung finden auch auf staatsaufsichtliche Beschlüsse und Verfügungen
der Verwaltungsbehörden Anwendung, in welchen über das Bestehen
oder Nicht-Bestehen von gesetzlichen Verpflichtungen der Gemeinden
Entscheidung getroffen wird.
Einwendungen gegen staatsaufsichtliche Aufforderungen im
Bayer. Verw.-G.-H. 21. Jan. 1881: Wirk. d. Rechtsktaft ataatl Verf, 335
Sinne des Art 157. Abs. 5. der diesrhein. Gemeindeordnung sind an
die 14tägige Beschwerdefrist nicht gebunden.
Eine Ministerialentschliessung vom 24. Juni 1874 hatte aus-
gesprochen, dass im Hinblick auf Art. 38 und 206. der diesrhein.
Gemeindeordnung vom 29. April 1869 eine Verwaltungspflicht der
Stadtgemeinde Waldmünchen, den im Eigenthum der letzteren stehen-
den Pfarrkirchenthurm durch Anbringung eines Blitzableiters gegen
Brandschaden sicher zu stellen, nicht anerkannt zu werden vermöge
und hatte desshalb unter Abänderung der Begierungsentschliessung
vom 14., April 1874 bestimmt, dass wegen Anbringung eines Blitz-
ableiters auf dem Pfarrkirchenthua-m Waldmünchen gegen die dortige
Gemeinde zwangsweise nicht zu verfahren sei. Am 6. April 1880
hatte die k. Regierung der Oberpfalz und von Regensburg dagegen
folgende bezirksamtUche Verfügung vom 26. September 1879 be-
stätigt : a) die Kirchenverwaltung W. wird beauftragt, auf der Pfarr-
kirche daselbst einen Blitzableiter gegen Vollzugsanzeige binnen, 6
Wochen herstellen zu lassen; b) der Stadtmagistrat W., bezüglich
Herstellung des Blitzableiters auf dem Thurm der Pfarrkirche und
bezüglich der Bestreitung der Kosten hiefür mit der Kirchenverwal-
tung in's Benehmen zu treten.« Der Verwaltungsgerichtshof setzte
die k. Regierungsentschliessung vom 6. April 1880 ausser Wirksam-
keit, da bei der Rechtskraft der MinisterialentachJiessung v. 24, Juni
1874 die gegen die Regierungsentschliessung vom 6. April 1880 vom
Stadtmagistrat W. erhobene Beschwerde als begründet erachtet wer-
den musste. Die Versäumniss der 14tägigen Beschwerdefrist be-
zeichnete der Verwaltungsgerichtshof als unschädlich , weil fragliche
Verfügung eine sechswöchentliche Vollzugs- Anzeigepflicht vorgesetzt und
somit hat angenommen werden können, es sei damit auch zugleich
die Beschwerdefrist bestimmt worden. Deberhaupt lief dem Stadt-
raagistrate gegen die Verfügung vom 26. Sept. 1879 keine Be^
schwerdefrist und konnte eine solche nicht von ihm versäumt wer-
den; denn diese Verfügung charakterisirt sich nur als Instructions-
verfügung im Sinne des Abs. 5. des Art. 157, der diesrhein. Ge-
meindeordnung vom 29. April 1869, nicht aber als instanzielle
Aufsichtsverfügung nach Abs.- 6. a. a. 0.
9. Entscheidung vom 22. April 1881 (Sammlung Bd. IL 8. 697 ff.).
In der Pfalz kommt einem protestantischen Pfarrer nur inso-
lange, als er sich im Besitze der Pfarrei befindet, die Verwaltung
des Pfründevermögens, die Wahrung der Rechte und Interessen der
Pfründe, sowie der Genuss aller Einkünfte derselben zu. Mit dem
386 HergenrOther, Entscheidungen des Bayer, Vei-VJ.-GeK-Hof, (1881).
Zeitpunkte seiner Ernennung auf eine andere Pfarrei geht das Recht
der Vertretung seiner bisherigen Pfründe auf den Pfründe-Nachfolger,
beziehentlich bis zur Ernennung des letzteren auf den Verweser der '
Pfründe über.
Dagegen kann dem bisherigen Pfründeinhaber das Recht nicht
abgesprochen werden, auch nach dem Zeitpunkte seiner Ernennung
auf eine andere Pfründe in einem eingeleiteten Streitverfahren jene
Ansprüche weiter zu verfolgen, welche er für seine Person aus der
Zeit seiner Pfründenutzniessung erhoben hat.
Den Protestant. Presbyterien sind zwar bezüglich des pfarr-
lichen Pfründevermögens gewisse •üeberwachungsrechte , aber nicht
das* Recht der Verwaltung der Pfründe oder ein ausschliessliches
Recht zur Vertretung der letzteren eingeräumt.
Der Pfründebesitzer hat für seine Person nur Anspruch auf
die ihm decretmässig zugewiesenen fassionsmässigen Bezüge der
Pfründe.
Die Beschwerde des Pfarrer Kreraer von KirchheimBolanden
gegen den Bescheid der Regierung der Pfalz vom 29. Mai 1880
wurde 1) soweit sie für die Pfarrpfründe Odenbach die Anerkennung
des Rechtes auf den Bezug eines jährlichen Weindeputates von 7
Ohm 4 Viertel 3 Mass 1^/20 Schoppen aus dem Kirchenschaffneifonde
Obermoschel und in Folge dessen die Zahlung eines jährlichen Aequi-
valents hiefür von 120 M. an den jeweiligen Pfründeinhaber bean-
tragt, als unzulässig^ 2) soweit sie die persönlichen Ansprüche des-
selben auf die für die Zeit von 1866 — 1879 verfallenen Jahresbezüge
dieses Weindeputates betrifftt, als uhbegründei abgewiesen. Denn
mit dem Zeitpunkte der Ernennung zum Pfarrer einer anderen
Pfarrei (13. April 1880) gingen für Kremer die Befugnisse verloren,
für die Pfarrpfründe Odenbach .als deren gesetzlicher Vertreter auf-
zutreten. Es stand ihm daher gegen den Regierungsbescheid von)
29. Mai 1880 nicht mehr die Vertretung der Pfarrei Odenbach
(seiner frühern Pfarrei) zu. Den Presbyterien aber ist nirgends ein
Verwaltungsrecht in Bezug auf die Pfründe selbst oder ein aus-
schliessliches Recht zur Vertretung derselben eingeräumt. Für seine
Person als Nutzniesser der Pfarrei Odenbach kann der Pfarrer Kremer
jedoch auch nach dieser Zeit seine Ansprüche im eingeleiteten Rechts-
verfahren weiter verfolgen, welche er für seine Person und aus der
Zeit seiner Nutzniessung der Pfarrpfründe Odenbach erhoben hat.
Allein die fraglichen Reichnisse wurden schon seit mehr als 60 Jahren
Seitens des Obermoschler Schaflfneifondes nicht mehr an die Pfarrei
Odenbach gewährt oder von ihr geltend gemacht. Sie bilden weder
Bayer. Verw.-GrH. 1, Juni 1882: Gemeindelasten f. Schulzwecke. 337
zur Zeit, in welcher die Pfarrei dem. Beschwerdeführer verliehen
wurde , noch dermalen einen Theil der fassionsmässigen Pfarrein-
künfte. Kremer hatte nur Anspruch auf die ihm decret'mässig zu-'
gewiesenen fassionsmässigen Einkünfte ; diese hat er erhalten.
10. Entscheidung vom 1 Juni 1881 (Sammlung Bd. IIL S. 59 ff.).
Streitigkeiten über die Verbindlichkeit einzelner Angehörigen
einer Gemeinde zur Theilnahme an den die Gemeinde trefienden
Lasten für Schulzwecke fallen unter .Art. 8. Ziff. 38; Streitigkeiten über
die Verpflichtung der Gemeinde selbst zur Theilnahme an den Lasten
für eine bestimmte Schule fallen unter Art. 10. Ziff. 19. des Ges.
vom 8. August 1878.'
Die Thatsache^ dass einzelne Angehörige einer Gemeinde, aus
was immer für einem Grunde, sich von der Schuleinrichtung ihrer
Gemeinde losgetrennt haben und mit einer fremden Gemeinde wegen
Benützung der dortigen Schule in Verbindung getreten sind, kann
zwar für diese einzelnen Gemeindeangehörigen rechtliche Folge haben
und unter Umständen auch auf die Beziehungen zu ihrer Gemeinde
von Einfluss sein, vermag aber in keinem Falle für sich allein beim
Mangel einer besondern Vereinbarung für jene Gemeinde als solche
eine Verpflichtung gegenüber der derselben fremden Gemeindeschule
zu begründen.
Die protestantische Schule in der Gemeinde Wörschweiler wird
auch von den Kindern der Ortschaft Schwarzenacker, zur, Gemeinde
Einöd-Ing weiter gehörig, besucht. Zu einem Neubau des Schulhauses
1834 wurde ein verfügbares Kapital der Gemeinde Wörschweiler von
571 fl. 38 kr. ,.ein Kreisfondszuschuss vön/500 fl. verwendet, der
benöthigte Rest zu 702 fl. 22 kr. war nach Entschliessung dar^k.
Regierung des Rheinkreises durch Umlagen von den Einwohnern zu
Wörschweiler, Schwarzenacker und Schwarzenbach zu erheben. Auch
die jährlichen Ausgaben für die Schule wurden früher wie Gleich-
stellungsumlagen nach der G^sammtsteuer der zum Schulbezirke ge-
hörigen Ortschaften und Höfe repartirt. Unter dem 2. September
1859 beschloss jedoch der Gemeinderath Wörschweiler, dass diese
Ausgaben, sowie der Gehalt des Lehrers, insoweit sie nicht durch
Kreisfondszuschüsse und das Schulgeld gedeckt werden, jährlich nach
der Zahl der die* Schule besuchenden Kinder auf die betreffenden
Gemeinden zu repartiren öeien, welchem Beschluss der Gememderath •
von Schwarzenbach zustimmte. Als aber im December 1869 die
Gemeinde Einöd-Ingweiler zur Zahlung von 11 fl. 51 kr. angehalten
wurde als Beitrag zu den Ausgaben für die Schule, das SchuWiaus
Arohiv für Kirclienrecht. XLVIII, * 22
338 Hergenröther, Entscheidungen des Bayer, Verw.-Ger,'Hof. (1881).
und das Schulgnt zu Wörschweiler pro 1868 , verweigerte der Ge-
meihderath von Einöd-Ingweiler 24. Dec. 1869 die Zahlung sowie
• jeden weiteren Beitrag zu den Schulausgaben von Wörschweiler aus
der Gemeindekasse von Einöd-Ingweiler, weil. diese Gemeinde weder
mit dem Schulgute noch mit dem Schulhause in Wörschweiler etwas
zu thun liabe. Das k. Bezirksamt Zweibrücken entschied am 15. März
1870, dass diese Kosten von den jeweiligen Eltern schulpflichtiger
Kinder der beiden Höfe, Schwarzenacker und Audenkellerhot, über-
nommen werden müssten, falls die betreffenden Eltern nicht vor-
zögen, ihre Kinder die Schule zu Einöd-Ingweiler besuchen za
lassen. Auf eine neuerliche Forderung von 82 fl, 9 kr. er-
klärten die Bewohner von Schwarzenacker 23. October 1875: Ihre
Kinder besuchten schon über 100 Jahre die Schule *zu Wörschweiler
und noch nie sei eine solche Forderung erhoben worden. Ihre Vor-
eltern hätten durch die freiwillig zum Schulhausbau geleisteten Bei-
träge nur für ihre und ihrer Nachkommen Kinder das Kecht be-
gründet, gegen Entrichtung des laufenden Schulgeldes die Schute in
Wörschweiler zu besuchen. Von einem Eigenthumsrechte an dem
Schulhause sei nie die Bede gewesen, sie beanspruchten auch solches
nicht und bestünden nur auf dem bisher ausgeübten Eechte. Das
k. Bezirksamt erklärte sie darauf für entbunden von der Beitrags-
pflicht. Nach der dagegen erhobenen Beschwerde an die k. Re-
gierung von der Pfalz erklärten jedoch die Bewohner von Schwarzen-
acker, dass sie von ihrem früheren Standpunkte abgekommen und
nunmehr entschlossen seien, das von ihren Voreltern erworbene
Eigenttumsrecht am Schulgebäude zu Wörschweiler nicht aufzugeben.
Die k. Regierung traf nun Entscheidung dahin , dass die Bewohner
von Schwarzenacker zu den Kosten für Unterhaltung des Schulhauses
zu W. wie auch zu den in Art. 20. der Verordnung vom 20. August
1817 bezeichneten Ausgaben für die genannte Schule beizutragen
haben. Der Gemeinderath von W. forderte an rückständigen Bei-
trägen von 1869 bis 1878 die Summe von 1063 M. 92 Pfg., sodann
noch 169 M. Zinsen aus den Rückständen. Der Gemeinderath von
Einöd-Ingweiler verweigerte die Zahlung. Das k. Bezirksamt er-
liess 26. Juli 1880 Beschluss: die. politische Gemeinde Einöd-Ing-
weiler hat den von den Schulausgaben in W. auf die Ortschaft
Schwarzenacker entfallenden (vom Gemeinderath W. inzwischen ermäs-
sigten) betrag von 1025 M. 66 Pf^. der Gemeinde W. zu ersetzen.
Die Gemeinde Einöd-Ingweiler ist auch fernerhin, solange die Ort-
schaft Schwärzenacker zu fraglichem Schulsprengel gehört, ver-.
pflichtet, zu den Schulausgaben in Wörschweiler beizutragen. Dieser
Bayer, Verw.^G.-H* 8. April 1881: Smg,- und Läutgeld für Lehrer. 339
Beschluss wurde voa der k. Regierung am 10. Sept. 1880 bestätigt.
Auf die vom Gemeinderathe von Einöd-Ingweiler erhobene Be-
schwerde sprach der k. Verwaltungsgerichtshof aus, die Gemeinde
Einöd-Ingweiler sei nicht schuldig, zu den Ausgaben für die Schule
in Wörschweiler beizutragen, demzufolge auch. nicht gehalten, den
Betrag von 1025 M. 66 Pfg. zu ersetzen; die Gemeinde Wörsch-
weiler habe die Kosten dieser Instanz einschliesslich der der Gegen-
partei erwachsenen Kosten zu tragen. Die Gründe dieser Ent-
scheidung sind die Eingangs angeführten. Der Einwand der Be-
schwerde, dass die Regierungsentschliessung durch den verwaltungs-
rechtlichen Senat hätte erfolgen sollen, ist unbegründet, weil kein
Streit über die Verbindlichkeit einzelner Gemeindeangehörigen zur
Theilnahme an den diese Gemeindeangehörigen treffenden Lasten be-
steht, sondern die Verpflichtung der Gemeinde selbst in Bezug auf
die Concurrenz zur besagten Schule bestritten ist; Streitigkeiten
dieser Art aber unter den Gesichtspunkt des Art. 10. Ziff. 19, und
nicht Ziff. 38. des Art. 8. des Ges. vom 8. August 1878 fallen.
Soweit der Anspruch eventuell gegen die Bewohner von Schwar-
zenacker gerichtet werden wollte, besteht -für den k. Verwaltungsga-
richtshof zur Zeit kein Anlass, denselben einer näheren Prüfung zu
unterziehen.. Die Gemeinde Einöd-Ingweiler als solche aber hat keine
Verpflichtung gegenüber der ihr fremden Gemeindeschule von Wörsch-
weiler.
11. Entscheidung vom 8. April 1881 (Sammlung Bd. IJ. 8. 645 ff.).
Die in dem Einkommen einer Schulstelle begriffenen Reichnisse
des sogen. Weihnachts- oder Neujahr-Singgeldes und des sogen. Läut-
geldes sind, wenn sie auch vielleicht ihrer Entstehung nach auf dem
Kirchen- Verbände beruhen, doch in dem Falle nicht mehr als kirchen-
gemeindliche Abgaben, sondern als ein vom Schulsprengel zu leisten-
der Beitrag für das Schuldienst-Einkommen zu erachten* wenn deren
Leistung für den Schullehrer von der Schulgemeinde als solcher rechts-
förmlich übernommen wurde.
Streitigkeiten über -derartige Reichnisse sijid daher genaäss
Art. 8. Ziff. 38. des Ges. vom 8. August 1878 Verwaltungsrechts-
sachen und demnach in dem für diese vorgeschriebenen Verfahren zu
behandeln. .
In dieser Entscheidung wird ausgesprochen, es erscheine min-
destens zweifelhaft, ob das für jenes Singen (mit 5—^ Kindern) ge-
währte Reichniss, das Singgeld, im Kirchengemeinde verband ge-
wurzelt habe; durch Entschliessung des k. Staatsministeriunas vom
■. ■ ' 22*
340 Hergenröther, Entscheidungen des Bayer, Verw.-Ger.-Hof, (1881).
16. April 1814 sei übrigens auch für den Obermainkreis angeordnet
worden, dass den Schullehrern, welchen ein zureichender Unterhalt
nicht ausgewiesen ^sei und das Abgängige auf den Localschulfond
nicht angewiesen werden , könne , für das untersagte Weihnacht-
Singen eine Entschädigung in Geld zu bestimmen und diese in den
jährlichen Etat der besonderen Umlagen für die Gemeindebedürf«.
. nisse aufzunehmen sei; auch in fraglichem Falle sei letzteres, von
der Schtdgemeinde übernommen worden und daher lediglich als eine
Umlage des Schulsprengeis zur Ergänzung des Lehrergehaltes zu
betrachten. Und wenn auch die* Läutgarben-Reichnisse in der Regel
ihrer. Bedeutung nach im Kirchengemeinde -Verbände wurzelnde
Leistungen für die gewöhnlich mit dem Schuldienste verbundene
Function des Messners oder Kirchners waren , so sei doch das ur-
sprungliche Naturalreichniss im Laufe der Zeit in eine Geidumlage
verwandelt und diese nicht etwa von den Paröchianen^ sondern
gleichfalls von der Schülgemeinde als solcher far den Lehrer über-
nommen worden, wie dies aus den Schulfassionen von St. Rochus
hervorgehe.
13. Entscheidung vom 22, April 1881 (Sammlung Bd. IL 8. 677 ff.).
Zur Entscheidung von Streitigkeiten über Läutgarben-Reich-
nisse, welche für einen Kirchendiener von Grundbesitzern eines
Pfarrsp^engels nicht als dingliches Recht, sondern als eine auf dem
Pfarrgemeinde -Verbände ruhende herkömmliche Leistungen bean-
sprucht werden , sind die Verwaltungsbehörden und in letzter In-
stanz der Verwaltungsgerichtshof zuständig.
Der Messner in St. Jobst hat fassionsmässig l^/j SchäfiFel
Läutkorn zu beziehen, welches in den zur Pfarrei St. Jobst gehöri-
gen Gemeinden Erlenstegen, Schoppershof und Ziegelstein jährlich
»von den Grundbesitzern« in natura erhoben wird. Beschwerde-
führer Stephan Klendem in Ziegelstein, der früher keinen nennens-
werthen Grundbesitz innerhalb der Gemeinde hatte und erst seinen
ausserhalb der Gemeinde gelegenen Grundbesitz gegen einen solchen
innerhalb der Gemeinde vertauscht hatte , : ward unter Abänderung
des Regierungsbescheides vom 21. Mai 1880 von der Abgabe frei-
gesprochen,' da die strittige Abgabe bisher nicht geleistet worden,
also nicht hergebracht sei und in Folge dessen derselbe auch nicht
gehalten werden könne, diese Abgabe vom Jahre 1875 ab an den
dermaligen Kirchendiener zu entrichten. Nach den Vorlagen könne
nur angenommen werden, dass nach dem in der Pfarrei St. Jobst
bestehenden Herkommen nur diejenigen Pfarrgenossen läutgarben-
Bayer. Verw.-G.-H, 22. April und 4, Februar 1S81. .341
pflichtig seien , welche auf gewissen seiner Zeit genau, bestimmten
Anwesen mit Aeckern sitzen.
13. Entscheidung vom 4. Febr. 1881 (Sammlung Bd. IL 8. 534 ff.).
Die in Art. 22. Abs. 4. und Art. 45. Abs. 2. des Ges. vom
8. August 1878 bestimmte ausschliessende Beschwerdefrist läuft nur
für die Einlegung , nicht aber auch für die Ausführung der Be-
schwerde.
Dieser Grundsatz ^rde ausgesprochen bei Abweisung der Be-
schwerde der Stadtgemeinde-Verw^ltung Rothenfels gegen den am
24. August 1880 ihr eröffneten Begierungsbescheid, Aenderungen be-
treffs des Schullokals betr. Die Beschwerde kam erst am 7. Sep-
tember 1880 in den Einlauf des Bezirksamtes Lohr und erst am
7. October 18S0 in den der k. Kreisregierung,
342
XIX.
An das hochgeehrte Abgeordnetenhaus des ungarischen Reichs-
tags gerichtete Vorstellung und Bitte
des Ersibischofs und Metropoliten Mi von Roman im Namen
der griechisch'OriefUalischen romanischen Kirche Ungarns und Sieben-
hürgens^ wegen Umarbeitung des in Sachen der Regelung des Gym-
nasial- und'Realschul' Unterrichts eingereichten Ge--
Setisentwurfes, (gez. Nr. 19. M.)
(Vgl. Archiv Bd. 47. S. 311 ff.; S. 425 ff.)
Hochgeehrtes Abgeordnetenhaus!
Die unter misslichen Verhältnissen Jahrhunderte hindurch
drückenden Leiden ausgesetzte griechisch-orientalische rumänische
Kirche Ungarns und Siebenbürgens hat, sobald sie aus der väter-
lichen Fürsorge des erhabenen Herrscherhauses und durch das Wohl-
wollen« der Gesetzgebung in die Reihe der freien und gleichberech-
tigtem heimischen Kirchen und Glaubensgenossenschaften aufgenom-
men ward, ihrem hohen Berufe gemäss, es zu ihren ersten Sorgen
gezählt : in ihrem eigenen Wirkungskreise die Volkserziehung in die
Hand zu nehmen und ihren, der höheren Bildung zustrebenden
Gläubigen die Möglichkeit des Zutrittes zu den Wissenschaften nach
Thunlichkeit zu erleichtern..
. Während einerseits die Kirche die auf dem Gebiete der allge-
meinen Bildung erreichten, im Verhältniss zu ihren beschränkten
materiellen Mitteln befriedigend, zu nennenden Resultate mit Seeleur
freude und gesteigerter Fortschrittssehnsucht betrachtet: wirke an-
dererseits auf die Gläubigen derselben Kirche niederdrückend und
erzeugt -auch in ihren höheren Kirchenbehörden berechtigte Besorg-
niss jene Thatsache, dass die Staatsregierung im Zwecke der Re-
gelung des Gymnasial- und Realschulunterrichtes dem hochgeehrten
Abgeordnetenhause einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt hat, wel-
cher die Autonomie als Existenzgrundlage der grieschisch-oriöntali-
schen romanischen Kirche empfindlich zu schädigen und die Cultur-
interessen dieser Kirche grossentheils. ausser Acht zu lassen beab-
sichtigt.
Indem ich mir die Freiheit nehme, die diesfalligen Be-
sorgnisse der griechisch-orientalischen romanischen Kirche in Felge
Gr.'Or» Metrop. Vor st. 20, Febr. 1882: ungar. Mittelschulgea.-Entw. 343
dringenden Ansinnens sämmtlicher Diocesen, vermöge meiner amt-
lichen Stellung dem hochgeehrten Abgeordnetenhause vorzustellen,
bemerke ich vor Allem zur Kennzeichnung des Standpunktes meiner
Kirche: dass die griechisch-orientalische romanische Kirche, nach
ihrer canonischen Entwickelung und nach den klaren Anordnungen
der bestehenden Grundgesetze in der Reihe der vaterländischen au-
tonomen Kirchen einen Platz einnimmt, und als solche bei Aufrecht-
haltung des Oberaufsichtsrechtes des Staates berechtigt ist: nicht
nur ihre streng genommen kirchlichen, sondern zugleich auch ihre
Schul- und Stiftungsangelegenheitea, innerhalb der Schranken der
Landesgesetze selbständig zu leiten, zu ordnen und im. Wege ihrer
eigenen Organe selbständig zu handhaben* und zu verwalten.
Die griechisch-orientalische romanische Kirche/ welche weiss,
dass es Aufgabe der Gesetzgebung ist, die vom Gesetze .gewährten
und. gesicherten Rechte nicht einzuschränken oder gerade zu ent-
ziehen, sondern nach den sich entwickelnden berechtigten Anforder-
ungen immer mehr auszudehnen, macht mit berechtigter Besorgniss
die Wahrnehmung, dass insbesondere auf dem. Gebiete des öffent-
lichen Unterrichtes bereits solche Institutionen in das Leben gerufen
worden sind, welche, abweichend von den zur Sicherstellung der
vaterländischen Religionsgenossenschafken und Nationalitäten ge-
brachten Fundamöntalgesetzen, die Autonomie der Kirche erschüttern
und im praktischen Leben ihre Cufturinteressen in den Hintergrund
drängen; den erwähnten Gesetzentwurf aber betrachtet sie als einen
neuerlichen Schritt iii der Richtung, welche am Ende mit dem voll-
ständigen Umsturz der kirchlichen Autonomie, auch die Existenz der
Kirche selbst gefährden kann.
Im Bewusstsein ihrer autonomen Stellung und ihrer hieraus
fliessenden Rechte, kann ..es der auf Grundlage des Nationalitäts-
princips gesetzlich organisirten griechisch-orientalischen rondänischen
Kirche nicht gleichgiltig sein; wenn ihre Gläubigen in solchen Lehr-
anstalten Unterricht und Bildung empfangen, wo der religiöse Geist
nicht in entsprechender Richtung und entsprechendem Mass ver-
breitet, oder wo das nationale Bewusstsein, welches die Grundläge
unseres gesammten kirchlichen Organismus ist, nicht genügend ge-
pflegt wird ; * dagegen wendet diese Kirche eben desshalb besondere
Sorgfalt darauf, Volksschulen und höhere Lehranstalten mit eigenem
confessionellem Charakter zu errichten und die bestehenden zweck-
mässig einzurichten, weil den Mängel dieser aus dejn Gesichtspunkte
ihrer religiösen und theilweise nationalen Interessen weder die Staats-,
noch die Lehranstalten anderer Confessionen gehörig ersetzen können.
344 Gr.-or. Metrop. - VorsL 20, Febr. 1882 : ungar* Mittelachulges^-Entw.
Aber gleichwie einestheils die griechisch-orientalische romanische
Kirche auf die religiösen und nationalen Interessen ihrer Gläubigen
ein grosses Gewicht legt, ebenso richtet sie andererseits ihre Für-
sorge immer darauf, ihre erwähnten Existenzinteressen mit den In-
teressen des Staates in engstem Zusammenhang zu halten , und be-
sonders den Patriotismus, als höchste Bürgertugend, in das Herz
ihrer studirenden Jugend tief einzugraben, indem sie auf diese Art
dem Staate treue und nützliche Bürger zu erziehen wünscht. Es
kann also die zähe Aöhäuglicbkeit der Behörden und Gläubigen der
griechisch-orientalischen romanischen Kirche an ibre^ Keligion und
Nationalität und deren emsige Pflege aus dem Gesichtspunkte der
Staatsinteressen und insbesondere des Patriotismus nicht beanstandet
werden, es sei denn, dass die bei uns vermöge unserer eigenen Ver-
hältnisse nicht aufstellbare Theorie : dass es überhaupt nicht erlaubt
sei, in einem Staate verschiedene Eeligionen oder verschiedene Na-
tionalitäten zu dulden, zu staatsprincipieller Geltung gelangen sollte.
Indem der erwähnte Gesetzentwurf den Mittelschulunterricht
leider den Händen der autonomem Glaubensgenossenschaften gleich-
sam zu entreissen, in sämmtlichen Lehranstalten für die magyarische
Sprache als die Amtssprache des Staates , mit Einschränkung der
übrigen vaterländischen Sprachen, über die Grejizen der Berechtigung
hinaus Fuss zu fassen und das beinahe unbeschränkte Verfügungs-
recht der Staatsregierung auch a6f die confessionellen Mittelschulen
auszudehnen beabsichtigt: scheint derselbe hiemit nicht so sehV der
Entwickelung der einheimischen Bevölkerung verschiedener Religion
und Nationalität in natürlicher Richtung und den Interessen ihrer
gründlichen Bildung, als vielmehr, jener verhängnissvollen politischen
Strömung einen Dienst leisten zu wollen, welche von der irrthüm-
lichen Auffassung der Verhältnisse und der Existenzinteressen unseres
Vaterlandes ausgehend, die Magyarisirung der nichtmagyarischen
heimischen Völker sich zum Ziele gesetzt hat.
Es ist wohl wahr, dass -der fragliche Gesetzentwurf die Schul-
angelegenheiten aller Glaubensgenossenschaften gleichförmig zu ord-
nen' beabsichtigt, und wenige Ausnahmeü abgerechnet, unter den
vaterländischen Religionsgenossenschaften bekannter Weise magyari-
scher und nichtmagyarischer Nationalität keinen Unterschied macht,
was scheinbar gegen. die obige Auffassung spricht ; aber gerade diese
Färbung, nämlich die Wahrung der confessionellen Gleichberechtigung
hebt den Angelpunkt des Gesetsientwurfes am meisten hervor,^ wel-
cher,^ Alles zusammengenommen, darauf gestützt zu sein scheint:
dass 'die Magyarisirung der Landesbürger nichtmagyarischer Natio-
• Grror. Metrop.'Vorst 20. 'Fehr, 1882: ungar, Mittelschulges.-Entw. 345
nalität , selbst auf Kosten^ der Autonomie 'sämmtlicher Confessionen
durchgeführt werde, indem die Gläubigen der Kirchen nichtmagyari-
scher Nationalität einem solchen allgemeinen ünterrichtssystem unter-
worfen, werden , das sie zur Vernachlässigung ihrer eigenen Mutter-
sprache zwingt und sie hied^urch auf die Bahn der Vermägyarisirung
drängt, während es im Uebrigen Sache der Regierung ist, den ein-
zelnen Qlaubens^enossenschaften gegeaüber die Grade der in ihrer
, Macht stehenden Strenge oder G^^nst nach eigenem Ermessen anzu- ,
wenden.
Dass die ganze Absicht des in Rede stehenden Gesetzentwurfes
in diesem Ausgangspunkte sich vereinigt, zeigen klar die darin ent-
haltenen Bestimmungen, wornach zunächst die Unterrichtssprache
der neu zu errichtenden Staats-Gymnasien und Realschulen aus-
schliesslich nur die magyarische sein kann (§. 39) ; daneben aber die
Sprache der einzelnen Gegenden, wenn es nicht die magyarische ist,
. in sämmtlichen Gymnasien und Realschulen, also auch in den con-
fessionellen blos als ausserordentlicher Unterrichtsgegenstand den
sich freiwillig Meldenden gelehrt werden kann, und zwar so, dass
der Lehrkörper das Erlernen derselben einzelnen